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Ausgabe:

Mai/2012

Spalte:

507–522

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Rudolf von Sinner*

Titel/Untertitel:

Zwischen Weltflucht und Dominanz
Pfingstbewegung und Bürgerrechte in Brasilien

»Wenn man in dieser Welt etwas Gutes tun will,
dann muß man gegen Ungerechtigkeiten angehen
und es wagen, die Wahrheit zu sagen.«
Lewi Pethrus1


Wer kennt sie nicht, die berühmte Statue des Erlösers Christus in Rio de Janeiro auf dem Corcovadoberg? Sie wurde 1931 eingeweiht als unmissverständliches Zeichen der Macht – nicht so sehr Christi, sondern der römisch-katholischen Kirche in Brasilien. Umgeben von 50 Bischöfen und Erzbischöfen stellte Dom Sebastião Leme, der Kardinal-Erzbischof von Rio de Janeiro, fest, dass »der Staat … entweder den Gott des Volkes anerkennt, oder das Volk den Staat nicht anerkennen wird« 2. Er sagte das in der Gegenwart des Vorsitzenden der provisorischen Regierung, Getúlio Vargas, der die Botschaft hörte und sich in der Tat in den folgenden Jahren um eine enge Partnerschaft mit der römisch-katholischen Kirche bemühte, die schon seit 1889 nicht mehr Staatskirche war. Man spricht von jener Zeit als der Epoche der »Neo-Christenheit« (als neues corpus chris­tianum).

Wer kennt ihn nicht, den Tempel Salomos? »Das Haus aber, das der König Salomo dem Herrn baute, war sechzig Ellen lang, zwanzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch …« usw., so wird er in 1Kön 6,3 beschrieben. Das war vor rund 3000 Jahren. Ein neuer ist jedoch gerade im Bau, und zwar im brasilianischen São Paulo, und soll in vier Jahren fertiggestellt werden. Die »Universale Kirche des Reiches Gottes« (Igreja Universal do Reino de Deus – IURD) hat die Baubewilligung erhalten. Der Tempel soll 56 m hoch werden – gewiss nicht zufällig fast das Doppelte der Christus-Statue von Rio de Janeiro.3 Ein unmissverständliches Zeichen der Macht nicht so sehr Salomos oder seines Gottes, sondern der genannten Neo-Pfingstkirche.

Wer aber kennt eine Bauruine wie die Kirche Eben-Ezer (»Stein der Hilfe Gottes«, 1Sam 7,12), die auf einer Landzunge am Rio Negro, einem Zufluss des Amazonas bei Manaus, steht?4 Mehr oder weniger still, mehr oder weniger effektiv werden solche kleinen Kirchen überall gebaut, mit den Mitteln, die gerade zur Verfügung stehen. Sie hat das typische Format einer Pfingstkirche, hier einer »Versammlung Gottes« (Assembléia de Deus – AD). Der Bau wurde unterbrochen, weil sich auf der kleinen Landzunge zu wenig Konversionswillige fanden. Auch dieses Gebäude ist ein unmissverständliches Zeichen der Macht, freilich auch der Ohnmacht dieser inzwischen fast 100-jährigen größten Pfingstkirche Brasiliens. Ihre Erfüllung liegt für viele nicht hier, sondern in der Zeit nach Christi Wiederkunft.

Diese drei kleinen Beispiele von Religion in der Öffentlichkeit Brasiliens zum Auftakt. Im Folgenden werde ich zunächst historisch und soziologisch in die brasilianische Pfingstbewegung einführen (1.). In einem zweiten Schritt wird der Schwerpunkt auf politischen und theologischen Positionen der AD liegen (2.), um dann abschließend Überlegungen zu Bürgerrechten, Dominanz und Weltflucht anzustellen (3.).

1. Soziologische Aspekte


»In Brasilien wird alles zur Religion«, sagt der Volksmund.5 Zu Beginn der 1990er Jahre wurde allein im Großraum Rio de Janeiro pro Werktag eine neue Kirche gegründet.6 Die Namen dieser Kirchen »für jeden Geschmack« sind dementsprechend vielfältig: »Evangelische Kirche der Abscheu vor dem krummen Leben«; »Kirche Explosion des Glaubens«; »Evangelische Pfingstliche Kirche der letzten Einschiffung zu Christus«; »Automotive Kirche des Heiligen Feuers«; »Evangelische Vereinigung Treu sogar unter Wasser«; »Baptistische Kirche Feuersbrunst von Segnungen«; »Evangelischer Kreuzzug von Pastor Waldevino Coelho dem Allerhöchsten«; »Kirche der Sieben Trompeten der Apokalypse«; »Kirche I. W. A. S. (Ich will Auch den Segen)«; »Evangelische Pfingstliche Kirche Spucke Christi« usw. 7 Einige dieser Kirchen bestehen nur gerade aus einer Garage, in der ein selbsternannter Pfarrer vor vielleicht 50 Mitgliedern mit seinem Mikrofon den Verkehr (und die Nachbarkirche) zu übertönen sucht. Andere haben sich auf hunderte oder gar tausende von Mitgliedern ausgedehnt und eine nationale, in manchen Fällen sogar internationale Organisation aufgebaut. Die schon in ihrem Namen prätentiöse »Universale Kirche des Reiches Gottes« (IURD) ist mittlerweile auf der ganzen Welt präsent und sendet kontinuierlich brasilianische Pfarrer und Bischöfe zu ihrer Betreuung aus. 8 In Brasilien konkurriert sie mit ihrer massiven öffentlichen Präsenz – durch riesige, zentral gelegene Tempel und das ihr gehörende zweitgrößte nationale Fernsehnetzwerk, aber auch durch ihre Positionierung als moralische Alternative9 – direkt mit der römisch-katholischen Kirche.

Die folgende Tabelle zeigt einen klaren Trend in der religiösen Zugehörigkeit an: Während die römisch-katholische Kirche jedenfalls nominell nach wie vor die klare Mehrheit zu sich rechnen kann – Brasilien ist mit etwa 124 Millionen Katholiken das weltweit »katholischste« Land –, hat sie namhafte Verluste hinnehmen müssen. Dagegen sind vor allem die Pfingstkirchen enorm schnell gewachsen sind. Brasilien ist mittlerweile auch das »pfingstlichste« Land der Welt. Von der Volkszählung im Jahr 1980 bis zur vorletzten im Jahr 2000 (die Zahlen von 2010 liegen noch nicht vor) hat die Anzahl der Pfingstler sich verdreifacht: Sie kamen auf rund 26 Millionen erklärte Mitglieder. Allerdings ist in derselben Zeit auch die Zahl der sog. »Religionslosen« um diesen Faktor angewachsen. »Religionslos« bedeutet nicht unbedingt, dass diese Menschen keinen Glauben haben; sie bezeichnen sich jedoch als keiner Religion zugehörig. Außerdem ist die religiöse Mobilität enorm groß: Ge­mäß einer Befragung aus dem Jahr 2004 haben 23 % der Bevölkerung wenigstens einmal (oder auch mehrfach) die »Religion«, und das heißt meistens: die Kirche, gewechselt, darunter rund 15 Millionen Katholiken. 10

Religiöse Zugehörigkeit in Prozent nach den Volkszählungen

Religion/Kirche

1980 1991 2000

Römisch-Katholisch

89,0 83,0 73,6

Pfingstkirchen

3,2 5,6 10,4

Religionslose

1,6 4,7 7,3

Hist. Protestantische Kirchen

3,4 3,0 5,0

Spiritisten

0,7 1,1 1,4

Afro-brasilianische Religionen

0,6 0,4 0,3

Andere

1,2 1,8 1,6

Keine Antwort

0,3 0,3 0,2

Quelle: IBGE, Censo demográfico 200011

Gemäß einer Erhebung des Pew Forum von 2006 ist die Diversifizierung noch stärker: 21 % sind demnach evangélicos, wie die nichtkatho­lischen Christen meist global bezeichnet werden, gegenüber bloß 57 % Katholiken und 13 % anderer Religionen. Pfingstliche und charismatische Gläubige machen nach der genannten Erhebung 49 % der städtischen Bevölkerung über 18 Jahren aus, 57 % der Katholiken und 78 % der evangélicos.12

Gemäß der World Christian Database ist Brasilien heute das Land mit der größten pfingstlichen Bevölkerung in absoluten Zahlen; 2006 wurde sie auf rund 24 Millionen geschätzt. Hierbei werden lediglich Angehörige von Pfingstkirchen mitgerechnet, nicht jedoch die Millionen von Christen in der katholischen Kirche (Katholische Charismatische Erneuerung) oder den evangelischen Kirchen, die als »charismatische« Christen bezeichnet werden. Die bereits erwähnte Studie des Pew Forum (2006) rechnet mit 15 % Pfingstkirchlern und 34 % charismatischen Christen in den histo­-rischen Kirchen. Zusammengenommen wären das 49 % aller Chris­ten in Brasilien. Andere Studien gehen davon aus, dass die Hälfte der praktizierenden Katholiken Charismatiker seien. 13 Es handelt sich dabei um dasselbe Phänomen: Unter Bezug auf das biblische Pfingstereignis, als der Heilige Geist die Jünger Jesu erfüllte und sie anfingen, »zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen« (Apg 2,3–4), entstand ab 1901 in den USA eine Bewegung, für die das spontane Sprechen in unbekannten und unverständlichen oder in nie gelernten real existierenden Sprachen (»Zungenreden«) als Beweis für die Taufe mit dem Heiligen Geist galt. 14 In den USA, genauer in Chicago bei William H. Durham (1873–1912), lernten der Italiener Luigi Francescon (1866–1964) und die Schweden Gunnar Vingren (1879–1933) und Daniel Berg (1884–1963) diese Bewegung kennen und brachten sie nach Brasilien. Gemäß der Überlieferung hatte Bruder Adolfo Ul­din für die beiden Schweden eine Audition mit dem Namen »Pará« – ein Bundesland im Norden Brasiliens, das schnell auf der Weltkarte gefunden wurde. Weiterhin erfuhren die Brüder über Uldin, dass die Menschen dort Portugiesisch sprächen. Schließlich wurde Uldin gesagt, Vingren werde eine Frau namens Strandberg heiraten. 15 Dies sind sich ergänzende Hinweise, die sicherstellen konnten, dass es wirklich um die Mission ging, die Gott ihnen anvertrauen sollte.

Allerdings ist zusätzlich zu beachten, dass Pará damals in South Bend/In­diana, wo Uldin seine Audition hatte, be­reits bekannt war, denn von dort kam der Naturkautschuk, der namentlich im aufstrebenden Chicago und eben auch in South Bend zu Autoreifen verarbeitet wurde.16 Der Pfarrer der Baptistischen Kirche in Parás Hauptstadt Belém (»Bethlehem«), wo Vingren und Berg am 19. No­vember 1910 eintrafen, war Erik Nilsson, auch er ein Schwede, der über die USA nach Brasilien gekommen war. Seit 1897 hatte er im Amazonasgebiet Kirchen gegründet, was in den USA gewiss be­kannt war.

Am 2. Juni 1911 erhielt die erste Person die Taufe im Heiligen Geist: eine Frau, Celina Albuquerque (1876–1966), die zuvor von einer »unheilbaren Krankheit« auf ihren Lippen durch Gebet ge­heilt worden war. Danach habe sie, so Vingren, um den Empfang des Heiligen Geistes gebeten.17 Auch die zweite Geistgetaufte war eine Frau, Maria de Jesus Nazaré, die eine bedeutende Missionarin wurde.18 Frauen spielten eine zentrale Rolle in der entstehenden Pfingstkirche, namentlich – aber nicht ausschließlich – Ehefrauen von Pastoren.19 55 % derer, die wegen ihrer Geisterfahrungen aus der Baptistischen Kirche ausgeschlossen wurden, waren Frauen. Die von Bruder Uldin bereits angekündigte Frida Maria Strandberg (1891–1940) wurde als Missionarin aus Schweden nach Brasilien geschickt und heiratete dort Bruder Vingren. Sie war ein Multitalent: »Krankenschwester, Dichterin, Komponistin, Herausgeberin, Forscherin, Predigerin und Lehrerin«20, und hatte de facto während Vingrens Abwesenheiten und seinen zahlreichen Krankheitsphasen die Kirchenleitung inne.21 Nach ihrem Ausschluss nannte sich die Gruppe zunächst »Apostolische Glaubensmission« (Missão da Fé Apostólica, gegründet am 18. Juni 1911), und registrierte die Kirche am 11. Januar 1918 als »Assembléias de Deus«. Trotz des den USA (Assemblies of God, so seit 1914) angeglichenen Namens hat es sich nur anfangs um eine ausländisch bestimmte Organisation gehandelt. Im Gegenteil: Schon früh wurde die Macht an die lokalen Pastoren übergeben, was dem Führer der schwedischen Pfingstbewegung, Lewi Pethrus (1884–1974), gerade in Brasilien besonders am Herzen lag. Er hatte das Land 1930 besucht.22

In Chile hatte schon um 1902 eine geistliche Erneuerung begonnen, nämlich in der Methodistischen Kirche von Valparaíso, woraus 1910 die Pfingstliche Methodistische Kirche (Iglesia Metodista Pentecostal) entstand. Offensichtlich gab es Verbindungen zu In­dien, wo um Pandita Ramabai (1858–1922) eine ähnliche Bewegung entstanden war.23

Noch vor Berg und Vingren hatte der Italiener Luigi Francescon, auch er war über die USA nach Brasilien gekommen, 1910 in São Paulo unter italienischen Immigranten die »Christliche Gemeinde Brasiliens« gegründet (Congregação Cristã do Brasil). Gemeinsam mit der Erweckung in Belém entstand so die erste Welle der brasilianischen Pfingstbewegung.24 Für die beiden erwähnten Kirchen waren die Zungenrede, Prophezeiungen und die Scheidung der Geister zentrale Elemente der Glaubenspraxis. Bis heute sind diese beiden, die Congregação und die Assembléias de Deus mit jeweils rund 2,5 bzw. 8,5 Millionen Mitgliedern (2000), die größten Pfingstkirchen geblieben.

Eine zweite Welle entstand in den 1950er Jahren durch Missionare der US-amerikanischen Church of the Four-Square Gospel, aber auch schon durch brasilianische Prediger wie Manoel de Mello (Igreja Pentecostal o Brasil para Cristo, 1955) und David Miranda (Igreja Pentecostal Deus é Amor, 1962). Diese Kirchen entstanden vornehmlich in São Paulo und zeichnen sich aus durch die Betonung der Krankenheilung als Geistesgabe sowie die Benutzung von Massenmedien für die Evangelisierung.

Die dritte Welle ging von Rio de Janeiro aus und konstituierte die Neo-Pfingstkirchen (manchmal auch als Post-Pentekostalismus eingestuft).25 Sie unterscheiden sich erheblich von den früheren Pfingstkirchen insofern, als die klassischen Geistes- oder Gnadengaben ebenso wie die strenge moralische Disziplin hier zu­gunsten von Heilung, Teufelsaustreibung und (wirtschaftlich und sozia-ler) Prosperität zurückgetreten sind. Die Welt ist nach dieser Auffassung von bösen Geistern bewohnt, die in einer »geistlichen Schlacht« (batalha espiritual) bekämpft werden müssen. Solche bö­sen Geister werden mehr oder weniger direkt den afro-brasilia­nischen Religionen zugeschrieben und erhalten dadurch einen diskriminierenden und rassistischen Beiklang.26 Gottes Gaben sind für die Neo-Pfingstler zur Gänze schon im Diesseits wirksam. Wer nur genügend glaubt und diesem Glauben durch erkleckliche Beiträge an die Kirche Ausdruck verleiht, wird nicht nur wie andere Christen um diese Gaben bitten, sondern soll sie von Gott verlangen können, der durch den »investierten« Glauben und dessen pekuniären Ausdruck zur Antwort verpflichtet ist. Dies kann freilich zu grotesken Situationen führen: Ein Gläubiger verkaufte seinen Wagen, um die damit erzielten 2.600,00 Reais der IURD zu ge­ben. Ein Pastor der IURD hatte ihn überzeugt, dass er sich seiner materiellen Güter entledigen und den Verkaufserlös der Kirche zukommen lassen müsse, damit sein Leben eine positive Wendung nehme. Er steckte damals in finanziellen Schwierigkeiten und hatte sich mit seiner Familie überworfen. Als sich nicht erfüllte, was ihm versprochen worden war, verlangte er das Geld von der Kirche zurück. Vor dem Appellationsgericht erhielt er Recht. 27 Zwar billigte man ihm nur die Rückzahlung (mit Inflationskorrektur und Zinsen) der Spende und keine Entschädigung für erlittene moralische Schäden zu, weil solche als nicht ausreichend bewiesen erachtet wurden; jene aber wurde als berechtigt angesehen, weil der Betroffene durch List zur Spende verleitet worden sei.28 Wenn dies Schule machen sollte, dann wäre hier eine klare Bumerang-Wirkung zu sehen, die der von der IURD betriebenen Merkantilisierung des Glaubens durchaus entspricht: kein zufriedenstellendes Produkt – Geld zurück. Nicht von ungefähr hat man schon nach einem »religiösen Konsumentenschutz« gerufen.29 Zu dieser dritten Welle gehören die IURD (1977), die Comunidade Evangélica Sara Nossa Terra (1976), die Igreja Internacional da Graça (1980) und Renascer em Cristo (1986).30

2. Die Assembléias de Deus in Brasilien


Ich konzentriere mich im Folgenden auf die Assembléias de Deus (AD).31 Das enorme Wachstum der Pfingstbewegung in Brasilien und weltweit erweist, so ihre Generalkonvention, drei »Wahrheiten über die Pfingstbewegung«: 1. Die Pfingstbewegung ist kein »Stroh­­feuer«, sondern eine permanente Erscheinung; 2. Die »Taufe im Heiligen Geist bleibt einer der mächtigsten Faktoren zur Dynamisierung der Evangelisierung der Kirche«, und 3. »es ist ein Beweis, dass die Wiederkunft des Herrn Jesu nahe ist«. Hier kommen entsprechend die klassischen theologischen Inhalte der AD zum Ausdruck: die Betonung der Taufe im Heiligen Geist (und der Empfang der Geistesgaben), die Evangelisierung und eine prämillennarische Es­chatologie. 32 Wie alle Pfingstkirchen in Brasilien sind die AD antiökumenisch und vor allem antikatholisch. Dessen ungeachtet sind sie freilich in den meisten moralischen Fragen mit der rö­misch-katholischen Kirche einig: in der (umfassenden, aber nicht vollständigen) Ablehnung des Schwangerschaftsabbruchs, in der Ablehnung der Homosexualität und besonders homosexueller Ehen, in der Ablehnung der Sterbehilfe und in der Disziplinierung ihrer Mitglieder nach Ehescheidungen. Auch ist eine gewisse Zu­sammenarbeit mit anderen Kirchen, vor allem anderen Pfingstkirchen, möglich, etwa mit Siebenten-Tags-Ad­ventisten, Baptisten, Presbyterianern und der IURD. 33

Die normale Position der Pfingstler war, sich als der Politik fremd zu verstehen, und so wurden sie auch von außen gesehen. Crente não se mete em política – der (Pfingst-)Gläubige mischt sich nicht in Politik ein, denn política é coisa do Diabo – Politik ist Sache des Teufels.34 Mit der Transition zur Demokratie und insbesondere der Konstituante 1987–1988 hat sich dies radikal verändert. Nun lautete der Wahlspruch: »Brüder wählen Brüder«.35

Die kircheneigene Zeitung »Der Friedensbote« (mensageiro da paz) äußerte sich nicht zu den Massendemonstrationen von 1984 für sofortige Direktwahlen (Diretas Já), begann aber ab 1985 sich zu politischen Themen zu verhalten. Sie gab der neuen Politik Ausdruck: »Unsere Kirche hat genügend Potential, um einen Vertreter in jedes Landesparlament zu bringen […] Das Engagement der Kirche impliziert, in diesem Falle, nicht einen politisch-partisanischen Einsatz, da unsere Sicherheit in Gott begründet ist, aber es stellt eine Bemühung der Kirche dar, ihren positiven Einfluss in den höchsten Sphären öffentlichen Lebens zur Sprache zu bringen«. 36 Nach Paul Freston, einem der besten Kenner der brasilia­nischen Pfingstbewegung, wurde der Wechsel von der Absenz zur Präsenz in der Politik nicht von theologischen Veränderungen begleitet. Die Theologie ist weiterhin dispensionalistisch und prämillennarisch, eine unmittelbare Wiederkunft Christi erwartend, und hält einen strikten Dualismus zwischen Gut und Böse aufrecht.37 Ge­genstand des politischen Einsatzes der Kirche ist zudem ein relativ begrenztes Feld von vornehmlich moralischen Fragen, die mit Familie und Sexualität in Verbindung stehen. Hinzu kommen natürlich Themen, die für die Kirche von direktem Vorteil sind, wie Sendekonzessionen für Radio und Fernsehen, Steuerbefreiung und Feiertage.38 In Bezug auf die Konstituante (1987–1988) war die Führung der AD nach Freston ziemlich zufrieden: Die Anrufung Gottes verblieb in der Verfassung, die religiöse Freiheit wurde erweitert und der Religionsunterricht wurde beibehalten. Das Diskriminierungsverbot aufgrund sexueller Orientierung und die Todestrafe wurden nicht aufgenommen. Die Pfingstler verloren aber in Fragen des Schwangerschaftsabbruchs, der Kunstzensur und der Scheidung.39

Die Kirche hat inzwischen eine beachtliche Zahl von Bundes- und Landesabgeordneten, Bürgermeistern und Stadtverordneten vorzuweisen, ja zeitweilig gar eine Bundesministerin, obwohl die Anzahl dieser Vertreter seit den Wahlen von 2006 erheblich gesunken ist.40 Ein Großteil der AD-Bundesabgeordneten war nämlich mutmaßlich in einen Korruptionsskandal zur Anschaffung von Ambulanzen verwickelt. Die Monatsschrift der AD, der »Friedensbote«, vermerkte die Reduktion von 60 auf 15 evangelische Abgeordnete und allein bei der AD von 22 auf fünf. Von einigen wurde dieser Aderlass als »Medienmassaker« bezeichnet, man habe den Angeklagten ihr Verteidigungsrecht genommen. Dennoch sagte die Zeitschrift letztlich, eher lakonisch aber von großer Bedeutung, dass die Kirchenmitglieder »ihre Entscheidung bereits an der Urne gefällt haben«. 41 Sowohl im Hinblick auf die Demokratie als auch auf die Ekklesiologie und theologische Ethik scheint mir dies ein ausgezeichnetes Ergebnis zu sein, wird doch die von Pastoren und AD-Politikern verkündete Moral auch auf sie selbst angewandt und darin ein stärkeres Vertrauen auf die geltenden Regeln als auf die Führungspersonen erwiesen.

Die AD haben ihre besonderen Wege entwickelt, eigene Kandidaten zu nominieren und zu unterstützen, und werden von Kandidaten für Exekutivämter jeweils intensiv umworben. Seit den 1990er Jahren, sagt Paul Freston, ist »evangelische Religion in einer Reihe von sozialen Instanzen angekommen, wo sie bisher nur eine bescheidene Präsenz hatte – oder gar keine. Das bekannteste Beispiel ist das Fernsehen […] Andere Beispiele sind Sportler [z. B. die ›Athleten‹ und ›Surfer‹ Christi], Geschäftsleute, die Polizei, Verbrecher und Zigeuner. Es bildet sich ein Massenprotestantismus heraus, der Funktionen von Volksreligiosität übernimmt: Kirchen anstelle von terreiros [d. h. Häuser, in denen afro-brasilianische Religionen gepflegt werden] in den Slums, Pfingstler mit der Gabe der Heilung statt rezadores [d. h. Beterinnen und Beter] und curandeiros [d. h. Heilerinnen und Heiler]. […] Die neue politische Präsenz ist Teil dieses breiten Prozesses von evangélico Expansion.«42

Es scheint mir wichtig, das Potential der Pfingstler für einen sozialen Wandel nicht auf die formale Politik und namentlich die Wahl von »Brüdern« in die Legislative zu beschränken. Eine solche Konzentration steht in der Gefahr, die Pfingstbewegung eo ipso als »entfremdend« zu bewerten. Es gibt einen beträchtlichen Unterschied zwischen »evangélico Politikern« und »der Politik der evangélicos«. Interessant ist freilich schon im Blick auf Erstere, dass AD-Mitglieder eine beachtliche Freiheit gegenüber ihren Führungspersönlichkeiten haben, wenn es darum geht, ihren Überzeugungen zu folgen. Obwohl sie dem Diskurs ihrer Kirche stärker ausgesetzt sind als andere Christen, da sie regelmäßig an kirchlichen Anlässen teilnehmen und nichtkirchliche Medien nur selektiv wahrnehmen, und obwohl sie zeigen, dass die Kirche als Quelle politischer Anleitung wahrgenommen wird, so ist sie dennoch we­der das einzige noch unbedingt das wichtigste Element im Wahlverhalten der Gläubigen. Nach einer empirischen Studie haben zwar 19 % der evangélicos angegeben, darüber nachgedacht zu ha­ben, ob sie für die von ihrer Kirche unterstützte Partei wählen sollen, aber das Kriterium, dass es »eine Partei ehrlicher Leute« sei, erfuhr mit 51,8 % viel höhere Zustimmung.43

Von größerer Bedeutung scheint mir demgegenüber die Vermittlung eines Gefühls von Würde und Befähigung zu sein, die Kraft und Macht verleiht zur Transformation und zur Neuorganisation des Lebens, so dass die Gläubigen sich wahrhaft als Bürgerinnen und Bürger verstehen und auch so handeln können, selbst wenn darüber kaum ein Diskurs geführt wird und seine Basis eine konservative, fundamentalistische Theologie sein könnte. Wenn sogar die Ärmsten der Armen als Träger des Heiligen Geistes gelten können und dies im Gottesdienst und im Alltag Ausdruck findet, dann findet hier wahres empowerment statt. Dazu scheint im Widerspruch zu stehen, dass die Pastoren und insbesondere die Präsidenten der Mutterkirchen sehr viel Macht in ihren Händen vereinen und in der Gefahr stehen, traditionelle Patronage und Klientelismus zu praktizieren und sogar zu verstärken.44 Ein Hinweis darauf ist etwa die zunehmende Tendenz, sich im Amt zu perpetuieren und es zu einer erblichen, nämlich auf einen Sohn übertra­genen Feudalherrschaft zu machen. Und doch sprechen wir von Kirchen, in denen jede und jeder, ungeachtet der Hautfarbe, des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit, des Berufs oder Vermögens, unvermittelt den Heiligen Geist empfangen kann. Wenn zudem eine Person einmal zur Gemeinde gehört, gibt es vielerlei Aufgaben und Ämter, die sie dort übernehmen kann. Auch wenn Frauen in der Regel – es gibt Ausnahmen – keine Leitungsfunktionen zuerkannt werden, da die AD die Frauenordination ablehnt, können auch und gerade Frauen dort Kommunikations- und Leitungsfähigkeiten erwerben und zu respektierten Autoritätspersonen werden, was ihnen in der allgemeinen Gesellschaft kaum möglich wäre.45 Der Gläubige erfährt eine radikale Konversion, eine grundlegende Veränderung, die auf sein Leben unmittelbare Auswirkungen hat. Der moralische Rigorismus der AD wird oft von außen kritisiert und lächerlich gemacht, trägt aber ohne Zweifel dazu bei, dass Familien wieder stabil und strukturiert werden. Männer kümmern sich, statt in der Bar das wenige verdiente Geld zu versaufen, um ihre Familien und bringen das ganze Geld nach Hause. Zugleich sehen »Pfingstliche Frauen die Männer nicht mehr als die Meister, denen sie zu gehorchen haben. Freilich auch nicht als Unterdrücker, gegen die sie aufstehen müssten. Männer werden eher als Opfer des Bösen gesehen, wie die Frauen es selbst einst auch waren, und so fühlen sie sich verantwortlich für ihre Ehemänner und versuchen, ihnen zu helfen.« 46 Dadurch gelingt auch gegenüber Söhnen und Töchtern eine verständnisvolle Re­-integration des Vaters in die Familie.

Pfingstliche Polizisten erfüllen ihre Pflichten auch unter widrigen Umständen, wenn andere sich lieber davonschleichen: »Was sich verändert [sc. dadurch, dass man Jesus kennengelernt und sich bekehrt hat], ist das Verhalten und die Verantwortung. Denn wir müssen uns den lokalen Behörden unterordnen, weil wir uns da­durch Gott unterordnen. […] Er [sc. Gott] beobachtet jeden Schritt. […|] Und wir können nicht in Heuchelei leben. Darum, wenn uns ein Befehl gegeben wird in unserem Amt, dann muss er ausgeführt werden«. 47 Solches Betonen des Gehorsams in geradezu preu­-ßischer Strenge ist gewiss ambivalent und könnte, unter autoritären Verhältnissen, gefährlich werden. Es fehlt denn auch jeder Hinweis auf eine Legitimitätsprüfung, die einen Befehl noch einmal infrage stellen könnte. Dennoch sind Befehlsausführung und Re­gelkonformität von großer Bedeutung in einem Kontext, wo viele Polizisten ihrerseits in Verbrechen involviert sind und Befehle und Gesetze nicht unbedingt befolgen.

Einer der berühmtesten Ärzte in Brasilien, Drauzio Varella, der für einige Zeit im mittlerweile abgerissenen Carandiru-Gefängnis in São Paulo gearbeitet hat, sagt, dass die AD wahrscheinlich das einzige funktionierende Resozialisierungsprogramm im Gefängnis darstellen.48 Dies gilt deshalb, weil die, die sich im Gefängnis bekehren, vom strengen Gesetz der Insassen ausgenommen sind und von deren Übergriffen verschont werden. Zudem finden sie im Gefängnis, und später auch außerhalb des Gefängnisses, ein stabiles Netzwerk von Beziehungen, die ihnen eine Alternative zum bisherigen Milieu bieten. Varellas Zeugnis beweist ebenso wie empirische Untersuchungen, dass die Kirche durchaus in die Tat um­setzt, was sie als ihre Hauptaufgabe behauptet, nämlich das Leben von Menschen am Rande der Gesellschaft durch Veränderung wieder in Ordnung zu bringen, so dass sie dadurch sichtbar »anstän­dige und ehrbare« Personen werden. 49 Das wird oft durch das Tragen förmlicher Kleidung gezeigt, wodurch sie, zudem mit der Bibel unter dem Arm, von Weitem als crentes zu erkennen sind: Anzüge und Krawatten für Männer, Blusen mit Ärmeln und lange Röcke für Frauen. Dies bietet auch einen gewissen Schutz: Da viele von ihnen schwarz sind und deswegen diskriminiert werden, gibt ihnen der Anzug einen gewissen Status, indem sie etwa kaum für Diebe gehalten werden. Frauen in den beschriebenen Kleidern werden gewisslich nicht mit Prostituierten verwechselt. Sie werden da­durch in ihrer eigenen und auch in der Wahrnehmung anderer zu respektablen Bürgerinnen und Bürgern, selbst wenn sie sich kaum an sozialen Bewegungen beteiligen, die die Veränderung der Ge­sellschaft zum Ziel haben. 50 »Die Armen sind nicht passive und ohnmächtige Opfer der Gesellschaft«, sagt die Soziologin Cecília Mariz. Sie werden vielleicht nie von Bürgerrechten (cidadania) sprechen, aber sie dennoch befördern, nämlich im oben beschriebenen Sinne.51 Wie dem auch sei, die AD mag zu einem neuen politischen Diskurs wenig beigetragen haben, sie hat aber im Umgang mit der Armut bemerkenswerte Erfolge erzielt.52

Was sind nun die leitenden Prinzipien der politischen Ethik der AD? Mit den Worten des langjährigen Präsidenten der Generalkonvention (CGDAB), José Wellington Bezerra da Costa, klingt dies folgendermaßen: »Die Kirche respektiert alle verfasste Gewalt und lehrt ihre Mitglieder, treue Erfüller ihrer Pflichten zu sein und die Gesetze des Landes zu erfüllen. Die Kirche arbeitet mit den Behörden zusammen, indem sie Leben rettet durch die Predigt von Gottes Wort. Unter den Kirchenmitgliedern gibt es eine große Zahl ehemaliger Drogenabhängiger und Straffällige aller Art von Verbrechen, die von der Botschaft des Evangeliums erreicht und an­stän­dige und ehrbare Menschen geworden sind. Gehorsam und Unterwerfung unter die Gewalten sind Gebote Gottes. Röm 13,1–7. (Die Kirche befolgt die Gesetze des Landes, solange diese nicht Gottes Gesetz widersprechen, Apg 4,19, Apg 5,29).« 53 Was könnte solchen Widerstand hervorbringen? Man kann aus guten Gründen annehmen, dass es um moralische Themen wie Scheidung, Schwangerschaftsabbruch, Homosexualität und Sterbehilfe geht.54

Schon seit Langem war Röm 13 der Hauptbezugspunkt für die politische Ethik, so dass die Pfingstler willkommene Unterstützer der Militärregierung (1964–1985) waren. Sie ersetzten teilweise gar die Katholiken als treues Klientel der Regierung.55 Da sie entsprechend als ungefährlich eingestuft wurden, konnten sie ungestört ihrer evangelistischen Arbeit nachgehen und erlebten ab den 1960er Jahren in der Tat einen merklichen Zuwachs. Gerade durch ihren Zugang zu den ärmsten Gesellschaftsschichten waren die Pfingstkirchen wichtige Alliierte der Regierung. Dennoch gab es durchaus auch Pfingstler, die sich in sozialen Bewegungen betä­-tigten. Der Kommunist Francisco Julião etwa suchte die Unterstützung des »Bibelvolkes« ( os Bíblia) für seine »Ländlichen Ligen« (Ligas Camponesas) mit den folgenden Worten: »Ihr seid die un­- terdrückte Religion. Die Bauern werden ebenfalls unterdrückt. Warum schließt Ihr Euch uns nicht an? Ihr könnt Eure Lieder singen, Auszüge aus Euren großen Propheten rezitieren und wir arbeiten gemeinsam. Nehmt Euch eine Bibel und ich werde das Zivilgesetzbuch mit dabei haben.«56 Einige, überwiegend Zuckerrohrschneider, folgten dem Aufruf, und Julião selbst zitierte Propheten wie Jesaja. Dies führte pikanterweise dazu, dass die Militärregierung einen Haftbefehl gegen »einen gewissen Jesaja« erließ, den sie für einen kommunistischen Terroristen mit Codenamen hielt.57

Pfingstlern geht es vor allem um individuelles Heil und Heiligung, und es gibt eine starke Unterscheidung zwischen der Kirche als der Gemeinde der Gläubigen und der Welt.58 Die Theologie der Befreiung wird oft zurückgewiesen, weil sie fälschlicherweise be­haupte, Menschen könnten sich selbst und die Welt tatsächlich verändern.59 Es gibt jedoch Hinweise auf ein Verständnis des »full gospel« als Verantwortung zur Sorge für den ganzen Menschen und nicht nur für seine Seele, auch wenn die »Predigt des Evangeliums für das Heil des Sünders Vorrang hat«60. Dies kommt etwa in Sonntagsschulstunden (für alle Alterstufen) zum Ausdruck, wenn die dafür bestimmten Unterlagen zum Thema ›Gottes Gerechtigkeit im Römerbrief‹ festhalten, dass »das Handeln der Kirche zweifach ausgerichtet ist: vertikal, als Anbetung und geistliches Handeln; horizontal – als Dienst am Nächsten«.61 Die Praxis der Nächstenliebe ist von besonderer Bedeutung in einer Kirche, deren Mitglieder sich hauptsächlich aus den Ärmsten der Armen rekrutieren. Ein 1996 publiziertes Buch besteht darauf, dass »der Mensch im Hier und Jetzt lebt […] Eine wahre Erweckung wird dem brasilianischen Gläubigen Liebe zu den fast 50 Millionen brasilianischen Brüdern, die in absoluter Armut leben, wiedergeben«.62 Auch Röm 13 ist nicht ganz so unumstritten; es gibt Theologen, die sagen, dass Paulus »nicht davon spricht, ob eine Regierung legitim ist oder nicht«, und so die Möglichkeit zum Widerstand gegen illegitime Regierungen eröffnen, obwohl hierfür keine Kriterien angegeben werden.63 Der AD-Ethiker Elionaldo Renovato schreibt: »als Bürger des Himmels haben Christen schon ihren legitimen Vertreter, den Heiligen Geist. Als Christen auf Erden müssen wir auf die Geschi-cke der Nation Einfluss nehmen«64.

Pfingstkirchen haben ein enormes Mobilisierungspotential, größer als irgendeine andere Organisation. Ihre Gläubigen gehen regelmäßig zur Kirche (85 % gegenüber 17,6 % der Katholiken),65 nicht nur am Sonntag, sondern auch unter der Woche. Sie betei­-ligen sich im lateinamerikanischen Vergleich überdurchschnittlich an Organisationen der Zivilgesellschaft, obwohl die meisten davon vermutlich in kirchlicher Hand sind. Ein anderer wichtiger Aspekt wird von Marco Davi de Oliveira, dem Sohn eines afrobrasilianischen Pfingstpastors hervorgehoben, wonach die Pfingstbewegung die »Hauptreligion der Afrobrasilianer Brasiliens« sei (a re­ligião mais negra do Brasil).66 Natürlich sind die meisten Afrobrasilianer in absoluten Zahlen gerechnet Katholiken. Gemäß der Volkszählung von 2000 sind aber nahezu die Hälfte aller Pfingstler Afrobrasilianer, wenn man die sog. »Grauen« oder »Farbigen« (pardos), also Mischlinge, einbezieht. In der AD findet man gar eine leichte Mehrheit von Afrobrasilianern, wohl wegen ihrer Herkunft aus dem stärker afrikanisch und indigen geprägten Norden und Nordosten des Landes (54 % oder ca. 4,5 Millionen).67

Das Recht auf Eigentum und Wohlstand wird anerkannt, es wird aber auch der Haushalterschaft (mordomia) Aufmerksamkeit geschenkt: Gott ist der Herr der Schöpfung, und die Menschen sollen sie bebauen und bewahren, ihre Güter verantwortlich verwenden und auch die Umwelt schützen. Gläubige sollen für den Leib, die Seele und den Geist in einer ganzheitlichen Haushalterschaft sorgen.68

Was die – vor allem auf Familien- und Geschlechterfragen bezogene – Moral anbelangt, so ist eine gewisse Bewegung in die AD gekommen. Die 22. Generalkonvention 1975 hatte acht »gesunde Prinzipien« als notwendig bejaht, »wie sie in Gottes Wort – der Heiligen Schrift – errichtet und als Bräuche [costumes] seit Beginn der Arbeit [der AD] in Brasilien gedient haben«.69 Traditionell sind für die AD »Lehre« und »Bräuche« dasselbe, haben denselben Rang und gehören zu ihren Distinktiven. Eine Kommission, die das 5. Treffen von Kirchenführern der AD (ELAD) in Rio de Janeiro 1999 vorbereitete, bestand jedoch auf der Unterscheidung zwischen »Lehre« und »Bräuchen«. Während Erstere als göttlich, allgemein und unveränderlich angesehen wird, gelten Letztere als menschlich, orts- und zeitgebunden. 70 Die Kommission ersetzte im entsprechenden Text von 1975 die Formulierung, dass es sich hier um Gegenstände der Lehre handle. Die Änderungen sind in der folgenden Tabelle sichtbar:

AD-Kirchen (d. h. deren Mitglieder) sollen sich von Folgendem enthalten:

Quelle: CGDAB Website (2007) »Unsere Haltung zu …«

Interessanterweise wird dieses »aggiornamento« von einer Argumentation begleitet, die die spezifische Identität der AD zu bewahren sucht, wie sie bisher gerade durch die Konstanz der »Sitten und Gebräuche« gewährleistet zu sein schien. Das Dokument trennt das Heil (allein!) durch Glauben von den Sitten und Gebräuchen und anerkennt, dass »religiöse Überzeugungen persönlich sind«. Wenn es darum verschiedene Denominationen mit verschiedenen Bräuchen (etwa in Bezug auf das Schleiertragen für Frauen) gebe, dann sei dies so, weil Gott es so gewollt habe. Obwohl hier nur jeweils andere Pfingstkirchen gemeint sind, ist das doch erstaunlich protestantisch und ökumenisch. Nicht ohne Stolz bekräftigt das Dokument, indem es sich an die Terminologie der Soziologen anlehnt: »Wir sind klassische Pfingstler, d. h. wir sind Vorbild für andere, [und] die sollten von den AD lernen und nicht umgekehrt, soweit es um pfingstliche Theologie [ doutrina] geht.« Hier geht die Spitze sicherlich gegen neo-pfingstliche Tendenzen in den AD vor, deren Vertreter sich an der IURD orientieren und meinen, dass Theologie und traditionelle Bräuche ein weiteres Wachstum der Kirche verhindern würden.72

3. Bürgerrechte, Dominanz und Weltflucht


Zusammenfassend ergibt sich ein ambivalentes Bild. Die AD führen einen konservativen Diskurs, in moralischen Dingen oft im Einklang mit oder in Nähe zur römisch-katholischen Kirche. Anders als Letztere sind die AD aber erstaunlich still, wenn es um soziale Fragen geht. Dennoch haben sie seit den 1980er Jahren zunehmend die Wahl von »Brüdern« in politische Gremien betrieben, und Einzelne haben sich in kirchlichen Institutionen oder in säkularen sozialen Bewegungen, Nachbarschaftsvereinen und Ähnlichem engagiert. Die Gemeinden der AD haben als Katalysatoren für die Bildung von Bürgerinnen und Bürgern gewirkt, die sich als Menschen sehen lernten, denen zu Recht Würde und Respekt zukommt. Sie wurden dazu befähigt, dies in ihrer Art des Glaubens und des Gottesdienstes ebenso wie in ihren Einstellungen, ihrer Kleidung, ihren Praktiken und Tätigkeiten bis hinauf zu Leitungsfunktionen in ihren Gemeinden und darüber hinaus zum Ausdruck kommen zu lassen.

Wie wir gesehen haben, ist der Beitrag der AD zu den Bürgerrechten weniger theoretisch und im Diskurs kaum explizit. Soziologische Studien bestätigen jedoch, dass sie einen sehr wichtigen praktischen Beitrag leisten. Zunächst werden Gläubige befähigt, ihr eigenes Empfinden von Würde (wieder) zu entdecken. Dann werden sie vom Heiligen Geist mit Kraft erfüllt, empowered, unabhängig von ihrer Hautfarbe, Geschlecht, sozialen Herkunft oder anderen Unterscheidungsmerkmalen: Sie sind Empfängerinnen und Empfänger des Heiligen Geistes. Drittens können sie in den AD lernen, Führungsqualitäten zu erwerben und auszuüben, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche, was ihnen auch beruflich zugute kommt. Viertens nehmen sie ihr Leben und das ihrer Familien selbstverantwortlich in die Hand und erhalten Möglichkeiten, aus Alkohol- und Drogenabhängigkeit ebenso wie aus der Straffälligkeit herauszukommen. Fünftens schließlich unterwerfen sie sich eher einem Prinzip der Legalität als der Hierarchie – obwohl es diese gibt und obwohl sie eindeutig Macht konzentriert und kontrolliert –, sodass fehlbare Pastoren und von der Kirche nominierte Politiker gleichermaßen diesem Gesetz unterliegen wie die Gläubigen und dafür auch geradestehen müssen.

Bis zur Demokratisierung haben sich die stark wachsenden und wie gezeigt zunehmend öffentlich präsenten Pfingstkirchen weitgehend an das erwähnte Motto gehalten, wonach sich »die Gläubigen nicht in die Politik einmischen«. Ähnliche Tendenzen zur Weltflucht oder zu einem klaren Dualismus zwischen Religion und Politik, bei dem Letztere als zweifelhaftes, schmutziges Geschäft oder höchstens als notwendiges Übel gesehen wurde, finden sich auch in historischen Kirchen evangelikalen Zuschnitts wie etwa der Presbyterianischen Kirche Brasiliens. Dies bedeutete empirisch natürlich keineswegs eine völlige Abstinenz von politischer Beteiligung; sie vollzog sich aber kaum über Parlamentarier und war nicht zentral organisiert. Erst seit der Konstituante kam es zu einer stärker organisierten politischen Tätigkeit namentlich der Pfingst- und Neo-Pfingstkirchen, allen voran der bis heute größten, den AD, und der sichtbarsten, der IURD. Sie begannen nun, aktiv »Brüder« in die politischen Parteien und ins Parlament zu schicken, was in unterschiedlichem Maße auch gelang. Die Welt wird nun nicht mehr einfach abgelehnt, sondern als Ort der Geltendmachung von Ansprüchen gesehen und benutzt. Man könnte dies empirisch als Aufscheinen »öffentlicher Religion« beschreiben. 73 Öffentliche Theologie, jedenfalls so wie ich sie verstehe, hat demgegenüber eine reflexive, orientierende, ermutigende und zugleich einschränkende Funktion wahrzunehmen. Eine solche Orientierungsfunktion ist notwendig, um sowohl eine Weltflucht als auch ein Dominanzgebaren von Pfingstkirchen (wie überhaupt von Religionsgemeinschaften) zu verhindern.74 Die AD sind m. E. ein Beispiel für ein Potential zu einer anderen Art von Beitrag, eben zu einer kritisch-konstruktiven öffentlichen Theologie.

Summary


Brazil is, today, the most Catholic, but also the most Pentecostal country in the world. The Pentecostal churches, namely the Assemblies of God, have been particularly successful among the poorest of the poor. There is little discourse on citizenship in Pentecostal churches, and its theological bases still seem to foster escapism. Still, believers regain a sense of dignity and respect for themselves and for others as they discover themselves as bearers of the Holy Spirit. And contrary to the general perception, there are signs of a sense of responsibility for the whole human being, the environment, and the common good. On the other hand, the relatively recent prin­ciple of »brother votes for brother« tends to narrow down internal and external attention in terms of politics to the election of Pentecostal politicians, with all its ambivalences and a danger to seek domi­-nance. The text argues that a third way between escapism and dominance, guided by a public theology, is possible.

*Dr. theol. habil., Professor für Systematische Theologie, Ökumene und interreligiösen Dialog an der Lutherischen Theologischen Hochschule in São Leopoldo, Rio Grande do Sul, Brasilien. Im Jahr 2011 war er Fellow am Lichtenberg-Kolleg der Universität Göttingen. Diesem Text liegt ein Vortrag am 18. Heidelberger Ökumenischen Forum vom 22. Juni 2010 zugrunde, der für die Publi­-kation überarbeitet wurde. Eine etwas kürzere englische Version wurde im In­ternational Journal of Public Theology 6/1 (2012), 99–117, veröffentlicht.

Fussnoten:

1) Zitiert bei P. O. Enquist, Lewis Reise, Frankfurt a. M. 2005, 379.
2) Zitiert bei R. Della Cava, Catholicism and Society in Twentieth-Century Brazil, in: Latin American Research Review 11/2, (1976), 7–50, hier 14; dieser bezieht sich wiederum auf M. P. Todaro, Pastors, Prophets, and Policitans: A Study of the Brazilian Catholic Church, 1916–1945, unpublizierte Doktorarbeit, New York, Columbia University 1971.
3) http://pt.wikipedia.org/wiki/Templo–de–Salom%C3%A3o–(IURD) (Zu- ­­griff am 14.3.2011).
4) Ich habe diese Kirche auf einer Reise auf dem Rio Negro im August 2010 selbst gesehen und photographiert.
5) Vgl. hierzu meinen Text: R. von Sinner, Religion im Plural, in: Sérgio Costa/Gerd Kohlhepp/Horst Nitschack/Hartmut Sangmeister (Hg.), Brasilien heute. Frankfurt a. M. 2010, 569–584, auf den ich hier frei zurückgreife.
6) So R. C. Fernandes et al., Novo Nascimento. Os Evangélicos em Casa, na Igreja e na Política, Rio de Janeiro 1998.
7) C. Fernandes/L. Mazzarelli, Igrejas para todos os gostos, in: Eclésia, 8/91 (2003), 44–49. Übersetzungen aus dem Portugiesischen habe ich hier wie überhaupt im vorliegenden Artikel selbst vorgenommen.
8) Vgl. A. Corten/J-P. Dozon/A. P. Oro (Hg.), Les nouveaux conquérants de la foi. L’Eglise universelle du royaume de Dieu (Brésil), Paris 2003.
9) Dies zeigt sich etwa an ihrer Position, die sie an einem Hearing des Obersten Gerichtshofs am 25. August 2008 vorgetragen hat, in dem es um die Frage einer generellen Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs bei anenzephalen Föten ging. Die römisch-katholische Bischofskonferenz sprach sich erwartungsgemäß dagegen aus, während die IURD feststellte, dass »in diesen Fällen der Wille der Frau, die ein solches Drama durchstehen muss, Vorrang haben soll. … U. E. darf eine solche Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs nicht durch begrifflichen oder religiösen Radikalismus blockiert werden.« Zitiert nach der Mitschrift, die sich findet auf http://www.stf.jus.br/ arquivo/cms/processoAudienciaPublicaAdpf54/anexo/ADPF54__notas_dia_26808.pdf (Zugriff am 17.8.2011).
10) S. R. A. Fernandes (Hg.), Mudança de religião no Brasil: desven­dando sentidos e motivações. Rio de Janeiro: CERIS, 2006; dazu bald ausführlich: R. von Sinner, Religiöse Mobilität in Brasilien, in: C. Lienemann-Perrin/W. Liene­mann (Hg.), Religionswechsel, Konfessionswechsel und Bekehrung in religiös pluralen Gesellschaften: Studien zur Bedeutung der Konversion in Lebens­läufen, Kirchen, Religionsgemeinschaften und Rechtsordnungen, Wies­baden 2012 (im Druck).
11) Zitiert nach J. I. Follmann, O Mundo das Religiões e Religiosidades: alguns números e apontamentos para uma reflexão sobre novos desafios, in: C. C. Scarlatelli et al. (Hg.), Religião, Cultura e Educação, São Leopoldo 2006, 11–28.
12) The Pew Forum on Religion and Public Life, Spirit and Power. A 10-Country Survey of Pentecostals, Washington 2006, http://pewforum.org/Chris­tian/Evangelical-Protestant-Churches/Spirit-and-Power.aspx (letzter Zu­griff am 17.8.2011).
13) R. A. Chesnut, A Preferential Option for the Spirit: The Catholic Charismatic Renewal in Latin America’s New Religious Economy, in: Latin American Politics and Society 45/1 (2003), 55–85, hier 62.
14) Die Jahreszahl bezieht sich auf die entsprechenden Vorgänge an der Bethel Bible School in Topeka, Kansas, um den weißen und rassistischen Prediger Charles Fox Parham (1873–1929), wo erstmals die Zungenrede als äußeres Kennzeichen für die Taufe mit dem Heiligen Geist gilt. Der schwarze Prediger William J. Seymour (1870–1922) durfte die Ereignisse nur an der geöffneten Tür mitverfolgen. Seine eigene Erweckungsbewegung entstand 1906 in der Azusa Street in Los Angeles, was als Beginn der klassischen Pfingstbewegung gilt; vgl. P. Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Göttingen 2009, vor allem 15–29; W. P. Hollenweger, Charismatisch-pfingstliches Christentum. Herkunft, Situation, ökumenische Chancen, Göttingen 1997.
15) I. Vingren, Diário do Pioneiro Gunnar Vingren, Rio de Janeiro 82005, 26–28; D. Berg, Enviado por Deus: Memórias, Rio de Janeiro, 82000, 31–36.
16) R. Schuler, Pfingstbewegungen in Brasilien. Sozio-politische Implikationen der neuen Pluralität, São Leopoldo 2004, 54 f.
17) Vingren, Diário, 40; I. de Araújo, Dicionário do Movimento Pentecostal, Rio de Janeiro 2007, 7 f.
18) Die Lebensdaten sind unbekannt; Araújo, Dicionário, 501 f.
19) Auch dies ist gut formuliert bei Enquist, Lewis Reise, 407: »So war es ja in der gesamten Pfingstbewegung. Es waren Frauen, die dasaßen … sie waren die glaubenstragende Schicht, nie in der Führung, aber immer die zuverlässige Basis«.
20) Araújo, Dicionário, 903.
21) Der Dienst der Frauen wurde bereits auf der ersten Generalkonvention 1930 diskutiert. Demnach sollten Frauen Zeugnis ablegen und, falls nötig, lehren, aber nur in Ausnahmefällen als Pastorinnen tätig sein (unter Verweis auf die in Mt 12,3–8 beschriebene Ausnahmesituation); Araújo, Dicionário, 494. Die Generalkonvention von 1983 lehnte die Ordination von Frauen einmütig ab; die große Mehrheit folgte diesem Entscheid auch in der Generalkonvention von 2001.
22) So Enquist, Lewis Reise, 395.
23) Zu Ramabai vgl. C. Lienemann-Perrin, »Success« and »Failure« in Conversion Narratives, in: International Review of Mission, 96/382-3 (2007), 322–342, vor allem 334.
24) P. Freston, Breve história do pentecostalismo brasileiro, in: A. Antoniazzi et al., Nem anjos nem demônios. Interpretações sociológicas do pentecostalismo, Petrópolis 1994, 67–159; auch L. S. Campos, Historischer Protestantismus und Pfingstbewegung in Brasilien. Annäherungen und Konflikte, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 81/3 (1997), 202–243.
25) Vgl. etwa P. D. Siepierski, Pós-pentecostalismo e política no Brasil, in: Estudos Teológicos 37/1 (1997), 47–61.
26) R. de Almeida, La guerre des possessions, in: Dozon/Corten/Oro, conquérants, 257–271, bezeichnet dies als Form eines »umgekehrten« Synkretismus: Durch die Bekämpfung afro-brasilianischer Geistwesen wird ebenderen Existenz anerkannt und ihre Bedeutung jedenfalls teilweise inkorporiert: »Derrière la figure du diable sont en réalité transférés les mécanismes de fonctionnement – immanence du sacré, absence de responsabilité personnelle, perte de conscience – des religions combattues qui, tout à la fois, la rapprochent et l’éloignent du segment dont elle est le fruit. … Au moyen de cette synthèse inversée, l’IURD peut soutenir un discours de prosélytisme et une exigence d’exclusivité, caractéristiques typiquement évangéliques« (ebd., 268.270).
27) So die Nachricht in http://www.ersadvocacia.com.br/conteudo.php? sid=44&cid=849 (Zugriff am 18.8.2011).
28) Die höchste Instanz wies den Rekurs der Kirche gegen die Entscheidung der Vorinstanz zurück, weil keine Verfahrensfehler vorlagen, sondern eine Wiedererwägung derselben Beweise verlangt wurde; http://www.lfg.com.br/ artigo/20090303131555652–direito-civil–doacao-a-igreja-pode-ser-anulada-por-vicio-de-consentimento-do-fiel.html (Zugriff am 18.8.2011).
29) A. F. Pierucci, Liberdade de cultos na sociedade de serviços: em defesa do consumidor religioso, in: Novos Estudos CEBRAP, 44 (1996), 3–11.
30) Zu den Neo-Pfingstlern und ihren Differenzen in Bezug auf die klassischen Pfingstkirchen siehe R. Mariano, Neopentecostais. Sociologia do novo pentecostalismo no Brasil, São Paulo 1999.
31) Ausführlicher zu den AD in Brasilien und ihrem Beitrag zu den Bürgerrechten siehe in Bälde: R. von Sinner, The Churches and Democracy in Brazil. Towards a Public Theology Focused on Citizenship, Eugene, OR, 2011 [im Druck], Kapitel II E; zu einer politischen Theologie aus pfingstlicher (AD) Perspektive siehe A. Yong, In the Days of Caesar. Pentecostalism and Political Theology, Grand Rapids 2010; zu Brasilien ferner P. Freston (Hg.), Evangelical Christianity and Democracy in Latin America, New York 2008.
32) So der Artikel Pentecostais já são 28 milhões no Brasil segundo pesquisa, in: Mensageiro da Paz 76/1458, November 2006, 4 f.
33) http://www.assembleiadedeus100.org.br/htm/denominacao/denomina­coes4–1.htm (Zugriff am 13.6.2007). Leider ist dieser Link nicht mehr aufrufbar.
34) Gemäß der Erhebung von Schuler, Pfingstbewegungen, 161, unter 200 Pfingstlern in Recife (Pernambuco) meinten immer noch 54 %, dass Christen sich nicht in die Politik einmischen sollten. Demgegenüber seien nur 12 % der IURD-Anhänger dieser Meinung.
35) Vgl. J. Sylvestre, Irmão vota em irmão. Os evangélicos, a Constituinte e a Bíblia, Brasília 1986.
36) Mensageiro da Paz von Mai 1985, zitiert bei P. Freston, Evangélicos na Política Brasileira. História Ambígua e Desafio Ético, Curitiba 1994, 43.
37) Vgl. dazu Yong, Caesar, 318–323.
38) Dazu gehören etwa der Tag der Bibel (9. Dezember) und der Tag des evangélico, vgl. Mariano, Secularização do Estado, liberdades e pluralismo re­-ligioso, http://www.naya.org.ar/congreso2002/ponencias/ ricardo–mariano. htm (Zugriff zuletzt am 18.8.2011), 19; K. T. Soares Filho, Assembléia de Deus na política brasileiras: do apoliticismo ao projeto ›Cidadania AD Brasil‹, unveröffentlichte Bachelorarbeit in Kommunikationswissenschaften an der Universität von São Paulo, http://www.mep.org.br/arquivos/ assembleiadedeusnapolitica.pdf (Zugriff am 22.6.2007; diese Website ist leider nicht mehr zugänglich), 67.
39) Freston, Evangélicos, 84.
40) Vgl. zur Zeit bis 2000 das Brasilienkapitel in P. Freston, Evangelicals and Politics in Asia, Africa and Latin America, Cambridge 2001; ferner Freston, Christianity.
41) Mensageiro da Paz 76/1458, November 2006, 3.
42) Freston, Evangélicos, 15.
43) S. R. Bohn, Evangélicos no Brasil. Perfil socioeconômico, afinidades ideológicas e determinantes do comportamento eleitoral, in: Opinião Pública 10/2 (2004), 288–338, hier 333. Interessanterweise hat die größte Minderheit 2002 für Lulas Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores – PT) gestimmt, obwohl sich evangélicos in fast allen Parteien finden und von daher keine klare Präferenz haben (ebd., 331).
44) Vgl. R. A. Chesnut, Born Again in Brazil: The Pentecostal Boom and the Pathogens of Poverty, New Brunswick 1997, 129–144 (»Authoritarian Assembly: Church Organization«). Chesnut nennt dieses paradoxe Organisationsmodell »participatory authoritarianism« (ebd., 130).
45) Dazu zum Beispiel Chesnut, Born Again, 135–141.
46) C. L. Mariz/M. d. D. C. Machado, Pentecostalism and Women in Brazil, in: E. L. Cleary/H. W. Stewart-Gambino (Hg.), Power, Politics, and Pentecostals in Latin America, Boulder 1997, 41–54, hier 52.
47) Interview mit dem Sicherheitspolizisten Francisco aus Rio de Janeiro in C. Mafra/R. de Paula, O espirito da simplicidade, in: Religio e Spciedade 22/1 (2002), 57–76, 73.
48) D. Varella, Estação Carandiru, São Paulo 2000, 117–120.
49) Vgl. C. L. Mariz, Coping with Poverty. Pentecostals and Christian Base Communities in Brazil. Philadelphia 1994; Pentecostalism and Confrontation with Poverty in Brazil, in: B. F. Gutiérrez/D. A. Smith, In the Power of the Spirit. The Pentecostal Challenge to Historic Churches in Latin America, Mexico City/Guatemala/Louisville 1996, 129–146; auch R. Shaull/W. César, Pentecostalism and the Future of the Christian Churches. Promises, Limitations, Challenges, Grand Rapids 2000.
50) Burdick, Looking, 206–220, betont freilich, mit guten Beispielen, dass Pfingstler viel weniger apolitisch sind, als man generell annimmt. Einige beteiligen sich an Nachbarschaftsorganisationen und können sogar zu deren Vorsitzenden aufsteigen, sofern jene nicht von Katholiken beherrscht sind; andere bilden eine wichtige und glaubwürdige, gewaltlose Unterstützungsgruppe für Streiks. Vgl. auch R. Ireland, Kingdoms Come. Religion and Politics in Brazil, Pittsburgh 1991.
51) Bereits 1975 hat Ronald Frase in seiner Princetoner Dissertation: A Sociological Analysis of the Development of Brazilian Protestantism behauptet, was D. Martin, Tongues of Fire. The Explosion of Protestantism in Latin America, Oxford 1990, 65, nicht wörtlich wiedergibt, nämlich dass »Pentecostalism offers the fruits of honesty and thrift and a surrogate family, as well as the chance of participation, and a sense of worth, meaning and empowerment«.
52) C. L. Mariz, Coping; A. Corten, Pentecostalism in Brazil. Emotion of the Poor and Theological Romanticism, New York 1999.
53) http:www.ad.org.br/ad/a–nossa8.asp (Zugriff am 22.6.2007; leider ist diese Website nicht mehr zugänglich).
54) So auch der den AD angehörende Staatsanwalt R. G. Majewski, Pentecostalismo e reconciliação: uma análise do discurso teológico popular das Assembléias de Deus do Brasil a partir de suas revistas de escola dominical, unpublizierte Seminararbeit für den Magister Theologiae, São Leopoldo 2008, 18, Anm. 58. Dort hebt er die vornehmlichen politischen Anliegen der AD hervor: »den Wert des Lebens gegen den Schwangerschaftsabbruch [zu verteidigen], [die Bekämpfung der] Sterbehilfe, den Erhalt christlicher Werte, die Verhinderung der Zivilverbindung von Homosexuellen, die Bewahrung demokratischer Freiheiten, die Bekämpfung der Korruption, die Förderung des Gemeinwohls und den Erhalt individueller und ziviler Freiheiten sowie die Ankunft einer großen Erweckung«. Vgl. auch seine Magisterarbeit: Assembleia de Deus e teologia pública. O discurso pentecostal no espaço público, São Leopoldo 2010, http://tede.est.edu.br/tede/tde–busca/arquivo.php?codArquivo=253 (Zugriff zuletzt am 23.8.2011).
55) Chesnut, Born Again; The Salvation Army or the Army’s Salvation? Pentecostal Politics in Amazonian Brazil 1962–1992, in: Luso-Brazilian Review 36/2 (1999), 33–49.
56) Zitiert bei F. C. Rolim, Pentecostalismo. Brasil e América Latina, Petrópolis 1995, 68.
57) Ich danke meinem ehemaligen Doktoranden Antonio Carlos Teles da Silva für diesen Hinweis, den er in einer damaligen Vorlesung aufgezeichnet hat.
58) Araújo, Dicionário, 357, erwähnt in seiner Darstellung pfingstlicher Identität folgende Aspekte, von denen ich jene hervorhebe, die für das hier verhandelte Thema am relevantesten erscheinen: »1. Betonung von Spiritualität und Macht im Leben der Gläubigen …; 2. Widerstand gegen das weltliche System und Rückzug von weltlichen Dingen, die in einer strengen Ethik und in den Sitten und Gebräuchen ihren Ausdruck finden …; 3. Sozialer Wandel der Anhänger durch die [sc. innere] Veränderung, die vom Evangelium her kommt; … 5. Die Abscheu vor der Sünde und Betonung der Heiligung des Körpers, der Seele und des Geistes; … 7. Starke Identifizierung mit den Armen, den Leidenden und den am Rande der Gesellschaft Stehenden, wodurch sie [sc. die Pfingstbewegung] zu einer Volksbewegung wird; … 9. Betonung des universalen Priestertums der Gläubigen; 10. Betonung der Zentralität der Bibel …«.
59) Vgl. Araújo, Dicionário, 55 und 201–362.
60) A. Gilberto, Lições Bíblicas. Sal e Luz: as marcas do cristão atual, Rio de Janeiro 1996, 63. Das »ganze Evangelium« (full gospel) bezieht sich üblicherweise auf die Geistesgaben, deren Wiederentdeckung das Evangelium in seiner Ganzheit wiederhergestellt hat: vgl. Araújo, Dicionário, 325. Hier jedoch schließt es auch soziale Werke ein. Vgl. Majewski, Assembleia, 17–29, der die Sonntagsschulmaterialien von 1987–2009 durchgesehen hat.
61) E. Soares, Lições Bíblicas: Romanos: o evangelho da justiça de Deus, Rio de Janeiro 1998, 62.
62) J. A. Címaco, Um grito pela vida da igreja, Rio de Janeiro 1996, 87 f.
63) E. Lira, Lições Bíblicas: Mestre. Salvação e justificação: os pilares da fé cristã, Rio de Janeiro, 2006, 69.
64) E. Renovato, Lições Bíblicas. Ética cristã: confrontando as questões morais, Rio de Janeiro 2002, 60.
65) R. C. Fernandes, Privado porém público. O terceiro setor na América Latina, Rio de Janeiro 1994, 179.
66) Hollenweger, Charismatisch-pfingstliches Christentum, 31–164, betont die auch weltweit relevante »schwarze, mündliche Wurzel« als einen der Hauptcharakterzüge der Pfingstbewegung, neben der »katholischen«, »evangelikalen«, »kritischen« und »ökumenischen« Wurzel.
67) M. D. de Oliveira, A religião mais negra do Brasil. Por que mais de oito milhões de negros são pentecostais, São Paulo 2004, 34.
68) Vgl. E. Cabral, Lições bíblicas. Mordomia cristã: servindo a Deus com excelência, Rio de Janeiro 2003.
69)http://www.cgdab.com.br/sobreCgadb/posicaoSobre/usosCostumes. html (Zugriff am 22.6.2007; leider ist dieser Link nicht mehr verfügbar), 1.
70) Ebd., 2.
71) Spr 26,31 gibt es nicht; wahrscheinlich ist Spr 23,31 gemeint.
72)http://www.cgdab.com.br/sobreCgadb/posicaoSobre/usosCostumes. html (Zugriff am 22.6.2007, leider nicht mehr verfügbar), 4; auch Araújo, Dicionário, 884–886.
73) Dazu schon klassisch J. Casanova, Public Religions in the Modern World, Chicago 1994.
74) Vgl. dazu R. von Sinner, Öffentliche Theologie – neue Ansätze in globaler Perspektive, in: Evangelische Theologie 71/5 (2011), 5, 327–343.