Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

62–64

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Aichelin, Albrecht

Titel/Untertitel:

Paul Schneider. Ein radikales Glaubenszeugnis gegen die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus.

Verlag:

Gütersloh: Kaiser; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 1994. XXXIII, 362 S. gr.8o = Heidelberger Untersuchungen zu Widerstand, Judenverfolgung und Kirchenkampf im Dritten Reich, 6. Kart. DM 38,­. ISBN 3-579-01864-7.

Rezensent:

Reijo E. Heinonen

Das Ziel dieser an der Universität Heidelberg geschriebenen Untersuchung ist es, die Rolle der radikalen Flügel der Bekennenden Kirche im deutschen Kirchenkampf zu betonen und neu zu würdigen. Dies geschieht durch eine Fallstudie über die kirchlich-politische Opposition des Dickenschiedener Pfarrers Paul Schneider (1897-1939), der durch seinen gewaltsamen Tod im Konzentrationslager Buchenwald weit über nationale Grenzen in der Öffentlichkeit bekannt wurde und neben Martin Niemöller zur Symbolfigur der kirchlichen Opposition im Hitlerreich wuchs.

Die Beziehung des theologischen und politischen Denkens bei Schneider beschreibt der Autor überraschend als problemlos. Ohne eine tiefere Reflexion über die politische Ethik, aber ausgehend von der theologischen Überzeugung, daß es keinen Lebensbereich außerhalb der Königsherrschaft Christi gibt, nahm Schneider Stellung zu politischen Themen. Hier fragt der Leser aber, ob z.B. in den Predigten doch irgendwelche Zusammenhänge zwischen den theologischen Neubesinnungen und den politischen Entscheidungen zu finden sind.

Aus dieser Beziehung des theologischen und politischen Denkens hat der Autor das Inhaltsverzeichnis konfliktorientiert aufgebaut, so daß die konkreten Konflikte mit den kirchlichen und staatlichen Behörden als das Movens des äußerlichen Lebens des Dickenschiedener Pfarrers erscheinen.

In dem einleitenden Kapitel (Stand der Forschung) beschreibt der Autor gut überschaubar die Probleme der letzteren Kirchenkampfforschung. Im Zentrum stehen die Begriffe "Widerstand", "Resistenz" und "Dissens" sowie die Fragen nach der Bedeutung der sogenannten kirchlichen Mitte im Vergleich mit der radikalen Bekennenden Kirche. Es deutet sich für die folgenden Kapitel aber eine stärker historisch-methodische Reflexionsweise an, dies um so mehr, weil der Autor sich von der früheren erbaulich orientierten Schneider-Literatur distanzieren und im Sinne des Projektes "der radikale Flügel der Bekennenden Kirche" der Heidelberger Bonhoeffer-Forschungsstelle einen wissenschaftlichen Beitrag leisten will. Vor allem im Zuge des breit angelegten Forschungsprojektes "Bayern in der NS-Zeit" wurde der Resistenz-Begriff in die Zeitgeschichtsforschung aufgenommen. Es war die Absicht des Projektes, mit diesem Begriff die "vielen kleinen Formen des zivilen Mutes" in Blick zu nehmen. In der Widerstandsforschung wollte man von nun an nicht so sehr die Intentionen der Individuen und Organisationen, sondern eher die tatsächlichen einschränkenden Wirkungen auf die NS-Herrschaft und NS-Ideologie in den Vordergrund stellen. Das radikale Denken und Handeln des Parrers Paul Schneider läßt sich aber nicht mit diesem Begriff beschreiben, besonders deswegen nicht, weil die Einstellung der "volkskirchlichen Mitte" häufig damit bezeichnet worden ist und dazu gehörende politische Einstellungen nicht selten eine Übereinstimmung mit dem NS-Regime implizierten. Der Autor weist daraufhin, daß durch die Betonung der aufweisbaren Wirkungen auf das NS-Regime der intentionale Aspekt unberücksichtigt bleibt.

In seiner Untersuchung will er deswegen "einen integrativen Ansatz" zur Geltung bringen, der erstens die Intention, die eine Person oder eine Gruppe zu ihrem Handeln antreibt, zweitens das Handeln selbst und schließlich drittens die Wirkung, die dieses Handeln auf das Regime erzielte, berücksichtigt. (XXV)

Anstelle der Begriffe Widerstand und Resistenz will der Autor den Terminus "Dissens" wählen, der als "Oberbegriff für alle Gesinnungen, Handlungen und Wirkungen, die sich dem Herrschaftsanspruch des NS-Regimes entgegenstellt haben", verwandt wird. Dieser Begriff befreit den Autor davon, festzulegen, wann der Widerstand eigentlich beginnt oder die verschiedenen Stufen der Resistenz zu definieren. Beim Verhalten Schneiders stellt der Autor eine "sukzessive Steigerung seines Dissenses" fest. Wird diese Bezeichnung seinem theologischen Denken gerecht? Liegt hier nicht eine zu starke Betonung der im äußerlichen Verhalten beobachtbaren Eskalation und Verschärfung politischer Konflikte vor? Entscheidet sich durch diesen Begriff schon die ganze konfliktorientierte Disposition der Arbeit?

In dem Kapitel über die Kritik am konsequenten Flügel der BK kommt der Autor zu den großen Leitfragen der Kirchenkampfforschung. Er will die These von der "Verhinderung einer Frontverbreiterung" in der "kirchlichen Widerstandsfront" durch Dahlemiten zurückweisen. Der Autor fragt, "auf welchen Feldern der sogenannte volkskirchliche Protestantismus" tatsächlich Resistenz zeigte, wie u.a. K. Nowak und K. Meier behaupten. Die Frage nach den Resistenzen eines volkskirchlichen Protestantismus und ihre Beziehungen zu radikalem zeugnishaften Handeln ist jetzt durch die Geschichtsschreibung der Kirchen in der DDR besonders aktuell geworden.

Es ist aber wichtig, die Resistenz einzelner Gemeinden und Personen von dem Verhalten der offiziellen Behörden zu unterscheiden. Sieht man nämlich das enge Zusammenwirken und die Übereinstimmung der DC-Konsistorien mit Partei und Gestapo, wie sie Paul Schneider den grausamen Repressalien des Regimes auslieferten, muß man feststellen, daß sich die Loyalität mit solchen NS-konformen Kirchenbehörden wie in Düsseldorf nur stabilisierend auswirken konnte. Hier kann natürlich keine Rede von Resistenz sein.

Den von Paul Schneider geleisteten kirchlichen und politischen Widerstand stellten nur wenige in Frage (vgl. hier aber die Hannoversche Landeskirche). Dennoch stand er auch in der BK allein. Es ist deswegen nicht angebracht, von seinem Verhalten her verallgemeinernde Rückschlüsse auf die Wirkung der Dahlemiten zu ziehen.

Hier wäre es wichtig gewesen, sowohl die These von Klaus Scholder über jede Sonntagspredigt, die den weltanschaulichen Totalitätsanspruch des NS-Regimes in Frage stellte, als auch seine Würdigung der Barmer Erklärung als ein zentrales Ereignis der Kirchengeschichte des 20. Jh.s in Erinnerung zu rufen. Die Resistenz auf volkskirchlicher Ebene, und damit sind nicht die Organisationen, sondern die Prediger des Evangeliums gemeint, und ein radikales ethisches Zeugnis schließen sich nicht gegenseitig aus. Vielmehr kann man fragen, wieviel der Fall Schneiders und sein gewaltsamer Tod zur Kurskorrektur in der ganzen Kirche und besonders in den intakten Kirchen bei-trug. Der Autor stellt ganz richtig eine "Änderung im Verhalten der intakten Kirchen während der Kriegsjahre" fest. (333, Anm. 27).

Hätte der Autor die unterschiedliche Haltung zum Widerstand bzw. zur Resistenz bei dem sogenannten volkskirchlichen Protestantismus und bei dem radikalen Flügel der BK näher überprüfen wollen, hätte die Einstellung zu den Juden ein wichtiges Kriterium geliefert. Eben da sieht man nämlich die Notwendigkeit des Redens und Handelns bei Schneider und Bonhoeffer. Was wäre die ev. Kirche ohne diese Proteste gegen die Mißachtung und Verfolgung der Juden gewesen. Selbst notleidend in Buchenwald stellte Schneider seine eigene Solidarität mit den Juden nach dem Kristallnacht-Pogrom (9.11.1938) dem Schutzhaftlagerführer gegenüber wie folgt dar: "Daß ich Juden, die ja z.Z. meine Nächsten sind, in Schutz nehme, ist meine Pflicht. Ich bitte Sie, Herr Obersturmbannführer, entlassen Sie alle Juden und ich bin wieder beruhigt."(239) Gerade bei der Einstellung zur sogenannten Judenfrage ist es augenfällig, wie notwendig der radikale kirchliche Widerstand der einzelnen Personen war. Es ging um die Glaubwürdigkeit der Kirche.

Es ist zu begrüßen, daß wir nun eine gut dokumentierte, ohne Pathos geschriebene Darstellung eines Zeugnisses haben, auf dessen Boden die Kirche die Notwendigkeit ihrer Buße messen kann. Denn niemand will bestreiten, wenn Schneider sagt: "Ich und wir alle haben ja in unseren Predigten nie zuviel, sondern immer zu wenig gesagt."