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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

320–321

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Simon, Wolfgang [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Martin Bucer zwischen den Reichstagen von Augsburg (1530) und Regensburg (1532). Beiträge zu einer Geographie, Theologie und Prosopographie der Reformation.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. IX, 273 S. 23,2 x 15,5 cm = Spätmittelalter, Humanismus, Reformation, 55. Lw. EUR 84,00. ISBN 978-3-16-150599-7.

Rezensent:

Bernd Moeller

Erneut wird ein Sammelband vorgelegt, der dem Geschick Bucers in den Jahren 1530–1532, in denen der Straßburger Reformator in die erste Reihe der Reformatoren aufrückte, nachgeht. Ähnlich wie 2003, als in derselben Publikationsreihe der Abendmahlsstreit je-ner Jahre in einer Aufsatzsammlung untersucht wurde (M. Arnold, B. Hamm, Hrsg., Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli), bieten hauptsächlich die neu erschienenen Bände in der Ausgabe der Briefe Bucers die Quellenbasis. Doch geht es diesmal weniger um die Sakramentstheologie – sie steht nur in dem vorzüglichen Aufsatz von Stephen E. Buckwalter (Die Entwicklung einer eigenen Position, 98–107) im Mittelpunkt, wo Bucers Beiträge zum Abendmahls- und zum Täuferstreit in ihrem theologischen Zusammenhang dargestellt werden. Vielmehr werden nun vor allem die allgemeinen Geschehnisse der Reichs- und Stadtgeschichte und der Anteil, den der Straßburger an ihnen hatte, behandelt. Die insgesamt 15 Beiträge des Bandes, der auf ein Erlanger Kolloquium von 2010 zurückgeht, sind durchweg knapp gehalten, zwischen acht und 17 Druckseiten, wobei die Autoren, wie der Herausgeber in seinem etwas prätentiösen Vorwort herausstellt, zuvor »auf die Ge­samtkonzeption mit ihren eng vorformulierten Themenstellungen« verpflichtet worden waren.
Naturgemäß, der Anlage des Bandes entsprechend, nehmen die Beziehungen Bucers zu einzelnen Personen, zumeist Briefpartnern, breiten Raum ein. Die Verbindungen mit Heinrich Bullinger (Daniel Timmerman, Bucers Verständnis von Schrift und Schriftauslegung …, 83–97), Erasmus (Ian Hazlett, Fixing the Boundary between the Old and New Faiths, 137–154), den von Straßburg nach Augsburg versetzten reformatorischen Predigern (Reinhold Friedrich, Die Beziehung Bucers zu den Augsburger Predigern, 157–169), den Ge­schwistern Blarer (Wolfgang Schöllkopf, Von Freundschaft und Gegnerschaft …, 170–186), Capito (Milton Kooistra, Bucer’s Relationship with Wolfgang Capito, 187–204) sowie Luther und Me­lanchthon (Christine Mundhenk, Die Beziehung Bucers zu L. und M., 205–216) werden eigens beleuchtet. An Stadtreformationen treten, neben Straßburg selbst (Thomas A. Brady jr., Die Stadt: Straßburg im Kontext von Reich und Reformation …, 27–35), das benachbarte Basel (Thomas Wilhelmi, Die staatskirchlich geprägte Reformation in Basel, 39–47) sowie Ulm (Sabine Arend, M. B. und die Ordnung der Reformation in Ulm, 63–79) ins Blickfeld. Die politische Lage im Reich wird von Christoph Strohm skizziert (Politische Konstellationen und Fragestellungen in den Jahren zwischen dem Augsburger und dem Regensburger Reichstag …, 13–26), diejenige in der Eidgenossenschaft von Helmut Meyer (Die militärische Auseinandersetzung um die Reformation in der Schweiz, 48–62). Endlich erfahren Bucers theologische Positionen – in der Bekenntnisfrage (Wolfgang Simon, Die Überschreitung der Grenze: Bucers Annahme der Confessio Augustana und deren Apologie, 108–124), in der Ekklesiologie (Berndt Hamm, M. B.s zwei Gesichter: ausgrenzende Un­duldsamkeit und integrative Tendenz, 125–136) – jeweils eine eigene Würdigung.
Trotz der strengen Organisation des Bandes ist dessen wissenschaftlicher Ertrag ungleich. Einige der Beiträge bieten nicht viel mehr als eine Paraphrase der – zum größten Teil ja gar nicht unbekannten – Brieftexte, bei mehreren Autoren vermisst man die Kennt­nis wichtiger Literatur. Vor allem das diffizile und vielschichtige Verhältnis Bucers zu seinem Kollegen Wolfgang Capito wie überhaupt seine Stellung in Straßburg hätten wohl mit mehr Sachkenntnis und Sensibilität dargestellt werden sollen. Immerhin kommt die epochale Bedeutung, die die Jahre nach 1530 in Bucers Lebensgeschichte und in der Geschichte seiner Einwirkung auf die Reformation erlangten, im Mosaik der Beiträge recht gut zur Geltung: Der Straßburger Reformator wurde damals zum ersten Mann in der Kirche Straßburgs und zum »Aufsteiger unter den Theologen« ( Timmerman, 83), zum führenden Fachmann des evangelischen Süddeutschlands in den Fragen der Lehrbildung und Gottesdienstgestaltung sowie zum Hauptverfasser der ersten süddeutschen Kirchenordnung, derjenigen von Ulm, er trat wie kein anderer als unermüdlicher – fast möchte man sagen: unverwüstlicher – freilich auch trickreicher Vorkämpfer für die Einheit der Protestanten auf, hingegen als scharfer Gegner von »dogmatischer Überdeterminierung und rigoristischer Härte« ( Hamm, 129), wie er sie bei theologischen Solisten wie Servet und Sebastian Franck sowie den Täufern fand und als Verstoß gegen die »innige Wechselbeziehung von Glauben und Liebe«, die den Christen geboten sei (ebd., 135), definierte. Bucer als »Oekumeniker« zu bezeichnen (Simon, l), dürfte eher fraglich sein – dass er zugleich alles aufbot, um die neue Kirche gegen Rom abzugrenzen und zu stabilisieren, sollte ja nicht übersehen werden.
In diesem Zusammenhang ist eine eigenartige Deutung des in dieser Zeit grundlegenden Straßburger Bekenntnisses, der Confessio Tetrapolitana, zu monieren, die sich durch den ganzen Band hindurchzieht: Dieses Dokument sei, so heißt es, »auf Vermittlung zwischen den Fronten ausgerichtet« (Simon, l). Das ist m. E. eine Fehldeutung, die die Bedingungen der Entstehung dieses Textes ignoriert — er wurde ja Ende Juni 1530 im Schnellverfahren, unter geradezu tumultuarischen Umständen, in weniger als einer Woche hergestellt, ist weitgehend von der Confessio Augustana, wie eine Art Doublette, abhängig, war jedoch offensichtlich dazu bestimmt, vor Kaiser und Reich sowie innerhalb der Reformationsbewegung ohne Beirrung auf den oberdeutschen Sonderlehren, zumal in Sachen Abendmahl, zu bestehen. Dass er ein halbes Jahr nach seiner Entstehung, am Jahreswechsel 1530/31, für kurze Zeit als Vermittlungstext erprobt (freilich alsbald wieder fallengelassen) wurde, steht auf einem anderen Blatt (vgl. dazu meinen Aufsatz Confessio Augustana — Confessio Tetrapolitana. Die Bekenntnisse von 1530 in ihrem Zusammenhang, in: Festschrift für Heinz Schilling, 2007, 57–72). Das Buch ist nützlich. Bedeutende Neuigkeiten bietet es aber nicht.