Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

April/2012

Spalte:

415–416

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Döhling, Jan-Dirk

Titel/Untertitel:

Der bewegliche Gott. Eine Untersuchung des Motivs der Reue Gottes in der Hebräischen Bibel.

Verlag:

Freiburg/Basel/Wien/Barcelona/Rom/New York: Herder 2009. XV, 575 S. 23,7 x 15,1 cm = Herders Biblische Studien, 61. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-451-30219-0.

Rezensent:

Georg Fischer

Jörg Jeremias gebührt das Verdienst, im deutschen Sprachraum dem Motiv der Reue Gottes mit seiner 1997 erschienenen Monographie entsprechende Aufmerksamkeit verschafft zu haben (BThSt 31, Neukirchen). Die Dissertation von Jan-Dirk Döhling, von J. Ebach angeregt und in Marburg bei R. Kessler geschrieben, vermag dieses wichtige Thema nicht nur weiterzuführen, sondern auch vielfach zu vertiefen und sogar eine Gesamtsicht dazu zu erreichen.
Die Einleitung beschäftigt sich u. a. mit dem semantischen Problem der Wurzel םחנ. D. kommt dabei zum Schluss, dass sie in ihrem theologischen Gebrauch in den Stämmen Nifal und Hitpael »eine reflexive Regung bei, an oder in Gott« benennt (31). An diese Klärung schließen sich ein forschungsgeschichtlicher Überblick an, der neben J. Jeremias auch auf T. E. Fretheims einschlägige Monographie und den langen Exkurs im Amos-Kommentar von F. I. Andersen und D. N. Freedman eingeht, sowie »hermeneutische und methodische Überlegungen«.
Den Hauptteil von D.s Arbeit (85–484) machen acht Einzelstudien aus, mit treffend gewählten Titeln: zu Gen 6,5–8 »der lernende Gott«; zu Ex 32,7–14 »vermittelte Selbstbestimmung«; zu 1Sam 15 »der (in)konsequente Gott«; zur Reue Gottes im hebräischen Jeremiabuch »der unerhörte Gott«; zu Hos 11,8 f. »der umgekehrte Gott«; zu Joel 2,13 f. »Gott und Mensch im Wechselschritt«; zu Am 7,1–6 »zwischen Anspruch und Ansprechbarkeit«; sowie zum Jona­buch »(K)Ein Gott der (T)Reue?«. Die Wahl der Texte ist gelungen, insofern die wichtigsten Stellen ausführlich in den Blick kommen; zwei Exkurse, zur Reue Gottes im Psalter (177–194) und zu 2Sam 24,16 (235–241), runden die präzisen Analysen ab. D.s in der Einleitung sich selbst gestelltes Programm einer »genauen Lektüre« (11) wird dabei in bester Manier umgesetzt, durchwegs sehr detailliert, aufmerksam auf verschiedene Aspekte und auch kleinste Nuancen wahrnehmend. Einen besonderen Schwerpunkt bilden die intertextuellen Zusammenhänge, denen D. spezielle Beachtung schenkt und die er öfter eigens präsentiert (z. B. ab S. 170 für Ex 32; ab S. 423 für Am 7, im intensiven Dialog mit U. Rüterswörden und G. Steins; ab S. 481 für Jona). Dabei treten die Stellen Ex 32, durch ihre Aufnahmen in Joel 2 und Jona, sowie Hos 11 als außergewöhnlich be­deutsam hervor. Bei 1Sam 15 hilft der Vergleich mit der am nächs­ten kommenden Passage in Num 23,19 zu einem angemessenen Verständnis, als Differenz zwischen Reden und Verhalten (223 f.).
Der abschließende Teil (485–529) bringt »Exegetische und theologische Folgerungen«. Darin fasst D. die Ergebnisse seiner Arbeit zusammen und bündelt sie nochmals unter den bereits in der Einleitung (75) vorgestellten fünf »Relationen« der Reue. Unter der Rücksicht der ›Bewegung‹ spielt die hebräische Wurzel בושׁ eine wichtige Rolle, wobei es sowohl Entsprechungen zwischen Gott und Mensch gibt als auch ein »Differenzkonzept« (505); Letzteres trifft z. B. auf Hos 11 und Jer zu. Unter der Überschrift »Der bewegliche Gott – Zwischen Freiheit und Verlässlichkeit« geht D. der Frage nach, wie sich die in der Reue zum Vorschein kommende Möglichkeit von Änderungen bei Gott mit seiner sonst in der Bibel ge­priesenen Treue und Zuverlässigkeit verhalten. Er gelangt dabei zum Schluss, dass die Reue die Eigenschaften Gottes, wie etwa ›Gnade‹ und ›Barmherzigkeit‹, »für ihre jeweiligen Realisierungen offen« hält und sich zu ihnen »im Wortsinne kritisch, nämlich entscheidend« verhält (529).
Die Arbeit von D. ragt mehrfach heraus. Das Vorgehen ist methodisch sauber und reflektiert. Die Durchführung ist sorgfältig und präzise, die Sprache lebendig und oft packend; als Beispiele dafür mögen dienen die oben vorgestellten Titel, die Übersetzung von Hos 11,8 mit »gänzlich entflammt sind meine Reueaufwallungen« (335) sowie die prägnante Aufnahme dessen in der Formulierung »Reuebrand« (363). Die Ergebnisse sind vielfältig und solide. Die Präsentation ist klar gegliedert und auch insgesamt leserfreundlich. Die theologische Ausrichtung in Fragestellung und Thema verbindet sich organisch mit den sehr sorgfältigen exegetischen Analysen. D. hat mit seiner Studie zur Reue Gottes eine bewegende Arbeit vorgelegt, die den ›beweglichen‹ Gott der Hebräischen Bibel tiefer verstehen lässt und intensive Beachtung verdient.