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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

337–339

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Labron, Tim

Titel/Untertitel:

Wittgenstein and Theology.

Verlag:

London/New York: T & T Clark (Continuum) 2009. V, 153 S. 21,2 x 13,8 cm = Philosophy and Theology. Kart. £ 16,99. ISBN 978-0-567-60105-6.

Rezensent:

Andreas Hunziker

Das Ziel der Reihe »Philosophy and Theology« besteht darin, einen Einblick in das Denken bedeutender Philosophen zu gewähren, dessen Relevanz für die Theologie zu erkunden und schließlich zurückzufragen nach einer möglichen theologischen Antwort auf den jeweiligen philosophischen Denkansatz. Außer zu Wittgenstein sind in dieser Reihe bisher Bände zu Heidegger, Foucault, Agamben, Habermas, Adorno, Kierkegaard, Kant, Badiou, Vattimo, Derrida, Hegel, Girard, Nietzsche und Zizek erschienen.
Das schmale Buch Wittgenstein and Theology von Tim Labron besteht aus acht Kapiteln. Auf eine Einleitung folgen drei Kapitel zu Wittgensteins Biographie und Philosophie, um dann in den restlichen vier Kapiteln die zentrale Frage nach der Bedeutung von Wittgensteins Denken für die Theologie zu stellen. L.s Antwort beruht auf der – zumindest gewagten – Unterstellung folgender Analogie zwischen Wittgensteins Philosophie und der Theologie: »I will argue that Wittgenstein’s philosophy and the Council of Chalcedon join what realism and Nestorianism think are radically separate, and make distinct what idealism and Eutychianism think is a radical unity. The philosopher who grasps Wittgenstein’s philosophy should be able to see the significance of Chalcedon, and the theologian who understands Chalcedon, should be able to grasp the significance of Wittgenstein’s philosophy.« (7) L. liest die chris­tologische Denkweise des Chalcedonense und Wittgensteins (spätere) Denkweise also gleichsam parallel!
Entwickelt wird dieses analogische Hin- und Herfragen zwischen Wittgenstein und der Theologie in drei Schritten. Der erste Teil ist mit »Wittgenstein« überschrieben: Treffend stellt L. im Einleitungskapitel fest, dass es nach Wittgenstein in der Philosophie nicht darum geht, (falsche) Theorien durch andere (richtige) Theorien zu ersetzen. Philosophie vollzieht sich vielmehr als therapeutische Praxis, in der philosophische Probleme geklärt werden. Das zweite Kapitel besteht aus einer knappen Darstellung von Wittgensteins Biographie. Auch wenn L. die Bedeutung von Wittgensteins Denken für die Theologie mit Recht nicht auf seine expliziten Bemerkungen zum religiösen Glauben (in Vorlesungen, Tagebüchern, Manuskripten) beschränkt, ist bedauerlich, wie wenig der Leser darüber erfährt, wie wichtig in Wittgensteins Leben und Denken die Auseinandersetzung mit Fragen des religiösen Glaubens gewesen ist.
Der zweite Teil des Buches (»Philosophy«) besteht aus einem Kapitel zum früheren (Kapitel 3) und einem zum späteren Denken Wittgensteins (Kapitel 4). Aufgrund L.s Verständnis von Wittgensteins Denken als therapeutische Praxis ist es plausibel, wenn er dessen Philosophieren ›in action‹ diskutieren will. Und man kann dabei durchaus so verfahren, dass man zum einen Wittgensteins Denkweise anhand einer Kritik der epistemologischen Zugänge von Descartes’, Lockes und Berkleys ex negativo profiliert, um dann zum andern zu fragen, inwiefern das theologische Denken von demselben Virus befallen ist wie die Philosophie. L.s Darstellung ist zwar sehr selektiv, indem er sich ganz auf das epistemologische Problem von Realismus und Idealismus konzentriert und dabei zu zeigen versucht, wie Wittgensteins Denken nach einem Ort diesseits von Realismus und Idealismus sucht. Und er zeigt auch we-nig Gespür für die Frage, wieso Wittgenstein den skeptizistischen Stimmen überhaupt so viel Raum lässt, wenn sie doch in jeder Hinsicht sinnlos sein sollen. Aber darin hat L. durchaus Recht: Wittgensteins Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus bzw. dessen Widerlegungen ist nicht nur ein zentraler Strang in Wittgensteins Denken, sondern sie hat auch gewichtige theologische Implikationen. Nur, ob man daraus so generelle Analogien zwischen Wittgensteins Philosophie und der Theologie ableiten kann, wie L. es dann vor allem im dritten Teil tut, ist m. E. sehr fragwürdig. Gleichsam als Warnschild vor der Lektüre des letzten Teils des Buches steht für mich denn auch L.s Vorschlag, mit der Entwick­lung vom früheren Denken des Tractatus zum späteren Denken in den Philosophischen Untersuchungen und in Über Gewissheit eine zweite Analogie zu verbinden: In der Entwicklung von einem Bild der Sprache, der eine (verborgene) logische Syntax zugrunde liegt, zur Ansicht des späteren Wittgenstein, wonach die Logik bzw. Grammatik gleichsam offen in der Sprache da liegt, zeige sich eine Ähnlichkeit zum Übergang vom Alten Testament und dessen verborgenem Gott zum offenbaren Gott des Neuen Testaments!
Der dritte, gewichtigste und gewagteste Teil des Büchleins (»Theo­logy«) besteht aus vier weiteren Kapiteln. Den Kern des fünften Kapitels (»Wittgenstein and Theology«) bildet L.s Versuch, uns die Analogie zwischen Wittgensteins Sprachverständnis und dem Chalcedonense detaillierter vor Augen zu führen. Aber wieso Wittgenstein dasselbe tut, wenn er den Realismus wie den Idealismus unterläuft, wie das Chalcedonense, wenn dieses im Blick auf die zwei Naturen Christi nach einem Ort jenseits von Nestorianismus wie Eutychianismus sucht, das vermag L. – von der wiederholten Behauptung, dass hier eine Analogie bestehe, abgesehen – nicht verständlich zu machen. Vielmehr scheint sich, was als Analogie daherkommt, der Vermischung unterschiedlicher Sprachebenen zu verdanken: Wittgensteins grundbegriffliche Überlegungen spielen sich auf einer anderen Ebene ab als der theologische Versuch, innerhalb ›des griechisch-hellenistischen‹ Denkens eine Lö­sung für das christologische Problem zu formulieren. Und auch wenn ›das griechisch-hellenistische‹ Denken in den damaligen theologischen Diskussionen zum Teil von innen her aufgebrochen wurde, wäre es etwas ganz anderes, diesen Bruch auch im Lichte von Wittgensteins Philosophie begrifflich zu durchdenken. Dasselbe gilt dann auch für L.s Behauptung, dass – anachronistisch formuliert – Calvin und Zwingli (im Gegensatz zu Luther) mit ihrer Trennung des Göttlichen vom Menschlichen hinter Wittgensteins Entdeckung der Einheit von Logik und Sprache zurückbleiben.
Im sechsten Kapitel (»Wittgenstein and the Theologian«) steht nicht mehr der Gegensatz zwischen Nestorius und Eutychus sondern derjenige zwischen Alexandria und Antiochien im Zentrum. L.s Argumentationsschema aber bleibt dasselbe: George Lindbecks Denkansatz – L. will sich nun der zeitgenössischen Theologie zuwenden – steht für die antiochisch(-eutychianische) Seite, Kevin Vanhoozers Theologie muss für die alexandrinisch(-nestorianische) Partei hinhalten: Beide nach Erklärung strebenden Theorien seien Ausdruck einer theologia gloriae, während Luthers theologia crucis auf die Suche nach einem archimedischen Punkt verzichte und damit Wittgensteins Denken verwandt sei. Auch hier kann ich in L.s Analogien nicht mehr als Behauptungen sehen. Dazu kommt, dass die Darstellung der von ihm kritisierten Positionen zum Teil sehr einseitig ist (besonders fiel mir dies im Blick auf Lindbeck auf, dessen Werk ich einigermaßen gut kenne). Nicht besonders überzeugend scheinen mir schließlich auch L.s Ausführungen im siebten Kapitel (»Wittgenstein in Theological Practice«) zu sein, wo er nach der Bedeutung von Wittgensteins Denken (und der chalcedonensischen Christologie) für zentrale theologische Themen wie ›Schrift‹, ›Abendmahl‹, ›Kirche‹ und ›Ökumene‹ fragt. Die mit diesen Themen verbundenen Probleme werden wiederum ganz stereotyp durch die Brille von L.s ›chalcedonensischem Wittgenstein‹ behandelt.
Das achte Kapitel, mit dem das Buch zu seinem Ende kommt (»Explanations, Doubt and Redemption«), zeigt, woher L.s Grundidee, die christologische Denkweise des Chalcedonense und Wittgensteins (spätere) Denkweise parallel zu lesen, ihren Ursprung hat. Wittgensteins (von Norman Malcolm vor längerer Zeit ausführlich diskutiertes) Diktum, dass er zwar kein religiöser Mensch sei, aber jedes Problem aus einer religiösen Perspektive betrachten müsse, bildete nicht nur bereits das Thema von L.s früherem Buch über Wittgenstein. Es scheint ihn auch dazu motiviert zu haben, die Frage nach der Bedeutung von Wittgensteins Denken für die Theologie in seinem neuen Buch Wittgenstein and Theology durch ein analogisches Hin- und Herfragen zwischen Wittgensteins Sprachverständnis und der chalcedonensischen Christologie zu beantworten.
Gerade als Einführung scheint mir dieses Buch nicht geeignet. Dazu vermittelt es ein zu einseitiges Bild der Bedeutung von Wittgensteins philosophischem Denken für die Theologie. Wer nach einer guten Einführung in dieses Thema sucht, wird darum nach wie vor mit bedeutend mehr Gewinn Fergus Kerrs Theology after Wittgenstein zur Hand nehmen.