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Ausgabe:

März/1999

Spalte:

295–297

Kategorie:

Autor/Hrsg.:

Brakelmann, Günter

Titel/Untertitel:

Hans Ehrenberg. Ein judenchristliches Schicksal in Deutschland. Bd. 1: Leben, Denken und Wirken 1883-1932.

Verlag:

Waltrop: Spenner 1997. 364 S. 8 = Schriften der Hans Ehrenberg Gesellschaft, 3. ISBN 3-927718-86-6.

Rezensent:

Jörg Thierfelder

In einer auf zwei Bände angelegten Biographie, deren erster hier zu besprechen ist, porträtiert der emeritierte Bochumer Sozialethiker und Zeitgeschichtler Günter Brakelmann den Bochumer Pfarrer Dr. Hans Ehrenberg (1883-1958), einen der über 100 evangelischen Pfarrer "nichtarischer" Herkunft. Der erste Band reicht bis zum Ende der Weimarer Republik. B. zeichnet Ehrenbergs Leben anhand seines umfangreichen Schrifttums. Ausführliche Interpretationen der wichtigsten, heute weithin vergessenen Schriften vermitteln einen lebendigen Eindruck von Ehrenbergs Denken.

Hans Ehrenberg, der in einer "liberal-aufgeklärte(n) Familienatmosphäre - fern von jedem traditionellen Judentum" (13) aufwuchs, wurde nach Studien in Rechtswissenschaft, Nationalökonomie und Philosophie 1910 Privatdozent im Fach Philosophie in Heidelberg. Von 1914-1918 nahm Ehrenberg am 1. Weltkrieg teil. Wie vielen seiner Generation war das Krie gserlebnis von entscheidender Bedeutung. Später konnte Ehrenberg von einer "Durchrüttelung des ganzen Menschen" durch den Krieg sprechen und seinen Entschluß, ins Pfarramt zu gehen, damit in Verbindung bringen (191). Unterstützte Ehrenberg anfangs die deutsche Position im 1. Weltkrieg, bekämpfte er später in Zeitungsartikeln die nationale Rechte, die auf einen "Siegfrieden" setzte und die Politik immer stärker militarisierte.

Nach dem Krieg wurde Ehrenberg apl. Professor für Philosophie. Als einziger Professor an der Universität Heidelberg trat er der SPD bei. In Vorträgen und Artikeln warb Ehrenberg für eine Reform der Schule wie auch der Universität. Er arbeitete in der von den badischen Religiösen Sozialisten herausgegebenen Halbmonatsschrift "Christliches Volk" mit. Als eine Art "Programmschrift des Religiösen Sozialismus" (155) bezeichnet B. Ehrenbergs ’Laienbüchlein’ von 1922, in der Ehrenberg freilich vor einer "zu schnellen Gleichsetzung von Reich Gottes und Sozialismus" warnt (158). Auf der Tambacher Tagung 1919 kam es zur ersten Begegnung Ehrenbergs mit dem jungen Schweizer Pfarrer Karl Barth. Ehrenberg publizierte Barths Vortrag, was mit dazu beitrug, daß Barth in Deutschland bekannt wurde. Eine "schwierige Freundschaft" der beiden so unterschiedlichen Männer sollte sich anschließen (269 ff.). Ein kritischer Artikel über die Männer des alten Staates, darunter Ludendorff und Hindenburg, in der Heidelberger Volkszeitung 1919 sollte 1937 zu einem entscheidenden Punkt der NS-Polemik gegen Ehrenberg werden. Grundlegend für Ehrenberg wurde sein Buch "Die Heimkehr des Ketzers" (1920), das nach B. gleichsam "den Endpunkt des Abschieds von der Philosophie und den Aufbruch in eine neue kirchliche und theologische Existenz" widerspiegelt (103): Der die Christenheit verbindende Glaube an den wiederkommenden Christus entbindet in der Gegenwart Kräfte für den Neuaufbruch.

Zugleich zeigte sich Ehrenberg in den Heidelberger Jahren als produktiver philosophischer Denker. In seinen 1923 bis 1925 erschienenen "Drei Büchern vom deutschen Idealismus" übte Ehrenberg Kritik am Idealismus und zeigte sich als Vertreter einer Dialogphilosophie. Ehrenberg gehörte zu den Pionieren des evangelisch-katholischen Gesprächs in der Weimarer Republik. Er schrieb Artikel in der Zeitschrift "Una Sancta". Noch intensiver war seine Begegnung mit dem östlichen Christentum, über das er 1925 zwei Dokumentenbände zusammen mit dem russischen Religionsphilosophen Nikolaj Bubnov herausbrachte.

1922 begann Ehrenberg in Münster Theologie zu studieren. Schon 1925 wurde er Pfarrer in der Bochumer Altstadtgemeinde. Neben seiner Arbeit in der Gemeinde, die für ihn Priorität hatte, entwickelte Ehrenberg eine reiche Vortragsarbeit und war weiter publizistisch tätig. In mehreren Beiträgen ging Ehrenberg auf das belastete Verhältnis der Kirche zur Sozialdemokratie ein und übte Kritik am Verhalten der Kirche. "Wir dürfen nicht das Christentum als Partei gegen die Sozialdemokratie ausspielen." (223) Ehrenberg unterstützte auch den "Christlich-Sozialen Volksdienst", jene bewußt evangelische Partei, er sah ihn als eine Chance, die evangelischen Volksteile für eine neuen Politik zu mobilisieren.

In dem politisch-ideologischen Traktat "Deutschland im Schmelzofen" (1932) nahm Ehrenberg auch in einer nicht einfach zu verstehenden Weise zum Judentum Stellung (vgl. 257ff.). Sachgerecht ist in seinen Augen weder Philosemitismus noch Antisemitismus. Die Juden haben nach Ehrenberg gegenüber den Völkern vor allem eine religiöse Aufgabe; eine politische Übermacht der Juden wäre für die Völker fatal. Ehrenberg sprach sich gegen jede Form von religiösem Antisemitismus aus, plädierte aber - so B. - für die "Notwendigkeit eines partiellen politischen Antisemitismus". Ehrenberg lehnte eine totale Assimilierung des Judentums ab, gerade damit dieses seine Unverwechelbarkeit erhalten kann. Wie andere evangelische Kirchenmänner wandte sich Ehrenberg gegen "eine mögliche Übermacht des säkularisierten Judentums auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene" (259).

Als Vorspiel für das, was Ehrenberg im Dritten Reich erleben sollte, stellt B. zu Recht die Vorgänge um Ehrenbergs Vorträge in Hattingen über die Judenfrage aus christlich-theologischer Sicht dar, aufgrund derer Ehrenberg von der örtlichen NSDAP hart attackiert und von der Kirchenbehörde nur halbherzig unterstützt wurde, während Gemeindeglieder und einige Amtsbrüder sich mit ihm solidarisierten. Ehrenberg beteiligte sich in der Weimarer Zeit an "Studientagungen über die Judenfrage", die von den Judenmissiongesellschaften abgehalten wurden, um mit jüdischen Denkern wie Martin Buber einen inhaltlichen Dialog zu führen. Ehrenberg hielt auf diesen Studientagungen Vorträge, zuletzt 1930 in Stuttgart, wo ja Martin Buber als Dialogpartner auftrat. Das letzte Kapitel in B.s Buch beschreibt die Kontakte Ehrenbergs zu Karl Barth, Eugen Rosenstock-Huessy und Franz Rosenzweig und damit das reiche Beziehungsgeflecht, in dem Ehrenberg stand. Hervorzuheben ist die Bibliographie Ehrenbergs (1906 bis 1932), die die umfangreiche Publikationstätigkeit Ehrenbergs noch einmal dokumentiert.

Das Spannende an B.s Buch ist, daß in ihm Hans Ehrenberg, der in den letzten Jahren vor allem - nicht zuletzt durch B.s Bemühungen - als Opfer der NS-Judenverfolgung und als einer, der von der (Bekennenden) Kirche wenig Unterstützung erfahren hat, bekannt geworden ist (erzwungener Ruhestand 1937, KZ-Haft im Anschluß an die Reichspogromnacht 1938/ 39 und Emigration nach England 1939) nun als eigenständiger philosophischer und theologischer Denker wie auch in seinem breiten Engagement in Kirche und Gesellschaft gewürdigt wird.