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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

416–418

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Dohmen, Christoph

Titel/Untertitel:

Mose. Der Mann, der zum Buch wurde.

Verlag:

Leip­zig: Evangelische Verlagsanstalt 2011. 288 S. m. Abb. 19,0 x 12,0 cm = Biblische Gestalten, 24. Kart. EUR 18,80. ISBN 978-3-374-02847-4.

Rezensent:

Hans-Christoph Schmitt

Ausgehend von dem Ziel der Reihe »Biblische Gestalten«, »Biblische Theologie durch das Nachzeichnen biblischer Gestalten und ihrer Geschichte zu entfalten« (7), will das Buch des Regensburger katholischen Alttestamentlers Christoph Dohmen nicht »eine Person der Vergangenheit auferstehen lassen« (9), sondern »die Geschichte eines Zeugnisses« nachzeichnen (7). Von daher weist der Vf. in einer »Einführung« (Teil A, 9–58) darauf hin, dass es sich bei Mose um die »Zentralgestalt« der Bibel handelt (Abschnitt A 1 »Mit Mose zur Bibel«, 9–24), die durch »die Bücher des Mose« (= Tora) sowohl die Grundstruktur des jüdischen Tanak (Tora, Nebiim, Ketubim) als auch die der christlichen »Heiligen Schrift« (»Tora – Propheten – Evangelien – Taten und Worte der Apostel«, vgl. 23) bestimmt. Demgegenüber geht die Einführung nur kurz auf die Frage ein »Wer ist Mose?« (Abschnitt A 2., 24–43). Bei der Frage nach Mose als Erinnerungsfigur stellt sie unter Bezugnahme auf das sog. »Mose-Epitaph« in Dtn 34,10–12 die auch im Neuen Testament und im Koran übernommene »Zuordnung des Mose zu den Propheten« (27) heraus. In Auseinandersetzung mit dem von Jan Assmann vertretenen Verständnis der mosaischen Gedächtnisgeschichte betont der Vf., dass es bei der mosaischen Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Religion um »die Option des biblischen Gottes für Freiheit und Gerechtigkeit für alle Völker« (43, unter Zitierung von Erich Zenger) als Wahrheitskriterium gehe. Kurz streift das Bändchen auch die historische Frage: »Wer war Mose?« (Abschnitt A 3, 43–58). Dabei diskutiert es im Anschluss an Manfred Görg die Versuche einer Identifizierung Moses mit Beja, mit Amenmesse und mit Ramsesemperre und weist schließlich in überzeugender Weise auf die religionsgeschichtlichen Bezüge der alten Moseüberlieferung zu dem im Südosten Palästinas und im Nordwesten Arabiens zu lokalisierenden Midian hin. Innerhalb des Gebietes der Midianiter setzt der Vf. auch die in ägyptischen Inschriften den Jahwe-Namen belegende Bezeichnung »Land der Schasu-JHW« an und lehnt damit die in den neueren Forschung vertretenen Thesen ab, die mit einer palästinischen Herkunft Jahwes rechnen.
Der Hauptteil des Buches (Teil B: Darstellung, 59–160) konzentriert sich auf »Mose in seinen Büchern« (76–160). Vorangestellt ist ein Überblick über die fünf Mosebücher (59–76). Er zeigt, dass in ihnen die Person des Mose nur insofern zentrale Bedeutung besitzt, als es in seiner Geschichte um Gottes Landverheißung an Israel geht. In diesem auf Land und Volk bezogenen Sinne reicht die Pentateucherzählung bis zum Ende der Königsbücher, allerdings enthalten die Mosebücher die »›Gründungsgeschichte‹ …, ohne die die weitere Geschichte nicht verstanden werden kann« (63). Im Folgenden werden dann ausgewählte Geschichten der Mosebücher behandelt, »die zum Kern der biblischen Botschaft von Mose führen« (76). Der Vf. geht dabei durchweg von der Endgestalt der Mose-Geschichten aus, ohne die von der bisherigen Pentateuchforschung herausgearbeiteten literarischen Schichtungen zu berücksichtigen. Auch wenn so zahlreiche Akzentsetzungen der Überlieferungsgeschichte der behandelten Texte unberücksichtigt bleiben, ergeben sich dennoch durch die Auslegung der Mosebücher auf der Ebene des Endtextes neue Perspektiven für das Verständnis der Endredaktion des Pentateuch. Dabei kann im Folgenden nur auf einige wenige der sehr zahlreichen Beobachtungen zur Endgestalt der Mosebücher aufmerksam gemacht werden: So arbeitet der Vf. u. a. für die Endfassung der Geburtsgeschichte des Mose in Ex 2,1–10 unter Bezugnahme auf die späte genealogische Einordnung des Mose in Ex 6,20 zu Recht heraus, dass es ihr um die Betonung der »doppelten Zuordnung« (81) des Mose sowohl zu den leiblichen hebräischen Eltern als auch zu seiner ägyptischen Ziehmutter geht. Auch interpretiert er die Flucht Moses nach Midian in Ex 2,11 ff. aufgrund der Liste der Söhne Abrahams mit Ketura von Gen 25,2 als »Flucht zu den Ur­sprüngen« (88). Für die Erzählung von Moses Begegnung mit der Todesdrohung Gottes in Ex 4,24–26 weist der Vf. auf die teilweise Parallelität mit der Versuchung Abrahams in Gen 22 hin (108).
Auch macht der Vf. darauf aufmerksam, dass in der Endgestalt des Pentateuch die unterschiedlichen und sich gegenseitig relativierenden Rollen des Mose in den verschiedenen Schichten der Plagen- und der Meerwundererzählung zeigen, dass »nicht Mose, sondern JHWH der wirkliche Protagonist des Geschehens ist« (114). Bemerkenswert ist auch, dass die »Murr-Erzählungen« von Ex 15–17, wie die – m. E. auf die Endredaktion zurückzuführenden – Verweise auf göttliche Gesetzesbestimmungen in Ex 15,25; 16,4 zeigen, »auf das Sinaiereignis mit der Gabe der Tora« (121 f.) vorausblicken (vgl. auch die Erwähnung von »Horeb« in Ex 17,6).
Sehr ansprechend ist auch der Versuch des Vf.s, das Nebeneinander von zwei Fassungen des Dekalogs in der Endgestalt des Pentateuch (in Ex 20 und Dtn 5) zu erklären. In Ex 20 hat Israel nur wahrgenommen, »dass Gott spricht, aber nicht, was Gott spricht« (126), dem Bundesschluss von Ex 24 liegt als (schriftliche) Bundesurkunde nur das »Bundesbuch« von Ex 20,22–23,31 zugrunde. Von Gott auf die Steintafeln geschrieben wird der Dekalog erst in Ex 31,18 bzw. dann erneut in Ex 34,1.28. Es ist diese – zum gesprochenen Gotteswort von Ex 20 in einer »spannungsvollen Beziehung« (129) stehende – schriftliche Fassung, die von Mose in Dtn 5 zitiert wird. Wegen dieser spannungsvollen Beziehung ist die alttestamentliche Tora »darauf angelegt, … immer wieder neu ausgelegt zu werden, so wie es Mose … tut, wenn er im Deuteronomium die von ihm übermittelte Tora für das Leben der kommenden Generationen … aktualisiert« (133). Diese zentrale Bedeutung Moses für die Vermittlung der Offenbarung Gottes wird nach dem Vf. auch in dem Text über das strahlende Angesicht Moses in Ex 34,29–35 zum Ausdruck gebracht: Grundlegend für das Verständnis dieses Textes sei, dass Moses strahlendes Gesicht immer dann unbedeckt ist, wenn er mit Gott oder mit dem Volk spricht. Somit dürfte »dieses strahlende Angesicht des Mose für die Nähe Gottes bei seinem Volk in der von Mose vermittelten Offenbarung« stehen (149).
Der dritte Teil des Buches (Teil C: Wirkung, 161–275) weist zunächst (Abschnitt I »Vom Tod zum Nachleben«, 161–171) darauf hin, dass die Wirkungsgeschichte des Mose schon innerbiblisch beginnt, und zwar bereits beim Übergang von Dtn 34 zu Jos 1, wo in Jos 1,7 die Schrift gewordene Tora des Mose vorausgesetzt wird. Schon hier zeigt sich, dass »Mose« »zum Symbol für die Ethik jüdisch-christlicher Provenienz« wird (vgl. die Zusammenfassung von Teil C auf S. 275). Dieses Mose-Verständnis wird dann in der Wirkungsgeschichte der Moseüberlieferung – trotz ihrer sehr großen Vielfältigkeit – immer wieder aufgenommen. Die Vielfältigkeit zeigt das vorliegende Buch besonders an den Mose-Verständnissen der Bildenden Kunst (173–243: Abschnitt 2.1 »Die Offenbarung im Mose-Bild«, der gemeinsam von Christoph Dohmen und seiner Frau Ines Baumgarth-Dohmen verfasst wurde und dem die Abbildungen 6–33 beigegeben sind). Im Einzelnen werden dabei folgende Motive der Moseüberlieferung thematisiert: 1. Die Gesetzestafeln; 2. Die Hörner und die Decke des Mose; 3. Das Goldene Kalb; 4. Die Gottesschau des Mose am Dornbusch und am Sinai; 5. Das Offenbarungszelt. Ausgewertet werden Beispiele aus der jüdisch-christlichen Kunstgeschichte vom 5. Jh. (vgl. die Moseszenen der Holztür der Basilika Santa Sabina in Rom) bis ins 20. Jh. (u. a. die Moseskulptur von Ernst Barlach und das Mose-Steinrelief von Marc Chagall). Neben den Plastiken (vgl. auch die Moseskulpturen von Claus Sluter von ca. 1400 und von Michelangelo von ca. 1530) werden behandelt: Elfenbeinschnitzereien (besonders Elfenbeindiptychon aus dem Trier des 10. Jh.s, Elfenbeintafeln aus Salerno aus der 1. Hälfte des 12. Jh.s), Fresken (vor allem Freskenzyklus von Saint-Savin-sur-Gartempe um 1100, Fresken von Raffael in den Loggien des päpstlichen Palastes um 1520), Gemälde (vgl. u. a. Triptychon von Modena von El Greco aus der 2. Hälfte des 16. Jh.s, Exodus-Zyklus von Marc Chagall von 1966), Mosaiken (vor allem San Vitale in Ravenna aus der Mitte des 6. Jh.s), Glasmalereien (be­son­ders Anagogisches Fenster von Saint-Denis in Paris aus der 1. Hälfte des 12. Jh.s), Kohlezeichnungen (vgl. Ernst Barlach) und besonders ausführlich Buchmalereien (vgl. u. a. Ashburnham Pentateuch aus dem Italien des späten 6. Jh.s, Bibel von Moutier-Grandval aus der Zeit um 840, Weltchronik des Rudolf von der Ems von ca. 1230/50, Regensburger Pentateuch von ca. 1300). Die literarische Wirkungsgeschichte (Abschnitte 2.2–2.5) wird dann exemplarisch an »Mose als Thema früher Schriften« (244–252: u. a. Neues Testament, Philo, Artapanos, Josephus), an der Mosedeutung von Sigmund Freud (254–259) und an der Mosedarstellung Thomas Manns in seiner Novelle »Das Gesetz« (259–262) thematisiert. Auch die Mose-Ge­dichte von George Eliot (1819–1880) und Else Lasker-Schüler (1869–1945) werden knapp angesprochen (252–254). Als Beispiel für Mose in der Musik geht der Vf. auf Arnold Schönberg und seine Oper »Moses und Aron« ein (Abschnitt 2.6: »Reinheit des Denkens durch Mose in der Musik?«, 263–271). Nur kurz gestreift (Ab­schnitt 2.7: 271–273) wird schließlich »Mose im Film«.
Ein kurzes Literaturverzeichnis (276–284) und ein Abbildungsverzeichnis (285–288) schließen das Werk ab, das vor allem für die Hermeneutik des Pentateuch und für die Wirkungsgeschichte der Moseüberlieferung in der Bildenden Kunst wesentliche neue Im­pulse vermittelt.