Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2012

Spalte:

442–444

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Marten, Maria

Titel/Untertitel:

Buchstabe, Geist und Natur. Die evangelisch-lutherischen Pflanzenpredigten in der nachreformatorischen Zeit.

Verlag:

Bern/Berlin/Bruxelles/Frankfurt a. M./New York/Oxford/ Wien: Lang 2010. 394 S. m. Abb. 24,0 x 16,0 cm = Vestigia Bibliae, 29/30. Kart. EUR 72,70. ISBN 978-3-0343-0336-1.

Rezensent:

Stefan Michel

Blumen haben eine eigene Sprache, die sich oft sehr eindrücklich entfaltet, wenn man welche verschenkt. Dass Blumen im Laufe der Kirchengeschichte auch eine geistliche Dimension zugemessen wurde, ist manchmal in einem barocken Kirchenraum zu erahnen, in dem z. B. an Emporen Blumendarstellungen zu finden sind, die vielleicht für bestimmte christliche Eigenschaften stehen. Wenn Blumen in Kirchenräumen dargestellt wurden, so ist möglicherweise auch damit zu rechnen, dass sie in Predigten eine gewisse Rolle spielten. Heute kommt es zwar recht selten vor, dass Blumen zum Gegenstand einer Predigt herangezogen werden – höchstens dann, wenn Paul Gerhardts Lied »Geh aus mein Herz und suche Freud« gesungen und dann ausgelegt wird, in dem sich »Narzissus und Tulipan« herausgeschmückt haben. Maria Marten führt je­doch in ihrer von Heimo Reinitzer betreuten Hamburger germa-nis­tischen Dissertation vor Augen, dass nicht nur Blumen in Pflanzenpredigten in nachreformatorischer Zeit, genauer zwischen 1550 und 1633, sehr wohl vorkamen.
M. ermittelt im genannten Zeitraum zunächst einen Quellenbestand von 73 Predigten (21–23), die als Einzeldruck oder in Predigtsammlungen überliefert wurden. Sie begründet ihre Abgrenzung damit, dass es in der Predigtlehre wie in der Pflanzenauffassung nach 1630 zu Neuansätzen kam. Dies wird vor allem durch den »Ausblick« am Ende des Bandes näher belegt (302–307), in dem M. auf Emblematik, Signaturenlehre und Physikotheologie des 17. Jh.s verweist. Den Forschungsgegenstand selbst bestimmt M. als die »pflanzenallegorische Predigt« (13). Sie liefert mit dem Buch einen Beitrag zur kaum erforschten Predigtgeschichte um 1600.
In sechs Kapiteln durchmustert M. ihr Quellenmaterial unter verschiedenen Blickrichtungen. Sie beginnt nach der Einleitung (Kapitel I, 11–31) in einem zweiten Kapitel mit den »Pflanzeneigenschaften als Deutungsansätze« (33–100). Dieser Abschnitt hat fast die Qualität eines Lexikons, da der Leser über Deutungsansätze der Pflanzenteile (z. B. Wurzel), der Merkmale (z. B. Geruch), der Wirkungen (z. B. schmerzlindernd) sowie über magische Wirkungen und Nutzung der Pflanzen mit zahlreichen Quellenbelegen informiert wird. Im dritten Kapitel beschreibt M. nun die »Deutungen der Pflanzeneigenschaften« (101–132) und bedient sich dazu der Übersichtlichkeit wegen dogmatischer Loci (z. B. Christologie, Ständelehre, Ekklesiologie). Sehr ausführlich zeichnet M. im vierten Kapitel die »Voraussetzungen der evangelischen Pflanzendeutung« (133–190) nach. Sie bespricht dabei anhand zahlreicher Beispiele die Methode der Allegorese biblischer Texte, die sich in der Alten Kirche entwickelte und in der Reformation modifiziert wurde, sowie »das Verhältnis von Naturkunde und Theologie«.
Nach diesen Abschnitten, die fast als Vorbemerkungen zu lesen sind, kommt M. im fünften Kapitel auf die Quellen selbst zu sprechen, die sie nun als Predigten würdigt und analysiert (191–243). M. beginnt mit »Vorüberlegungen zur evangelisch-lutherischen Predigt«. Dabei benennt sie das Problem, dass die gedruckten Texte eine literarische Gestalt besitzen und nicht unbedingt so vorgetragen worden sein müssen. Außerdem ist ihre Wirkung als Lektüre nicht zu ermessen. Sie ordnet die Predigtdrucke der Erbauungsliteratur zu. Sie können der Gattung nach aber auch als »Tugendschriften« oder »Trostschriften« angesehen werden. M. analysiert nun die Predigten hinsichtlich ihrer »rhetorischen Gestalt«, ihres »Sammelrahmens« und ihrer Quellen und bespricht die enthaltenen Illustrationen.
Im nächsten Abschnitt »Zur Bibelerklärung in der Pflanzenpredigt« (245–276) arbeitet M. Traditionsbezüge der (nach)reformatorischen Pflanzenallegorien zur altkirchlich-mittelalterlichen Tradition heraus, weist aber auch darauf hin, dass die neuen Predigten stets einen christologischen Akzent aufweisen. Mariologische Be­züge treten beispielsweise zurück. Bei der Betrachtung der Predigten fällt weiterhin auf, dass sie oft nicht an die Predigtperikope eines Sonntags gebunden waren, sondern die Texte von den Predigern frei gewählt wurden. Dies verwundert z. B. bei Hochzeitspredigten auch nicht. Schließlich untersucht M. »die Funktion der Pflanzenauslegungen in den Predigten«. Dabei stellt sie fest, dass sie von Pfarrern wiederverwendet und von sonstigen Lesern zur Erbauung benutzt werden konnten.
Als zur Orientierung sehr nützlichen Anhang bietet M. die »Biogramme der Pfarrer«, besser wäre wohl die Formulierung »der Prediger« gewesen (309–313). Es verwundert aber, dass z. B. bei Adam Fusius aus Frohburg das Pfarrerbuch für Sachsen von Reinhold Grünberg (2 Bde., 1939/40) nicht herangezogen wurde.
Eindeutig ist die Quellennähe die große Stärke der Arbeit. Hinzu kommt eine durchgehende Rezeption zahlreicher einschlägiger kirchenhistorischer Untersuchungen (z. B. von Ernst Koch). Allein fraglich bleibt die Heranziehung der Quellen zur Theologie Martin Luthers. M. benutzt häufig Predigten. Dabei stellt sie z. B. fest, dass zwei Prediger »Luthers Mandelzweig-Deutung« (267) in ihren Auslegungen nicht zitierten. Dies konnten sie in diesem Fall auch gar nicht, da die entsprechende Predigt von Mai 1528 (WA 25, 466, 4 f.) erst 1902 ediert wurde. Bis dahin war sie als Literatur nicht verfügbar. Die große Schwäche der Arbeit ist tatsächlich die Auswahl des reformatorischen Vergleichsmaterials von Luther und Melanchthon. M. benutzt die Heidelberger Disputation (107), die frühen Vorlesungen Luthers (116) oder auch die Predigten von 1521 (143). Warum werden nicht die Katechismen, die Postillen, die Galater- und Genesisvorlesung oder die Schmalkaldischen Artikel herangezogen? Gleiches gilt für Melanchthon, dessen Loci von 1521 benutzt werden, obwohl wahrscheinlich die dritte Ausarbeitung im Un­-tersuchungszeitraum weiter verbreitet war. Es ist außerdem anzumerken, dass sich im Register Lücken finden. Andreas Hyperius, dessen Rolle für eine Predigtgeschichte dringend diskutiert werden müsste, kommt z. B. auch auf Seite 101 vor.
Überdacht werden müsste vielleicht auch die Einteilung in »Predigttypen« (198), die von Wilhelm Beste (1817–1889) aus dem Jahr 1858 stammt. Bei allen Verdiensten Bestes um die Predigtgeschichte, hätte diese Entscheidung M.s besser begründet werden müssen. Sicher hätte man weiterhin als exegetisch-homiletisches Hilfsmittel (229–235) neben Melanchthons »Postilla« z. B. auch die »Quaestiones in evangelia dominicalia« von Lucas Lossius nennen können, die wohl etwas verbreiteter waren als die von Christoph Pezel besorgte Ausgabe der Sonntagsvorlesungen Melanchthons. Doch damit taucht – am Beispiel der Hilfsmittel für die Erstellung einer Predigt – wieder ein Problem auf, dass M. bereits zu Beginn ihrer Arbeit benannt hatte: Es gibt kaum Vorarbeiten für eine Predigtgeschichte des Luthertums für diesen Zeitraum.
Insgesamt ist M. ein wichtiges Buch gelungen, das einen we­sentlichen Baustein für eine noch ausstehende Predigtgeschichte um 1600 darstellt. Zugleich hilft es kulturgeschichtlich beim Verstehen der Frömmigkeit dieser Zeit, die sich in der Andachtsliteratur oder in Kirchenausstattungen auch an Blumen festmachte.