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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

487–489

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Noth, Isabelle, Morgenthaler, Christoph, u. Kathleen J. Greider[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Pastoralpsychologie und Religionspsychologie im Dialog. Pastoral Psychology and Psychology of Religion in Dialogue.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2011. 240 S. m. Abb. 23,2 x 15,5 cm = Praktische Theologie heute, 115. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-17-021835-2.

Rezensent:

Hans-Jürgen Fraas

Die Autoren dieses Bandes wollen einen Dialog anstoßen, der »gleichzeitig Fach- und Sprachgrenzen überwinden« soll (9), nämlich die Grenzen zwischen universitär institutionalisierter Pastoral- und in Deutschland kaum entwickelter Religionspsychologie einerseits und zwischen deutscher und US-amerikanischer Forschung andererseits.
In acht Themenkreisen wird die Aufgabe angegangen, indem je­weils einer englischsprachigen Darstellung eines bestimmten Themas eine deutsche Replik korrespondiert. Es sind die Themen Religion/Spiritualität und Gesundheit, Psychoanalyse und Seelsorge, Pastoralpsychologie und Neurowissenschaften, Meditation in pas­toralpsychologischer Sicht, Multireligiosität und Beratung, Ent­-wicklungspsychologie, Gender-Fragen und Gerontologie. Die vielfältigen darin enthaltenen Denkanstöße können hier nicht im Einzelnen gewürdigt werden. Es sei nur auf zwei Aspekte aufmerksam gemacht, die mehr oder weniger den gesamten Band durchziehen.
Das Eine ist die Beobachtung der unterschiedlichen »akademischen Kulturen« (Kunz/Martin, 222) bzw. des »gesellschaftlich-kulturellen Kontextes« (Klessmann, 30): Aufgrund differenter histo­-rischer Entwicklung und gesellschaftlichen Stellenwertes der Re­-ligion ist die amerikanische Religionsforschung bedenkenloser ge­genüber konfessionellen Positionen als die europäische. So sehen die einen in einer distanzierten Betrachtungsweise religiöser Phänomene Reduktionismus und fordern die volle Integration der spirituellen Dimension in den therapeutischen Prozess (Abu-Raiya, Pargament); auf der anderen Seite steht das »Misstrauen« eines wissenschaftlichen Psychotherapie-Verständnisses »gegenüber der amerikanischen Religionsforschung, die von konfessionell gebundenen Institutionen getrieben wird« und die Frage, ob diese Studien »angesichts der American Religious Exception weltweite Geltung beanspruchen können« (Kunz/Martin, 223, im Anschluss an Sperling 2007).
Diese Spannung drückt sich in (fast) allen Beiträgen aus. So sieht Doehring die Meditation zu Recht jeweils eingebettet in ein be­stimmtes Weltbild, womit sich eine generalisierende Beurteilung verbiete (98), und erwartet vom Meditierenden die Aufarbeitung negativer internalisierter religiöser Elemente im Sinn eines »lebensdienlichen« Gottesbildes. Kohli Reichenbach nimmt den Ge­danken auf, insistiert aber im Gegensatz zu einem allzu harmonistischen Religionsverständnis darauf, dass eine einseitige Gewichtung des Wellness-Aspektes der Integration von Ambivalenzen im menschlichen Leben nicht gerecht werde, vielmehr die Auseinandersetzung auch mit den dunklen Seiten des Gottesbildes einzuschließen sei (111). Auch Klessmann verweist auf das Phänomen der Anfechtung als konstitutiv für den Glauben (34) und mahnt in seinem psychologisch wie theologisch sehr ausgewogenen Beitrag die Differenzierung zwischen Spiritualität und Religiosität an (32). Den interessanten Ausführungen Greiders über Multireligiosität in ihrer Mehrdeutigkeit (irgendwie seien alle Menschen multireligiös) halten Morgenthaler/Noth entgegen, dass die angewandte Begrifflichkeit latent vorhandene christliche Strukturen aufweise, die im Sinn einer »kulturell sensiblen Religionspsychologie« (136) bewusst zu machen seien (141).
Ein anderes durchgängiges Merkmal ist der Hinweis darauf, dass in der Weiterentwicklung des Freudschen Ansatzes zur Ob­jekt-Beziehungs-Theorie sich ein Standard entwickelt habe, der un­ter dem Stichwort »Intersubjektivität« in positive Beziehung zum trinitarischen dialogisch-beziehungshaften Gottesverständnis gebracht werden könne, so dass eine entsprechende Religiosität durchaus als Problemlösungspotential anzusehen sei (Cooper-White). Murken setzt bei aller Zustimmung die Spannungen zwischen psychoanalytischem und theologischem Menschenbild da­gegen und sieht noch offene Möglichkeiten, »die aufklärerische Potenz der Psychoanalyse auch kritisch auf das Feld der Seelsorge anzuwenden« (65). In den Neurowissenschaften wird die Nähe neuerer biblischer Einsichten zur Leib-Seele-Ganzheit gesehen, die die Person nicht individualistisch, sondern in Analogie zur Relationalität des dreieinigen Gottes als »Person-in-Gemeinschaft« versteht.
Der Dialog ist mühsam. Eine einseitige Sprachbarriere wird be­reits im Blick auf das jeweilige Literaturverzeichnis sichtbar. Deutsche Autoren setzen sich mit der englischsprachigen Forschung zumindest prinzipiell auseinander, während die amerikanischen Autoren die deutschsprachige Literatur, von den zumeist in englischer Sprache vorhandenen Klassikern des Fachs abgesehen, nicht wahrnehmen. Die »Monolingualität« (141) lässt angesichts der Wechselbeziehung zwischen Sprache, Menschenbild und Persönlichkeitsbegriff hermeneutische Nuancen nicht ausreichend zu Bewusstsein kommen. Jedenfalls aber ist den Autoren ihre Absicht gelungen, einen äußerst anregenden Gesprächsanstoß zu geben.