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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

357–358

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Hans

Titel/Untertitel:

Der christliche Glaube aus lutherischer Perspektive.

Verlag:

Erlangen: Martin-Luther-Verlag 2010. 273 S. 21,4 x 14,3 cm. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-87513-168-0.

Rezensent:

Roger Mielke

Hans Schwarz legt hier einen Band vor, in dem das Ganze des christlichen Glaubens in gegenwärtiger Verantwortung ausgesagt werden soll. Das Buch ist als kurz gefasste Dogmatik angelegt, in welcher auf eine schmale Einleitung (»Luthers zentrale Erkenntnis«; 11–24) die gängigen dogmatischen Loci folgen: Prolegomena (»Voraussetzungen für den Glauben«; 25–58), Schöpfungslehre, Anthropologie und Hamartiologie (»Gott der Schöpfer«; 59–114), Christologie (»Christus der Erlöser«; 115–170), Pneumatologie, Ek­klesiologie, Lehre von den Gnadenmitteln und Eschatologie (»Der Heilige Geist als die Wirkkraft Gottes«; 171–260). Kompakte Literaturhinweise, Namen- und Sachregister und ein Verzeichnis der Bibelstellen ergänzen den Band.
Programmatisch stellt der Vf. den christlichen Glauben aus lutherischer »Perspektive« dar. Konfessionalität kommt somit in den Blick als Perspektivität – und zwar, so ist von der systematischen Schlüsselrolle von »Luthers zentraler Erkenntnis« (11) her zu sagen, zunächst als Perspektivität des existentiell glaubend engagierten Subjekts, wie es in persona Lutheri exemplarisch begegnet (»Luthers zentrale Erkenntnis«) und doch weit hinausreicht über die historische Kontingenz einer einzelnen Person, sondern vielmehr gültig hineinweist in das Ganze des Evangeliums von Jesus Christus. Diese »lutherische« Perspektivität expliziert der Vf. in seiner Einleitung vom ersten Gebot her als die Erkenntnis »Gott ist Gott«. Die Gottheit Gottes erscheint somit als schöpferische Souveränität, die aus dem »Nichts« schafft und dem verlorenen Menschen ungeschuldet und unverdient das Heil zuspricht. Diese zentrale Erkenntnis wird christologisch zugespitzt und in einer chris­tozentrischen Bibelhermeneutik verankert. Der systematisch zentrale Begriff der Perspektivität wird dogmatisch vertieft in der Ekklesiologie. »Perspektivität« verweist auf die Pluralität des Evangeliums in der Vielfalt seiner schon neutestamentlichen Bezeugungsformen. Hinter dieser unhintergehbaren, sprachlich verfassten pluralen Evangeliums-»tradition« steht, gleichsam als transzendentale Bedingung der Möglichkeit, die »Person Jesu Christi, die der Inhalt des Evangeliums ist« (202).
In der Fluchtlinie dieser innerbiblischen Pluralität stehen dann die konfessionellen Gestaltwerdungen der Christentumsgeschichte, die jeweils eine spezifische Weise sind, die Person Jesu Christi hinter den kontingenten Sprachgestalten der konfessionellen Tradition wahrzunehmen. Das Spezifikum der lutherischen Tradition ist für den Vf. dann, dass in ihr die »paulinische Einsicht in die Rechtfertigung aus Gnade« (203) als Schlüssel ihrer Perspektivität dient. Der Vf. kommt so ekklesiologisch zu dem Schluss, dass »Katholizität von keiner einzelnen Tradition völlig erreicht« werden kann (203), vielmehr nur alle Perspektiven gemeinsam die Katholizität der Kirche garantieren können. Offensichtlich steht im Hintergrund solcher Ausführungen das ökumenische Konzept der »versöhnten Verschiedenheit« – ohne dass der Terminus explizit fällt.
Im Rahmen dieses nicht sehr umfänglichen Buches wäre vermutlich nicht der Ort gewesen, den Status des Leitbegriffes »Perspektive« genauer zu entfalten. Wahrheit als »Perspektive«, also letztlich als »Ansicht« zu verstehen, ist ja ein durchaus neuzeitlicher, erst in der historistischen Geschichtsphilosophie des 19. Jh.s thematisch gewordener Ansatz. Wird man damit dem Wahrheitsanspruch der konfessionellen Gestaltwerdungen des Christlichen gerecht oder ist damit nicht einem sachfremden Relativismus zumindest auf der Ebene der begrifflichen Architektur dogmatischer Arbeit die Türe geöffnet? In der materialen Durchführung des dogmatischen Denkweges argumentiert der Vf. dann überwiegend ganz »unperspektivisch« dogmatisch von den Grundbestimmungen der reformatorischen Theologie her. Im Zentrum steht die Botschaft von Kreuz und Auferstehung Jesu Christi: »Diese Chris­tozentrik, die Erkenntnis Gottes durch Selbstoffenbarung in Jesus Christus, hat die lutherische Lehre bis heute geprägt.« (43) In diesen Kontext gehört die christozentrische Bibelhermeneutik, die »Zentrum und Peripherie« (53) in den biblischen Schriften mit Luthers berühmtem Wort von daher definiert, »ob sie Christum treiben« (53). Theologie ist so in ihrer Mitte Christologie (151), die soteriologisch zugespitzt ist. Daher kann das »Werk Christi« nur »durch Glauben und nicht durch Vernunft erkannt werden«. Der »sogenannte historische Jesus« ist nicht der geglaubte »Christus« (156). Erst vom »Osterereignis« her kann es dann zu einer »Entscheidung für Christus« (a. a. O.) kommen, die wiederum aber durch die Präsenz des erhöhten Herrn erst ermöglicht ist. Diese begriffliche Trias von »Entscheidung«, »Ereignis« und »Präsenz« macht noch einmal die soteriologische Ausrichtung der Christologie deutlich, die in Entscheidung und Vollzug des Glaubens zu ihrem Ziel kommt.
In behutsamer Weise sucht der Vf. immer wieder, den Glauben im Kontext neuzeitlicher Wissenschaft zu verorten, und gebraucht dazu immer wieder grundlegende Denkfiguren der kantischen Phi­losophie, um Ansprüche der Naturwissenschaft auf den Bereich empirischer Erfahrung zu begrenzen und so Freiräume der Glaubensrechenschaft zu schaffen.
Besondere Würze erhält das Werk durch in Petit gesetzte »Ex­-kurse«, in denen der Vf. in mitunter nicht unpolemischer Weise auf gegenwärtige Debatten eingeht: »Luther und die Juden«, »Un­überbrückbarer Dissens im Amtsverständnis?«, »Zweiregimentenlehre« und »Luther und die Musik«. Hier am ehesten wird die durchaus »konservativ«-lutherische Positionalität des Vf. deutlich. Ausdrücklich angeführt sei hier nur eine kritische Einlassung des Vf.s zum Beschluss der bayrischen Landessynode von 2008, auf eine »aktive Missionstätigkeit gegenüber Juden« zu verzichten (168, Anm. 14).
Insgesamt legt der Vf. hier eine konzentrierte Glaubenslehre vor, die die christologische Konzentration und biblische Fundierung einer konfessionellen lutherischen Theologie deutlich macht und insgesamt eine kurze Einführung in und ein gelungenes Plädoyer für die »lutherische Perspektive« darstellt.