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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

306–309

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Autor/Hrsg.:

Girardet, Klaus M.

Titel/Untertitel:

Der Kaiser und sein Gott. Das Christentum im Denken und in der Religionspolitik Konstantins des Großen.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2010. IX, 213 S. m. Abb. 24,0 x 17,0 cm = Millenium-Studien, 27. Geb. EUR 69,95. ISBN 978-3-11-022788-8.

Rezensent:

Johannes Wienand

Das neue Konstantinbuch von Klaus M. Girardet führt in weiten Teilen bereits publizierte Überlegungen zusammen und weist auch deutliche Überschneidungen mit der 2006 veröffentlichten Monographie Die konstantinische Wende. Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Konstantins des Großen auf, die ihrerseits auf zwei Aufsätzen aus dem Jahr 1998 beruht. G. setzt jedoch auch neue Akzente, so dass (gerade angesichts des jüngst gestiegenen Interesses an Konstantin) eine kritische Einordnung der Studie angebracht erscheint.
G.s Buch versteht sich nicht als Konstantinbiographie, sondern als Studie zur conversio Constantini, d. h. der inneren Haltung des Kaisers zum Christentum und seines persönlichen Beitrags zur Christianisierung des Imperium Romanum. Die Kernthesen zur Chronologie besagen, dass »sämtliche für die Wende und ihre Folgen maßgebenden Grundsatzentscheidungen Konstantins in den Jahren 310 bis 314 gefallen sind« (4) und dass sich Konstantins conversio präzise auf das Jahr 311 datieren lasse (bes. 44–62). Welch hohen Stellenwert G. diesem Datum beimisst, streicht er bereits im Vorwort (V–VI) heraus: Das Jahr 2011 – nicht 2007, 2012 oder 2013 – sei als eigentliches Konstantinjubiläum anzusehen. Zur Frage nach dem Wesen der Religiosität Konstantins argumentiert G., dass eine »universalistische, von einem unbedingten Absolutheitsanspruch« geprägte christliche Überzeugung »bei Konstantin von Anfang an vorhanden« war (152 f.), dass Konstantin trotz seiner »abgrundtiefen Verachtung für alle Nicht-Christen« (138) nur »aus ordnungspolitischer Opportunität« an der Religionsfreiheit festgehalten habe und dass »die Christianisierung der Menschheit« das politische Ziel Konstantins gewesen sei (150–163).
Die Rekonstruktion der conversio stellt gerade für die frühe Phase ein ehrgeiziges Unterfangen dar, da direkte Zeugnisse fast gänzlich fehlen und die Forschung damit auf Indizienbeweise und Plausibilitäten angewiesen ist. Mit detektivischer Verve setzt G. die verstreuten Hinweise zusammen und gelangt so zu einem Bild von Konstantins »Hinwendung zum Gott der Christen« (14 u. ö.), das in dieser Detailgenauigkeit bisher nicht gezeichnet wurde. Um dies zu erreichen, kommt G. allerdings nicht umhin, Lücken in der Überlieferung mit hypothetischen Überlegungen teils großzügig zu überbrücken. Dies ist freilich in der Geschichtsforschung kein unübliches Verfahren, kann allerdings problematisch werden, wo Kernthesen betroffen sind und die Annahmen nicht in ausreichendem Maße gestützt werden. An den folgenden Beispielen zeigt sich, dass die von G. vorgeschlagene Rekonstruktion gerade für die Zeit von 310 bis 312 im Detail nicht zu überzeugen vermag.
Für G. wurde Konstantin im Jahr 311 »ein erklärter Christ« (99), als eine bereits im Jahr zuvor erlebte Vision eine christliche Deutung erfuhr. Um den Nachweis hierfür zu erbringen, geht G. von der erstmals umfassend durch P. Weiß im Jahr 1993 begründeten These aus, die unterschiedlichen Visionsberichte ließen sich auf ein Halo-Phänomen, d. h. einen durch atmosphärische Brechung verursachten Lichteffekt, zurückführen (»Die Vision Constantins«, in: Bleicken [Hrsg.]: Colloquium zum 80. Geb. v. A. Heuß, 1993, 143–169). Die Vision soll Konstantin im Apoll-Heiligtum von Grannus (Grand) erlebt haben – G. spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem »Wunder von Grand«. Von einem Halo berichtet die wichtigste Quelle ( Pan. Lat. 6[7].21) nun allerdings nichts, und die Parallelisierung der entsprechenden Passage im Panegyricus von 310 mit den christlichen Berichten ist schon insofern problematisch, als Eusebius in der Kirchengeschichte noch nichts von einer Vision weiß, der bei Lactantius überlieferte Visionsbericht lediglich von einem Traumgesicht spricht und erst Eusebius ein Vierteljahrhundert nach den Ereignissen in der Vita Constantini von einer Vision berichtet, die allgemein wahrnehmbar gewesen sein soll. Für die Ansicht, der Panegyriker spiele auf einen atmosphärischen Lichteffekt an, stellt sich zudem das Problem, dass sich in der fraglichen Passage kein Anhaltspunkt für den Einfluss von Licht- oder Sonnensymbolik greifen lässt (mit den Termini iuvenis, laetus, salutifer und pulcherrimus werden vier unspezifische Adjektive zur Charakterisierung der Gottheit eingesetzt). Dass der Panegyriker und der späte Bericht Eusebs überhaupt auf dasselbe Ereignis bezogen werden müssen, ist auch insofern fraglich, als der Kaiser Eusebius zufolge (Vit. Const. 1.47.3; Laus Const. 18.1) nicht wenige Visionen für sich in Anspruch nahm. Verdächtig ist auch, dass sich das Phänomen just in dem Moment ereignet haben soll, als wegen des Konflikts zwischen Konstantin und Maximian eine Neuausrichtung der konstantinischen Herrschaftsrepräsentation nötig geworden war. Vorbehalte dieser Art werden nicht in hinreichendem Maße ausgeräumt, so dass die Darstellung insgesamt nicht zwingend erscheint.
Den Nachweis, dass die christliche Deutung der fraglichen Himmelserscheinung im Jahr 311 stattfand, sucht G. in zwei Schritten zu erbringen. Hierzu wird die von W. Eck (»Eine historische Zeitenwende«, in: Schuler/Wolff [Hrsg.]: Konstantin der Große, 2007, 69–94) angestellte Beobachtung, dass Konstantin bereits vor Beginn seines Italienfeldzugs Kontakt zu gallischen Bischöfen gehabt haben muss, mit dem von G. neu in die Forschungsdiskussion eingeführten Argument kombiniert, der Beginn der Expedition lasse sich aufgrund zweier literarischer Zeugnisse im Herbst 311 verorten. Konstantins conversio müsse damit vor dieses Datum fallen. Der Leser mag sich hier fragen, ob die beiden literarisch überlieferten Hinweise zur Dauer bzw. zum Beginn des Feldzugs (Pan. Lat. 12[9].21.5: »ganzjähriger Feldzug«; Eutr. Brev. 10.4.3: »im fünften Herrschaftsjahr«) nicht einfach übertrieben oder ungenau sind oder etwa die logistischen Vorbereitungen der Expedition mit einbeziehen – insbesondere den Ausbau der Passstraßen, der durch eine Meilensteinserie (Grünewald 1990: Nr. 24–30) inschriftlich gut bezeugt ist, bei G. jedoch keine Beachtung findet. »12 Monate«, wie G. die Angabe des Panegyrikers (annua expeditio) buchstabengetreu versteht (46), wird Konstantin für den Marsch von Trier nach Rom wohl nicht benötigt haben, zumal keine längeren Belagerungen nötig waren, um die von maxentianischen Kontingenten gesicherten Städte in Norditalien einzunehmen. Die Vorstellung, Konstantin sei mit seinem Heer ausgerechnet im Herbst zu einem Zug über die Alpen aufgebrochen, erscheint ohnehin unplausibel, und wäre Konstantin tatsächlich eine Alpenquerung im Winter gelungen, hätte sich dies wohl in den literarischen Quellen niedergeschlagen. Die von G. vorgeschlagene Datierung bleibt damit zweifelhaft.
Ob Motivation und Beginn der konstantinischen Christianisierungspolitik nun 311 oder 312 datieren, mag letztlich nicht entscheidend sein, doch werden am Beispiel des entsprechenden Arguments die grundsätzlichen Schwierigkeiten deutlich, die G.s Methode einer »hypothetische[n], aber durch Indizien gestützte[n] Rekonstruktion der Vorgänge zwischen 310 und 312« (44) mit sich bringt. Die Beweisführung stützt sich primär auf verstreute Hinweise in den literarischen Quellen, die meist unabhängig von Zeit, Ort, Kontext, Genre und Intention des jeweiligen Autors zur Rekonstruktion »des historisch Tatsächlichen« (2) herangezogen werden. Teils verschwimmt dabei die Grenze zwischen Vermutung und Gewissheit, was sich auch darin niederschlägt, dass in der beigefügten Zeittafel (187–191) auf eine Unterscheidung zwischen gesicherten und bloß hypothetischen Angaben verzichtet wird. Vorbehalte dieser Art gelten nicht nur für die Rekonstruktion des Ereignisverlaufs, sondern auch mit Blick auf die Bewertung der Qualität von Konstantins Christentum. Wie die folgenden Beispiele zeigen, vermag auch hier die Beweisführung nicht vollständig zu überzeugen.
Mit einem argumentum e silentio wird seit J. Straub (»Konstantins Verzicht auf den Gang zum Kapitol«, Historia 4, 1955, 297–313) postuliert, Konstantin habe bei seinem triumphalen Einzug in die Stadt Rom nach der Schlacht an der Milvischen Brücke auf den sonst bei Triumphzügen üblichen Gang zum Tempel des Jupiter Capitolinus verzichtet und damit den Bruch mit der alten Religion augenscheinlich gemacht. Das Argument macht sich auch G. zu eigen (78 f.). Dass Konstantin auf Opfer für Jupiter verzichtet hat, liegt schon wegen der Bedeutung Jupiters für die tetrarchische Herrscherideologie nahe, von der sich Konstantin abzugrenzen suchte. Ein Verzicht auf den Gang zum Kapitol muss also noch keinen demonstrativ vollzogenen Bruch mit der paganen Kulttradition darstellen. Dass dagegen gerade der stadtrömische Kult für den Sonnengott in den Jahren nach Konstantins Sieg an der Milvischen Brücke durch kaiserliche Förderung Auftrieb erhielt, zeigt sich schon an der steilen Karriere des Sol-Pries­ters C. Vettius Cossinius Rufinus, den Konstantin im Jahr 315 zum Stadtpräfekten und 316 sogar zum Consul ernannte. Dass Konstantin heidnischen Gottheiten, speziell Apoll und Sol invictus »für sich persönlich 311/312 eine Absage erteilt hatte« (89), kann Konstantin auf diese Weise nicht zum Ausdruck gebracht haben, zumal sich vor 318 weder hinsichtlich der bildlichen Darstellung Sols noch in Bezug auf die Epitheta des Sonnengottes eine wie auch immer geartete christliche Umformung der traditionellen Sonnensymbolik nie­derschlägt und Sol invictus selbst nach dem Sieg über Licinius noch auf Goldprägungen als Schutzgottheit des Kaisers gewürdigt wurde. Der Vorschlag G.s (45 [mit Anm. 205], 50.84 f. u. ö.), den konstantinischen Sonnengott mit Verweis auf Eusebius’ Laus Const. 6.20 (ἥλιος δικαισύνης) als Repräsentation von Sol iustitiae zu verstehen, überzeugt nicht: Eusebius mag sich bemüht haben, den Sonnengott christlich zu lesen, die Münzprägung jedoch bewahrt bis ins Jahr 325 hinein die traditionellen Gestaltungsmodi. Wäre die Darstellung von Sol invictus für Christen tatsächlich unproblematisch gewesen oder wäre Sol invictus offiziell bereits als Sol Iustitiae verstanden und somit christianisiert worden, ließe sich der Abschied Konstantins von Sol invictus, wie er sich am deutlichsten in der Münz- und Medaillonprägung zeigt, auch kaum als christlich motivierte Maßnahme verstehen. Ein Teil der Konstantinforschung hat sich schon immer bemüht, die Widersprüche innerhalb der konstantinischen Selbstdarstellung aufzulösen. Die von G. vorgeschlagene Rekonstruktion ist hier nicht erfolgreicher als ältere Versuche.
Um plausibel zu machen, dass Konstantin seine Abkehr von den paganen Traditionen schon früh deutlich zum Ausdruck gebracht habe, bemüht G. ein weiteres problematisches Argument (79), das auf den konstantinfeindlichen Historiker Zosimos zurückgeht: Dieser warf dem Kaiser vor, er habe die regulär für das Jahr 314 anstehenden Säkularspiele wegen seiner christlichen Gesinnung ausfallen lassen und damit die Götter des römischen Pantheons brüskiert (Zos. Nea Hist. 2.1–7). Nun hat Konstantin allerdings – was Zosimos wohl bewusst unterschlägt – die ludi saeculares bereits im Jahr 312 mit großem Aufwand als ludi aeterni feiern lassen (bezeugt bei Pan. Lat. 12[9].19.6) – in direktem Bezug zu seinem Sieg über Maxentius und in offenkundiger Übersteigerung der Säkular-Symbolik. Von einer öffentlichkeitswirksamen Ab­grenzung gegenüber einer römischen Tradition kann auch hier also nicht die Rede sein.
Auch die Oratio ad Sanctorum Coetum dient G. als Beweis einer früh vollzogenen, konsequenten Abkehr des Kaisers von paganer Religiosität. Dies wird allerdings erst durch die Frühdatierung dieser außergewöhnlichen Rede möglich, die der Kaiser G. zufolge am Karfreitag des Jahres 314 in Trier gehalten habe. Die Frage nach Ort und Zeitpunkt der Oratio zählt zu den komplizier­testen Problemen der Konstantinforschung, die Details können hier nicht im Einzelnen diskutiert werden. Schon der Umstand aber, dass mit T. D. Barnes und H. Drake zwei weitere Kenner der Materie in aktuellen Analysen der Oratio zu einem ganz anderen Ergebnis gelangen, sollte dazu gemahnen, keine zu weitreichenden Schlüsse aus der Frühdatierung zu ziehen: Barnes hat in seinem jüngsten Konstantinbuch (»Constantine. Dynasty, Religion, and Power in the Later Roman Empire«, 2011) für Nikomedia im Jahr 325 argumentiert, Drake schließt sich dieser Ansicht in seiner in Druckvorbereitung befindlichen Edition »The Orations of Constantine and Eusebius« an. Problematisch ist an G.s Argumentation vor allem, dass die Möglichkeiten, die fraglichen Passagen auf Konstantins endgültigen Sieg über Licinius zu beziehen, allzu rasch verworfen werden; dass ferner »die große Stadt« und »die sehr liebe Stadt« miteinander identifiziert werden, obgleich Laus Const. 22.1 nahelegt, dass es sich um zwei verschiedene Städte handelt; und dass schließlich der Umstand, dass eine offizielle griechische Übersetzung der Rede erstellt und verbreitet wurde, nur durch die nicht weiter begründete Hypothese gestützt wird, die Übersetzung sei für griechischsprachige Gemeinden in Süditalien oder auf Sizilien gedacht gewesen. Konstantin herrschte ab Frühjahr 317 über Kerngebiete des griechischen Sprachraums, so dass die Anfertigung einer griechischen Übersetzung ab diesem Zeitpunkt keine aufwendige Begründung mehr erfordert, wie sie für die Frühdatierung nötig ist.
Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die Tendenz G.s, den Quellen bereitwillig zu folgen, besonders dort ausgeprägt ist, wo dieses Verfahren die These einer früh und rasch erfolgten conversio hin zu einer in der Sache kompromisslosen, letztlich nur durch machtpolitischen Pragmatismus relativierten christlichen Religiosität Konstantins zu stützen vermag. Ein Großteil derjenigen Zeugnisse, die sich mit G.s Thesen nicht in Einklang bringen lassen oder ihnen widersprechen, wird dagegen in einem knappen, listenartigen Überblick (98–103) zusammengestellt, ansonsten jedoch weitgehend ausgeklammert. Die Auswertung der nichtliterarischen Zeugnisse er­folgt mit geringerem Aufwand als die Analyse der Textzeugnisse und lässt ebenfalls eine gewisse Flexibilität in der Interpretation erkennen. So deutet G. bereits die bloße Möglichkeit, dass die Reliefs des Konstantinbogens an diversen Stellen mit christlichen Zeichen be­malt gewesen sein könnten, im Sinne seiner Kernaussage (86); dass dagegen der Sonnengott noch bis 325 in der kaiserlichen Münzprägung erscheint, »sagt nichts über die religiöse Orientierung des Kaisers« (50, Anm. 227). Hier mag sich der Leser fragen, ob die zu Beginn der Studie als »konsequenter Verzicht auf Theorien« (2) annoncierte Distanz zu methodisch-theoretischer Reflexion über die Grundlagen der eigenen Forschung tatsächlich zielführend sei.
Schließlich fehlt auch eine überzeugende Perspektive auf die gesellschaftlichen Verwerfungen, die von der ja gerade für Christen überraschenden und folgenschweren Wende ausgingen. Dass Konstantin die Kircheneinheit mit so drastischen Mitteln wie Bücherverbrennungen und Exilierungen herstellen zu müssen glaubte, findet keine Beachtung. Die verbitterte donatistische Kritik verschwindet in einer Fußnote (149, Anm. 740), und der Umstand, dass alexandrinische Christen aus Wut über die Eingriffe Konstantins in innerkirchliche Belange sogar vor dem Sturz kaiserlicher Statuen nicht zurückschreckten (Euseb. Vit. Const. 3.4), bleibt unerwähnt: »Kritik an der staatsrechtlich fundierten gesamtkirchlichen Leitungsrolle des … Kaisers Konstantin … scheint es bei den christlichen Zeitgenossen nicht gegeben zu haben.« (149)
Insgesamt wirft G.s Ansatz die Frage nach dem heuristischen Mehrwert und den methodischen Implikationen der Suche nach einem wie auch immer gearteten Initialereignis der conversio Constantini und der konkreten Beschaffenheit der Religiosität Konstantins auf. Konstantin hat in religionspolitischer Hinsicht zweifelsohne Entscheidungen von welthistorischer Bedeutung getroffen. Welche Anstöße und welche persönlichen Motive er dazu auch immer gehabt haben mag: Der historische Wandel eines so vielschichtigen politischen Systems wie der römischen Monarchie – mit seinem weit verzweigten Institutionengeflecht und seinem breit gefächerten Spektrum unterschiedlichster Akteure – lässt sich nicht auf die Frage nach der Religiosität und dem Gestaltungswillen einer Einzelperson reduzieren, auch wenn es sich hierbei um den römischen Kaiser handelt. Keines der erhaltenen Zeugnisse – und seien es die Oratio ad Sanctorum Coetum oder die kaiserlichen Briefe an christliche Adressaten – stellt zudem im eigentlichen Sinne des Wortes ein »Selbstzeugnis« dar, das unmittelbare Einblicke in die innerste Gedankenwelt und die persönlichen Motive Konstantins gewähren könnte. Interaktion und Kommunikation eines Monarchen mit seinen Subjekten spiegeln, sofern sie auf Konsens zielen, in aller Regel auch die Erwartungen der jeweiligen Interaktionspartner wider. Wo dieser Umstand in Betracht gezogen und die Untersuchung entsprechend ausdifferenziert wird, lässt sich die scheinbare Widersprüchlichkeit der konstantinischen Selbstdarstellung leichter auflösen und ein überzeugenderer Weg aufweisen, die »Sphinx der historischen Wissenschaft« (J. Vogt) zu enträtseln.