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Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

60–62

Kategorie:

Kirchengeschichte: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schröer, Alois

Titel/Untertitel:

Die Kirche von Münster im Wandel der Zeit. Ausgewählte Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge zur Kirchengeschichte und religiösen Volkskunde des Bistums und Fürstbistums Münster.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1994. XV und 695 Seiten m. 18 Abb. z.T. farb. 8o. Lw. DM 98,­. ISBN 3-402-03987-7

Rezensent:

Christian Peters

Der Sammelband bietet 35 Abhandlungen, Aufsätze und Vorträge zur Geschichte der Kirchen und der kirchlichen Institutionen des Bistums Münster. Seine Beiträge greifen in ihrem In-halt aber bisweilen auch auf die Kölner Kirchenprovinz bzw. den Raum Westfalen über. Darüber hinaus wird das Werk mehrerer um die Kirche verdienter Einzelpersonen gewürdigt (Bischof Liudger von Münster [Ý809], Nikolaus von Kues [1401-1464], Johannes Gropper [1503-1559], Niels Stensen [1638-1686], Georg Heinrich Jacobi von Tautphäus [1717-1793], Bischof Johann Georg Müller von Münster [1798-1870], Adolf Tibus [1817-1894] und Wilhelm Eberhard Schwarz [1855-1923]).

Die abgedruckten Beiträge stammen aus fünf Jahrzehnten und sind "grundsätzlich unverändert übernommen" (XI) worden. Allerdings wird ­ sofern möglich und sinnvoll ­ auch auf neuere Forschungsergebnisse und weiterführende Literatur verwiesen. Lediglich die Abhandlungen zur Baugeschichte der Kirchengründung Liudgers erscheinen in einer veränderten Fassung, die nun auch die Ergebnisse der Grabungen der Archäologen des westfälischen Landesmuseums während der Jahre 1987 bis 1989 berücksichtigt.

Das Buch umfaßt sechs Abschnitte: Abschnitt I (sechs Beiträge) trägt die Überschrift: "Liudger, erster Bischof von Münster, und sein Bistum". Schröer versucht, das "geistliche Bild" Liudgers (+ 809) zu rekonstruieren (Herkunft, Bildungsweg, pastorales Wirken). Er betont Liudgers Verdienste um die Heranbildung und die Formung der ersten Priestergeneration des westlichen Sachsen und beleuchtet sein Verhältnis zu Bonifatius (Ý755) und dessen Schüler Gregor von Utrecht (Ý775). Zwei weitere Aufsätze widmen sich der Frage nach dem Datum der Bischofsweihe Liudgers sowie den Liudger-Reliquien des Domes zu Münster. Alle Beiträge sind aus einem gründlichen Quellenstudium erwachsen. Die Auseinandersetzung mit der (meist älteren) Sekundärliteratur ist intensiv. Man vermißt allerdings ein Eingehen auf die Arbeiten Wilhelm Kohls. In der eigenen Interpretation wird bisweilen zu stark harmonisiert.

Abschnitt II (acht Beiträge) befaßt sich mit "Dom und Domkapitel". Er bringt anschauliche Beiträge zur Baugeschichte der ersten, zweiten und dritten Domkirche Münsters (Münsterkirche Liudgers [ca. 793], Erpho-Dom [1090-1197] und dritter Paulusdom [1264]). Weitere Aufsätze widmen sich der Geschichte des Münsterer Domkapitels im ausgehenden Mittelalter sowie dem Geschick des "neuen" Kapitels (seit 1823). Sch.s Studien sind durchweg kompakt und zuverlässig. Sie gewähren interessante Einblicke in den Aufbau und das Funktionieren des Domkapitels und sind darin gerade auch für ein breiteres Publikum durchaus instruktiv.

Abschnitt III (sechs Beiträge) trägt die Überschrift "Reform und Reformation" und bietet eine Reihe in sich sehr unterschiedlicher Abhandlungen. Sch. befaßt sich hier zunächst mit der Legationsreise des Kardinals Nikolaus von Kues während der Jahre 1451/1452. Später widmet er sich dann dem Kampf Johannes Groppers gegen die reformatorischen Pläne des Kölner Erzbischofs Hermann von Wied. Ausgangspunkt hierzu sind die vatikanischen Quellen. Weitere Beiträge beleuchten den "Anteil der Frau an der Reformation in Westfalen" sowie den "Erwerb der kirchlichen Jurisdiktion im Niederstift Münster durch Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen 1668". Sch.s Untersuchungen über die Rolle der Frau in der Reformation sind aber wohl doch zu einseitig auf den Adel ausgerichtet.

Abschnitt IV ("Kloster, Stift, Pfarrei") umfaßt insgesamt acht Beiträge. Sch. untersucht die Geschichte der westfälischen Klöster und Stifte während der Reformationszeit. Er bietet einen Überblick über die kirchliche Landschaft und ihre Strukturen (Verbreitung der einzelnen Orden, Skizze ihrer pastoralen Wirksamkeit, Würdigung ihrer Leistungen, einschließlich aller Defizite in Lehre und Leben). Besondere Erwähnung verdienen in diesem Zusammenhang eine exemplarische Untersuchung zu den westfälischen Prämonstratensern sowie ein Beitrag zur vita canonica und ihrer Ausbreitung in Westfalen. Allerdings sind bei diesen Untersuchungen ­ zumindest aus heutiger Sicht ­ auch deutliche Defizite zu verzeichnen. Zu verweisen ist dabei besonders auf die wohl zu geringe Berücksichtigung sozialgeschichtlicher Erkenntnisse (sie macht sich vor allem bei der Erklärung der relativen Stabilität der westfälischen Frauenklöster während der Reformationszeit bemerkbar). Ungemindert in ihrem Wert sind demgegenüber auch heute noch Sch.s Beiträge zur Geschichte einzelner Kirchen und ihrer Gemeinden (St. Ludgeri [Münster], St. Martini [Münster], St. Lamberti [Münster], St. Remigius [Borken] und St. Pankratius [Gescher]). Hervorzuheben ist hier einmal mehr die souveräne Beherrschung des umfänglichen, aber fast immer weit verstreuten Materials.

Abschnitt V (vier Beiträge) trägt die Überschrift "Geistliche Persönlichkeiten". Er bringt Abhandlungen zu Niels Stensen (1638-1686, 1680-1683 Weihbischof von Münster) und Bischof Johann Georg Müller (1798-1870, 1848 Mitglied des Parlaments in der Frankfurter Paulskirche). Darüber hinaus werden Lebensbilder der beiden wichtigsten Historiker des münsterischen Domkapitels, Adolf Tibus (1817-1894) und Wilhelm Eberhard Schwarz (1855-1923), geboten.

Abschnitt VI (drei Beiträge) befaßt sich mit dem "Religiösen Volkstum". Er bietet Untersuchungen zu Heiligenkult und Volksfrömmigkeit. Eindrücklich ist dabei vor allem ein Beitrag zur Rolle der westfälischen Bruderschaften. Der Aufsatz "Die Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter Gottes von Telgte und die Galenbischöfe" ist vorwiegend spirituell ausgerichtet und schließt insofern den Kreis zu den Liudgerbeiträgen des ersten Abschnittes.

Der Wert des hier vorgelegten Bandes (nicht nur, aber doch zunächst für die regionale Kirchengeschichtsschreibung) dürfte nach all dem unstrittig sein: Er versammelt erstmals viele interessante, bislang aber weit verstreute Aufsätze Sch.s an einem Ort und stellt insofern eine "Lebensernte" besonderer Art dar. Sch.s Sach- und Detailkenntnis ist durchweg beeindruckend. In den älteren Beiträgen wird der Lesegenuß aber bisweilen durch irritierende polemische Härten (Bewertung der Reformation und ihrer Anliegen) getrübt. Hier hätte eine behutsame Retraktation leicht Abhilfe schaffen können.