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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

332–334

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

[Beck, Heinrich]

Titel/Untertitel:

Dialogik – Analogie – Trinität. Ausgewählte Beiträge und Aufsätze des Autors zu seinem 80. Geburtstag. M. e. Einführung hrsg. v. E. Schadel.

Verlag:

Frankfurt a. M. u. a.: Lang 2009. 755 S. m. 1 Porträt. 21,0 x 14,8 cm = Schriften zur Triadik und Ontodynamik, 28. Geb. EUR 108,00. ISBN 978-3-631-58716-4.

Rezensent:

Michael Schulz

Wiederum hat sich der Bamberger Philosoph und Comenius-Experte Erwin Schadel um das Werk seines bis 1997 in Bamberg Philosophie lehrenden Kollegen Heinrich Beck durch die Herausgabe einer Festschrift verdient gemacht. Zum 80. Geburtstag Becks legt Schadel zentrale Beiträge des nach wie vor international tätigen und anerkannten Autors unter dem Titel »Dialogik – Analogie – Trinität« vor. In seiner ausführlichen Einführung (9–82) macht er den Leser mit dem zentralen ontologischen Thema Becks bekannt, das alle Beiträge miteinander verbindet: der Akt-Charakter des Seins. Diese Thematik bildete bereits den Mittelpunkt der Habilitationsschrift Becks (1965, 2. Aufl. 2001). Sie ist gekennzeichnet durch eine gedankliche Verschränkung der Seinsphilosophie des Thomas von Aquin mit der idealistischen Ontologie Hegels, angeregt durch Gustav Siewerths »Thomismus als Identitätssystem« (1939; 1961).
Die Anordnung der Beiträge folgt den Tätigkeitsfeldern Becks: Die ersten sieben bieten Ausführungen zu einer Philosophie der Erziehung und Anthropologie (95–219) – Beck machte Studierende der Pädagogik mit philosophischen Aspekten ihres Faches bekannt. 15 weitere Artikel behandeln Fragen zur Erkenntnistheorie, Ontologie, Metaphysik und Religionsphilosophie (221–553) – sie reflektieren Becks philosophische Tätigkeit bei der Theologenausbildung. Es folgen acht Abhandlungen zur Geschichts- und Kulturphilosophie sowie zur Ethik (555–720) – sie dokumentieren Becks Engagement für eine friedensfördernde Begegnung der Kulturen. Ausführliche Angaben zur Herkunft der Beiträge (721–724), Personen- und Sachregister (729–755), Daten zum Lebenslauf von H. Beck (725–727) sowie eine Tabula gratulatoria (83–92) sichern den formal-wissenschaftlichen und biographischen Rang dieser Festschrift.
Unter dem Stichwort des Buchtitels »Dialogik« erläutert Schadel Becks Seinsauslegung als Kommunikationstheorie. Eine Kommunikation ermöglichende Funktion kommt dem Sein aufgrund seiner »Analogik« zu: Es ist kein abstrakter Begriff, sondern Eines und Vieles; es verbindet Unterschiedliches miteinander: Realitäten, Personen, Kulturen. In seinem Aktcharakter bildet das Sein die Grundstruktur aller Wirklichkeit. In der Tradition des Augustinus de­-chiffriert Beck im Sein als Akt eine trinitarische Signatur; es ist Gleichnis der »Trinität«. Der trinitarisch-triadische Vollzug des Seins als Akt hebt an mit einem primordialen In-sich-Sein – von Beck Insistenz und Realität genannt und als Bild der divinen Person des Vaters verstanden; der Vater stellt die Einheit Gottes als Ur­sprungseinheit dar, die in der Einheit des Seins (unum) abbildlich aufscheint. Das In-sich-Sein wird sich selbst ausdrücklich im Mo­dus der Ek-sistenz und Idealität (verum) in ontologischer Erinnerung an den Hervorgang des gottimmanenten Logos, in dem sich Gott der Vater selbst erfasst und sein göttliches Wesen ausspricht. Im Logos ist Gottes Einheit als Einheit von Unterschiedenen real; Sein ist abbildlich analoge Differenz-Einheit. Pneumatische Signatur komme dem vollendeten, vertieften und gesteigerten In-sich-Sein zu, der Re-insistenz des Seins; das sich selbst ausdrücklich gewordene Sein vollbringt sich in Selbstaffirmation, im Willen zu sich, weshalb Beck im Sinn der Transzendentalienlehre auch von der Bonität des Seins spricht (bonum). Die Einheit Gottes ist im Heiligen Geist real als Einigkeit und Gemeinschaft; abbildlich ist das Sein Medium der Übereinkunft. Jedes endliche Seiende trägt die Spuren der Trinität, insofern es Realität, Idealität und Bonität ist. Schadel verhehlt nicht den Anachronismus dieses Ansatzes im Kontext der Moderne; er sieht in ihm dennoch eine große Chance, Aporien der Moderne zu überwinden.
Einige Streiflichter: Die zahlreichen trinitätstheologisch inspirierten Überlegungen zur Ontologie (161–176.269–285.327–406), Kosmologie (259–267.441–455), Anthropologie (479–497) und selbst zur Angelologie (343–406), Mariologie (499–513) und Musik (407–439) belegen Becks Verbindung von Philosophie und Trinitätstheologie. Die Verkündigung der Trinität müsse zu einem philosophisch erhebbaren Problembestand »passen«, wie z. B. zur Frage nach dem Zusammenhang von Einheit und Vielheit (327–341). Beck rekonstruiert G. W. F. Hegels und G. Siewerths unterschiedliche Ableitung der Vielheit aus der absoluten Einheit und Selbsterkenntnis Gottes: Zur Selbsterfassung der göttlichen Einheit gehört die Erkenntnis, mit dem Nichts sowie mit dem Anderen der Einheit, der Vielheit und dem Endlichen, nichts zu tun zu haben. Dennoch ist mit dieser Erkenntnis die Möglichkeit endlicher Vielheit in Gottes Selbsterkenntnis gegeben. Im Unterschied zu Hegel, wie Beck herausstellt, leiten weder Siewerth noch er selbst die Existenz der Endlichkeit aus dem dialektisch Anderen Gottes ab. Aber die reine Denkbarkeit des Vielen erweist sich als Implikat der Idealität (»Ek-sistenz«) Gottes. Philosophisch bleibt freilich offen, ob und wie diese göttliche Selbsterkenntnis auch rein innergöttlich produktiv und generativ ist. In einem Beitrag zur Enzyklika »Fides et ratio« von Papst Johannes Paul II. wagt sich Beck philosophisch noch etwas weiter vor (457–477). Er qualifiziert die johanneische Identifikation von Gott und Liebe (1Joh 4,8.16) auch als philosophische Einsicht (476) und bietet im Folgenden eine an Richard von St. Victors »De Trinitate« erinnernde Ableitung der Dreieinigkeit aus den Implikationen des Liebesbegriffs. Beck merkt jedoch an, dass sich Glaubensinhalte nicht philosophisch ableiten lassen, deshalb aber ebenso wenig in einem »beziehungslosen Jenseits« zur Philosophie stehen (477).
Beck erprobt seine triadische Ontologie im Durchdenken anderer philosophischer Positionen und Problemfelder: Die Auflösung des Widerspruchs zwischen einem statisch-essentiellen und dynamisch-funktionalen Weltbild (161–167), das ontologisch dem Sein in seiner In-sistenz bzw. Ek-sistenz entspricht, ist in der Bestimmung der Re-insistenz zu finden, nach der das Wesen als lebendige Dynamik zu begreifen ist – als ein pulsierender Zusammenklang von Exzentrizität und intensivierter Konzentration auf das Eigene. In diesen ontologischen Koordinaten diskutiert Beck das Frei-heitsverständnis der Neuzeit (169–183). Durch Aufdeckung eines pragmatischen Widerspruchs in Skeptizismus, Relativismus und Postmoderne (185–200.223–239) sucht Beck einen begründungs­theoretischen Weg zu einem ethischen Personalismus: Da perspektivistische und radikal pluralistische Positionen mit der Praxis ihrer Propositionen den Horizont des Wahren, Einen und Wirklichen für sich in Anspruch nehmen, um verständlich zu sein, kann nur das Gegenteil der Aussagen zutreffen. Zugleich konserviert Beck die partiellen Wahrheiten dieser Positionen. Die Vielheit der Perspektiven, in denen der Mensch laut Beck die Wirklichkeit er­fährt, ist geeint in der und ermöglicht durch die Analogizität des Seins. Auch das Unbedingte, Absolute, von dem aus nur Relativität und Be­dingtheiten erfasst werden können, ist nicht durch einen unbedingten Begriff, sondern nur durch bedingte, kulturell im­prägnierte, analoge Konzepte zugänglich. Aber gerade in dieser kulturellen Vermittlung sieht Beck jederzeit einen Bezug jedes Menschen zum Unbedingten gegeben, der vor allem eine ethische Form hat und das Gewissen beansprucht. Dieses Gewissen fordert unbedingte Anerkennung jedes Menschen.
Angeregt durch die Begegnung mit dem Herausgeber hat sich Beck mit dem Denken des tschechisch-mährischen Theologen, Philosophen, Erziehers und letzten Bischofs der Böhmischen Brüderunität Jan Ámos Komenský (Johann Amos Comenius) (1592–1670) auseinandergesetzt, mit Comenius’ pansophischen und trinitarischen Thesen (Macht, Weisheit, Liebe) und Friedensphilosophie (515–553). Typologisches bietet Beck in seiner Deutung der Weltkulturen (637–658), der Menschenrechte (659–681) und des Naturrechts (683–720): »[E]rstmalig« soll dabei die »Ontologie für das Problem der Ordnung der Völker fruchtbar« gemacht werden (637). Die Transzendentalien ordnet er bestimmten Kulturtypen zu: Das verum werde überwiegend in der logos- und rationalitätsbetonten, »differenzierenden, analysierenden« westlichen Hemisphäre sichtbar, in der das Individuum mit seinen unantastbaren Menschenrechten im Mittelpunkt steht; das bonum scheine in einer »zu­sammenfassende[n], synthetisierende[n] Grundhaltung gegen­-über dem Sein« (642) auf, die der Osten erkennen lasse, zu dem Beck nicht nur Asien, sondern auch Afrika zählt. In dieser Hemisphäre stehen Gemeinschaft und kosmisches Bewusstsein im Vordergrund. Lateinamerika deutet Beck – fast wie 1925 José Vasconcelos – als Ursprungsort der Raza Cósmica: als Ort der Begegnung und des Zusammenwachsens unterschiedlicher Kulturen. Nach dem clash of civilizations im Zeitalter der »Entdeckungen« und der Conquista scheint im postkolonialen Meso- und Südamerika zumindest anfanghaft dadurch das Eine und Schöne des Seins auf, dass die verschiedenen Kulturen sich in ihrer Ergänzungsfähigkeit und -be­dürftigkeit sowie in ihrer untergründigen Einheit entdecken, z.B. in Gestalt philosophischer Fragen nach dem Wesen des Menschen, dem Sinn der Wirklichkeit, nach dem Wahren und Guten. Im interreligiösen Bereich versteht Beck seine Ontologie ebenso als Dialogplattform. Die Triadik des Seins lasse sich in ägyptischen und hinduistischen Göttertriaden wiederentdecken; die Offenbarungsre­ligionen Judentum, Christentum und Islam konvergieren im trinitarischen Gedanken der Selbstmitteilung des göttlichen Wortes.
Becks trinitätstheologisch inspirierte Ontologie steht und fällt mit der Bereitschaft zu einer derartigen Ontologie. Zu ihrer Begründung bietet der Band transzendentalpragmatische Argumente. Es wird Beck nicht überraschen, dass diese Argumente auf bekannte Widerstände stoßen: dass etwa die transzendentale, hermeneutische und/oder sprachwissenschaftliche Wende der Philosophie nicht nachvollzogen werde. Aufgrund der westlichen Provenienz steht die interkulturelle Tauglichkeit dieser Ontologie zur Diskussion. Ihre oft beklagte Abstraktheit spiegelt sich wider in der groben Zweiteilung der Weltkulturen nach dem Schema der Transzendentalien verum und bonum. Und dennoch wird implizit Becks Anliegen verfolgt, wenn man etwa interkulturelle Philosophie im Blick auf anthropologische Konstanten und das Humanum entwickelt und man dabei den Menschenrechten nicht nur eine lokal beschränkte ästhetische Plausibilität zugesteht, sondern sich um die Begründungen einer globalen Verantwortung für das selbstzweckliche menschliche Leben bemüht. Ebenso wird der Dialog der Religionen eine besondere Prägnanz erreichen, wenn strukturelle Parallelen zur Sprache kommen. Gerade die inner- und außerchristlichen Vorbehalte gegenüber der Trinitätstheologie könnten dadurch abgebaut und diese selbst zu einem Fluchtpunkt der Diskussion werden. Es wird die Zukunft erweisen, inwieweit dabei Ontologisches expliziert werden kann. Becks Lebenswerk steht für diesen Fall bereit.