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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

368–370

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Eichler, Katja E. A.

Titel/Untertitel:

Biblische Geschichten bei Rudolph Chris­toph Lossius und Kaspar Friedrich Lossius. Eine Analyse zu Kinderbibeln in der Aufklärungszeit.

Verlag:

Göttingen: V & R unipress 2011. 365 S. m. 6 Abb. 24,0 x 15,8 cm = Arbeiten zur Religionspädagogik, 44. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-89971-786-0.

Rezensent:

Michael Fricke

Diese Arbeit stammt von der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Wien. Allerdings ist nicht ersichtlich, ob es sich um eine Dissertation handelt und falls ja, wann sie angenommen wurde. Vor dem Hintergrund eines seit 25 Jahren zunehmenden Interesses in der Religionspädagogik an gegenwärtigen und historischen Kinderbibeln befasst sich Katja Eichler mit zwei noch wenig erforschten Autoren aus der Zeit der Aufklärung: dem Erfurter Brüderpaar Rudolph Christoph Lossius (1760–1819) und Kaspar Friedrich Lossius (1753–1817). Bei den analysierten Werken von R. C. Lossius handelt es sich um »Die ältesten Geschichten der Bibel für Kinder in Erzählungen auf Spaziergängen« (Teil 1, 1784), »Die ältesten Ge­schichten der Bibel in Erzählungen für Kinder an Feierabenden« (Teil 2, 1787) und um »Die neuesten Geschichten der Bibel oder das Leben Jesu in Erzählungen für Kinder« (Teil 1, 1789). Diesen wird die »Moralische Bilderbibel mit Kupfern« (1805) von K. F. Lossius ge­genübergestellt. Beide Brüder richten sich mit ihren Büchern an Kinder im Alter zwischen acht und elf Jahren. Ihr Ziel ist die Vermittlung christlichen Wissens und das Bewirken tugendhaften Verhaltens (341).
Eine religionspädagogisch-historische Arbeit sollte nach Auffassung des Rezensenten die verwendeten Quellen vorstellen, sie inhaltlich und zeitgeschichtlich analysieren und im Hinblick auf die Gegenwart würdigen. Das erste Element wird nur teilweise erfüllt. So erfährt man nicht, aufgrund welcher Kriterien die Lossius-Werke aus der Vielzahl von Kinderbibeln, die in der Aufklärungszeit entstanden, ausgewählt wurden. Weiterhin vermisst man als Leser Informationen über die Zugänglichkeit der Quellen, z. B. ob die alten Drucke noch in Buchform für die Öffentlichkeit greifbar sind, ob es schon digitalisierte Versionen gibt etc. Davon hinge die Frage der Extension der Textdarstellung ab. E. entscheidet sich für das exemplarische Zitieren in Verbindung mit einer Kommentierung der Auszüge. Diese Analyse der Schriften von R. C. Lossius (99–246) und K. F. Lossius (247–326) bildet den Kern der Arbeit. Zuvor befasst sich E. mit der »Sozialisationsstruktur und Erziehung in der Aufklärungszeit« (23–64), um die Situation der Bildung und das Phänomen der Kinder- und Jugendliteratur in dieser Epoche darzustellen. In diesem Abschnitt werden auch Vorläufer (Luthers Passional, Hübners Biblische Historien und Millers Er­bauliche Erzählungen) rekapituliert. Der nächste Abschnitt erhellt erst die Erfurter Stadtgeschichte von 1664 bis 1816 und dann, zielführender, die Biographien und literarischen Tätigkeiten der Brüder Lossius (65–97). Am Ende finden sich ein kurzes Kapitel über zeitgenössische Rezensionen (327–337) und eine Zusammenfassung der Ergebnisse (339–352).
Bei der bibeldidaktischen Inszenierung des R. C. Lossius handelt es sich laut E. um ein »völlig neues Konzept« (340). Seine Kinderbibel zum Alten Testament ist »im Stile eines Erzählromans geschrieben« (138). Darin sind ein Hauslehrer und seine fünf Kinder auf insgesamt 19 Spaziergängen durch die Natur unterwegs, wo die biblischen Erzählungen von der Schöpfung bis zum Tod Josefs dargestellt und im gemeinsamen sokratischen Gespräch bearbeitet werden (138–183). Dieses Arrangement greift die Forderung auf, die C. G. Salzmann in seiner Vorrede des Buches stellt: Für einen erfolgreichen Bibelunterricht müssten Anfragen und Zweifel der Kinder aufgenommen werden (131). So kommen in der Lossius-Erzählung – freilich oft in konstruierter Weise, wie E. konstatiert (234) – die Fragen und Kommentare der Kinder zur Sprache. Zeitweise übernehmen diese in den Gesprächen einen aktiven, zuweilen auch erzählenden Part. Der Leser soll die »Erkenntnisprozesse« der Kinder »nachahmen« (341). Anders als seine Vorgänger (etwa Hübner) arbeitet R. C. Lossius den Bibeltext in eine freie Erzählung um, die dem Kriterium des Kindgemäßen genügt (138). Er will Kenntnisse vermitteln und zugleich unterhalten. Auch die ›schwierigen‹ Bibeltexte, etwa gewalthaltige (Gen 22), werden nicht ausgespart, dagegen aber tendenziell das Mirakulöse (166). Der zweite Band zum Alten Testament (Mose bis Makkabäer) und zum Judentum der Zeit Jesu ist im Prinzip ähnlich gestaltet, allerdings als 24 »Feierabend«-Gespräche (183–212). Die 17 neutestamentlichen Bibelgeschichten folgen ebenfalls diesem Modell (212–246). Sie kreisen hauptsächlich um die Reden Jesu (vor allem Bergpredigt und Gleichnisse). Passion und Kreuzigung sind nicht enthalten, jedoch ist es möglich, dass diese in dem nicht mehr auffindbaren 2. Band erzählt wurden (246). Der Akzent liegt in aufklärerischer Manier darauf, die Leser zu einem Leben »in Anlehnung an das vollkommende Leben Jesu« zu animieren, »wobei das Gewissen zur Kontrollinstanz« wird (246).
Anders geht der ältere Bruder K. F. Lossius vor. Seine »Moralische Bilderbibel« ist Teil eines fünfbändigen Werkes (Bd. 1 Altes Testament und Bd. 5 Neues Testament) zur Vermittlung allgemein kulturhistorischen Wissens, das auch Mythologie und Geschichte der antiken Welt abhandelt. Zwar folgt auch er wie sein jüngerer Bruder einem »elementarischen Aufbau« mit jeweils abgegrenzten Texten in heilsgeschichtlicher Anordnung (339), der wichtigste Unterschied besteht jedoch in der didaktischen Mittelpunktstellung der Kupferstiche (13 im Alten Testament, elf im Neuen Testament), von denen aus die Texte erschlossen werden. Die Bilderbibel ist »für den eigenen und selbstständigen Gebrauch durch den kindlichen Leser konzipiert« (348). E. zeigt, dass K. F. Lossius noch stärker naturwissenschaftlich orientiert ist und anthropomorphe Gottesdarstellungen vermeidet: Gottes Stimme wird ins Gewissen verlagert (260–264). Der Kupferstich zu Gen 22 zeigt das philanthropische Konzept: Isaak wird nicht von Abraham mit dem Messer bedroht, sondern liegt in dessen Schoß – der Widder ist schon zu sehen (300 f.). Im Sinne der Tugenderziehung wird die Ermordung des ägyptischen Aufsehers durch Mose zu einer Art »Unfall« umgeschrieben (281). In den Erzählungen zum Neuen Testament wird der Bibeltext mit dem Ziel verändert, die Jünger als »Lehrer der Menschheit« erscheinen zu lassen (323). Viele andere Passagen werden bibeltreu erzählt. Wie sein Bruder stellt K. F. Lossius die Frage der Sündenbefreiung und des Opfertodes Jesu nicht (326).
Die inhaltliche und zeitgeschichtliche Analyse der Werke wird überzeugend vollzogen. E. zeigt, dass es in der aufklärerischen Religionspädagogik neben Salzmanns Verdikt, biblische Geschichten seien ungeeignet für Kinder, andere Ansätze gab. So wird das Bild, das wir heute von der Bibeldidaktik der Aufklärung haben, vervollständigt. Darüber hinaus arbeitet E. die theologischen und religionspädagogischen Nuancen zwischen den Ansätzen der Brüder klar heraus. Leider erörtert sie nirgends die didaktisch wichtige Frage, ob die vorgestellten Kinderbibeln für die Lektüre nur in der Familie oder auch im Religionsunterricht gedacht sind, obwohl sie in einem 27-seitigen Exkurs Salzmanns Ansatz zum Religionsunterricht darstellt (in diesem findet sich die wenig aussagekräftige Definition, »Neologie« sei »die am Menschen orientierte, an ihm ausgerichtete Theologie«, 128). Das dritte vom Rezensenten ge­wünschte Element, eine Reflexion über die Bedeutung der Lossius-Werke für die gegenwärtige Bibeldidaktik, bietet die Arbeit leider nicht.