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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

418–421

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dozeman, Thomas B., Schmid, Konrad, and Baruch J. Schwartz[Eds.]

Titel/Untertitel:

The Pentateuch. International Perspectives on Current Research.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XVIII, 578 S. 23,0 x 15,5 cm = Forschungen zum Alten Testament, 78. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-150613-0.

Rezensent:

Karin Finsterbusch

Der zu besprechende Sammelband enthält 27 englischsprachige Beiträge eines im Januar 2010 veranstalteten Kongresses in Zürich zum Thema Komposition des Pentateuch. Die Lektüre des Bandes ist ein ausgesprochen interessantes Erlebnis. Deutlich zeigt sich der Unterschied zwischen historisch-kritisch arbeitenden englischsprachigen und israelischen Exegetinnen und Exegeten auf der einen und kontinentaleuropäischen auf der anderen Seite: Während Erstere vielfach an der Vierquellen-Hypothese (Documentary Hypothesis, untrennbar verbunden mit dem Namen Wellhausen) festhalten, so gibt es unter Letzteren kaum welche, die sie noch vertreten (der Fokus liegt hier eher auf der Unterscheidung zwischen priesterschriftlichen und nichtpriesterschriftlichen Texten in Zusammenschau mit komplexen Redaktionsmodellen, un­trenn­bar verbunden mit dem Namen Rendtorff). Neben diesem grundlegenden Unterschied zeugen die Beiträge davon, dass die Exegetinnen und Exegeten in der ersten wie der zweiten Gruppe in Bezug auf die Ergebnisse der kleinräumigen Textanalysen weit von einem Konsens entfernt sind; so bleiben die Einschätzungen z. B. in Bezug auf Schichtung und zeitliche Einordnung der Texte disparat. Was sind die Gründe für diese Situation? Den Herausgebern zufolge sind die wissenschaftlichen Diskurse »to say the least, poorly connected to each other, at times even independent from one another. Each operates with its own set of working assumptions, each uses different me­th­ods, and each produces its own results. In every other academic dis­cipline, such a situation would be felt to be untenable. The field of biblical studies, however, is only beginning to see the essential need to deal with these differences in order to achieve sustainable progress in its scholarly discourse« (XI). Die entscheidende Frage ist freilich, was unter »progress« genau zu verstehen ist.
Das Buch ist in fünf Abschnitte unterteilt. Die sechs Beiträge des ersten Teils (»Current Issues in Methodology«, 3–122) konzentrieren sich auf grundsätzliche Fragestellungen bezüglich Komposition und Exegese des Pentateuch.
B. J. Schwartz verneint die Frage »Does Recent Scholarship’s Critique of the Documentary Hypothesis Constitute Grounds for Its Rejection?«. Er legt dar, dass der Dissens insbesondere bezüglich der Quellen J und E noch kein Grund sei, die Vierquellen-Hypothese als solche aufzugeben; seiner Meinung nach kann sie das Werden des Pentateuch nach wie vor am plausibelsten erklären. K. Schmid (»Has European Scholarship Abandoned the Documentary Hypothesis? Some Reminders on Its History and Remarks on Its Current Status«) bietet einen Überblick über Dokumenten-, Fragmenten- und Ergänzungshypothesen und zeigt, dass auch europäische Exegetinnen und Exegeten durchaus mit »Dokumenten« rechnen (wie z. B. dem Bundesbuch), die freilich nicht unbedingt zu den »klassischen« gehören. R. G. Kratz (»The Pentateuch in Current Research: Consensus and Debate«) benennt als magnus consensus unter europäischen Exegetinnen und Exegeten die Annahme der literarischen Einheiten Dtn, P und BB sowie die Überzeugung, dass die nichtpriesterlichen und nichtdeuteronomischen Texte im Pentateuch als unabhängige Traditionen existierten. Offene Fragen zielen nach Kratz auf das Wie und Wann der Vereinigung dieser Traditionen sowie auf die Beziehung des Dtn zu Tetrateuch bzw. vorderen Propheten (wurde das Dtn einst, wie Kratz gegen die Mehrheit seiner Kollegen annimmt, eigens für den Hexateuch-Kontext komponiert?). D. M. Carr zieht in »Scribal Process of Coordination/Harmonization and the Formation of the First Hexateuch(s)« für die Erklärung der Entstehung des Pentateuch bekannte Modelle von antiker Textentstehung heran. Eine dominante Rolle bei der Zusammenfügung verschiedener Dokumente spielte die Harmonisierung; in Bezug auf den Pentateuch weist Carr u. a. nach, dass Pentateuchschreiber Deuteronomium und Tetrateuch in Bezug auf die gemeinsamen Stoffe sekundär koordinierten. B. D. Sommer (»Dating Pentateuchal Texts and the Perils of Pseudo-Historicism«) problematisiert die häufig vorgenommene Datierung von Texten auf der Grundlage von »Ideen«. Das Vorkommen einer Idee in einer bestimmten Epoche sagt, so Sommer zu Recht, nichts über die Entstehungszeit dieser Idee aus. Der Titel des Beitrags von J.-L. Ska, »The Limits of Interpretation«, stammt von Umberto Eco; in seinem gleichnamigen Buch findet sich der Satz: »The limits of interpretation coincide with the rights of the text«. Nach Ska besteht das Recht des Textes darin, dass er nicht (zu schnell) »atomisiert« wird. Ska zeigt an einigen Beispielen, dass Spannungen im Text mehr mit narrativem hebräischem Stil als mit der angenommenen redaktionellen Zusammenfügung mehrerer Quellentexte zu tun haben.
Die ersten vier Beiträge des zweiten Teils (»Genesis«, 125–240) beziehen sich auf die Urgeschichte.
T. Krüger (»Genesis 1:1–2:3 and the Development of the Pentateuch«) geht den literarischen Spannungen im ersten Schöpfungsbericht nach. Im Mittelpunkt des Beitrags von M. Bauks (»Text- and Reception-Historical Reflections on Transmission and Hermeneutical Techniques in Genesis 2–3«) steht Gen 2,25; dieser Vers verband nach Bauks die einst selbständigen Traditionen von Schöpfung und Paradies. Nach J. C. Gertz (»Source Criticism in the Primeval History of Genesis: An Outdated Paradigm for the Study of the Pentateuch?«) wurde in die p Fluterzählung nur ein Teil einer nichtpriesterschriftlichen Fluter­zählung eingearbeitet. Dies macht die Rekonstruktion der nichtpriesterschriftlichen Quelle unmöglich und ist somit ein Argument gegen die Vierquellen-Hypothese, nach der Redaktoren die Quellen nahezu unverändert zu­sam­mengestellt haben. Nach J. Hendel (»Is the ›J‹ Primeval Narrative an In­dependent Composition? A Critique of Crüsemann’s ›Die Eigenständigkeit der Urgeschichte‹«) gehört die nichtpriesterschriftliche Urgeschichte zur Quelle »J«, die sich durch einen »Leitwortstil« auszeichnet. Der Beitrag von S. Shectman bezieht sich auf die Erzelterngeschichten (»Rachel, Leah, and the Composition of Genesis«): Shectman erklärt Gen 31,14 f. einleuchtend als Lösung eines Redaktors im Hinblick auf die Unterschiede in der Heiratspraxis von Isaak und Jakob auf der einen (aramäische Frauen aus einer Familie) und Jakobs Söhnen (kanaanäische Frauen) auf der anderen Seite. In seinem Beitrag »Righteousness in the Joseph Story: Joseph Resists Seduction (Genesis 39)« zeigt C. Levin, dass sich die Josephsgeschichte gattungsgeschichtlich (im Unterschied zu den Erz­elterngeschichten) am besten als traditionelle »Märchenerzählung« verstehen lässt, die von dem Redaktor »J« mit anderen ursprünglich selbständigen Traditionen zusammengearbeitet wurde.
Der dritte Teil (»Exodus – Deuteronomy«, 243–344) wird eröffnet durch den Beitrag von R. Albertz: »The Late Exilic Book of Exodus (Exodus 1–34*): A Contribution to the Pentateuch Discussion«.
Laut Albertz wurde eine spätexilische Exoduserzählung (Ex 1–34*) durch p Redaktoren ergänzt und zu einem »Triteuch« (Gen–Lev) ausgearbeitet; dieser wurde dann mithilfe der »Brücke« Num mit dem Dtn verbunden. Nach T. B. Dozeman (»The Priestly Wilderness Itineraries and the Composition of the Pentateuch«) wurden die p Wüstenitinerarien sekundär zum vorliegenden Pentateuch hinzugefügt, und zwar so, dass sie über die nichtpriesterschriftlichen Itinerarien dominieren (»aggressive Redaktion«). E. Blum (»The Decalogue and the Composition History of the Pentateuch«) rekonstruiert einen vorexilischen »Heptalog« (ohne Shabbatgebot, Elternmissachtungsverbot und Bilderverbot) als Teil einer Moseerzählung in Exodus. Dieser Heptalog diente nach Blum als Vorlage für den ersten Dekalog in Dtn 5, der als Teil des exilischen DtrH formuliert wurde. S. Chavel (»The Literary Development of Deuteronomy 12: Between Religious Ideal and Social Reality«) sieht das Gebot, nur am Tempel Fleisch zu verzehren (Dtn 11,31–12,12), blockweise erweitert und revidiert, bis die Bedeutung des Tempels schließlich durch die letzte Erweiterung (Dtn 12,13–19) zu einem »matter of deictic symbolism« wurde. J. S. Baden (»The Deuteronomic Evidence for the Documentary Theory«) kommt durch den Vergleich der Versionen der Richtereinsetzung und der zweiten Gabe der Dekalogtafeln im Dtn und Tetrateuch zu dem Ergebnis, dass die Tetrateuchtexte Quellen für D sind, wobei D nur Elemente aus E aufgenommen hat.
Die Beiträge im vierten Teil beschäftigen sich mit Fragen der Komposition von »P, H and D« (347–432).
Nach S. M. Olyan (»An Eternal Covenant with Circumcision and Its Sign: How Useful a Criterion for Dating and Source Analysis?«) entstand die Idee der Beschneidung als Zeichen eines ewigen Bundes in Babylon in der Exilszeit: Beschneidung ist vorexilisch keine judäische Besonderheit, die Rede vom ewigen Bund kein Merkmal nachexilischer Literatur. Der Schlüssel zur Beantwortung der Frage »Who Edited the Pentateuch?« liegt nach I. Knohl im Rahmenwerk des Pentateuch begründet, für das Endredaktoren verantwortlich waren, die, wie aus der spezifischen Thematik der Verse zu schließen ist, zu einer »Heiligkeits-Schule« gehörten. J. Stackert zeigt in seiner sorgfältigen Studie »Distinguishing Innerbiblical Exegesis from Pentateuchal Redaction: Leviticus 26 as a Test Case«, dass die Rede von berit in Lev 26 im Rahmen der Komposition P+H verständlich ist (ohne Einfluss einer PentR). I. Kislev weist in »P, Source or Redaction: The Evidence of Numbers 25« P als Quelle (zu der der Bericht Num 25,5–13 gehörte) und Redaktion nach (die für die Zusammenstellung dreier unabhängiger Berichte in Num 25 verantwortlich war). Nach C. Nihan (»The Laws about Clean and Unclean Animals in Leviticus and Deuteronomy and Their Place in the Formation of the Pentateuch«) wurde in Dtn 14,1–21 und Lev 11,1–47 eine ältere exilische Vorschrift nachexilisch separat ausgearbeitet; dies gegen Versuche, in Lev 11 post-D oder in Dtn 14,1–21 post-p Ergänzungen auszumachen.
Der letzte Teil versammelt fünf Beiträge zum Thema »Pentateuch in the Hebrew Bible and Its History of Reception« (435–531).
R. Achenbach zeichnet in »›A Prophet like Moses‹ (Deuteronomy 18:15) – ›No Prophet like Moses‹ (Deuteronomy 34:10): Some Observations on the Relation between the Pentateuch and the Latter Prophets« komplexe redaktionelle Prozesse bezüglich der Beziehung von Tora- und Prophetentexten nach, ausgehend von Aussagen zu Moses Autorität als Prophet im Dtn. G. Auld (»Reading Genesis after Samuel«) vertritt aufgrund gemeinsamer Sprachelemente die These, dass die Autoren der Gen vielfach Sam benutzten und Sam dabei implizit kommentierten und kritisierten. T. Römer (»Extra-Pentateuchal Biblical Evidence for the Existence of a Pentateuch? The Case of the ›Historical Summaries‹, Especially in the Psalms«) kann zeigen, dass einige Summarien die Idee des Pentateuchs/Hexateuchs reflektieren. J. W. Watts (»Using Ezra’s Time as a Methodological Pivot for Understanding the Rhetoric and Functions of the Pentateuch«) weist auf die grundlegende Veränderung des Pentateuch in der persischen Zeit hin (er beginnt, als Schrift zu »funktionieren«) und fragt nach Implikationen dieser Veränderung für die historisch-kritische Methode. G. N. Knoppers (»Parallel Torahs and Inner-Scriptural Interpretation: The Jewish and Samaritan Pentateuchs in Historical Perspective«) vertritt aufgrund der Nähe der Pentateuchversionen MT und SP die These, dass der Pentateuch einst ein gemeinsames jüdisches und samaritanisches Unternehmen war, insofern beide Gruppen identitätsrelevante Traditionen teilten und der Pentateuch grundlegende Ansprüche beider Gruppen bedienen konnte (Abstammung von einem gemeinsamen Ahnen).
Insgesamt bietet der Band einen hervorragenden Überblick über die in der historisch-kritischen Pentateuchforschung derzeit vertretenen Positionen. Es sei nochmals betont: Die prominent vertretene Vielfalt zeigt, dass von einem exegetischen Grundkonsens nicht die Rede sein kann.