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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

353–355

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Imbach, Josef

Titel/Untertitel:

Ist Gott käuflich? Die Rede vom Opfertod Jesu auf dem Prüfstand.

Verlag:

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2011. 270 S. 21,5 x 13,5 cm. Kart. EUR 19,95. ISBN 978-3-579-08123-6.

Rezensent:

Walter Klaiber

Die Frage nach der Heilsbedeutung des Todes Jesu kommt nicht zur Ruhe. Allerdings ist der Titel des Buches von Josef Imbach (von 1972–2002 Professor für Fundamentaltheologie an der Päpstlichen Theologischen Fakultät San Bonaventura in Rom und seit 2002 mit Lehrverbot belegt) etwas irreführend; der Schlussteil behandelt auch Themen wie Fegefeuer, Gericht, Hölle und Himmel.
I. beginnt mit der Kritik an einem schuldzentrierten Christsein. Im Kontrast dazu soll an dem Märchen »Das Mädchen ohne Hände« gezeigt werden, »was das Evangelium lehrt (und woran letztlich die ganze Rechtfertigungslehre hängt), nämlich dass Gott uns Menschen nicht deshalb annimmt, weil wir glauben, hoffen und lieben. Gerade umgekehrt gilt: Weil Gott uns annimmt, können wir glauben, hoffen und lieben« (45). Anhand von Jiftahs Opfer, Kain und Abel und Schillers Gedicht »Der Ring des Polykrates« wird das Verständnis von Opfer in der Antike dargestellt. Merkwürdigerweise teilt I. auf S. 62 das landläufige, aber falsche Verständnis vom Sühneopfer als Mittel, durch das Menschen Gott »von der gerechten Vergeltung für ihre Sünden« abhalten wollen. Dagegen betont er auf S. 150 f., dass es bei diesem Ritus nicht darum gehe, »einen er­zürnten und nachtragenden Gott wieder günstig zu stimmen«.
Im nächsten Kapitel, Gott kennt keine käufliche Liebe oder Rechtfertigung allein aus Glauben (78–112), zeigt I. auf dem Hintergrund von Kafkas Erzählung »Die Verwandlung« anhand der Gleichnisse von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1–16), den beiden Söhnen (Mt 21,28–31) und von Pharisäer und Zöllner (Lk 18,9–14), dass man »Gottes Liebe zum Menschen nicht als Belohnung für irgendwelche guten Werke verstehen« darf. »Vielmehr nimmt Gott jeden Menschen an, so wie er ist, weil nur auf diese Weise das Gute in ihm Wurzeln fassen und wachsen kann« (112). Das entfaltet das nächste Kapitel: Bei einem Sünder ist er eingekehrt oder Von der bedingungslosen Vergebung (113–124). Jesu Gleichnisse in Lk 15 und sein Umgang mit Zöllnern und Sünderinnen zeigen, wie er die bedingungslose Annahme aller durch Gott gelebt hat. »Auch hier ist also weder von Strafe, noch von Sühne, noch von irgendwelchen Opfern die Rede« (124).
Wie aber kam es zu der Deutung Jesu Tod als stellvertretend erlittene Strafe oder als Sühnopfer? Davon handelt das Kapitel: Heiliges Kreuz und kostbares Blut oder Deutungen des Todes Jesu (125–172). Auf Texte traditioneller Karfreitagsfrömmigkeit folgt eine Rekonstruktion der Gründe für Jesu Verurteilung. I. macht deutlich, welchen Schock es für die Jünger bedeutete, dass ihr Meister diesen schmachvollen Tod erlitten hatte. Zu Recht stellt er fest, dass für sie »die Möglichkeit … einer ›Sinngebung‹ des Todes Jesu … erst eröffnet [wurde] durch die Gewissheit, dass Gott Jesus zu einem neuen Leben auferweckt hat« (134). Dabei griffen die ersten Christen auf »Denkmodelle« aus dem Ersten Testament zurück. Einige stellen »nichtsakrifizielle Schockbewältigungsversuche« dar (135–142), so der Hinweis auf das Schicksal der Propheten (vgl. Mt 23,29–32) oder der »Schriftbeweis«, dass der Messias leiden und sterben musste, der durch eine relecture der Heiligen Schriften zeigt, dass Jesu Tod Teil eines göttlichen Plans war. Anders die Strategie der Reden der Apostelgeschichte, in denen das Kreuz als »Ergebnis menschlicher Herzensverhärtung« erklärt wird (2,23 f. u. ö.), oder des Johannesevangeliums, für das Jesu Tod Zeichen der Liebe Gottes ist (3,16; 10,1–18).
Wirksamer aber war die »Schockbewältigung mittels Sühne- und Opfertheorien« (142–156). Jesu Tod wurde als stellvertretende Sühne im Sinne von Jes 53 (wobei I. der problematischen Interpretation Adrian Schenkers folgt) oder als Blutopfer analog zu den alttestamentlichen Sühneriten verstanden, vor allem im Hebräerbrief. Doch auch für diesen ist die Vorstellung von Jesu Tod als einem ›Sühneopfer‹ »eine bloße Analogie«: »Das Opfer, das Jesus … darbringt, besteht in der Hingabe seines Lebens, verstanden als Dienst an den Mitmenschen. … Mit seinem Beispiel weist Jesus allen, die ihm nachfolgen, einen Weg, die Welt aus dem Geist der Liebe zu gestalten« (151 f.).
In diese exegetischen Ausführungen flicht I. eine »Ehrenrettung« Anselm von Canterburys (auf den Spuren von G. Greshake) ein. Auch bei Anselm ist Jesu Tod »nicht auf die Forderung eines satisfaktionsbesessenen Gottes zurückzuführen, sondern entspringt der Logik und Konsequenz seines Lebens« (156). Von den Denkmustern, die im Neuen Testament »herangezogen werden, um den schmählichen Tod Jesu deutend zu verkraften«, und die »dem Fassungsvermögen der damaligen Leserschaft Rechnung« tragen, kann keines erschöpfend ausdrücken, »was theologisch zum Tod Jesu zu sagen wäre« (157). Das entscheidende Kriterium dafür ist für I.: »Jede Deutung des Kreuzes muss sich daran messen lassen, ob sie jener bedingungslosen Liebe Gottes entspricht, die in Jesu Kommen und Wirken offenbar geworden ist.« (158; Zitat H. Fischer, Musste Jesus für uns sterben, 2008, 78)
Eigenartigerweise erfolgt erst unter der Überschrift Wie hat Jesus seinen Tod verstanden? im Anschluss an die Deutung der Abendmahlsworte ein knapper Hinweis auf das Verständnis des Paulus (mit 2Kor 5,19) und die entscheidende Aussage: »Nach neutestamentlichem Verständnis ist Jesu ›Sühnetod‹ nicht eine Vorbedingung für Gottes Vergebung, sondern vielmehr Ausdruck des göttlichen Vergebungswillens« (161), und weiter: »Der Kreuzestod war nicht eine von Gott geforderte Sühneleistung, sondern die Folge seines Daseins für andere. … Jesu Tod ist nicht nur die Folge äußerer Umstände, sondern gleichzeitig – weil Gott selbst in ihm sich hingibt – der unüberbietbare Ausdruck göttlicher Liebe.« (165) Ein kurzes Postscript Eucharistie als Messopfer? legt dar, dass die recht verstandene tridentinische Messopferlehre dogmatisch zwar neutestamentlich fundiert, pastoraltheologisch aber äußerst missverständlich ist (166–172).
Im nächsten Kapitel (173–208) fragt I. dann, was Erlösung bedeutet, und streift dabei auch das Problem der Theodizee. Für ihn ist Erlösung ein Wachstumsprozess und der Weg zu ihr Kreuzesnachfolge. Unter der Überschrift Folterqualen und Himmelsfreuden oder Erlösung und ewiges Heil (209–255) liefert er eine existentiale Interpretation der Rede vom Fegfeuer, von Himmel und Hölle, Auferstehung des Leibes und Weltgericht. Den Leitfaden dafür liefert ihm ein Wort von H. U. v. Balthasar: »Gott ist als Gewonnener Himmel, als Verlorener Hölle, als Prüfender Gericht, als Reinigender Fegefeuer« (Verbum Caro, 1960, 282). Das führt zu manchen bedenkenswerten Formulierungen, auch wenn man sich als evangelischer Christ wundert, wie viel Raum dabei das Thema Fegefeuer einnimmt.
Im Blick auf das Thema des Buches ist festzustellen: I. begnügt sich zu Recht nicht damit, die Deutungen des Todes Jesu als Sühneopfer oder stellvertretende Strafe als unjesuanisch abzulehnen, sondern will sie in ihrer ursprünglichen Funktion verstehen. Das gelingt nur teilweise, weil I. immer wieder das traditionelle Verständnis von Sühne anstatt des biblischen als dunklen Hintergrund benützt, und vor allem, weil er fast ganz darauf verzichtet, das paulinische Verständnis der Bedeutung des Kreuzestodes Jesu einzubeziehen. Wenn er am Schluss sagt: »Erlösend aber ist nicht das Kreuz, sondern die Liebe Gottes, die in Jesus erfahrbar wurde« (259), dann mag man die Intention verstehen, in der er diese Alternative formuliert. Sie ist dennoch falsch, weil sie verdeckt, dass sich zumindest für die paulinische und johanneische Theologie Gottes Liebe am eindeutigsten in Jesu Tod am Kreuz zeigt.