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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

480–481

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Keck, Andreas

Titel/Untertitel:

Das philosophische Motiv der Fürsorge im Wandel. Vom Almosen bei Thomas von Aquin zu Juan Luis Vives’ De subventione pauperum.

Verlag:

Würzburg: Echter 2010. 229 S. 23,3 x 15,3 cm = Studien zur Theologie und Praxis der Caritas und Sozialen Pastoral, 25. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-429-03218-0.

Rezensent:

Tobias Georges

Einen weiten Bogen schlägt Andreas Keck in seiner Studie zum »philosophischen Motiv der Fürsorge«: In der Arbeit, die im Sommersemester 2009 von der Hochschule für Philosophie in München als Dissertation angenommen wurde, beleuchtet er die Entwick­lung dieses Motivs von der hochscholastischen Perspektive des Thomas von Aquin (1225–1274) bis zum humanistischen Blickwinkel Juan Luis Vives’ (1492–1540). Bei Thomas richtet er den Blick speziell auf den Abschnitt De eleemosyna aus der Summa theologiae (II–II, quaestio XXXII), bei Vives auf dessen Werk.
K. analysiert die Fürsorgekonzepte der beiden Denker nacheinander (die scharfe Unterscheidung des »philosophischen Motivs der Fürsorge« vom »theologischen« leuchtet kaum ein) und beginnt mit Thomas. Zu beiden Autoren gibt er jeweils einen – überaus knappen – biographischen Überblick (1; 7.1), referiert dann zentrale Denkansätze (2; 7.2–5), beleuchtet die Liebeskonzeption (3; 8) und widmet sich auf dieser Grundlage eingehend dem Verständnis von Almosen und Fürsorge (4–5; 9.1) – in diesem Zusammenhang fokussiert er für Thomas De eleemosyna, für Vives De subventione pauperum. Dem Vergleich zwischen Thomas und Vives ist kein eigenes Kapitel gewidmet, er ist in die genannten Untersuchungsabschnitte eingewoben. Bei beiden Denkern richtet K. zuletzt den Blick auf den jeweiligen sozialgeschichtlichen Hintergrund und die zeitgenössische Fürsorgepraxis (6; 9.2). Die Abfolge der Analyseschritte zu Thomas und Vives erscheint grundsätzlich weitgehend plausibel, als problematisch erweist sich hingegen die Behandlung des historischen Kontextes ganz am Ende. Denn die Aussagen zur Fürsorge müssten, um angemessen verstanden zu werden, in ihren historischen Kontext eingezeichnet werden, und dafür wäre es grundlegend, gerade den sozialgeschichtlichen Hintergrund im Voraus zu skizzieren. De facto lassen die Analysen zu den beiden Autoren in ihrer historischen Kontextualisierung sehr zu wünschen übrig und verbleiben häufig recht schematisch. Die Ausführungen zur zeitgenössischen Situation wirken angehängt, eine wirkliche Verzahnung zwischen Quellenanalyse und Darstellung des geschichtlichen Hintergrundes (Letztere muss freilich hauptsächlich auf Basis der Sekundärliteratur erfolgen – hier sind die Belege für die Herkunft des Hintergrundwissens häufig recht spärlich) gelingt kaum. Problematisch erscheint zudem die Verbindungslinie, die K. zwischen den bearbeiteten Texten und deren zeitgenössischer Fürsorgepraxis in der Tat zieht: Immer wieder suggeriert er, diese Situation sei eine direkte Folge der Theorien, die in De eleemosyna und in De subventione pauperum entwickelt werden (z. B. 151 f.157. 199.205) – ein recht einseitiges, vereinfachendes Bild, welches nicht berücksichtigt, dass diese Theorien wiederum zutiefst mit den Ereignissen, Entwicklungen und Denkformen ihrer jeweiligen Zeit verflochten sind (grundsätzlich erscheint es freilich schwierig, auf 200 Seiten den historischen Entwicklungen von Thomas bis zu Vives gerecht zu werden).
Das Ergebnis, das K. für die Entwicklung von Thomas zu Vives ins Zentrum stellt, leuchtet als solches ein: Während in De eleemosyna der einzelne Spender und dessen Motiv der caritas im Vordergrund stehen, richtet De subventione pauperum den Blick stärker auf die Almosenempfänger, nimmt sie in die Pflicht und entwirft ein operationalisierbares Konzept gemeinschaftlicher Fürsorge. Dieser Un­terschied lässt sich zwischen den beiden Texten wohl ausmachen und diese Differenz dürfte auch eine Entwicklung im Übergang vom Hochmittelalter zur Frühen Neuzeit abbilden, von der individuellen Liebesgabe hin zur öffentlichen Wohlfahrtspflege. Aber es ginge doch wohl zu weit, diese Entwicklung allein aus der Entwicklung des Fürsorgekonzeptes von De eleemosyna hin zu De subventione zu erklären – diesen Eindruck erweckt K. jedoch bisweilen, da er nicht klar zwischen den Quellen, den auf sie einwirkenden und den von ihnen beeinflussten Faktoren differenziert. Diese mangelnde Unterscheidung wird auch an der Feingliederung der Arbeit sichtbar: So widmet K. sich innerhalb des Kapitels 6 »Fürsorgepraxis zur Zeit des Thomas von Aquin« plötzlich den »Zielgruppen der thomasischen Almosenlehre (6.5)« – ein wichtiges Thema, das allerdings innerhalb der Behandlung von Einleitungsfragen zu De eleemosyna zu fokussieren gewesen wäre; eine solche Behandlung unterbleibt leider, die Folge ist wiederum eine Unschärfe der Quellenanalysen. Zur Un­schärfe trägt auch der Umstand bei, dass die Binnenkonsistenz der Darstellung bisweilen schwer zu erkennen ist.
Insgesamt bieten die Darlegungen K.s interessante Illustrationen dafür, wie sich das Verständnis der Fürsorge zwischen Hochmittelalter und Früher Neuzeit wandelt, und zwar anhand zweier prominenter Texte. Es wäre zu wünschen gewesen, dass die Untersuchung die beiden Konzeptionen und die historischen Entwick­lungen ihrer Zeit klarer verzahnt hätte.