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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

299–301

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Park, Yoon-Man

Titel/Untertitel:

Mark’s Memory Resources and the Controversy Stories (Mark 2:1–3:6). An Application of the Frame Theory of Cognitive Science to the Markan Oral-Aural Narrative.

Verlag:

Leiden/Boston: Brill 2010. XIX, 342 S. m. Abb. 24,4 x 16,5 cm = Linguistic Biblical Studies, 2. Geb. EUR 114,00. ISBN 978-90-04-17962-2.

Rezensent:

Wolfgang Weiß

Der Untertitel pointiert den programmatischen Ansatz dieser Studie von Yoon-Man Park – eine überarbeitete, von Stanley E. Porter betreute Dissertation. Denkhorizont und Verstehensvoraussetzun­gen, die traditionelle Exegese als Kotext benennen würde, werden mit Hilfe der Frame-Theorie auf den Prozess einer Oral-Aural-Kommunikation bezogen. Was assoziiert und erinnert die Hörerschaft? Welches Potential und welche Ressourcen der Kommu­nikationskultur können ausgelotet und festgestellt werden? Die Frage nach dem Verstehens- und Erkenntnisrahmen der Hö­renden/Lesenden und die daraus folgenden Implikationen sind Thema dieser Untersuchung.
P. nähert sich in dem ersten, theoretischen Teil der Studie dem Thema mit historisch methodologischen Vorbemerkungen sowohl zur Frame-Theorie (3–22) als auch zu deren Anwendung auf das Markusevangelium (23–34). Ein Frame als solcher lasse sich nicht definieren (23), entsprechend weit reicht das Spektrum der angebotenen Verständnismöglichkeiten: »an organized mental structure of knowledge that holds large chunks of related information in a particular domain« (23); frames »guide the listener/reader in re­membering a story«, »provide background knowledge« (25). In diesem Cluster verstehe der Hörende ein Ereignis oder eine Erzählung besser als das Ereignis/die Erzählung als solche. Daraus ergibt sich neben anderem (34–37) die Abgrenzung gegenüber der Formkritik (Bultmann, Taylor, Tannehill), die Form gelte ihr als »an objective textual device, but a frame is a mental or cognitive knowledge structure« (36). Die Frame-Theorie greife über das Verständnis des Einzeltextes hinaus, womit sich die Zusammenstellung und Struktur auch breiterer Einheiten verstehen lasse (38). Dies begründet (37–40) die nähere Beschäftigung mit Mk 2,1–3,6 im Analyseteil.
Im zweiten Kapitel (43–70) sieht P. die Anwendung einer Kommunikationstheorie darin berechtigt, dass das Markusevangelium einerseits eine Oral-Aural-Kommunikation widerspiegele, Markus schreibe seinen Text ebenso für Auge und Ohr, und andererseits antike Oral-Aural-Kontexte eine spezifische Gedächtniskultur be­förderten (70). Markus und seine Hörer partizipierten an demselben Wissens- und Informationspool. Die Hörer hörten nicht völlig Neues, sondern ein Teil ist auch Teil ihres eigenen Wissens (74). P. sieht die frühen Christen in einer »communal oral memory« (76). Anspielungen seien darin besonders effektiv, dass sie unterschiedliche Elemente der Erfahrungen auslösten im Sinne einer kognitiven Struktur.
Dem geht P. im dritten Kapitel (71–88) näher nach, indem er Elemente einer Kommunikationskultur im Markusevangelium er­weist, die eine eigene kulturelle Identität (»hearers are believers«, 78) ermögliche und schaffe: »homoestatic organization« (Elemente ohne aktuelle Bedeutung werden durch neue aktualisierend ersetzt), konservative und situative Tendenzen, Parataxe (allerdings wird lediglich καί ausgeführt), Redundanzen und weitere kompositionelle Züge (thematische Komposition, episodische Struktur). Kapitel 4 bereitet kleinschrittig die Analyse von Mk 2,1–3,6 vor, indem verschiedene Rahmen unterschieden werden (Ereignis, Person, Objekt, Sache oder Ort und Er­zählungen, die eigene prototypische Strukturen aufweisen), diese in der griechischen Ausdrucksweise verortet werden und den angestoßenen Prozessstrukturen nachgegangen wird (89–159).
Im zweiten Teil seiner Studie widmet sich P. der Textanalyse von Mk 2,1–3,6 und wendet beispielhaft die Frame-Theorie auf die Texte an. Diese Analyse führt P. bewusst in zwei Schritten durch. In Kapitel 5 wendet er sich der Frage zu, »how it is told«, also der Frage nach der Struktur (164–256), und in Kapitel 6 (257–299) der Frage nach dem Inhalt (»what it says«). Diese Abfolge ist gegenüber P.s Wahrnehmung gängiger Exegese methodisch nur konsequent. Beide Kapitel sollen den Gewinn der Frame-Theorie für das Verständnis der Texte und Kommunikationsstrukturen erweisen. Allerdings wird enttäuscht, wer an dieser Stelle tiefergehende exegetische Analyse erwartet. Vielmehr bietet und verarbeitet P. allgemeine exegetische Informationen. So ist dieser Teil tatsächlich eher ein Beispiel für die Anwendung der Frame-Theorie als das Ziel und der mögliche Höhepunkt der Studie. Vielleicht konzediert P. auch in diesem Sinne im Fazit, dass die Frame-Theorie von den Ergebnissen methodisch anderer Studien abhängig ist (298 f.). Enttäuschend ist auch das Vorgehen selbst, indem in immer gleicher Abfolge die Texte unter gleichen Fragestellungen Schritt für Schritt schematisch dargelegt werden. Dieses Verfahren erscheint doch recht statisch, fast technisch, sehr eng am Text und nur aus dem Text heraus gearbeitet. Es entsteht der Eindruck, die Texte würden nacheinander dekliniert. Aber über solche Anmerkungen hinaus, die sich bisweilen bei interdisziplinären Arbeiten ergeben, stellen sich Anfragen auch methodischer Art, die ich auf die Zuweisung der Frames begrenzen will.
Wenig überraschend bestimmt P. den »legal controversy-Frame« als den die Streitgespräche übergreifenden Rahmen mit den Komponenten »provocative Action, Charge, Defence, Verdict« (164–183). Überraschend ist vielmehr, in welcher Weise die Frame-Theorie auch die Komposition als breiteren Diskurs der fünf Episoden erklären soll. Die Verbindung konstruiert P. u. a. über »Boundary Markers«-Frames (Ort, Charakter, Sachen, 185). Diese sind etwa für das Setting in der Abfolge der Episoden (185–199): the House, the Seashore and the House, (Mk 2,18–22 bleibt unbestimmt, 194), the Sabbath and the Grainfield, the Synagogue, mit den Character-Markers: Gelähmter, Zöllner, Mann mit der verdorrten Hand. Zunächst ist sehr überzeugend, dass Frames wie Sabbat, Fasten, Hochzeit, vielleicht auch Haus, Assoziationen, Erfahrungen und Reaktionen auf der Leserseite hervorrufen. Aber P. führt diese we­der breiter noch macht er sie von der exegetischen Seite her über den Einzeltext hinaus transparent.
Wenig überzeugend sind Einzelkategorien, etwa ein Grainfield Frame (194–197), wenn er nicht beispielsweise mit einer Anspielung auf Dtn 23,26 aufgefüllt würde, andernfalls wäre es wohl eher ein Mundraub- oder (folgt man P. mit Mk 2,23 f.) Hunger-Frame. Zu Mk 2,1–12 bieten P.s Ausführungen eher einen Rahmen »Krankheit und Sünde« an. Der Mann mit der verdorrten Hand wäre besonders dann ein evozierender Character-Marker, wenn er in den Zusam­menhang ähnlicher außerbiblischen Erzählungen gestellt wird. Insgesamt halte ich die Zuweisungen entweder für zu kleinschrittig, zum Teil nicht einsichtig oder zu allgemein, wenn der House Frame in Mk 2,1 und 2,15 trotz der Wortdifferenz gleich bestimmt wird. Insgesamt sollten die Rahmen mit kommunikativem Leben gefüllt werden. Es wäre vielleicht auch hilfreich gewesen, die Zu­weisungen an den synoptischen Parallelen abzugleichen.
Trotz dieser auf eine, immerhin entscheidende Frage be­schränkten Kritik handelt es sich um eine verdienstvolle Arbeit sowohl im Blick auf die Reihe, die sich vorgenommen hat, Ergebnisse der linguistischen Forschung auf den Originaltext anzuwenden, als auch hinsichtlich der neutestamentlichen Exegese. P. bietet eine theoretische Grundlage für das Verständnis der antiken Oral-Aural Culture, auf der sich weiterarbeiten lässt. Es bleibt Raum für detaillierte Feinarbeit. Das Glossar (301–310), Indizes und zahlreiche Abbildungen der Schemata schlüsseln auch dem auf dem Gebiet der Frame-Theorie wenig Bewanderten übersichtlich und verständlich die Fachbegriffe auf. Die Studie empfiehlt sich als Anregung zu einer anderen Sicht auf die Texte und deren Komposition.