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Ausgabe:

April/2012

Spalte:

408–410

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kuschel, Karl-Josef

Titel/Untertitel:

Leben ist Brückenschlagen. Vordenker des interreligiösen Dialogs.

Verlag:

Ostfildern: Patmos (Schwabenverlag) 2011. 608 S. m. Abb. 22,0 x 14,0 cm. Geb. EUR 38,00. ISBN 978-3-8436-0068-2.

Rezensent:

Uwe Wolff

Von der wissenschaftlichen Theologie noch weitgehend unbeachtet, findet seit einigen Jahren eine lebhafte Rezeption Johann Gottfried Herders (1744–1803) in den Kulturwissenschaften statt. Der Name des Weimarer Generalsuperintendenten steht dabei für Interkulturalität, Transdisziplinarität, Intermedialität, antidogmatisches Denken, die Bereitschaft, sich in aller Offenheit in eine fremde Kultur einzufühlen, und die Verbindung von Theorie und Praxis. Schon Ernst Cassierer schrieb in »Zur Logik der Kulturwissenschaften« (1942) über Herder: »Er will nicht analysieren, sondern er will schauen. Alles Wissen, das nicht durchgängig bestimmt und konkret, das nicht mit anschaulichem Gehalt gesättigt ist, gilt ihm als leer.« Ziel dieser Schau sei die wiedergewonnene Einheit. Die Kulturwissenschaften der Gegenwart kann man in diesem Sinn als Reaktion auf eine fundamentale Verlusterfahrung verstehen. Wie die großen Mythen der Griechen durch Homer oder die deutschen Volksmärchen durch die Sammeltätigkeit der Gebrüder Grimm vor einem Verlust bewahrt wurden, so stemmt sich auch die Arbeit am »kulturellen Gedächtnis« dem Traditionsabbruch entgegen. Dabei rückt zunehmend wieder in den Blick, was einst christliche oder abendländische Kultur hieß. Eine Theologie der Kultur wird diese Wurzeln Europas als Grundlage für jeden interreligiösen Dialog in den Blick nehmen müssen.
Auch Karl-Josef Kuschel, Inhaber des Lehrstuhls für »Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialoges« und langjähriger Vizepräsident der »Stiftung Weltethos« (1995–2009), beruft sich auf Herder. Unter dem Gottfried Benn entlehnten Titel »Leben ist Brückenschlagen« veröffentlicht er das überarbeitete Typoskript seiner Tübinger Vorlesung (Wintersemester 2010/11) »Vordenker des interreligiösen Dialoges«. In acht biographischen Porträts er­zählt K. von Männern, die jedoch weniger »Vordenker« als bewegte Sinnsucher, Menschen mit pädagogischem Eros und Repräsentanten des Zeitgeistes waren. Mit der Auswahl der Porträtierten geht K. kein Riskio ein. Sie will weder vollständig noch repräsentativ sein. Die Namen auf diesem achtfachen Pfad zum Weltethos sind bei den Lesern eingeführt und von ihnen akzeptiert. Unter ihnen befinden sich vier Mönche: Svami Vivekananda, Richard Wilhelm, Hermann Hesse, Mahatma Gandhi, Thich Nhat Hanh, Hugo Eno miya-Lassalle, Thomas Merton, Martin Buber, Abraham Joshua Heschel und Louis Massignon. Dass am Ende des Bilderreigens Hans Küng steht und alle Erfahrungen im interreligiösen Dialog auf sein »Projekt Weltethos« zulaufen, muss man bei K. ebenso akzeptieren wie seine Neigung zu breiter Darstellung und zur Verwendung eines Wissenschaftsjargons, der Herder zum Vater mo­derner »Dialogkompetenz« erhebt.
Herder verweise »dialogtheoretisch nach vorn« auf Hans Küng, man finde bei ihm Kriterien einer »glaubwürdigen dialogischen Kommunikation« für »gelingenden interreligiösen Dialog«. Diese fünf Kriterien lauten nach K.: Sachkenntnis der fremden Religion, die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel und zur Selbstkritik, Strukturvergleich und eine »Orientierung am Ethos der Humanität«. Nicht thematisiert wird dabei von K. die Grundlage jedes substantiellen religiösen Dialoges: die Verwurzelung in der eigenen Tradition und die Sachkenntnis dieser Kultur, wie sie für Herder selbstverständlich war. Vielleicht fehlt aus diesem Grund ein Porträt von Annemarie Schimmel, die ja nicht nur den Dialog zwischen Orient und Okzident als Wissenschaftlerin und Mensch lebte, sondern zugleich verwurzelt blieb in ihrem lutherischen Glauben.
Dass Frauen in K.s Theologie der Kultur fehlen, ist auch nicht durch die Widmung des Buches an Katharina Mommsen wettzumachen. »Manche ›Köpfe‹ wird man vermissen. Das nehme ich in Kauf, um meine Grenzen wissend.« Grenzen wird der Leser akzeptieren. Aber er möchte doch die Kriterien der Auswahl erfahren und auch wissen, warum neben Frauengestalten etwa Porträts der großen lutherischen Religionswissenschaftler wie Friedrich Heiler, Rudolf Otto oder Nathan Söderblom ebenso fehlen wie der Blick in die russische orthodoxe Welt.
Auf der Ebene der Schulen, der Gemeinden und der Universitäten leidet die Substanz des interreligiösen Dialoges gegenwärtig unter einer weit verbreiteten kulturellen Entwurzelung. Die großen Geschichten der Bibel und ihre Wirkungsgeschichte in Literatur, Kunst und Musik, die christlichen Symbole und Feste sind in der jungen Generation teilweise so unbekannt wie die muslimischen, jüdischen oder buddhistischen Traditionen, die K. in seinen Biographien entfaltet. Um im Bild des Buchtitels zu bleiben: Es fehlt an vielen Stellen das christliche Fundament, auf dem der Brückenbau gewagt werden darf. Am wenigsten eignet sich Hermann Hesse als interreligiöser Pontifex maximus. Wohl im Blick auf das Hesse-Jubiläum hat K. ihm eine zentrale Stellung eingeräumt: »Aus Hesses Werk tritt uns Lesern die Gestalt eines Zu­kunftseuropäers entgegen, der die eigenen Traditionen kennt, sich zugleich aber durch die Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden, erweitern, bereichern und vertiefen lässt. Werk und Person fordern einen Dialog der Kulturen und Religionen ohne gegenseitige Bekehrungsansprüche und Abstoßungsversuche.« Man muss sich nicht an den Stilblüten (»vertiefen lässt«) festbeißen und auch nicht mit dem Todschlagargument des Synkretismus aufwarten, dennoch zeigt gerade das Kapitel über Hesse, was der Leser in allen Porträts vermisst: einen klaren Zugriff auf das Wesentliche, den Mut zur Unterscheidung und Akzentuierung des Wesentlichen, ein Nachdenken über das bleibend Fremde, die Grenzen des Dialoges, das Trennende und nicht zu Integrierende. K. verweigert im entscheidenden Moment die Auskunft – auch über die Gefahr der Projektion und der Nivellierung von Gegensätzen im interreligiösen Dialog.
Gerade an Hesses Werk wäre kritisch zu zeigen, wie dieser Autor sich immer wieder nur selbst begegnet. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob er einen indischen oder einen mittelalterlichen Lebenslauf entwickelt oder seinen Helden durch die Moderne schickt. Hesses Werk ist eine kaleidoskopische Umdrehung der immer gleichen Fragen der Selbstfindung. Sein psychologisch motivierter Zugriff auf die Weltreligionen will nicht dem Fremden begegnen, sondern das Eigene noch im Fremdesten wiederfinden. Er sucht die Einheit hinter den Gegensätzen. Um diese Art der »kulturellen Kompetenz« geht es offensichtlich auch K. Wer sein neues Werk als biographische Erzählung von der großen Einheit des Ganzen liest, der wird auf seine Kosten kommen.