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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

312–313

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Schulz, Günther, u. Jürgen Ziemer

Titel/Untertitel:

Mit Wüstenvätern und Wüstenmüttern im Gespräch. Zugänge zur Welt des frühen Mönchtums in Ägypten.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. 334 S. m. 1 Kt. 23,2 x 15,5 cm. Geb. EUR 49,95. ISBN 978-3-525-67002-6.

Rezensent:

Stefan Reichelt

Autoren dieser Arbeit sind der für frömmigkeitsgeschichtliche Grundlegung sowie philologische Fragen zeichnende emeritierte Kirchenhistoriker Günther Schulz und der hermeneutische Er­schließung und sprachliche Gestaltung verantwortende emeritierte Praktische Theologe Jürgen Ziemer. Beispielhaft zeichnen sie Porträts von Wüstenvätern und Wüstenmüttern, ihrer Gottsuche und ihrem Bemühen um wahrhaftige Lebenspraxis in den Apophthegmata Patrum, deren Anfänge in das 4./5. Jh. zurückreichen, nach. Zum Klingen kommen u. a. Texte bekannter Väter, wie solche des Vaters des Mönchtums Antonios (um 251–356) und des für Sammlung und Überlieferung stehenden Poimen (um 340–450), ihre Aussprüche und Viten, klassische Quellen christlicher Spiritualität. Erklärtes Ziel von Schulz und Ziemer ist es, die »Texte selbst sprechen zu lassen, sie aus ihrem geschichtlichen Kontext heraus zu verstehen, aber sie sodann eben auch in Beziehung zu unseren heutigen spirituellen Fragestellungen zu setzen« (5). Originaltexte haben Schulz und Ziemer eingesehen und sie neu zum Klingen gebracht, wie etwa die vatikanische griechische Handschrift Nummer 2592. So begegnet uns ökumenisches Erbe der alten ungeteilten Kirche in den authentischen Stimmen der Väter und Mütter.
Auf Abkürzungen und Einleitung Einladung zum Gespräch (13–18) folgt der erste Teil Die Welt des Wüstenmönchtums. Er beginnt mit einer Beschreibung des Kontextes und der Geschichte. Wissenswertes erfährt man etwa über die Wüste als spirituellen Ort, als Ort der Freiheit, über die Entstehung des anachoretischen Mönchtums und den Alltag in der Wüste. Ein zweites Kapitel ist Antonios dem Großen gewidmet, ein drittes Poimen, dem großen Hirten und Erben. Das vierte Kapitel enthält 15 kurze Porträts von Wüstenvätern und Wüstenmüttern (Makarios, der Ägypter, Pambo, Besarion, Or, Moses, der Ägypter, Zacharias, Johannes Kolobos, Joseph in Panepho, Theodor von Pherme, Arsenios, Sarrha, Synkletike, Agathon, Sisoes und Theodora). Ein fünftes will die Apophthegmata Patrum als theologische Texte erschließen.
Der zweite Teil (131–254) stellt unter der Überschrift Wege zu Gott – Thematische Erkundungen elf Mütter und Väter jeweils anhand eines Zitats vor, so Theodor unter dem Motto »… an kein Gebot gebunden«. Von der Freiheit christlicher Existenz und Joseph unter jenem »Ich – wer bin ich? Und richte niemand«. Selbstreflexion im Kontext der Heilsfrage. Bis hin zu Tod und Sterben reicht die thematische Weite des Erkundeten. – Stets nähern Schulz und Ziemer sich im Dreischritt von gegenwärtiger Bedeutung, Thema in den Texten und dem Impuls für Christen heute den Zeugnissen geistlicher Existenz in der Wüste.
Bemerkenswertes erfährt der Leser etwa über das Sitzen im Kellion, das alles lehrt, die Demut, durch die Johannes Kolobos »die ganze Sketis an seinem kleinen Finger aufgehängt hat« (205), und das Fliehen der Menschen, über das Meiden unnötiger Gespräche und das Reduzieren auf Wesentliches. Angeborene Triebe müssen den Menschen nicht bestimmen. Er kann sie ungenutzt lassen, so dass sie gleichsam »vermodern«. So sei »Die Anthropologie der Wüstenväter … hier optimistischer als die Freudsche Psychoanalyse« (239), die den Menschen »nicht als Herr im eigenen Hause« betrachtet (132). Auch gehen die Apophthegmata von der Möglichkeit des Findens Gottes in der Askese, durch Buße und Gebet aus. (259)
Ein dritter, vergleichsweise kurzer Teil widmet sich – eher fragend, als Antworten bietend – Evangelischer Spiritualität im Ge­spräch mit dem Wüstenmönchtum und enthält die Kapitel 1. Im Dialog mit der »Theologie« der Apophthegmata Patrum, 2. Mit den Vätern und Müttern der Wüste auf dem Wege. Fragen an eine evangelische Praxis der Spiritualität, 3. Den Texten mit Aufmerksamkeit begegnen – Didaktische Hinweise zur Lektüre der Apophthegmata Patrum, 4. Interpretationen – exemplarische Auslegungen einiger Haupttexte und 5. Ein Geschenk der Wüste. Statt eines Nachworts: Gespräch der Autoren.
Der Anhang (ab S. 299) enthält ein Glossar (1.), Erzählungen – die geeignet sind, ein eigenes Bild der Quellentexte zu gewinnen (2.) –, Bemerkungen zur Quellen- und Überlieferungsgeschichte (3.), eine Zeittafel (4.), Ausführungen zu den Generationen der Wüstenväter und Wüstenmütter (5.), eine in Quellen und Übersetzungen und Sekundärliteratur unterteilte Bibliographie (6.), Bibelstellen-, Apoph­thegmata und Begriffs- und Namensregister (7.) sowie eine Karte (8.).
Insgesamt verbindet sich in dem von Schulz und Ziemer vorgelegten Band kirchenhistorische Grundlegung glücklich mit nicht zeitgebundener Spiritualität. So vernimmt der Leser die eindringliche Frage: »Wo ist mein ›Kellion‹?«, das punctum mathematicum anachoretischer Existenz, in dem ich schweigen, sitzen und weinen kann (265). Gerade dafür bietet das Buch hervorragendes Material. Für kirchenhistorisch Interessierte wie auch spirituell Suchende hält das Werk ein reiches Angebot bereit. Geschrieben ist es ganz eindeutig aus der Blickrichtung evangelischer Frömmigkeit und Theologie.
Nicht verschwiegen werden mögen Reserven in bibliographischer und gestalterischer Hinsicht, besonders den Anmerkungsteil betreffend, und gelegentliche Redundanzen. Insgesamt aber sei Günther Schulz und Jürgen Ziemer für diese kostbare Sammlung als Ergebnis eines langjährigen Gesprächs (5) sehr gedankt. Der Band ist geeignet, Anfängern wie Fortgeschrittenen neue Horizonte aufscheinen zu lassen.