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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

470–472

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Cunningham, Conor

Titel/Untertitel:

Darwin’s Pious Idea. Why the Ultra-Darwinists and Creationists Both Get It Wrong.

Verlag:

Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2010. XX, 543 S. 23,4 x 15,7 cm. Geb. US$ 34,99. ISBN 978-0-8028-4838-3.

Rezensent:

Hans-Dieter Mutschler

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

McGrath, Alister E.: Darwinism and the Divine. Evolutionary Thought and Natural Theology. The 2009 Hulsean Lectures, University of Cambridge. Chichester: Wiley-Blackwell 2011. XV, 298 S. m. Abb. 23,1 x 15,4 cm. Kart. £ 19,99. ISBN 978-1-4443-3344-2.


Das Buch von Alister E. McGrath entfaltet das Problem des Verhältnisses von Evolutionstheorie und natürlicher Theologie in drei Schritten: 1. werden zunächst die begrifflichen Klarstellungen vorgenommen, dann folgt 2. eine historische Exposition der Entwick­lung natürlicher Theologie in England während des 18. Jh.s und 3. eine systematische Darstellung der gegenwärtigen Diskussion.
McG. besteht auf der oft verkannten Tatsache, dass der Be­griff natürliche Theologie eine Vielzahl von Bedeutungen einschließt, und bezieht sich dabei vornehmlich auf die Situation in England. Dort war das Entstehen dieser Disziplin mit einem Affront gegen das kirchliche Christentum, seine Doktrin und seinen Wunderglauben verbunden. In diesem Zusammenhang dominierte zu­nächst einmal eine natürliche Theologie, die mit Newton auf die gesetzliche Ordnung der Welt abhob. Später kam die gegensätz­liche Idee der contrivance = Erfindung auf, die Mittel und Zwe­cke aufeinander hinordnet und Design zur Folge hat. Daher wurde seit Mitte des 18. Jh.s das Biologische für wichtiger gehalten für die natürliche Theologie als das Physikalische.
William Paleys natürliche Theologie rezipierte die beginnende Industrialisierung und nahm ihren Ausgangspunkt beim technischen Artefakt, ohne allerdings die Kritik von Hume und Kant an der natürlichen Theologie oder die Entdeckung der Fossilien zu berücksichtigen, die eine Entwicklung der Lebewesen nahelegte.
Zwischen 1800 und 1850 änderte sich die natürliche Theologie in England beträchtlich, so dass der Darwinismus dagegen keine argumentative Kraft mehr hatte, wie noch gegen Paleys Konzept, sondern diese neue natürliche Theologie betrachtete den Darwinismus eher als Bestätigung. McG. zeigt, wie schon um 1800 klar unterschieden wurde zwischen dem, was man beobachten kann, und den theoretischen Termen, die auf Interpretation des Beobachteten beruhen, d.h. Paley war schon damals wissenschaftstheoretisch von der neuen natürlichen Theologie überholt. Hinzu kam die innertheologische Kritik, wie z. B. von John Henry Newman, der in diesem Sinne sagte: »I believe in design because I believe in God; not in God because I see design.« (128)
All dies führte dazu, dass bis zur Mitte des 19. Jh.s Paleys natürliche Theologie durch eine ganz anders geartete ersetzt wurde, die den Darwinschen Argumenten nicht mehr ausgesetzt war. McG. zeigt weiter, dass es, entgegen einem allgemeinen Konsens, sehr wohl Teleologie in Darwins Theorie gab und im heutigen Darwinismus auch gibt, d. h. McG. zeigt mit schlagenden Ar­gumenten und stupender historischer Kenntnis, dass das gängige Stereotyp, Darwin habe mit Paley die natürliche Theologie grundsätzlich erledigt, unhaltbar ist.
Der dritte Teil des Buches behandelt die heutige Situation unter systematischer Rücksicht. Obwohl ziemlich knapp, ist der Text sehr dicht und scharfsinnig und kann hier nicht ausführlich referiert werden. McG. holt das teleologische Denken aus der technizistischen Engführung Paleys heraus, indem er auf den ur­sprünglichen Aristoteles und auf Thomas von Aquin zurückgeht. Er interpretiert Augustinus mit seinen rationes seminales, ein Konzept, das Petrus Lombardus im Mittelalter weiterentwickelte und das leicht evolutionär interpretiert werden kann. Er verweist auf die Vermittlung von Zweck und Zufall bei Arthur Peacocke, die Paley fälschlich als sich ausschließende Alternativen gefasst hatte, diskutert das Anthropische Prinzip und die Rolle der Abduktion nach Peirce, die es gestatten würde, Teleologie sauber einzuordnen, ohne den naturwissenschaftlichen Weltzugriff infrage zu stellen. Auch der Begriff der »starken Emergenz« steht zur Debatte – wie eigentlich alles, was in der heutigen Diskussion von systematischem Interesse ist, so z. B. das Theodizeeproblem, das sich, wie schon Darwin sah, verschärft, wenn man die Verwandtschaft des Menschen mit der Natur berücksichtigt, und die Tatsache, dass die Zeiten des Leidens der außermenschlichen Kreatur viel größer sind als vorher gedacht. Im Endeffekt sieht McG. natürliche Theologie nicht so sehr als Ort der Gottesbeweise, sondern als eine Möglichkeit, wie sich der christliche Glaube angesichts der Evolutionstheorie be­währt, also im Sinne dessen, was man auch »Theologie der Natur« genannt hat.
Es ist bemerkenswert und erstaunlich, wie ein Autor, der historisch so sehr bewandert ist, zugleich derart souverän über alle De­tails der systematischen Diskussion verfügt. Ein absolut lesenswertes Buch!
Der am häufigsten zitierte Autor im Buch von Conor Cunningham ist Richard Dawkins. Dawkins erzählt in seinen zahlreichen, umfangreichen Büchern eine materialistische Evolutionsgeschichte, die weniger auf Argumentation denn auf Rhetorik beruht. Das hier vorliegende Buch ist das christliche Gegenstück dazu. Der Darwinismus wird als eine »fromme Idee« nacherzählt. Dies geschieht auf 540 Seiten mit über 2.000 Anmerkungen, von denen jede etwa drei Literaturangaben enthält. C. hat also an die 6.000 Bücher gelesen, und zwar in kurzer Zeit, wie er im Vorwort gesteht. Er verstehe auch an sich nichts von Naturwissenschaft, sondern sei Theologe und Jurist, der das Glück gehabt habe, für einige Zeit vom Dienst freigestellt und für dieses Buch bezahlt zu werden.
Aus diesen rasch angelesenen 6.000 Büchern zitiert er nun ohne Ende und Ordnung. Klingende Namen wechseln sich ab: Robert Spaemann, Hilary Putnam, Hans Jonas, Vittorio Hösle, Dieter Wandschneider, Rupert Riedl, Thomas Nagel, Mario Bunge, Martin Mahner, Alex Rosenberg, David Chalmers, Baas van Fraassen, Michel Polanyi, Charles Taylor usw. Dass diese Autoren von ganz verschiedenen Voraussetzungen ausgehen, dass sie zum Teil dezidierte Materialisten sind, wie Riedl, Nagel, Bunge oder Rosenberg, scheint nicht weiter zu stören. Cunningham zitiert eben Stellen, die »geistig« klingen, und erweckt damit den Anschein, alle Welt sei mit ihm in Übereinstimmung. Das Bombardement der Zitate, die ungefähr die Hälfte des Textes ausmachen, versetzt den Leser in eine milde Trance, in der alles spirituell und tiefgeistig erscheint und die Probleme wie verschwunden sind.
Kardinal Schönborn und Papst Benedikt sind für ihn häufig zitierte Berufungsinstanzen, während einschlägige Autoren der Science-and-religion-Debatte fehlen, wie etwa John Polkinghorne, Ian Barbour, Arthur Peacocke, Wolfhart Pannenberg usw. Von den über 700 Seiten zur Naturwissenschaft, die der Band 15 der Gesamtausgabe von Karl Rahner enthält, zitiert Cunningham gerade einmal einen peripheren Artikel, den er offenbar zufällig irgendwo gefunden hat, wie die bibliographische Angabe zeigt.
Dies hindert nicht, sondern bedingt einen herablassenden Ton gegen seine naturalistischen Gegner, der etwas von Kreuzzugsmentalität an sich hat. Er nennt deren Positionen im Vorwort kriminell. Sie seien schlimmer als »alle Kriege, Krankheiten, Gewalt, Armut, terroristische Brutalitäten und Genozide zusammengerechnet« (XIX). Der heutige Naturalismus ist also schlimmer als Hitler und Stalin! Der Genzentrismus seines Lieblingsgegners Richard Dawkins sei so ähnlich, als würde man heute noch an die Erde als eine flache Scheibe glauben (78). Die Anwendung der Evolutionstheorie auf die Kultur sei nonsense und nihilistisch usw. (180). Ob das Buch lektoriert wurde? Viele Verlage lassen die Bücher, die sie drucken, aus Kostengründen nicht mehr gegenlesen.
Weil dieses Buch darum bemüht ist, eine Stimmung zu verbreiten, fehlen überall die wesentlichen Argumente. Hier nur zwei Beispiele für viele: Bekanntlich ist schwache Emergenz als überraschende Systemeigenschaft philosophisch harmlos, weil sie jeder Materialist und Reduktionist anerkennt. Cunningham zitiert Beispiele solcher Systemeigenschaften im Sinn schwacher Emergenz und geht dann argumentfrei zur starken Emergenz über, die philosophisch und theologisch relevant wäre, aber so nicht begründet werden kann (154 f.). Oder: Er wählt aus den möglichen Interpretationen der Quantentheorie solche aus, die möglichst geistig klingen, wie die Außenseiterposition von Eugene Wigner, die er aber dreist orthodox nennt, obwohl sie nur von einer verschwindenden Minderheit von Physikern gehalten wird (330).
Dieses Buch ist das Resultat eines blinden Fleißes und eines blinden Hasses auf den Naturalismus. Von ihm ist ebenso abzuraten, wie man das Buch von McG. uneingeschränkt empfehlen darf.