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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

454–455

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Seidel, Thomas A., u. Ulrich Schacht [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Maria. Evangelisch.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Paderborn: Bonifatius 2011. 269 S. m. Abb. 23,0 x 15,5 cm. Geb. EUR 19,80. ISBN 978-3-374-02884-9 (Evangelische Verlagsanstalt); 978-3-8910-498-3 (Bonifatius).

Rezensent:

Christiane Schulz

Der Sammelband vereint die Vorträge des XXXIV. Konvents der Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden zu Erfurt im September 2008, ergänzt durch weitere thematische Aufsätze und den Nachdruck von Luthers »Magnificat« nach der WA (7, 544–604). Das Buch überzeugt dabei durch seine qualitätsvolle Aufmachung mit ganzseitigen farbigen Fotografien und die Vielfalt der Sichtweisen: Neben wissenschaftlich orientierten theologischen Überblicksdarstellungen stehen künstlerische und volkskundliche Perspektiven, aber auch ein persönlicher Beitrag von Katharina Klara Schridde (Maria, Schwester: eine spirituelle Liebeserklärung, 161–169).
Das Buch soll dazu beitragen, »mit einem marianisch suchenden Blick auf die Geheimnisse und Wirkkräfte des christlichen Glaubens zu schauen« (Vorwort, 9), und dadurch »einer vitalen ökumenischen Einheit in versöhnter Verschiedenheit Impulse« verleihen (ebd.). Dass vor diesem Hintergrund dezidiert die evangelische Sicht auf Maria in den Blick genommen und nicht vorschnell nach ökumenischen Gemeinsamkeiten mit den katholischen Geschwis­tern gesucht wird, leuchtet ein.
So gibt es außer dem »Geleitwort eines katholischen Laien« (Thibaut de Champris, 13–15) und einem altkatholischen Beitrag vor allem evangelische Beiträge. Thomas A. Seidel lädt den Lesenden zum Ende seiner Theologischen Annäherung »Maria: Gottesmutter und Seelenbraut« (19–41) ein, in der mystischen Betrachtung Mariens als Seelenbraut die elementare Kraft christlicher Spiritualität sichtbar zu machen. Ernst Koch zeigt in seinem Beitrag (»Marienverehrung im Bereich der Wittenberger Reformation«, 43–57) auf, dass sich die Wittenberger Reformatoren nur dort von der Tradition verabschiedeten, wo es das sola scriptura zwingend gebot, und deshalb mit Maria vielfach »gnädiger« umgingen als ihre protestantischen Nachfolger in der Kirchengeschichte. Der Jenenser Theologieprofessor Martin Leiner beschreibt Maria im Sinne eines akkumulativen Symbolismus als »Schatten«, der Jesus folge und mit ihm eins geworden sei, und hält die Einwände des sola gratia und des solus Christus für widerlegt, nur beim sola scriptura blieben Fragen offen (»Solus Christus – Christus allein: ein evangelischer Kommentar zur katholischen Marienfrömmigkeit«, 59–81). Leiner fordert die Protestanten zu Toleranz gegenüber der Anrufung Mariens als Glaubenspraxis auf, aus seiner Sicht seien die Mariendogmen auch kein Widerspruch zu den zentralen Anliegen der Reformation. Das immerhin kann man aus guten Gründen anders sehen. Letztlich hätten die katholischen Christen aber »vielleicht eine etwas zu lebhafte Phantasie in Bezug auf Maria entwi­ckelt und die Ergebnisse dieser Phantasie zu sehr dogmatisch fixiert« (81). Sebastian Renz ergänzt die theologischen Annäherungen durch An­merkungen zu einer marianischen Homiletik (85–97) und Walter Jungbauer durch eine altkatholische Perspektive auf die Mutter Jesu (99–113).
Den zweiten Hauptteil des Buches (Künstlerische Perspektiven) eröffnet Ulrich Schacht mit Annäherungen an die genuin protes­tantische Mariendichtung, vor allem im Barock und der Spätromantik (»Meerstern, wir dich grüßen …«: eine literarisch-theolo-gische Exkursion in die deutsche Marien-Dichtung, 117–136). Schacht beklagt, dass die Selbstsäkularisierung der evangelischen Kirche aber eine breite evangelische Marienfrömmigkeit verhindert habe. Der jüdische Blick auf Maria von Alan Posener (Tochter Zion? Maria als jüdische Mutter, 137–144) ist ein erfrischender, erhellender Essay über die jüdische Miriam. Die volkskundlich-religionswissenschaftliche Sicht von Marie-Elisabeth Lüdde schließlich erhellt dem Leser die enorme Bedeutung Marias in der Volksfrömmigkeit (durch­aus auch gegen den biblischen Befund), die die katholische Dogmatik nachholend in Mariendogmen einzufangen versuchte. Jürgen K. Hultenreich bereichert das Buch mit seinem persönlichen Zugang zu Maria: seinen Mariabildern (»Maria, Landschaft, Malerei«, 171–181).
Ein Anhang mit Bildnachweis, Personenregister, Glossar, Literatur- und Autorenverzeichnis beschließt diesen hochwertigen, gut redigierten Band mit wenigen Fehlern. Einer dieser wenigen Fehler sei dennoch erwähnt: Luther verbrannte die Bannandrohungsbulle am 10. Dezember 1520 (nicht am 20.12., vgl. 186). Schade ist, dass der Bildnachweis nicht nutzerfreundlich, ja geradezu ärgerlich im Gebrauch ist: Die wenigen Angaben, die im Bildnachweis gemacht werden, hätten bis auf die Fotografen zum jeweiligen Foto gehört, um unnötiges Blättern zu vermeiden.