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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

428–429

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klumbies, Paul-Gerhard

Titel/Untertitel:

Von der Hinrichtung zur Himmelfahrt. Der Schluss der Jesuserzählung nach Markus und Lukas.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. IX, 236 S. 20,5 x 12,5 cm = Biblisch-Theologische Studien, 114. Kart. EUR 29,90. ISBN 978-3-7887-2460-3.

Rezensent:

Detlev Dormeyer

Paul-Gerhard Klumbies stellt thematisch neun Beiträge zusammen, von denen acht im Zeitraum von 2002 bis 2010 veröffentlicht wurden. Leitthema ist, »zwischen der mythischen Rationalität des Markusevangeliums und der hellenistisch-aufgeklärt-analyti-schen des Lukasevangeliums« zu unterscheiden (4). Entsprechend heißt das 1. Kapitel: »Rivalisierende Rationalitäten im Markus- und Lukasevangelium« (5–24). K. bricht vom Traum her eine Lanze für die Rationalität des Mythos gegenüber der neuzeitlichen mythenkritischen Vernunft (Bultmann). Mit Hübner wird die arché, der Ursprung, betont. Auf die gegenwärtig allgemein anerkannten sozio-politischen Ursprungsmythen geht K. allerdings nicht ein. Diese könnten seinen Ansatz zusätzlich absichern. Als literarisch nächste Parallele zum Markusevangelium sieht K. die antike »biographisch-historiographische« Literatur, vermisst aber den Konsens über die Gemeinsamkeiten (13 f.). Daher schlägt er als eigene Gattungsbezeichnung »mythische arché« oder »verschriftlichte Ur­sprungserzählung« vor (15). Die »Lichtverhältnisse in der Sterbe­szene Jesu in Mk 15,33.34« geben ein Beispiel: Die mythische Dunkelheit verschwindet ab der neunten Stunde, und es wird zum Sterberuf Jesu wieder hell (15 f.), während es bei Lukas dunkel bleibt (2 0f.). Mit dem gegenwärtigen Konsens kann K. auch auf die »Ringkomposition« des Markus-Schlusses verweisen. Er zielt mit der »Rhetorik des Schweigens« auf das Lesen des Anfangs des Evange­liums (Mk 1,1) (15–18). Lukas dagegen entmythologisiert arché zu einem »zeitlichen Einsatzpunkt« (19). Er »instrumentalisiert … den Mythos« ( 21).
Diese Thesen werden in den folgenden Beiträgen immer wieder durchgespielt. Kritisch lässt sich anmerken, dass der Ursprungsmythos der pathetischen, biographisch-historiographischen Literatur nicht fremd ist, sondern für sie im Unterschied zur pragmatischen Historiographie eines Thukydides und Polybios geradezu Programm ist. K. rennt hier offene Türen ein. Erst recht trifft für Lukas die Instrumentalisierung des Mythos wie bei den antiken Religionskritikern nicht zu. Pokorný weist nach, dass arché auch für Lukas den bleibenden Anfang und Ursprung bedeutet (Apg 1,1; P. Pokorný, Theologie der lukanischen Schriften [FRLANT 174], Göttingen 1998, 24–31). Den Beobachtungen zu Lukas kann ich an­sons­ten weitgehend zustimmen, nur die fortwährende antithe-tische Entgegensetzung zu Markus lässt sich m. E. nicht halten. Lukas schreibt hellenistischer, interpretiert aber weiterhin den Mythos wirkmächtig.
»Das Raumverständnis in der Markuspassion« (25–49) zeichnet die imaginäre Landkarte des Markus nach, die in ihrer Unschärfe antiker Geographie entspricht. Die markinische Topographie lässt den Tempel nahe am Ölberg liegen, also im Osten von Jerusalem. Der Feigenbaum verdorrt im Osten, weil der Tempel seine mythische Ostorientierung verloren hat. Ähnliches wiederholt sich bei der Kreuzigung. Der Hauptmann blickt von Westen nach Osten zum Tempel, weil dieser seine mythische Funktion verloren hat. Der Westen ist neuer Mythosträger. Nun behauptet K., dass Gol­-gota wie die spätantike Grabeskirche im Westen liegt, und denkt daher sowohl an eine mythische Straße vom Osten nach Westen als auch an die spätere römische Lagerstraße von Osten nach Westen. Doch gibt Markus nirgends an, wo Golgata liegt. Es kann sich außerhalb der Stadt im Osten, Süden, Norden oder Westen befin den. Für die Kreuzigungsszene wird m. E. die Standortfrage ge­-genwärtig nicht nur bei K. überinterpretiert. Ansonsten sind die Raumbeobachtungen durchaus erhellend. Dass der Todesschrei Jesu den Geist schon jetzt »horizontal« pfingstlich ausströmen lässt, ist eine mögliche Deutung (42), passt aber nicht ganz mit dem Gemeindebezug (Mk 13,11) zusammen; denn unter dem Kreuz stehen gerade nicht die Jünger, sondern diese finden erst in Galiläa zum Auferweckungsglauben. Die Geisterfüllung der Gemeinde be­ginnt erst mit der Auferweckung.
»Das inszenierte Sterben Jesu. Lebensentwürfe nach Markus und Lukas« (50–71), »Weg vom Grab! Die Richtung der synoptischen Grabeserzählungen und das ›heilige Grab‹« (71–106), »Die Verknüpfung von Auferweckungsbekenntnis und leerem Grab in Mk 16,1–8« (106–129) arbeiten die im 1. Kapitel angesprochenen Themen mit der »exegetischen hard science« aus (VII). Wegen der »thematischen Nähe« (VII) kommt es zwar wiederholt zu Überschneidungen, diese sind aber wegen der vertieften begrifflichen und narrativen Ausarbeitungen anregend und weiterführend. Besonders im Beitrag »Das Sterben Jesu als Schauspiel nach Lk 23,44–49« (144–172) gelingt es K., den Begriff »theoria« als Schlüsselbegriff öffentlicher Inszenierungen zu erschließen. Wie in 3Makk die beabsichtigte Hinrichtung von Juden wird die Kreuzigung Jesu als Schauspiel erzählt. »Himmelfahrt und Apotheose Jesu in Lk 24,50–53« (172–197) referieren gründlich die religionsgeschichtlichen Parallelen, insbesondere die Apotheose der Kaiser ab Cäsar. Die Hoheit des irdischen Jesus wird durch die Himmelfahrt bestätigt und zur nachösterlichen Präsenz des Erhöhten verwandelt. »Mk 16,1–8 als Verbindung zwischen er­zählter und außertextlicher Welt« (129–144) arbeitet mit narrativen Methoden anschaulich die Textpragmatik aus.
Insgesamt liegt eine methodisch anspruchsvolle, kenntnisreiche Studie zu den beiden Schlüssen des Markus und Lukas vor, die viele neue Anregungen gibt.