Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

70 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Staats, Reinhart [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Harmoniumklänge über dem Exerzierplatz. Kieler Kultur vor 1900 nach den Erinnerungen von Johannes Möller.

Verlag:

Neumünster: Wachholtz 1995. 251 S. gr.8o = Schriften des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte. Reihe I, 39. ISBN 3-529-028428.

Rezensent:

Gert Haendler

Johannes Möller (1867-1957) war Astronom, bis 1902 war Kiel seine Heimat. Seine Erinnerungen reichen bis dahin und geben ein lebendiges Bild jener Stadt. "Wirklich liegt in der Betrachtung des inneren kulturellen Lebens einer deutschen Landschaft mit seiner kleinen Hauptstadt ein besonderer Reiz dieser Darstellung. Die sozialen Verhältnisse, von den Nöten der Arbeiterkinder bis zu den Skurrilitäten des holsteinischen Adels, sind erfaßt..." (8). Auch für die allgemeine deutsche Geschichte sind die Erinnerungen aufschlußreich, so für "eine populäre nachtragende Geringschätzung Wilhelms II., der ja Bismarck entmachtet hatte" (204). Vom Todeskampf der Mutter wird erzählt: "Sie rief abwechselnd Gott um Erbarmen und Bismark um Hilfe an" (19). Für die ThLZ ist das Buch anzuzeigen, weil es auch viel von dem Vater erzählt, dem Kirchenhistoriker Wilhelm Möller. Kapitel 1 ist überschrieben: "Mein Vater, der Theologe Wilhelm Möller, auf dem Weg in die Universitätsstadt Kiel 1867-1873" (13-22).

Das Nachwort des Hg. geht auf die Problematik von Lebenserinnerungen ein: heute hat man dafür kaum Zeit, aber "wir spüren, daß damit der menschlichen Kultur etwas Wesentliches verloren geht" (188). Lebenserinnerungen können auch auf eine christliche Wurzel zurückgeführt werden. Derzeit stehen freilich oft "nur die eigenen Erfolge und Leistungen im Mittelpunkt" (189). Staats zeichnet das Bild von Wilhelm Möller nach: Er war ein Vermittlungstheologe. Sein Hauptwerk über Andreas Osiander (1870) ist noch heute unüberholt, weil 1945 der Krieg die Königsberger Bibliotheksbestände ruiniert hatte und die Forschung daher auf die sauberen Referate und Auswertungen der Osiander-Quellen durch Wilhelm Möller nicht verzichten kann" (195). Möllers Rede zum 400. Geburtstag Martin Luthers 1883 hatte "ein erhebliches Echo in der kirchlichen und theologischen Elite der Nation gefunden" (196). So schrieb Harnack an Möller: Diese Rede "ist unter den akademischen Lutherreden, die mir zu Gesicht gekommen sind, die theologischste, und ich freue mich, daß in dem Chorus der Stimmen gerade diese wichtigste Stimme nicht fehlt. Ich gestehe, daß ich mit Besorgnis, einem großen Publikum gegenüber nicht verantwortlich genug sein zu können, das in meiner Rede nur kurz angedeutet habe, was Sie so eindringlich und klar in der Ausführung in den Vordergrund geschoben haben..." (197). St. erinnert an Bonhoeffers Gedenkrede 1930, die hervorhob, "daß Harnack ein Theologe, nichts als ein Theologe sein wollte" (197). Zuletzt geben Kurzbiographien zu den Personen in Möllers Erinnerungen wertvolle Hinweise (215-247). Der Band sollte interessierte Leser finden auch außerhalb von Kiel und Schleswig-Holstein.