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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

374–376

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Wermke, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Transformation und religiöse Erziehung. Kontinuitäten und Brüche der Religionspädagogik 1933 und 1945. Eine Veröffentlichung des Arbeitskreises für Historische Religionspädagogik.

Verlag:

Jena: IKS Garamond 2011. 390 S. m. Abb. 8° = Arbeiten zur Historischen Religionspädagogik, 9. Geb. EUR 39,90. ISBN 978-3-941854-37-6.

Rezensent:

Robert Schelander

Forschungen zur Geschichte religiöser Bildung und Erziehung nehmen gerne eine Epoche, ein Thema oder eine Person in den Blick. Werden längere Zeiträume überblickt, so steht dabei häufig die Entwicklung der religionspädagogischen Theoriebildung im Vordergrund. Wir begegnen religionspädagogischer Binnenargumentation. Das Stichwort Transformation signalisiert demgegenüber ein Doppeltes: Es werden einerseits Zäsuren des Wandels aufgesucht und auf die in ihnen zutage tretenden Kontinuitäten und Brüche untersucht, und andererseits wird der religionspädagogische Binnendiskurs in den Kontext kirchlicher, schulischer und politisch-gesellschaftlicher Entwicklung gestellt. Transformation verstanden als »Wandel oder Wechsel politischer Regime, gesellschaftlicher Systeme und wirtschaftlicher Ordnungen« (5) zeichnet sich in methodischer Hinsicht durch das Aufsuchen markanter Zeitpunkte, einen breiten Blick auf gesellschaftliche, kulturelle und fachliche Rahmenbedingungen sowie dem Handeln wichtiger Akteure in diesem gesellschaftlichen Umfeld aus. Transformationsforschung ist interdisziplinär.
Der von Michael Wermke herausgegebene Band dokumentiert eine Tagung des Arbeitskreises für Historische Religionspädagogik zu Transformationsprozessen religiöser Erziehung vor allem am Übergang von Weimarer Republik zum Nationalsozialismus. Das Erschrecken über die »Anschlussfähigkeit« und die geringe Widerstandskraft religionspädagogischer Theoriebildung gegenüber der nationalsozialistischen Ideologie oder einfach die Frage »wie es dazu hat kommen können« (215) fordert historische Forschung heraus. In der Geschichtsschreibung des Faches erscheint diese Zeitepoche zwischen 1933 und 1945 zumeist als aus der religionspädagogischen Entwicklung »herausgehoben«. Diese besondere Sicht auf »die verhängnisvollen Jahre« (320) – so der Versuch der begrifflichen Einordnung der nationalsozialistischen Ära nach 1945 in Fachzeitschriften – beginnt schon nach 1945.
Martin Schneider unterscheidet in seinem eröffnenden Beitrag zwei Deutungsmodelle, in denen Religionspädagogik ihre eigene Affinität zum Nationalsozialismus in jener Zeit erklärt. Der unterschiedliche Umgang von liberaler und bekenntnisorientierter Theologie und Religionspädagogik mit nationalsozialistischer Ideologie spiegelt sich nach 1945 im Gegenüber eines konservativen Dekadenzmodells, welches mangelnde Bibel- und Bekenntnisorientierung und eines liberalen Fortschrittsmodells, welches an­tiliberale Haltung für die Annäherung an den Nationalsozialismus verantwortlich macht. Hat liberale theologische Tradition den Boden für die Übernahme faschistischen Gedankengutes be­reitet? War die Verkündigungsposition der Evangelischen Unterweisung immun gegen deren Anfechtungen?
Schneider zeigt an einzelnen Beispielen, wie diese Gegenüberstellung und Verengung auf die Frage des Grades der Affinität zum nationalsozialistischen Staat bzw. dessen Ideologie zu kurz greift. Sein Beitrag endet dennoch unbefriedigend, indem er die Entscheidung dieser Frage auf zukünftige Zeiten mit größerer Distanz zu jenen Fragestellungen verschiebt. Meines Erachtens leistet jedoch ein Gutteil der Beiträge in diesem Band genau dieses: Sie lösen sich von der naiven Fragestellung: Welche religionspädagogische Theorie war für nationalsozialistisches Gedankengut anfälliger? Sie nehmen Transformationsprozesse in umfassender und vernetzter Weise in den Blick.
Diesen öffnenden Blick, über die engere religionspädagogische Fachdiskussion hinaus, finden wir in fast allen Beiträgen. Hier sind zum einen die Beiträge zu nennen, welche dem Wandel in der katholischen Religionspädagogik nachgehen. In anderen Beiträgen wird die Perspektive auf Fragen des Schulwesens überhaupt erweitert. Johannes Wischmeyer untersucht den Bayrischen Schulkampf in den 1930er Jahren. Dabei werden Transformationen in umfassender Hinsicht sichtbar: der »institutionellen und rechtlichen Verhältnisse, der Mentalitäten – im Sinne kollektiv verfestigter Semantiken und Argumentationsmuster, der Handlungsstrategien und der Kommunikationsstile bei allen beteiligten Individuen und Institutionen« (123). Transformationsforschung er­möglicht, die sich verändernden Kontexte für Wandel und Kontinuität der Religionspädagogik zu berücksichtigen.
Zunehmend als eigenständige Forschungsmethodik haben sich Untersuchungen anhand von Fachzeitschriften erwiesen. Insgesamt drei Artikel nutzen diese Vorgangsweise.
Zu einer überfachlichen Perspektive trägt auch die Beschäftigung mit weiteren bisher kaum berücksichtigten Datenquellen bei. So zum Beispiel die »bisher nicht zureichend ausgewertete kirchenarchivalische Überlieferung« (124). Auch eine Liste von Lehrveranstaltungstiteln in der Ausbildung von Religionslehrern sowie die dazugehörigen biographischen Daten zu den Lehrenden zeigen bei intensiverer Beschäftigung die Bedingungen und Phänomene der Transformation (David Käbisch). Die Wirksamkeit religionspädagogischer Positionen kann nicht nur über ihre publizistische Präsenz erschlossen werden. Die Lehrerbildung tritt als wichtige Äußerung hinzu: Wie hat sich die (Religions-)Lehrerausbildung in dieser Zeit verändert?
Die Fülle der einzelnen Fachbeiträge kann hier nicht nachgezeichnet werden. »Kontinuitäten und Brüche religionspädagogischen Denkens und Handelns wurde an Medien, Institutionen, Konzepten und Biographien untersucht und aus den Perspektiven katholischer wie evangelischer Religionspädagogik, Kirchengeschichte, Erziehungswissenschaft und Geschichtsdidaktik diskutiert« (7). Dem aufmerksam Lesenden erschließt sich trotz der Heterogenität der einzelnen untersuchten Themen (von der Stellung des Alten Testamentes im Religionsunterricht bis zur biographischen Entwicklung eines der wichtigsten Religionspädagogen jener Zeit, Helmuth Kittel von der Umwandlung der traditionsreichen evangelischen Elite- und Internatsschule Schulpforta in eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt bis hin zu bildungspolitischen Aktivitäten der dezidiert protestantischen politischen Partei, dem Christlich Sozialen Volksdienst) in der Zusammenschau ein Mehrwert. Vielfältigkeit, sonst oft als negative Kennzeichnung von Sammelbänden gebraucht, erscheint hier angemessen und weiterführend. Unter dem Blickwinkel der Transformation ergeben sich Querverbindungen und Ergänzungen der Artikel untereinander, welche soeben nur angedeutet werden konnten.
Der Geschichtsdidaktiker Marko Demantowsky fordert für die historische Erforschung der eigenen Disziplin breitere Forschungsperspektiven und »große disziplingeschichtliche Synthesen« (376). Solche Anforderungen sind durch Qualifikationsarbeiten, welche aber einen Großteil des Forschungsbeitrages liefern, naturgemäß nur begrenzt zu leisten. Daher möchte er diese Aufgabe dem »reifen Forscher« (376) übertragen. Diese Veröffentlichung zur Geschichte der Religionspädagogik ist ein Beitrag zu diesem anspruchsvollen Ziel. Sie wird geleistet durch eine über längere Zeit gewachsene – und so auch gereifte – Forschungsgemeinschaft innerhalb des »Arbeitskreises historische Religionspädagogik«.
Die Publikation belegt deutlich, dass der Anspruch des Arbeitskreises »die gegenwärtige religionspädagogische Forschung im Bereich der Disziplin- wie auch der Bildungsgeschichte« zu repräsentieren, eingelöst wird.