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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

425–428

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klaiber, Walter

Titel/Untertitel:

Jesu Tod und unser Leben. Was das Kreuz bedeutet.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2011. 208 S. 19,0 x 12,0 cm. Kart. EUR 12,80. ISBN 978-3-374-02845-0.

Rezensent:

Christoph Kähler

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Hampel, Volker, u. Rudolf Weth [Hrsg.]: Für uns gestorben. Sühne – Opfer – Stellvertretung. M. Beiträgen v. P. Bukowski, U. Eibach, K. Haacker, V. Hampel, B. Janowski, G. Kittel, W. Klaiber, Th. Knöppler, K.-H. Menke, R. Stuhlmann, R. Weth, U. Wilckens, M. Wolter u. d. Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. X, 262 S. m. 1 Abb. 22,0 x 14,5 cm. Kart. EUR 19,90. ISBN 978-3-7887-2436-8.


Beide Bände beziehen sich ausdrücklich auf die von Klaus-Peter Jörns (2004) wieder angestoßene Debatte über die Heilsbedeutung des Todes Jesu und verstehen sich als Einsprüche zu Jörns Bestreitung. Sie greifen damit ein Thema auf, das auch jenseits der akademischen Theologie engagierte Gemeindeglieder beunruhigt und beschäftigt. Walter Klaiber nimmt darauf in der ersten Kapitelüberschrift Bezug: »Für mich ist er nicht gestorben« (9). Im Sammelband beschäftigt sich besonders Klaus Haacker (43–54) theologisch mit den ernsthaften Anfragen an problematische Deutungen des Todes Jesu, ehe er die Lebenswirklichkeit des »Fluchs der bösen Tat« und die »Er-lösung« von diesem Schicksal durch den Tod Jesu skizziert.
Als Adressaten dieser Publikationen sind Pfarrerinnen, Religionslehrer und interessierte Christen gedacht, die eine ausführlichere, zusammenfassende Auseinandersetzung für das eigene Nach­denken und die Arbeit mit Fragenden suchen. Beide Werke wollen dazu Ergebnisse der exegetischen und systematischen Ar­beit allgemeinverständlich wiedergeben, beanspruchen aber nicht, neue Hypothesen in die Forschung einzubringen.
Dem entspricht die übersichtliche lehrbuchartige Darstellung bei Klaiber, der seinen Kapiteln auch Fragen als Überschrift gibt und sie in der Regel mit einer thesenartigen Zusammenfassung schließt. Systematisch werden die Unterthemen abgehandelt, von der pastoral veranlassten Problemstellung, den historischen Fragen zum Kreuzestod Jesu und dem österlichen Deutungshorizont über die alttestamentlichen Texte zum Leiden des Gerechten und die jüdischen Opfer- und Sühnevorstellungen bis zu den verschiedenen Deutungen des Todes Jesu in den neutestamentlichen Schriften. Zum Schluss hin werden die Bezüge zu Taufe und Abendmahl hergestellt, das Selbstverständnis des historischen Jesus wird skizziert und systematisch eingeordnet. Ein Resümee rundet das Ganze ab. Auch in dem Sammelwerk ist Klaiber mit einem Beitrag vertreten (33–42), der seine Sicht komprimiert. Sie entspricht einem verbreiteten Konsens, nach dem es nicht allein darauf ankommt, was als ipsissima vox anzunehmen ist (für Klaiber sind das Mk 10,45 und ein Kern der Einsetzungsworte), sondern auf den – im Glauben bedachten – Zusammenhang zwischen dem vorösterlichen Wirken Jesu, dem Kreuzestod und den Ostererfahrungen der Jünger. (Zu diesen rechnet Klaiber auch das leere Grab.) Erst durch diesen Zusammenhang ist eine angemessene Deutung des Todes Jesu durch die Liebe Gottes, seine Solidarität mit den Leidenden und seine Kondeszendenz möglich, wofür alttestamentliche Vorbilder metaphorisch genutzt und umgeprägt werden.
Die durch Hampel und Weth vorgelegte Aufsatzsammlung unterscheidet sich von der systematischen Darstellung Klaibers. Zum einen verstehen die Herausgeber ihre Publikation als Fortsetzung und im Zusammenhang eines von Weth verantworteten Bandes von 2001 (Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne), aus dem sie einen Zwischenruf Rainer Stuhlmanns »Blutleere in Predigt und Mahl?« wiederum aufgenommen haben (223–229). Zum anderen versammeln sie ein ganzes Spektrum von Positionen. Das wird besonders deutlich an der Zusammenstellung des einleitenden Aufsatzes von Michael Wolter »Für uns gestorben« (1–15) mit einer ökumenischen Rede, die Ulrich Wilckens in Hamburg gehalten hat (17–32). Wolter mahnt in seinem Beitrag Vorsicht gegenüber der Sühne- und der Stellvertretungsterminologie an, da sie sekundäre Systematisierungen seien, hält aber wie Wilckens den schändlichen Tod am Kreuz für einen integralen, wenn auch für Nichtchristen befremdlichen Teil der Offenbarung, die sich nur von Ostern her erschließt. Die Bedeutung des Todes Jesu beruht für Wilckens dagegen wesentlich auf der Inkarnation des Gottessohnes, die auch im Anspruch des historischen Jesus explizit gewesen sei.
Alle Beiträge widersprechen Jörns in mindestens dem einen Punkt, dass die neutestamentlichen Zeugnisse mit ihren vorwiegend metaphorischen Bezügen auf Opfer-, Sühne- und andere Terminologien nicht eliminiert werden dürfen, sondern zu interpretieren sind. So führt Bernd Janowski unter dem Leitbegriff Lebenshingabe, die sich nicht auf den Tod beschränken lässt, die Nutzung der Hirtenmetaphorik in Joh 10, die Bezüge auf den Psalter in der Markuspassion und die Verwendung der Sühneortmetapher in Röm 3,25 als Belege seiner These vor (55–72). Volker Hampel verfolgt die Entwicklung messianischer Vorstellungen im Judentum, bezieht diese auf den verdeckten messianischen Selbstanspruch Jesu als »Menschensohn«, sein relatives irdisches Scheitern und die sich daraus entwickelnde Erwartung seines Todes für andere (Mk 10,45). Hampel sieht diese Selbstinterpretation Jesu als Aufnahme und Umdeutung von Jes 43,3 f. und fasst so Ergebnisse seiner Tübinger Dissertation von 1982 zusammen (73–115). Gisela Kittel beschreibt den Realitätsbezug des Tat-Folge-Schemas, weist kurz das Missverständnis eines Rache begehrenden Gottes zurück und konzentriert sich dann auf die Hinweise, die der Abendmahlsüberlieferung für das Verständnis der stellvertretenden Sühne als zentraler Deutekategorie des Kreuzestodes zu entnehmen sind (117–133). Die Frage »War Jesu Tod ein Menschenopfer?« verneint Thomas Knöppler, indem er Ergebnisse seiner Promotion und Ha­bilitation resümiert. Dazu bespricht er kurz Röm 8,32 und Joh 3,16, stellt den bildlichen Gebrauch der Opferterminologie in Eph 5,2 wie im Hebräerbrief dar und verfolgt die Texte, in denen vom (Opfer)Lamm die Rede ist (1Petr; Joh 1 und Apk). Ulrich Eibach (155–189) beginnt mit einer zeitkritischen Diagnose (»Gott wird zum Prädikat des Menschen«, 158), setzt zur Sache dann mit einer kursorischen Behandlung der neutestamentlichen Stellen ein, die die stellvertretende Lebenshingabe Jesu belegen, um anschließend die Kritik an der Heilsbedeutung des Todes Jesu zu referieren, die er letztlich auf ein falsches Menschenbild zurückführt, das die Sünde nicht ernst nimmt. Dagegen setzt Eibach Überlegungen zur ge­genwärtigen Bedeutung des stellvertretenden Todes Jesu, die aus konkreten Erfahrungen des langjährigen Klinikseelsorgers gespeist werden. Ihm geht es dabei um das Recht der Opfer, die Sinnhaftigkeit der Gerichtserwartung und die trinitarische Dimension des Themas, gerade weil der stellvertretende Tod Jesu letztlich ein Mys­terium bleibt.
Der einzige katholische Beitrag des Bandes stammt aus der Feder des Bonner Dogmatikers Karl-Heinz Menke. Er skizziert zunächst knapp die Entstehung der Satisfaktionstheorie, weist sie unter Berufung auf den biblischen Befund gemäß der »Tübinger Schule« ab und setzt sich ausführlich mit René Girards Opferphilosophie auseinander. Ihre Überwindung will er mithilfe der Opfertheologie des Hebräerbriefes herbeiführen, durch die er in der Eucharistie nicht nur die Gabe Christi, sondern auch das Opfer der Empfänger sieht. Das ergibt eine »inklusive Stellvertretung«, d. h. eine Beziehung durch die die Sünder in das Wirken Christi hineingenommen werden.
Rudolf Weth selbst fügt eine Skizze ein, in der die innerevangelische Lehrentwicklung bis zur heutigen Abendmahlsgemeinschaft beschrieben, die ökumenischen Gespräche resümiert und die drängenden Fragen der fehlenden Mahlgemeinschaft zwischen katholischen und evangelischen Christen gestellt werden. Die Autoren-Beiträge enden mit einer Meditation von Peter Bukowski, der eine Kreuzigungsskizze von Pablo Picasso mit dem Gedanken des stellvertretenden Leidens zusammenhält.
Den Band beschließen 20 Thesen aus einer Stellungnahme des Leitenden Geistlichen Amtes der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau von 2008 zur umstrittenen Deutung des Todes Jesu. Sie stellen den Versuch dar, den Stand der Jörns-Debatte, die Ergebnisse der Exegese und eine systematische Bewertung zu bieten. Darin halten sie an dem auch heute sinnvollen Reichtum der Perspektiven auf den Kreuzestod, an dem guten Sinn der Opfermetaphorik und daran fest, dass Gott Subjekt der Versöhnung und nicht ihr Objekt ist.
So ergibt sich in diesem Sammelband ein ganzes Spektrum un­terschiedlicher Akzentsetzungen, differierender Grundannahmen und verschieden starker Thesen. Beide Publikationen können insofern komplementär zueinander gelesen werden, als der stringenten Systematik der einen die Mehrstimmigkeit der anderen gegenübersteht.