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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

292–294

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bohlen, Maren

Titel/Untertitel:

Sanctorum Communio. Die Christen als ›Heilige‹ bei Paulus.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2011. XIII, 285 S. 23,0 x 15,5 cm = Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, 183. Lw. EUR 99,95. ISBN 978-3-11-025948-3.

Rezensent:

Uwe Wolff

Die Wendung sanctorum communio ist zu einem Schlüsselbegriff der Ökumene geworden. Wer aber zur Gemeinschaft der Heiligen zählt, darüber darf und muss gestritten werden. In guter evangelischer Tradition richtet die Bonner Dissertation von Maren Bohlen den Blick auf das Neue Testament als Grundlage aller theologischen Reflexion. Ihr Schwerpunkt ist das Verständnis der Heiligen bei Paulus. Dieses wird im Kontext des Heiligenbegriffs der alttes­tamentlichen Überlieferung, des gesamten Neuen Testaments, der jüdischen Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit und der frühen Kirchengeschichte in sauberer philologischer Arbeit ge­klärt. B.s Arbeit wurde durch ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert und durch den Doktorvater Michael Wolter in die renommierten »Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche« aufgenommen. Zu Recht. Denn B. beherrscht nicht nur das Handwerk der Exegese, sie schreibt in einem gut lesbaren Stil und bedenkt die Konsequenzen ihrer Forschung für die Theologie der Ökumene.
Das älteste Zeugnis von der Wendung »Gemeinschaft der Heiligen« in der frühen Kirche zieht zugleich den weitesten semantischen Horizont. Nicetas von Remesina († um 420) spricht von der Kirche als Versammlung aller Heiligen, die seit Anfang der Welt als Patriarchen, Propheten, Märtyrer durch den Glauben und ihre Lebensführung geheiligt wurden und nun Christus als Haupt haben. Zu dieser sanctorum communio gehört auch die unsichtbare Welt der Engel. Schon im Alten Testament, so zeigt B., umfasst der Begriff der Heiligen sowohl Engel als auch Menschen. Heilige sind die Engel im himmlischen Hofstaat (Ps 88,6–9 LXX), als Begleiter am Tag des Herrn (Sach 14,5b; Jes 13) oder als einzelnes himmlisches Wesen (Dan 8,13). Als Heiliger kann aber auch ein einzelner Frommer, der Priester oder das gesamte Volk Israel bezeichnet werden. Wie in Qumran, so war auch unter der Jerusalemer Urgemeinde die Selbstbezeichnung »Heilige« als Metapher für den »Rest Israels« gebräuchlich. Die ersten Christen nannten sich »Jünger«, »Brüder« und »Heilige«. Betonte »Brüder« die soziale Dimension der Gemeinde, »Jünger« die Kontinuität zu den vorösterlichen Anhängern Jesu, so war »Heilige« deutlicher »Ausdruck des Kontinuitätsbewusstseins der ersten Christen«. Die »Heiligen« stellten sich in die alt­-tes­tamentlich-jüdische Tradition. Paulus verwendet den Begriff 24 Mal nur im Plural als Gruppenbezeichnung für die Christen. An einer Stelle (1Thess 3,13) benennt er die Engel als Heilige. Bezeichnet die Rechtfertigung bei Paulus den Übergang zum Christsein, so meint der Begriff der Heiligkeit die Identität des Christen. Für Paulus, so das Ergebnis der philologischen Untersuchung, sind » alle Christen« Heilige. Schon in der Apokalypse erfolgt eine Einschränkung des Begriffs auf die verfolgte Gemeinde, die ihren Glauben im Blutzeugnis bezeugt. Eine »entscheidende Veränderung im Be­griffsumfang« sieht B. in der Alten Kirche. Zuerst werden herausragende Einzelne wie Märtyrer als Heilige bezeichnet, dann ab dem 3. Jh. Bekenner und Asketen. Bei Johannes Chrysostomos (ca. 344–407) schließlich wird »Heilige« zu einem Sammelbegriff für die spirituelle Elite der Patriarchen, Propheten, Apostel, Märtyrer, die aus der Masse der Christen hervorragen und die in der Fürbitte angerufen werden können.
In einem Schlusskapitel wagt B. den »Ausblick« auf die Heiligen im Protestantismus. Hier skizziert sie die reformatorische Kritik am Heiligenkult, zeigt aber auch, wie CA 21 durchaus ein Gedenken der Heiligen als exempla fidei ermöglicht. Entschieden grenzt sie sich jedoch von allen Versuchen ab, Dietrich Bonhoeffer als evangelischen Heiligen zu bezeichnen. Bonhoeffer, auf dessen systematisch-theologische Dissertation Sanctorum Communio (1927) B. inhaltlich nicht eingeht, hält ja in breiten evangelischen Kreisen den vakanten Platz der Heiligen besetzt. So hat Klemens von Klemperer im Vatikan ein Gesuch um die Seligsprechung Bonhoeffers eingereicht, und Wolfgang Huber prägte in seinem Breslauer Vortrag (2006) die Formel »Dietrich Bonhoeffer – ein evangelischer Heiliger«. Auf dem Hintergrund ihrer Forschung bezieht B. eine eindeutige Ablehnung aller Versuche dieser Art: »Das Problem mit dem Begriff ›Heilige‹ besteht also darin, dass er durch das Neue Testament auf der einen Seite und durch den Gebrauch in der katholischen Kirche auf der anderen Seite bereits in zweifacher Weise besetzt ist. Sein Gebrauch in evangelischen Kontexten für besondere Einzelpersonen kann im Grund nur Missverständnisse hervorrufen.«
Dass damit das Neue Testament auf Paulus reduziert wird, ist eine alte Tradition in der evangelischen Exegese. Und hier zeigt sich auch die Grenze dessen, was eine neutestamentliche Dissertation leisten kann. So sympathisch der Blick über die Grenzen der reinen Fachwissenschaft hinaus ist, er trägt letztlich wenig zu einer Klärung des Begriffs der sanctorum communio in der ökumenischen Diskussion bei. Dies zeigt sich besonders eklatant in den Passagen über den reformierten Hagiographen Walter Nigg. Der erste Satz von B.s Dissertation ist ein Nigg-Zitat: »Eine unbekannte Welt tut sich auf, wenn man den Heiligen begegnet.« Mit diesen Worten eröffnete Walter Nigg sein Buch »Große Heilige« (1946), das zu den herausragenden Werken der Theologie des 20. Jh.s gehört. Nigg wiederum stand in einer langen Reihe evangelisch-reformierter Heiligenverehrung, wie etwa Gerhard Tersteegens »Auserlesene Lebensbeschreibung Heiliger Seelen« (1786 ff.). Über die Einleitung zu »Große Heilige« hinaus hat B. offensichtlich nichts von Walter Nigg gelesen. Sonst würde sie seinen großen ökumenischen Entwurf einer Hagiographie und seinen sehr differenzierten Heiligenbegriff nicht so radikal reduzieren: »Während Nigg die Heiligen dem neuzeitlichen Verständnis entsprechend als religiös begabte Ausnahmemenschen erfasst, war der Ausdruck ›Heilige‹ im Urchristentum eine Bezeichnung für alle Menschen, die an Christus glaubten.« Das stimmt weder für Nigg noch für das Neue Testament und das Urchristentum, wie B. in ihrer Exegese selbst gezeigt hat.