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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

355–357

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

McIlroy, David H.

Titel/Untertitel:

A Trinitarian Theology of Law. In Conversation with Jürgen Moltmann, Oliver O’Donovan, and Thomas Aquinas. Foreword by N. G. Wright.

Verlag:

Milton Keynes u. a.: Paternoster 2009. XXII, 262 S. 22,2 x 15,2 cm = Paternoster Theological Monographs. Kart. £ 24,99. ISBN 978-1-84227-635-8.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Angesichts der zum Teil karikaturhaften Verzerrungen des Gesetzesbegriffs in der evangelischen Theologie des 20. Jh.s, die zu der über lange Zeit hinweg ambivalenten Haltung der evangelischen Kirchen zum demokratischen Rechtsstaat beigetragen haben, ist eine Neufassung der theologischen Lehre vom Gesetz notwendig. Es ist zu begrüßen, wenn jemand, der wie David H. McIlroy sowohl in der Theologie als auch in der Jurisprudenz ausgebildet ist und als Anwalt arbeitet, sich an dieser Aufgabe beteiligt.
McI. entfaltet seine trinitätstheologische Rekonstruktion der Lehre vom Gesetz in Auseinandersetzung mit Jürgen Moltmann, Oliver O’Donovan und Thomas von Aquin. Moltmann wird dabei kontinuierlich vorgeworfen, dass seine soziale Trinitätslehre »is determined by his views about the desired shape of human society rather than vice versa« (23; vgl. 2.14.72.208). Entsprechend bekommt man auf den 65 Seiten, die der Darstellung Moltmanns gewidmet sind, die ganze Fülle der englischsprachigen Moltmann-Kritik präsentiert. Moltmann wird zudem eine pathologisch zu nennende Ablehnung jeglicher gesetzlicher Ordnungen bescheinigt, die durch den Hinweis auf Moltmanns Erfahrung, von einem Un­rechtsstaat zur Teilnahme an einem sinnlosen, schon verlorenen Krieg genötigt worden zu sein, verständlich gemacht wird (36; vgl. 40.222). Wenn es demgegenüber heißt, »the need of the hour in the West may now be for a theology with treats authority as relatively good« (36), wird die potentiell immer gegebene Gefährdung des Missbrauchs von Autorität marginalisiert und die Einsicht von (nicht nur) Moltmanns Kreuzestheologie, dass auch unsere besten Rechtsordnungen – im Falle der Kreuzigung ja immerhin das jüdische und das römische Recht – fehlgeleitet sein können, ohne dass jemand diese Fehlorientierung bemerkt (das ganze Volk rief bekanntlich: Kreuzige ihn!), verkannt. Entsprechend findet die Offenbarung der Gefährdung des Rechts durch das Kreuz auch in McI.s eigener Rekonstruktion der Lehre vom Gesetz keinen hinreichenden Raum.
Als Gegenspieler zu Moltmann, der der liberalen Auffassung von Freiheit als individueller Autonomie verhaftet bleibe (vgl. 62 f. 84), wird O’Donovan, Professor für Christliche Ethik in Edinburgh, eingeführt, der zum einen unter Rückgriff auf die alttestament­liche Königstheologie und Röm 13 Autorität als elementare Wirklichkeitsform rehabilitiere (vgl. 98): »In extremis, a government is justified in making war on its own citizens, if that is what is necessary to restore order.« (103) Zum anderen rücke er gegenüber einer Konzentration auf die systemischen Formen die personale Struktur politischer Autorität wieder in den Vordergrund (vgl. 88). Als zentrale Aufgabe der politischen Autorität erkenne O’Donovan im Anschluss an Röm 13 die Strafgerichtsbarkeit: »the task God has given to governments is that of controlling violent men« (105). Die dadurch vollzogene Beschränkung der Staatsgewalt (vgl. 150) solle den Staat davor bewahren, umfassendere Ziele zu verfolgen und dadurch die Freiheit des Einzelnen einzuschränken (vgl. 97.229). Zu Recht verweist McI. demgegenüber auf die Tora, von der kanonisch gelesen auch allein das alttestamentliche Königtum verstanden werden könne (91), als »a more promising starting point for consid­ering what God requires in terms of social justice in each and every age« (128; vgl. 126–129).
Die Defizite O’Donovans, der weder der Tora noch dem Geist die notwendige Aufmerksamkeit schenke, sieht McI. bei Thomas von Aquin überwunden. Dieser wird im Anschluss an neuere Trends als biblischer und trinitarischer Theologe (155.157) vorgestellt. Das führt im Blick auf die Gesetzesthematik zu der bemerkenswerten These: »It is the Torah and not natural law which is the pivot of Aquina’s reflections on law« (167). Besonders erhellend sei dabei die Verhältnisbestimmung von Gesetz und Geist in Kontinuität und Diskontinuität. Im Blick auf Gottes Rechtswillen besteht zwischen der Tora als dem alten Gesetz und dem Geist als der nova lex Kontinuität: Durch den Heiligen Geist werden Christinnen und Chris­ten befähigt, Gottes in der Tora offenbarten Rechtswillen, der auf Glaube, Hoffnung und Liebe ziele, zu erfüllen (173.184). Im Gegensatz zum alten Gesetz, das dem Menschen zwar aufzeige, was Gott von ihm fordere, das aber als geschriebenes Gesetz nicht in der Lage sei, den Menschen zur Erfüllung der Tora zu bewegen, sei der Geist eine inwendige Kraft, die von innen heraus die Erfüllung von Gottes Rechtswillen bewirke. Auf menschliche Rechtsordnungen übertragen mache diese Differenz deutlich, warum eine gerechte Ordnung allein keine gerechten Menschen hervorbringe, sondern ihrerseits auf tugendhafte, gerechte Menschen angewiesen sei. Eben deshalb seien die Gerechten, die vom Heiligen Geist geheiligten Menschen, für Thomas »the most important members of the community« (200; vgl. ST II–II.64.6). Zugleich bedeute diese Er­kenntnis aber auch eine Befreiung des menschlichen Rechts von Ansprüchen, die das Recht systemisch überfordern: »Human law is recognised to be incompetent to effect true, inward, transformation but as performing the valuable function of executing ›shallow justice‹.« (207)
Das abschließende Kapitel entfaltet die Differenz zwischen shallow and deep justice, zwischen einer flachen und einer tiefen Ge­rechtigkeit weiter. Dabei zeigt sich, dass McI.s Interesse insbesondere einer pneumatologischen Näherbestimmung des Gesetzes gilt: »the Spirit is the One who works ›deep justice‹ in human hearts. The Spirit is also the agent who enables ›shallow justice‹ to be done by earthly rulers« (216). Für eine Theologie des Gesetzes bleibt es bedeutend, dass der Geist nicht nur von innen, sondern zugleich von außen wie von innen auf die Erfüllung des Rechtswil lens Gottes hinarbeitet. Gott will nicht nur gerechte Menschen, sondern auch gerechte Strukturen. Damit diese Strukturen menschlich bleiben, darf man von ihnen nicht erwarten, was sie nicht leisten können: nämlich einen neuen Menschen hervorzubringen. Deshalb gehört zum gerechten Recht die Unterscheidung von Staat und Kirche, in der die Kirche vom Staat verlangt, auf die Durchsetzung des rechten Glaubens zu verzichten (vgl. 230).
Während die im Anschluss an Thomas von Aquin entfalteten pneumatologischen Überlegungen überzeugen können, bleiben angesichts des Anspruchs, eine trinitätstheologische Theologie des Gesetzes vorzulegen, deren toratheologische und christologische Dimensionen unterbestimmt. Im Blick auf O’Donovan hätte McI. im Anschluss an seine toratheologischen Überlegungen erläutern sollen, dass das Gesetz (im Sinne der Tora) nicht nur Rechtssicherheit gewährleisten, sondern auch sozialen Ausgleich herstellen und im Kult eine öffentliche, selbstkritische Verständigung über die gemeinsamen Erinnerungen und Erwartungen einer Gesellschaft herbeiführen soll. Zudem hätte (im Anschluss an Moltmann) die am Kreuz Christi offenbarte beständige Gefährdung des Rechts, zu einem Agenten der Sünde zu werden, stärker thematisiert werden müssen.