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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

3–14

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Bayer, Oswald

Titel/Untertitel:

Poetologische Theologie?
Überlegungen zur Poesie des Versprechens*

In welchem Logos soll sich systematische Theologie bewegen? Im logos apophantikos? Dann wären ihre Sätze Aussagesätze. Aussagesätze sind konstatierende Sätze. Sie lassen das, was ist, in Erscheinung treten; sie stellen fest, was ist. Die Sätze aber, auf die sich diese konstatierenden Sätze beziehen, sind selbst keine solchen. Sie, die Primärsätze des Glaubens - nicht die aus dem Glauben kommenden, sondern ihn schaffenden Sätze - konstatieren nicht, sondern konstituieren. Sie sind verbum efficax, wirksames Wort, Wort des Schöpfers, der durch sein wirkmächtiges Wort Himmel und Erde geschaffen hat (Gen 1), durch sein Machtwort das All trägt (Hebr 1,3), Sünde vergibt und damit Leben und Heil schafft, also die Existenzsorge nicht nur von der Vergangenheit, sondern auch von der Zukunft nimmt.

Sieht Hannah Arendt im Verzeihen und Versprechen die einzige Möglichkeit für den Menschen, den Verlegenheiten der Unwiderruflichkeit und Unabsehbarkeit seines Handelns zu entkommen1, kann Vergangenheitsbewältigung im Ernst aber nur eine iustificatio impii und Zukunftsbewältigung nur eine resurrectio mortuorum, die Erschaffung der wiederhergestellten und vollendeten Schöpfung aber nur eine creatio ex nihilo sein, dann ist das Wort, das dies alles wirkt, keine immanente Möglichkeit des Menschen und seiner Welt, sondern das Wort, das Gott ist. Sein Wort ist von der Art: Es werde Licht! und es ward Licht (Gen 1,3). Sei gesund! (Mk 5,34) und sie ward gesund. Deine Sünden sind dir vergeben (Mk 2,5), und sie sind vergeben.

I. Deus poeta

Gott tut, was er sagt, und sagt, was er tut; sein Sprechen ist wirksam, sein Wirken sprechend - nicht etwa anonym. Um diese Sprachlichkeit der Allmacht Gottes, seines Schöpfertums, ausdrücklich zu bezeichnen, ist der Gottestitel des "Poeten" angemessen, den das nizäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis gebraucht ("Ich glaube an Gott, ... den Poeten": BSLK 26,25). Dieser Titel vermag - auch wenn dies wohl kaum in der Absicht der Konzilsväter von 325 lag - in glücklicher Prägnanz die Identität von Gottes Reden und Gottes Handeln zu sagen: In seinem sprechenden Werk und wirksamen Sprechen ist er "Poet". Damit ist zugleich aber auch die schriftliche Begegnungsweise seines Redens und Handelns bezeichnet: Gott redet und handelt als "Schriftsteller", als "Autor". "Autor" und "Poet" ist Gott in bestimmter Weise: als Herr und Hort des verläßlichen Wortes. Dieses ist mit seinem Namen gegeben. Von Gottes Name - und damit von seinem Wesen und seiner Existenz - ist geredet, wenn Gottes Lob im Schöpfungshymnus so begründet wird: "Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig; und was er zusagt, das hält er gewiß" (Ps 33,4).

II. Homo poeta

Deus poeta! Radikal atheistisch ist das Gottesprädikat des Poeten bei Nietzsche gewendet: Der homo poeta, der sich auf Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn versteht, ist als das "souveräne Individuum"2 des Wortes mächtig - ein "Thier", das "versprechen darf"3, das "sein Wort gibt als etwas, auf das Verlaß ist, weil er sich stark genug weiß, es selbst gegen Unfälle, selbst ’gegen das Schicksal’ aufrechtzuhalten"4. Das Sprachwesen Mensch, der Mensch des Versprechens, der gewiß hält, was er zusagt, ist der "Mensch der Zukunft": "Besieger Gottes und des Nichts"5.

Dieser von Nietzsche erträumte Mensch der Zukunft wäre, falls er käme, in seinem messianischen Titanismus tatsächlich der "Antichrist"6 - und zwar in einem sehr genauen Sinne: Jesus Christus ist nach dem Neuen Testament ja die leibliche Gestalt und Geschichte, durch die Gott im Heiligen Geist sein Versprechen, genauer: sich als Versprechen, als wahres Versprechen vermittelt, als der, der gewiß hält, was er zusagt. "Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt ist, durch mich und Silvanus und Timotheus", schreibt Paulus (2Kor 1,19 f.), "der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn alle Gottesversprechen sind Ja in ihm und sind Amen in ihm". Die Poesie Gottes, des Poeten, ist keine beliebige Poesie; sie ist Poesie des Versprechens. Das Versprechen liegt in dem Namen, bei und mit dem sich Gott anrufen läßt: Ich bin der, der ich in Freiheit mit euch gehe (Ex 3; vgl. 20,2 f.).

III. Poesie des Versprechens; die Mandate

Die Antithese zu Nietzsche darf freilich nicht abstrakt geltend gemacht werden: Als ob der Mensch in keiner Hinsicht als homo poeta promittens in Frage käme! Gott teilt ja dem Menschen den Glauben, das Vertrauen mit. Ja, mehr noch: Das Erstaunliche und einer spiritualistischen Gotteslehre höchst Anstößige geschieht, daß Gott sein gebendes und vergebendes Versprechen durch Menschenmund und andere kreatürliche Mittel - wie das Wasser der Taufe - gibt und verspricht. Gottes Macht in coelis läßt sich von kreatürlichem Wort in terris letztgültig vertreten: "Was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel los sein!" (Matthäus 18,18). Mit der in seinem Namen ergehenden Zusage der Sündenvergebung legt sich Gott in ganz bestimmter Weise fest, vertraut sich dieser Zusage an und liefert sich ihr aus, um uns mit solcher Entäußerung ins mündliche Wort, in der er dieses aber umgekehrt - in einer communicatio idiomatum - gerade mit seiner ganzen Macht erfüllt, in die Gewißheit zu führen.

Darin, daß Gott dem Menschen auf diese Weise sein Wort anvertraut, ihm sein Wort in den Mund und auf die Lippen legt, so daß der Mensch im Glauben antworten, Gott loben und bekennen kann, liegt die höchste Würde des Sprachwesens Mensch. Damit ist ihm die Kirche anvertraut, "in die Hand gegeben" (manum data); sie ist ein "Mandat". Mandate sind auch die Ökonomie, Ehe und Familie sowie der Staat.

Allesamt sind sie sprachlich - durch die Poesie des Versprechens Gottes - verfaßt und der dem Menschen durch Gottes Sprachodem mitgeteilten Sprachvernunft auf Treu und Glauben anvertraut und ausgeliefert. Doch ist der Mensch für ihre Verwaltung verantwortlich und muß nicht nur für jede Tat, sondern auch für jedes unfruchtbare Wort, das er geredet hat, ja: für jeden bösen Gedanken Rechenschaft geben im Letzten Gericht.

Gottes Poesie des Versprechens reicht über die Mandate weit hinaus; sie schafft, wirkt, spricht, schreibt, bestimmt und regiert die ganze Welt. Reichweite und Charakter dieser poiesis des Poeten kommt in aufschlußreicher Weise mit Luthers schon zitierter Übersetzung von Psalm 33,4b zur Sprache. Wo der hebräische Text des Schöpfungspsalms in einem Nominalsatz von Gottes "Werk" redet, das "in Treue" geschieht, bezeugt Luther mit seiner kühnen Übertragung, daß Gottes Schöpferwerk gewiß ein Werk ist, aber eben ein sprechendes Werk. Gottes Werk spricht sich selbst und macht, sui ipsius interpres, sich selbst verständlich; es ist wirkendes Wort der Anrede - ein Werk, mit dem Gottes Treue spricht: eine Zusage. Ist die Welt zugesagte Welt, dann ist sie das Medium eines Versprechens an mich, in, mit und unter dem ich von Gott angeredet bin - in gewährten Lebensraum, gewährten Rhythmus von Tag und Nacht, Sommer und Winter, Jugend und Alter hineingestellt, "eingesetzt". "Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, daß er ihn bebaute und bewahrte" (Gen 2,15).

IV. Zeitenbruch

Nimmt sich schon Gott, der Schöpfer, der Poet, für seine Schöpfung, seine poiesis Zeit, hat schon nach Gottes Poesie des Versprechens alles seine Zeit und nicht alles gleichzeitig seine Zeit, so gilt dies erst recht - wenn auch ganz anders, nämlich höchst dissonantisch: im Zeitenbruch - in der Situation, in der wir faktisch leben: als solche, die in den Widerspruch gegen Gottes Poesie des Versprechens gefallen sind und unser Wort gebrochen haben, aus diesem Wortbruch und Widerspruch durch die Zusage der Vergebung befreit worden sind, als neue Geschöpfe uns gleichwohl aber bis zu unserem Tod und dem Jüngsten Tag zur alten Welt verhalten müssen und im endgültigen Liebesversprechen Gottes, das uns mit der Taufe zuteil wurde, noch nicht ohne Versuchung und Anfechtung leben, also das Angesicht des dreieinen Gottes noch nicht schauen.

Damit sind die drei Brüche und Übergänge bezeichnet, denen sich jede systematische Theologie zu stellen hat: der Übergang von der geschaffenen zur gefallenen Welt, der Übergang von der gefallenen zur erlösten Welt, der Übergang von der schon erlösten, aber noch angefochtenen, zur unangefochten erlösten Welt.

Wie aber ist der in der Aufeinanderfolge und Zuordnung der großen Lehrstücke über Schöpfung, Fall, Erlösung und Vollendung darzulegende Zusammenhang des näheren beschaffen und zu fassen? Ist er einfach zeitlich linearer, chronologischer Art? Oder handelt es sich nur um Aspekte, bei deren Unterscheidung die Frage nach der Zeit - genauer: nach den Zeiten - vernachlässigt oder gar ganz außer acht gelassen werden könnte? Oder läßt sich, nach dem Muster der Religionsphilosophie Hegels, der Zusammenhang spekulativ entwickeln - so, daß die Kontingenzen als notwendig und die Brüche als einsehbare und sinnvolle Übergänge begriffen und auf diese Weise gerechtfertigt werden?7

V. Verschränkung der Zeiten

Damit sind wir in ontologische, erkenntniskritische, geschichtsphilosophische, hermeneutische und wissenschaftstheoretische Fragen hineingeführt. Was könnte der Ariadnefaden sein, der aus diesem Labyrinth heraus, ins Freie führt? Die poetologische Theologie, die mir vorschwebt und deren Tragfähigkeit und Reichweite erst noch zu erproben ist, wird jedenfalls zu allererst den bezeichneten Zeitenbruch ernst nehmen und ihn, von Gottes promissio, von Gott, der Name und Versprechen ist, aus, als Verschränkung der Zeiten bedenken - und zwar des näheren in dem Sinne, in dem Paulus Röm 8,19-24 die Welt als Schöpfung wahrnimmt; dieser unerhört dichte und tiefe Text kann beanspruchen, paradigmatisch zu gelten: "Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet, daß Gottes Kinder offenbar werden. Es ist ja die Kreatur unterworfen der Nichtigkeit (mataiótes): ohne ihren Willen, sondern um des willen, der sie unterworfen hat - auf Hoffnung; denn auch die Kreatur wird frei werden von der Knechtschaft des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlingsgabe, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unseres Leibes Erlösung. Denn in der Hoffnung sind wir [schon] gerettet."

Die eigentümliche Verschränkung der Zeiten, die dieser Text sagt, erschließt sich aus dem wichtigsten Modus der Zeit. Er ist auch hier, wie überall in der Bibel, die Gegenwart: Gottes Gegenwart, seine promissional - als Rede an die Kreatur durch die Kreatur - vermittelte Gegenwart. Die Zukunft der Welt kommt aus Gottes Gegenwart. Bei Gott ist das Gegenwärtige der Grund des Vergangenen und Zukünftigen. Seine Neuschöpfung macht die alte Welt zur alten und stellt die ursprüngliche wieder her. Das gegenwärtig sich mitteilende Heil verbürgt die kommende Vollendung der Welt und läßt den Widerspruch der leidenden und seufzenden Kreatur der alten Welt zur zugesagten Schöpfung, der ursprünglichen Welt, mit Schmerzen erfahren.

Diese Verschränkung der Zeiten ist für uns und von uns, die wir ganz und gar durch sie bestimmt sind, die wir in ihr nicht nur unser Dasein, sondern unser Sein überhaupt, unser Sein selbst leben, nicht auf ein einheitliches, eigentliches, wesentliches Sein hin oder von ihm her zu integrieren, wie es sowohl die antike Substanzmetaphysik wie die neuzeitliche Subjektmetaphysik - sei es in ihrer cartesischen oder kantischen, sei es in ihrer hegelschen Gestalt - zu tun versucht. In dieser Verschränkung der Zeiten sind uns Letztbegründungen versagt; versagt sind uns nicht nur die der Transzendentalphilosophie verpflichteten fundamentalanthropologischen, also auf eine anthropologische Einheit sich berufenden Letztbegründungen, sondern auch die auf die Einheit Gottes sich berufenden Letztbegründungen. Selbst die Einheit Gottes des dreieinen und mit ihr die in sich differenzierte Einheit der Zeit - als des Seins dessen, "der da ist und der da war und der da kommt" (Apokalypse 1,4) - bietet sich uns nicht als Prinzip einer Letztbegründung - als so etwas wie die gegebene oder auch nur aufgegebene Idee einer Einheit zur Ordnung alles Mannigfaltigen. Gottes Einheit ist vielmehr allein Sache der Doxologie: Grund und Gegenstand des bekennenden Glaubens und der darin liegenden Hoffnung.

VI. Zeitliche Wahrheit: "Geschichtswahrheit"

Die Doxologie ist wie die anderen Sprachformen des Glaubens - wie Lob und Hymnus, Bekenntnis, Klage und Bitte - keine Aussage und also im Sinne der aristotelischen Aussagelogik, im Sinne des logos apophantikos, nicht wahrheitsfähig - was Aristoteles selbst an der euché, am Gebet, beispielhaft verdeutlicht8. Wer der Doxologie und den anderen Sprachformen des Glaubens Wahrheit zuschreiben will, muß den Wahrheitsbegriff viel weiter, ja: anders fassen. Er kann nicht davon abstrahieren, daß diese Sprachformen Antwort sind auf den in seiner promissio sich mitteilenden, sich gebenden, sich ganz und gar ausschüttenden Gott wie auch Antwort auf das, was seiner promissio widerspricht - zumindest aber: ihr zu widersprechen scheint - und gleichwohl von ihm gewirkt ist.

Als Antwort und Geschöpf der promissio haben diese Sprachformen, die zugleich Lebensformen sind, teil an einem Logos, der Sein nicht entbirgt und in solchem Entbergen voraussetzt, sondern überhaupt erst schafft. Gott als Logos ist vor dem Sein; Gottes "Sein" ist Wort (Joh 1): Kommunikationsmacht und zur Kommunikation ermächtigend. Wenn diese Kommunikationsmacht selbst schon zeitlich ist, indem sie sich mit ihrem Sein setzenden Wort Zeit nimmt und sich dabei auf Zeitliches, auf ihre Geschöpfe, einläßt bis zum Tod am Kreuz, und wenn unsere antwortende oder aber die Antwort, das Lob und die Klage, verweigernde Existenz ebenfalls, wenn auch anders bestimmt, zeitlich ist, dann kann Wahrheit nicht zeitlos sein, dann können wir "von keinen [andern] ewigen Wahrheiten" als nur "unaufhörlich zeitlichen" wissen.9

Dementsprechend ist ein Wahrheitsbegriff auszubilden, der weder zeitlos zu gelten beansprucht noch sich in seinem Geltungsbereich auf die von der Zeit abstrahierte Aussage einschränkt, der sich vielmehr auf alle Modi der Zeit und ihre besagte Verschränkung bezieht sowie zugleich die Scheidung von Geschichts- und Vernunftwahrheiten überwindet - ohne, nach dem Muster der Philosophie Hegels, die Geschichtswahrheiten durch die Vernunft einzuholen und begreifend aufzuheben. Dieser Wahrheitsbegriff kann sich nur an der Gegenwart Gottes orientieren, der Logos, Wort, Kommunikationsmacht ist und uns, die er zur Kommunikation ermächtigt, seine Wahrheit als "Geschichtswahrheiten nicht nur vergangener, sondern auch zukünftiger Zeiten"10 mitteilt.

VII. Promissio und kommunikative Urteilsform

Dieser Wahrheitsbegriff, der so weit ist, daß er weiter, umfassender und durchdringender gar nicht gedacht werden kann, ist promissionaler Art - wobei "promissio" nicht nur etwas Zukünftiges verheißt, sondern der Modus der Gegenwart Gottes in seinem Namen ist; sie ist rechtskräftige Zusage mit sofortiger Wirkung, Sein setzendes Wort. Der Glaube hat seine Wahrheit in der Teilnahme an Gottes Versprechen und Treue, die sich ihm zugesprochen und mitgeteilt hat.

"So heißt Wahrheit Treue, daß man sich auf einen verlassen darf und Zuflucht zu ihm habe, und derselbe halte, was er geredet und was man sich zu ihm versieht. Also läßt sich Gott auch rühmen gegen uns in der Schrift allenthalben, daß er barmherzig und treu sei, das ist, daß er Liebe und Treue beweiset und uns alle Freundschaft und Wohltat erzeigt und wir uns auf ihn voll Zuversicht verlassen können, daß er tut und hält treulich, was man sich zu ihm versieht. Solche Treue und Wahrheit heißt [hebräisch] Emeth. Daher kommt Emuna, welches Sankt Paulus selbst aus Habakuk verdolmetscht: Glaube (Röm 1,17): ,Der Gerechte lebt seines Glaubens.’ Und wird im Psalter oft zu Gott gesagt: dein Glaube, oder: in deinem Glauben, darum daß er solchen Glauben gibt und auf seine Treue baut; so daß die zwei Worte Wahrheit und Glaube im Hebräischen fast gleich, und schier eines für das andere genommen wird. Wie auch auf deutsch wir sagen: der hält Glauben, der wahrhaftig und treu ist. Wiederum wer mißtraut, den hält man für falsch und ungläubig."11

In diesem durch Gottes promissio geschaffenen Zeitraum der Wahrheit hat auch der Verstand als das, mit Kant geredet, "Vermögen der Regeln" seinen Ort und seine Funktion. Aber er selbst ist mit seinen logischen Urteilsformen nicht fähig, das ihn überhaupt erst Setzende zu begreifen und zu verstehen. Was seine Sphäre zwar keineswegs vergleichgültigt, aufhebt oder ersetzt, wohl aber transzendiert und umfaßt, ist jenem Bereich vergleichbar, in dem nach Kant die Vernunft als das "Vermögen der Ideen" herrscht. Die Vernunft aber ist, durch Gottes promissionalen Sprachodem geschaffen, sprachlich; die von Kant an den Rand geschobene Frage "wie ist das Vermögen zu denken selbst möglich?"12 ist zur Hauptfrage zu machen und so zu beantworten: "das ganze Vermögen zu denken beruht auf Sprache".13 "Ohne Sprache hätten wir keine Vernunft, ohne Vernunft keine Religion, und ohne diese drei wesentliche[n] Bestandteile unserer Natur weder Geist noch Band der Gesellschaft".14

Die Urteilsform nun, in der der Mensch kraft der ihm zugesagten und mitgeteilten Sprachvernunft und Freiheit sein Leben vollzieht, ist in ihrem Überschuß über die logischen Urteilsformen des Verstandes eigens zu bezeichnen. Sie kann, im Unterschied zu den logischen Urteilsformen die kommunikative Urteilsform genannt werden. In dieser Urteilsform beziehen wir uns auf Natur und Geschichte als auf die Wirklichkeit, die durch Gottes Wort geschaffen ist, von ihm durch die Sünde, die Verkehrung der Schöpfung, hindurch vor dem Chaos bewahrt wird und unter dem Zuspruch der Vollendung durch das Letzte Gericht steht, der durch den schon ergangen ist, in dem alle Gottesversprechen Ja und Amen sind. Die urteilende Teilnahme an diesem Sein als Wort, an diesem kommunikativen Sein, ist die kommunikative Urteilsform.15

VIII. Dreigliedriger Wissenschaftsbegriff: Geschichte, Philosophie, Poesie

Welcher Wissenschaftsbegriff könnte dieser kommunikativen Urteilsform und mit ihr dem bezeichneten Wahrheits- und Geschichtsbegriff entsprechen? In der Suche nach ihm stelle ich mich in eine mit Juan Huarte beginnende Tradition, die 200 Jahre später abbrach. Huarte unterscheidet in seinem "Examen de Ingenios para las Ciencias" (1575) "memoria", "entendimiento", "imaginativa" und ordnet diesen drei anthropologischen Grundkräften die Wissenschaften zu.16 Den entsprechenden dreigliedrigen Wissenschaftsbegriff17 macht dann Francis Bacon geltend; ihm folgen Diderot und D’Alembert im Discours préliminaire (1751) der Encyclopédie, Buffon (1753) und Hamann. Bacon gliedert die Wissenschaft, wie Huarte, nach den Seelenvermögen des Gedächtnisses, der Wahrnehmung der Gegenwart und der die Zukunft betreffenden Einbildungskraft; der memoria wird die Geschichtswissenschaft, der ratio die Philosophie und der phantasia die Poesie zugeordnet. Hamann nimmt diese Gliederung, ohne sie ausdrücklich zu zitieren, auf, redet vom "Gelehrten", also dem Historiker, vom "Philosophen" sowie vom "Poeten" und dementsprechend von historischer Wahrheit, philosophischer Wahrheit und poetischer Wahrheit, sozusagen einem Wahrheitsgedritt. Im "Zweiten Hellenistischen Brief" heißt es: "Wem die Historie (kraft ihres Namens) Wissenschaft; die Philosophie Erkenntnis; die Poesie Geschmack gibt: der wird nicht nur selbst beredt, sondern auch den alten Rednern ziemlich gewachsen sein. Sie legten Begebenheiten zum Grunde, machten eine Kette von Schlüssen, die in ihren Zuhörern Entschlüsse und Leidenschaften wurden."

In diesem Duktus wird deutlich, wie problematisch es wäre, das Mittelfeld - die Philosophie als den Bereich der Beobachtungen, Hypothesen, Theorien und Systeme, das also, was man üblicherweise als "Wissenschaft" gelten läßt - von der Vergangenheit und Zukunft, von der Poesie und Geschichte zu isolieren. Alle drei Dimensionen gehören zusammen, dürfen sich nicht voneinander isolieren und damit sich selbst absolut setzen. Sonst verkommen alle drei: die Poeten samt den Rednern, die Historiker und die Philosophen. "Aus Rednern wurden Schwätzer; aus Geschichtskundigen Polyhistores; aus Philosophen Sophisten; aus Poeten witzige Köpfe."

Die drei genannten Dimensionen gehören alle drei zur Wissenschaft, will sie nicht steril, sondern fruchtbar, will sie nicht tot, sondern lebendig sein. Dies gilt auch dann, wenn die an der Universität institutionalisierte Wissenschaft das rationale Moment, also jenes Mittelfeld - die philosophische Erkenntnis - besonders hervorhebt und kultiviert.

Im "Zweiten Hellenistischen Brief" kehrt Hamann Bacons Reihenfolge um und nimmt damit zugleich zum alten, seit Platon währenden Streit zwischen Dichtung und Philosophie entschieden Stellung: Er macht "mit Homer, Pindar und den Dichtern Griechenlands den Anfang", um dem Poetischen und Utopischen den Vorrang zu geben. Dies bedeutet keine Abwertung des Vergangenen und seines Gedächtnisses. Hamann sieht dies freilich in der Perspektive des Zukünftigen, verstanden als Hoffnung auf "eine göttliche Erneuerung des Vergangenen". "Was wäre die genaueste, sorgfältigste Erkenntnis des Gegenwärtigen ohne eine göttliche Erneuerung des Vergangenen, ohne eine Ahnung des Künftigen ... Was für ein Labyrinth würde das Gegenwärtige für den Geist der Beobachtung sein - ohne den Geist der Weissagung und seine Leitfäden der Vergangenheit und Zukunft ..., um den Wetterhahn philosophischer Spekulation zu orientieren".

Im eben zitierten Text des "Fliegenden Briefes" sind die Dimensionen der Vergangenheit und der Zukunft der Gegenwart gegenüber zusammen wahrgenommen, so daß aus der Dreigliederung eine Zweigliederung geworden ist. Sie zeigt deutlich Hamanns Interesse, das ich teile: der Isolierung der Gegenwart und der ihr gewidmeten Aufmerksamkeit der Philosophie zu wehren, damit der "gegenwärtige Augenblick" kein "toter Rumpf" wird, "dem der Kopf und die Füße fehlen". Dazu sind wir auf den Geist geoffenbarter Weissagung angewiesen: "Das Vergangene muß uns offenbart werden und das Zukünftige gleichfalls."

Eine allein dem Geist der Beobachtung verpflichtete Methode stellt sich, mit Hamann geurteilt, in einer Disjunktion zur Wahrheit dar. Wahrheit oder Methode? ist dann die Frage. Um sie zu überholen, trifft Hamann im "Fliegenden Brief" eine "Einteilung des intellektuellen Universums", die unserer Orientierung dienen kann. Es ist eine Einteilung "in Gegenwart und Abwesenheit"; der Gesichtspunkt der Zeit herrscht also auch hier vor. Die entscheidenden Sätze lauten:

"Geist der Beobachtung und Geist der Weissagung sind die Fittiche des menschlichen Genius. Zum Gebiete der ersteren gehört alles Gegenwärtige; zum Gebiete des letzteren alles Abwesende, der Vergangenheit und Zukunft. Das philosophische Genie äußert seine Macht dadurch, daß es, vermittelst der Abstraction, das Gegenwärtige abwesend zu machen sich bemüht; wirkliche Gegenstände zu nackten Begriffen und bloß denkbaren Merkmalen, zu reinen Erscheinungen und Phänomenen entkleidet. Das poetische Genie äußert seine Macht dadurch, daß es, vermittelst der Fiction, die Visionen abwesender Vergangenheit und Zukunft zu gegenwärtigen Darstellungen verklärt. Kritik und Politik widerstehen den Usurpationen beider Mächte, und sorgen für das Gleichgewicht derselben, durch die nämlichen positiven Kräfte und Mittel der Beobachtung und Weissagung."

Dieser Text18 samt seiner zum Verständnis der zur Diskussion gestellten "poetologischen Theologie" unentbehrlichen Auslegung19 macht nun freilich eine terminologische Schwierigkeit vollends bewußt: Läßt sich mit demselben Adjektiv "poetologisch" einerseits ein Gesamtverständnis bezeichnen, andererseits aber lediglich eine von drei Dimensionen dieses Gesamtverständnisses?

Es liegt auf der Hand, daß das Gesamtverständnis auch "promissiologisch" oder "geschichtlich" genannt werden könnte - im Sinne der These Hamanns, daß "ein historischer Plan einer Wissenschaft immer besser als ein [rein] logischer" sei.20 So ist dieselbe Idee, die hier unter dem Titel einer "poetologischen" Theologie vorgetragen wird, früher (1982) unter dem Titel einer Wissenschaft der "Geschichte" zur Diskussion gestellt worden.21 Die Hervorhebung des "Poetologischen" hat lediglich diskussionsstrategische Gründe: Gegenüber dem nicht zuletzt in der systematischen Theologie vorherrschenden Erbe der Metaphysik, die das Denken von der Poesie, einschließlich der Mythologie, mit der These, daß die Dichter lügen, scheidet, gilt es, im Anschluß an Luther22, Melanchthon23 und Hamann neu der konstitutiven Bedeutung der Poesie innezuwerden und in diesem Zusammenhang den Ort der Theologie zwischen Metaphysik und Mythologie - im kritischen Bezug zu beiden - wahrzunehmen.24 Dabei sind Asymmetrien zu beachten: zwischen Geschichte und Logik, "Weissagung" und "Beobachtung", Erzählung und Erklärung, Gottesdienst (als "Monastischem") und Theologie (als "Scholastischem"). Da die Formen des Gottesdienstes, auf die sich theologische Wissenschaft konstitutiv bezieht, am zutreffendsten "poetisch" genannt werden können - wobei sich mit dieser literaturwissenschaftlichen Bezeichnung innerste Bezüge auf Gott den "Poeten" verbinden25-, ist es sinnvoll, von "poetologischer" Theologie zu sprechen.

Abschließend soll an drei Beispielen die Leistungsfähigkeit der anvisierten poetologischen Theologie gezeigt werden:

IX. Exemplarische Konkretionen poetologischer Theologie

1. Schöpfung als erfüllter Wunsch, als erhörte Klage: Mit einer Bitte des Menschen ,beginnt’ für Johann Georg Hamann die Schöpfung: "Rede, daß ich Dich sehe! -- Dieser Wunsch wurde [!] durch die Schöpfung erfüllt, die eine Rede an die Kreatur durch die Kreatur ist".26

Daß die Schöpfung mit einer Bitte des Menschen ’beginnt’, ist deshalb keine blasphemische These, weil die Erfüllung des Wunsches dem Wunsch schon zuvorgekommen ist. Doch erledigt die Erfüllung des Wunsches den Wunsch nicht, sondern setzt ihn gerade in Kraft, wie denn der Psalmist auf das schon bereitete Leben "wartet" (Ps 104,27), auf den in der Gabe des Lebens sich selbst gebenden Geber gespannt ausgerichtet bleibt - in der Leidenschaft dessen, der außerhalb seiner selbst in dem lebt, der ihm den Atem nicht entzieht, sondern immer neu gewährt (Ps 104, 27-30). Der mit der Schöpfung erfüllte Wunsch ist erhörte Klage - Erhörung der Klage der Bedrohung und Beraubung des Lebens und Erhörung der Klage der Vergänglichkeit.

Das Wunder der Schöpfung als erhörter Klage und erfüllten Wunsches wird in besonders aufschlußreicher Weise Genesis 2 erzählt. Das gegen die Einsamkeit kämpfende Gotteswort: "Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei" (Gen 2,18) ist von der Klage der Einsamkeit und dem Wunsch nach erfüllter Mitmenschlichkeit nicht unberührt. Die staunende Erkenntnis des geschenkten Mitmenschen: "Das ist doch ...!" (Genesis 2,23) läßt sich als erfüllter Wunsch verstehen, dessen Erfüllung dem Wunsch mehr als entspricht, dem sie vielmehr zuvorgekommen ist. "Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn bittet" (Mt 6,8; vgl. Mt 6,32).

2. Gegen die ungeduldige - spekulative - Verallgemeinerung des Bekenntnisses zu Gott dem dreieinen: Aus poetologischer Aufmerksamkeit ergibt sich Entscheidendes für die genaue Be stimmung des Themas der Trinitätslehre - angemessener gesagt: für die genaue Bestimmung ihres Ortes im Gesamtzusammenhang der systematischen Theologie. Die Trinitätslehre bedenkt nichts anderes als das Evangelium, die Freiheit, die uns Christus erworben und gebracht hat und die er uns gegenwärtig im Wort durch den Heiligen Geist zuspricht und mitteilt.

Bedenkt die Trinitätslehre das reine Evangelium und nichts als das Evangelium, dann läßt sich dem dreieinen Gott nicht einfach das tötende Gesetz zuschreiben. Wer bekennt, daß der, der im Gesetz gegen mich spricht, und der, der im Evangelium für mich spricht, ja für mich eintritt, einer und derselbe ist, sagt das Paradox eines Wunders, das nicht etwa durch die Annahme einer selbstverständlichen Selbigkeit Gottes entschärft werden kann.

Dieses Problem wird gewöhnlich verharmlost, indem das tötende Gesetz selbstverständlich als Handeln des dreieinen Gottes verstanden wird. Wenn aber die Trinitätslehre allein und spezifisch das Evangelium - nichts anderes als Gottes Liebe - bedenkt und wenn das Geschick des verlorenen Menschen nicht nur der Verkehrung seiner Freiheit zuzuschreiben ist, sondern er es auch noch in dieser Verkehrung mit "Gott" zu tun hat, dann ist es unumgänglich, von der Trinitätslehre eine "allgemeine" Gotteslehre und Anthropologie zu unterscheiden und beides nicht ineinanderfallen zu lassen.

Eine solche "allgemeine" Gotteslehre thematisiert den vorchristlichen Menschen, der unter Gottes Forderung und Anklage steht. Sie fragt, was es bedeutet, außerhalb Jesu und damit außerhalb der Liebe des dreieinen Gottes, der durch den Sohn im Heiligen Geist "den tiefsten Abgrund seines väterlichen Herzens und eitel [= reiner] unaussprechlicher Liebe" (BSLK 660,29-31) offenbart und eröffnet hat, es mit "Gott" zu tun zu haben.

Die von der Trinitätslehre zu unterscheidende "allgemeine" Gotteslehre und Anthropologie bezieht sich jedoch nicht nur auf die Erfahrung des anklagenden und tötenden Gesetzes. Sie bezieht sich des weiteren auf das Erfahrungsfeld dessen, was Luther mit dem "primus usus legis", dem "usus politicus", bezeichnet. Nicht zuletzt aber bezieht sie sich auf das Widerfahrnis jener uns, solange wir unterwegs sind und noch nicht im "Schauen" (2Kor 5,7) leben, unbegreiflich schrecklichen Verborgenheit Gottes, in der er sich in einer dunklen, unendlich fernen und zugleich unendlich nahen - verzehrend, verbrennend, bedrängend nahen - Macht verbirgt: in der Allmacht, die Leben und Tod, Licht und Finsternis (Jes 45,7), Liebe und Haß (Prediger 9,1 f.), Lebensgewährung und Lebensversagung, Glück und Unglück (Amos 3,6), Böses und Gutes (Klagelieder 3,38), kurz: alles in allem - für uns unentwirrbar und undurchschaubar - wirkt.

Es ist einer der grandiosen Fehlgriffe der neueren Philosophie- und Theologiegeschichte, diese Allmacht trinitätstheologisch begreifen zu wollen. Dieser Fehlgriff bewirkt nichts anderes als eine Verdunkelung, ja Verstellung des Evangeliums, das allein von der Trinitätslehre zu bedenken ist. Wer auch das, was als "allgemeine" Gotteslehre und Anthropologie von der Trinitätslehre zu unterscheiden ist, innerhalb und mit Hilfe der Trinitätslehre bedenken will, muß notwendigerweise die Trinitätslehre zur allgemeinen Gotteslehre machen, wie dies im Gefolge der nachchristlichen natürlichen Theologie, die seit Lessing und Kant sich herausgebildet und in Hegels spekulativer Religionsphilosophie ihre vollkommene Gestalt gefunden hat, denn auch geschehen ist.

Die Unterscheidung der Trinitätslehre von einer "allgemeinen" Gotteslehre und Anthropologie, die gegen ihre spekulative Aufhebung geltend zu machen ist, wird in dem Glauben und in der Hoffnung getroffen, daß sie zusammen mit der Aufhebung der Unterscheidung von Gesetz und Evangelium im Eschaton aufgehoben werden wird. Dann wird der dreieine Gott- er allein alles in allem sein (1.Korinther 15,28). Dann werden wir auch von jener uns bis zu unserem Tod bedrängenden erdrückend unbegreiflichen Verborgenheit nicht mehr angefochten werden, weil sie von seiner befreiend unbegreiflichen offenbaren Liebe verzehrt sein wird, die mit dem Evangelium uns jetzt schon endgültig zukommt.

Dieses aufgrund der zugekommenen und zugesagten Liebe geglaubte und erhoffte Ende die Vollendung des Schöpferwerks des dreieinen Gottes ist in seinem Charakter verkannt, wenn es als zeitloses Erkenntnis- und Seinsprinzip in Anspruch genommen wird. Seine Universalität läßt sich nicht auch nicht mit trinitätstheoretischen Mitteln abstrakt demonstrieren, seine Verallgemeinerungsfähigkeit nicht etwa durch transzendentales Denken vorweg bedingen und sicherstellen.

Verhindert wird die vorschnelle, ungeduldige Verallgemeinerung des Bekenntnisses zu Gott dem dreieinen durch die Liturgie und ihre Poesie, die sich Zeit läßt und den Zeitenbruch zwischen neuer und alter Welt sowie zwischen Glauben und Schauen (2. Korinther 5,7) markiert sprachlich handelt: aushält und offenhält. Eine poetologische Trinitätslehre, die sich in der Aufmerksamkeit auf die liturgischen Formen und ihre Poesie bildet, wird nicht der Zeit- und Situationsvergessenheit der Spekulation verfallen. Sie wird im Denken nicht stimmig machen wollen, was im gelebten Glauben solange eine offene Wunde bleibt, bis wir das Antlitz des dreieinen Gottes ohne Anfechtung schauen.

3. "Vater unser, erlöse uns von dem Bösen!" Das letzte Beispiel betrifft die Vexierfrage der Eschatologie, ob entweder ein doppelter Ausgang des Letzten Gerichtes oder aber eine Allversöhnung zu lehren sei. Ein auf Aussagen fixiertes theologisches Denken kommt in Schwierigkeiten, die eine poetologische Theologie vermeiden kann. Sie kann sie vermeiden, indem sie genau auf die Sprach- und Lebensform achtet nicht zuletzt auf die Sprach- und Lebensform des Gebets.

Wird, wie am Ende des Vaterunsers, das Böse ins Gebet gegeben, dann ist es unserer Verfügung entzogen sowohl unserer Definitionsmacht wie unserer Wirkmacht. Wie das Böse nicht nur vorläufig, sondern letztlich zu identifizieren, zu definieren, zu bekämpfen, zu treffen und zu besiegen ist, stellen wir im Gebet ganz Gott anheim. Das schlechthin Böse läßt sich nicht im apophantischen Logos aussagen. Es läßt sich nur im Gebet sagen. Der Beter des Vaterunsers darf, durch die Zusage der Erhörung des Gebets gewiß gemacht und dazu ermächtigt, darum bitten, daß das schlechthin Böse der ewige Tod, die Gottesferne, das endgültige Zerbrechen der Gottesgemeinschaft nicht geschieht und wir auf diese Weise von ihm erlöst werden.

Dementsprechend kann weder eine Allversöhnung noch ein doppelter Ausgang des Letzten Gerichtes "ausgesagt" werden. Es bewährt sich auch im Blick auf die Rede vom Letzten Gericht als der Weltvollendung an einem äußerst sensiblen Punkt der systematisch-theologischen Verantwortung des christlichen Glaubens, wenn eine solche Verantwortung nichts anderes tun will als einer als Sprachform begegnenden Lebensform wie dem Gebet nachzudenken und über sie mit sprachwissenschaftlich-poetologischen Mitteln Klarheit zu gewinnen.

Summary

The title of ’poet’ signifies the linguistic character of divine creativity. God is ’author’ and ’poet’ as the Lord and haven of the trustworthy word. God’s work understood as poiesis is the world promised in faithfulness through which God adresses us. Therefore God’s poiesis is a poetry of promise. It cannot be understood in the sense of a unifying theological principle. Theology has to consider the rupture of times - occasioned by our contradiction against God’s poetry of promise - as interwoven modes of time. Their explication demands to understand the different linguistic forms like praise and hymnody, confession, complaint and petition as responses to the primary statements of faith which are in their basic form of promise not constative but constitutive and to develop a corresponding wider concept of truth.

The fact that faith has its truth in participation in God’s promise and faithfulness requires a communicative form of judgement which is to be distinguished from a logical form of judgment. Through this communicative form of judgment we refer to the reality that is created by God’s word which is maintained by God against chaos over against sin and has received the promise of consummation through the last judgment. Such an approach can be accomodated by a threefold concept of scholarship which does not isolate the rational realm of philosophy and science over against history and poetry, but locates it in its respective contexts in such a way that the constitutive significance of poetry for determining the place of theology between metaphysics and mythology can become clear. Three concrete examples from the doctrines of creation, the Trinity and eschatology are intended to demonstrate how taking the poetic character of forms of language and forms of life into account shapes decisions concerning issues of doctrinal content.

Fussnoten:

*)Am 7.11.1997 beim Werkstattgespräch über "Poetologische Theologie?" an der Ev. Akademie Hofgeismar vorgetragen. Vgl. Poetologische Theologie. Zur ästhetischen Theorie christlicher Sprach- und Lebensformen. Ein Werkstattbericht, hrsg. von Ulrich H. J. Körtner, Brandenburg 1999.

1) Hannah Arendt, Vita Activa oder Vom tätigen Leben. Stuttgart 1960, 232.

2) Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887); in: Ders., Werke in drei Bänden, hrsg. v. Karl Schlechta, Bd. II, 1966, (761-900) 801 (bei Nietzsche hervorgehoben).

3) A. a. O., 799 (bei Nietzsche hervorgehoben).

4) A. a. O., 801.

5) A. a. O., 837.

6) Ebd.

7) Das Ergebnis einer Spekulation nach dem Muster der Religionsphilosophie Hegels und ihrer Totalvermittlung bringt Christian Morgenstern auf seine Weise so zur Sprache:

Der Lattenzaun

Es war einmal ein Lattenzaun,

mit Zwischenraum, hindurchzuschaun.

Ein Architekt, der dieses sah,

stand eines Abends plötzlich da -

Und nahm den Zwischenraum heraus

und baute draus ein großes Haus ...

In: Christian Morgenstern, Alle Galgenlieder, Stuttgart 1989, 54.

8) Aristoteles, Lehre vom Satz (Peri hermeneias) 17a (4. Kap.): Es "sagt nicht jede [Rede] etwas aus, sondern nur die, in der es Wahrheit oder Irrtum gibt. Das ist aber nicht überall der Fall. So ist die Bitte zwar eine Rede, aber weder wahr noch falsch. Doch wollen wir von den anderen Arten der Rede absehen, da ihre Erörterung eher in die Rhetorik oder Poetik gehört. Hier handelt es sich um die Rede im Sinne der Aussage" (PhB 8/9, 1974, 97 f.).

9) Johann Georg Hamann, Golgotha und Scheblimini, N III, 303,36f. (Hervorhebungen aufgehoben; N = J. G. Hamann, SW, hrsg.v. Josef Nadler, 6 Bde, Wien 1949-1957).

10) A. a. O., N III, 305,2 f .(Hervorhebungen aufgehoben, Komma eingesetzt).

11) Martin Luther, Erste Vorrede auf den Psalter (1524); WA DB 10 I, 94,22-26; 96,1-9; Text modernisiert.

12) KrV A XVII (Hervorhebungen aufgehoben).

13) Johann Georg Hamann, Metakritik über den Purismum der Vernunft (1784), N III, 286,6 f.

14) Johann Georg Hamann, Zwei Scherflein, N III, 231,10-12 (Text modernisiert, Hervorhebungen aufgehoben).

15) Vgl. Oswald Bayer, Leibliches Wort. Reformation und Neuzeit im Konflikt, Tübingen 1992, 6-15. Mit der im metakritischen Bezug auf Kant getroffenen Unterscheidung von "logischen Urteilsformen" und "kommunikativer Urteilsform" nehme ich der Struktur nach auf, was nach Luther (WA 56,371 f.) mit der "expectatio creaturae" (Römer 8,19) im Unterschied zu den aristotelischen Kategorien zur Geltung kommt.

16) Nachweis: Oswald Bayer, Theologie (HST 1), Gütersloh 1994, 435.

17) Zum Folgenden (samt allen Nachweisen): Oswald Bayer, Autorität und Kritik. Zu Hermeneutik und Wissenschaftstheorie, Tübingen 1991, 98-100.

18) Dem Geist der "Weissagung" entspricht die "Erzählung", dem Geist der "Beobachtung" die "Erklärung". Zu der dabei vorausgesetzten Unterscheidung und Zuordnung von Erzählung und Erklärung: Oswald Bayer, Erzählung und Erklärung. Eine Bestimmung des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaften (NZSTh 39, 1997, 1-14).

19) A. a. O. (s. o. Anm. 17), 100-107.

20) Johann Georg Hamann, Briefwechsel, hrsg. v. Walther Ziesemer und Arthur Henkel, Bd. I, Wiesbaden 1955, 446,33 f.

21) A. a. O. (s. o. Anm. 17), 181-200: "Systematische Theologie als Wissenschaft der Geschichte".

22) Vgl. a. a. O. (s. o. Anm. 16), 80, Anm. 213.

23) Vgl. a. a. O., 141, Anm. 71. Ebenso in Melanchthons Wittenberger Antrittsvorlesung (1518), in der die wissenschaftstheoretische Bedeutung der Poeten und Geschichtsschreiber hervorgehoben wird. Insgesamt geht es Melanchthon wie Luther darum, die "Dialektik" (Logik, Philosophie insgesamt) im Zusammenhang der Grammatik und Rhetorik zu betreiben.

24) A. a. O., 21-27.

25) Hamann (N II, 206,20) merkt zu "Poet" 2Kor 4,6 an! Nicht zuletzt ist zu beachten, daß die neutestamentlichen Hymnen "geistgewirkt" sind. Sie haben Gott, den Heiligen Geist, zum Autor und Poeten. Vgl. Kol 3,16.

26) Johann Georg Hamann, Aesthetica in nuce (1762), N II, 198,28 f.