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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

421–423

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jericke, Detlef

Titel/Untertitel:

Regionaler Kult und lokaler Kult. Studien zur Kult- und Religionsgeschichte Israels und Judas im 9. und 8. Jahrhundert vor Christus.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz (in Kommission) 2010. IX, 248 S. m. Abb. 24,0 x 17,0 cm = Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins, 39. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-447-06253-4.

Rezensent:

Hebräisch

Die Heidelberger Habilitationsschrift aus dem Wintersemester 2004/2005 setzt sich das Ziel, die Kultpraxis Israels und seiner un­mittelbaren Nachbarn im 9. und 8. Jh. aufgrund des archäologischen und epigraphischen Befundes zu rekonstruieren (1–7). Sie setzt O. Keels und Ch. Uehlingers Religionsgeschichte auf ikonographischer und epigraphischer Basis, H. Niehrs Konzept des »Höchsten Gottes« und das »Drei-Ebenen-Modell« der Religion (Familie – Ort/Region – Staat) von B. Lang, M. Weippert und anderen voraus (7–16). Danach werden die »archäologischen« und »epigraphischen Dokumente« vorgestellt (16–18; im Fall der Archäologie von Dokumenten zu sprechen statt von Daten, scheint mir ein terminologischer Missgriff zu sein). Der zeitliche Rahmen wird mit »von Omri bis zum Fall Samarias« umrissen (18), der kulturgeschichtliche Rahmen mit »Syrophönizischer Kultur«, die gleich anfangs als urban charakterisiert wird (ebd.). Das setzt ein sehr niederschwelliges Verständnis von Urbanität voraus – im umrissenen Zeitraum gab es in Israel und Juda keine Siedlung von mehr als 20 ha, d. h. keine Stadt mit mehr als 5000 Einwohnern. Auch »Hochkultur« (19 und danach immer wieder) ist für den Lebens- und Luxus-Standard Israels und seiner Nachbarn in dieser Zeit eine Übertreibung – im Vergleich zum gleichzeitigen Phönizien, aber vor allem Mesopotamien und Ägypten sind wir doch sehr in der Provinz. In der Frage der Periodisierung und der Chronologie schließt sich die Arbeit der Low Chronology an, wofür es heute (November 2011) noch mehr und bessere Gründe gibt als 2004/5 (20–36).
Das 2. Kapitel betrachtet »innerstädtische Tempelgebäude« (37–74), und zwar in Jerusalem, Samaria, Arad und Dan, wobei es für Jerusalem und Samaria keine einschlägigen archäologische Befunde gibt und Arad X-VI m. E. beim besten Willen nicht als Stadt angesprochen werden kann; es war eine königliche Festung mit einer Besatzung kaum über 50 Mann, nach römischer Terminologie also ein burgus, kein castellum. Das Fazit (73 f.) ist korrekt: »Aus archäologischer Sicht lässt sich für das 9./8. Jh. im Gebiet von Israel-Samaria und Juda-Jerusalem kein innerstädtischer mehrräumiger Tempel nachweisen.«
Kapitel 3 ist »innerstädtischen einräumigen Anlagen und vergleichbaren Funden« gewidmet (75–119), und zwar in Dan, ‘En Gev, Megiddo, Tell Abū̄ Qudēs, Taanach, Tel ‘Amal, Tel Rehov, Sama-ria, Mak-iš̌/Tel Mik-al, Jerusalem, Lachisch, ‘En Ha.tseva, Dibon und H ̮˘ irbet el-Mudēyine (und WT-13). Die Siedlungsgröße wird nirgends berücksichtigt, und trotz dem Bekenntnis zur Low Chronology in der Einleitung werden Datierungen der Ausgräber unkorrigiert übernommen. Dass in Ammon noch kein Tempel ausgegraben wurde (101), ist nicht richtig. Westlich von ‘Amman stand im 7. Jh. ein Sin-Tempel, der freilich bislang nur durch die Umzeichnung einer Fotografie dokumentiert ist. Das »weitgehende Fehlen von Stadttempeln in Palästina im 9./8. Jh.« wird auf »nordsyrischen Kulturtransfer« zurückgeführt (110–119), der mir unter den Omriden gut, unter Jerobeam II. gar nicht vorstellbar ist.
Kapitel 4 untersucht den »Kult am Stadttor« (121–143) anhand von Dan, Pseudo-Betsaida, Kinneret, Megiddo, Tirza, Tel Šĕva (nicht Beerscheba) und Kuntillet ’Aǧru-d. Die beiden erstgenannten Orte waren zur Zeit der einschlägigen Befunde aramäisch, nicht israelitisch. Dieser Kult wird als typisch regional charakterisiert (143).
Kapitel 5 ist den epigraphischen Zeugnissen gewidmet (145–176), und zwar der Tell-Dan-Inschrift (aramäisch!), der Mescha-Stele, der Zitadellen-Inschrift von ‘Amman, der Bileam-Inschrift von Sukkot, den Inschriften aus Kuntillet ’Aǧru-d, H ̮˘ irbet el-Qō̄m und H ̮˘ irbet Bēt Lē̄y. Die »Zusammenfassung und Interpretation der Befunde« (177–191) führt zu »Modifikationen des Drei-Ebenen-Mo­dells« (181–183), wovon das vorgeschlagene »Vier-Ebenen-Modell« plausibel ist, weil es die unter dem dünnen Firnis der Staatlichkeit weiterexistierenden Tribalstrukturen Israels in dieser Zeit voll re­flektiert: