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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

495–496

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Ehrenzeller, Bernhard, Gomez, Peter, Grewe, Constanze, Kley, Andreas, Kotzur, Markus, Odendahl, Kerstin, Schindler, Benjamin, u. Daniel Thürer [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionsfreiheit im Verfassungsstaat. Zweites Kolloquium der »Peter Häberle-Stiftung« an der Universität St. Gallen.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos; Zürich/St. Gallen: Dike 2011. XI, 226 S. 22,6 x 15,6 cm. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-8329-6463-4 (Nomos); 978-3-03751-336-1.

Rezensent:

Norbert Janz

Im April 2004 ist an der Universität St. Gallen die Peter Häberle-Stiftung gegründet worden. Die Stiftung bezweckt die regelmäßige Durchführung von wissenschaftlichen Anlässen zum Themenkreis »Staats- und Verfassungslehre als Kulturwissenschaft«. Die Veranstaltungen sind entsprechend der breiten thematischen Ausrichtung interdisziplinär und rechtsvergleichend angelegt. Dabei sollen in erster Linie Rechtswissenschaftler angesprochen werden. Daneben werden auch Vertreter anderer Disziplinen und der Wissenschaft verbundene Praktiker eingeladen. Der Adressatenkreis soll über den deutschsprachigen Raum hinausreichen.
Der anzuzeigende Band gibt die Referate und Diskussionen des zweiten Kolloquiums wieder, welches im November 2009 daselbst stattfand. Es war dem Thema »Religionsfreiheit im Verfassungsstaat« gewidmet, nachgerade also einem staatskirchenrechtlichen Klassiker, der in jedem Staat (verfassungs-)gesetzlich verschieden ausgestaltet ist. Erklärtes Ziel der Tagung war es, das Grund- und Menschenrecht der Religionsfreiheit in den Gesamtzusammenhang des Verfassungsstaates zu stellen. Dabei war die zweitägige Zusammenkunft folgendermaßen geordnet: Zunächst galt es, die Grundsatzfragen des Verhältnisses Staat und Religion transnational zu beleuchten, und zwar aus theologischer, staatsphilosophischer und gemeineuropäischer Sicht. Im zweiten Teil der Tagung kamen dann länderspezifische Entwicklungen der Religionsfreiheit zur Sprache. Eine – ebenfalls dokumentierte – allgemeine Schlussdiskussion rundete die Veranstaltung (und damit auch das vorliegende Werk) ab. Insgesamt sind neben verschiedenen einleitenden und resümierenden Überlegungen zu den Themenkomplexen elf Referate abgedruckt, von denen keines mehr als 20 Seiten umfasst.
Der Schweizer Islamwissenschaftler Otfried Weintritt analysiert kenntnis- und aufschlussreich das Thema »Islam – Über den Zusammenhang zwischen Religion und Herrschaft bzw. Staat«. Er bestimmt in seinem hochinteressanten Vortrag zunächst die Grundzüge einer islamischen Herrschaftsauffassung. Danach legt er die Verbindung von Verfassungsstaat und islamischer Ordnung offen, um abschließend individuelle und kollektive mus­limische Glaubenspraxis in Beziehung zu rechtsstaatlich-säkularen Lebensformen zu setzen. Der Islam erhebe den Anspruch, Religion und zugleich Form der Herrschaft zu sein. Weintritt zeigt sich skeptisch gegenüber einer freiheitlich-demokratischen Ordnung muslimischer Prägung. Ein Aperçu Luhmanns aufnehmend formuliert er, dass eine Lösung des Problems darin liegen könnte, wenn man das Seelenheil zu einem Menschenrecht macht.
Georg Kohler, Emeritus für Politische Philosophie an der Universität Zürich, referiert über »Vernünftiger Pluralismus – Der liberale Staat als Hüter der Religionsfreiheit«. Auch wenn in Deutschland das BVerfG die Hüterstellung für sich in Anspruch nimmt, ordnet Kohler zunächst den Staat als eine Institution des Politischen ein. Kulturförderung sei eine zentrale Aufgabe staatlich-politischer Policy, wobei Religion ganz zentral für eine kulturelle Identitätsbildung sei. Dieser Ansatz führt zu der zentralen These des Vortrages: Eine solche Policy müsse von Politics realisiert werden, die sich dessen stets bewusst sind, welch brisante sozialpsychologische und identitätspraktische Mechanismen und Bedürfnisse auf dem Feld des Verhältnisses von Staat/Politik und Religion wirksam sind.
Interessant ist der italienische Blickwinkel: Paolo Ridola, Professor für Vergleichendes Recht an der Universität »La Sapienza« in Rom, zeigt die spezifischen Bedingungen des südeuropäischen Landes auf, welches vom Papsttum dominiert war und ist. Konkret legt er das von der italienischen Verfassungsrechtsprechung erarbeitete Laizitätsprinzip dar.
Auf schlanken fünfeinhalb Seiten widmet sich der Konstanzer Öffentlich-Rechtler Hartmut Maurer der »Religionsfreiheit in Deutschland: Entwicklung und aktuelle Probleme«. Er betont auf geschichtlicher Basis den Aussagegehalt des Art. 4 GG sowie des Art. 140 GG, der die staatskirchenrechtlichen Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung von 1919 in das Grundgesetz inkorporiert. Der Staat müsse sich in religiösen Fragen zurückhalten. Damit sei eine staatliche Förderung des religiösen Bereiches jedoch nicht ausgeschlossen. Sowohl individuelle als auch gemeinschaftsbezogene Aspekte der Religionsfreiheit werden aufgedeckt.
Das Schlusswort gebührt Peter Häberle als Namensgeber der Stiftung, der– durchaus originell – seinen Tagungsepilog verfassungssystematisch mit einer Präambel beginnt und mit Übergangs- resp. Schlussbestimmungen enden lässt. Zutreffend betont er die Aktualität des Themas und weist auf Schwierigkeiten des Terminus »Staatskirchenrecht« hin.
Insgesamt handelt es sich um ein lehrreiches Kompendium, welches die »Religionsfreiheit im Verfassungsstaat« vielschichtig und facettenreich erkundet.