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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

330–331

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Weigel, Valentin

Titel/Untertitel:

Kirchen- oder Hauspostille. Hrsg. u. eingeleitet v. H. Pfefferl. 2 Teilbde.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2010. LXII, 590 S. m. Abb. gr.8° = Valentin Weigel: Sämtliche Schriften. Neue Edition, 12/1 u. 12/2. Lw. EUR 772,00. ISBN 978-3-7728-1851-6.

Rezensent:

Ernst Koch

Dem wohl – in Zuspruch und Widerspruch – wirkungsmächtigs­ten Werk Valentin Weigels widmet die Ausgabe mit gutem Grund einen Doppelband. Allein der Umfang der Kirchenpostille verlangt eine solche Eigenstellung, wenn auch die Anzahl von lediglich drei Druckauflagen zwischen 1617 und 1699/1700 im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Postillendrucken als gering erscheinen mag. Die sachgemäße Einordnung von Weigels Predigtsammlung in das Genus Postille hat den Herausgeber allerdings bewogen, auf einen Sachkommentar zu verzichten, »weil der zeitliche Aufwand für einen kritischen Vergleich der Predigten mit den vielen vorangegangenen Postillen in keinem Verhältnis zum Erkenntnisgewinn für Weigels eigene Lehre gestanden hätte« (LIV). Der in gewohnter Weise sorgfältigen und abgewogenen Arbeit des Editors hat diese Entscheidung jedoch keinen Abbruch getan, wie die Darlegung seiner Prinzipien für die Ausgabe dieses Werkes zeigen kann (ebd.).
Pfefferl bezeichnet Weigels Postille als »klandestine Gegenpos­tille« (XV u. ö.), ordnet sie also in das seit dem späten Mittelalter, vor allem aber den Anfängen der Wittenberger Reformation sich breit entfaltende literarische Genus der auf Evangelien (bzw. Epis­teln) der Sonn- und Festtage des Kirchenjahrs bezogenen Predigtsammlungen ein. Allerdings sind, was sich zu bemerken lohnt, in Weigels Evangelienpostille zwar fünf Sonntage der Zeit nach Epiphanias und alle 27 Sonntage nach dem Trinitatisfest berück­sichtigt, von den Apostelfesten jedoch lediglich die, die in den Beginn des Kirchenjahrs fallen, Andreas (30. November) und Thomas (21. Dezember) (und die Bekehrung des Paulus, 25. Januar), hingegen auch die drei Marienfeste (2. Februar, 25. März, 2. Juli).
Die Einleitung auch dieses Bandes der Weigel-Ausgabe befasst sich mit der Forschungsgeschichte zur Postille. Zur Echtheitsfrage widerruft er die von ihm selbst 1991 vertretene »rigide Einschätzung« der Authentizität des 1617 veröffentlichten Textes hinsichtlich vom Autor selbst gehaltener Predigten (XXXV). Dazu veranlassen ihn die während seiner Editionsarbeit erworbenen Erfahrungen. Vor allem ist es die Erwägung der für die Entstehungszeit der Texte vorauszusetzenden zeitgenössischen Situation, die ihn im Blick auf den polemischen Charakter vieler Passagen schlussfolgern lässt, »daß die Möglichkeit eines öffentlichen Vortrags in der besonderen kirchenpolitischen Situation der Zeit nach 1574 in Sachsen definitiv auszuschließen ist« (XXXVI). Außerdem finden sich inhaltliche Parallelen in dieser Weise zu charakterisierender Textteile eben auch in unveröffentlichten Texten Weigels, und Weigels spiritueller (oder nicht viel mehr spiritualistischer?) Kirchenbegriff wie auch seine Toleranzidee sprechen für die Authentizität der angefragten Aussagen. Zu ihnen veranlassten ihn die als Glaubenszwang empfundene Forderung zur Unterschrift unter die Konkordienformel wie auch seine Abneigung gegen eine Predigtpraxis, die sich aus Faulheit (wie Weigel meint) auf Bekenntnisformulierungen und menschliche Autoritäten beruft. Daraus entstand seine »Gegenpostille«, die er für einen begrenzten Kreis von Vertrauten verfasste. Das schließt für Pfefferl nicht aus, dass es bis zur Druck­legung mehrstufige Überarbeitungen der Texte durch den Herausgeber gab, die Weigels spätere Predigttätigkeit, dessen eigenhändige Umarbeitung und Veränderungen durch Bearbeiter aufnehmen. Für diesen Prozess sprechen weitere Beobachtungen, so eine anderswo handschriftlich überlieferte Bemerkung zur Postille, eine dem 1617 gedruckten Text vorangehende, aber abgebrochene handschriftliche Predigtsammlung und der Inhalt zeitlich parallel entstandener Weigel-Schriften. Den späteren, durch Bearbeiter er­stellten Veränderungen geht Pfefferl ge­sondert nach (LI–LIII). Auch ihm war es allerdings nicht möglich, den sich lediglich durch Ini­tialen vorstellenden Autor der Widmungsvorrede von 1617 zu identifizieren (XIX f.).
Zu danken ist dem Herausgeber des nun vorliegenden Textes für die Entschlüsselung auch der emblematischen Beigabe des Titelblattes der drei Druckausgaben (XVII).
Mag man zunächst der Methodik vorsichtig kritisch gegenüberstehen, textkritische Probleme durch inhaltliche Analysen zu lösen, so überzeugen doch die Argumente, die der Herausgeber vorlegt. Neben allen übrigen Verdiensten des vorliegenden Bandes besteht sein Gewinn in der Anleitung zu weiterer Schärfung des Blicks für das Profil eines Autors, der nicht zufällig begeisterte Zustimmung und heftige Reaktionen der Nachwelt ausgelöst hat. Zur inhaltlichen Analyse des Autors Valentin Weigel steht noch manche Arbeit aus. Die kritische Ausgabe seiner Schriften in ihrer Abfolge stellt sich mehr und mehr als hoher Gewinn für eine solche Arbeit heraus.