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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

287–289

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Bertram

Titel/Untertitel:

Von der einen Religion des Alten Israel zu den drei Religionen Judentum, Christentum und Islam.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2009. 247 S. 23,2 x 15,5 cm. Kart. 24,80. ISBN 978-3-17-020720-2.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Von Anfang an stehen die christliche Theologie und die Glaubensgeschichte Israels in einem festen, unlösbaren Zusammenhang. Dessen konkrete Gestalt freilich ist über die Jahrhunderte hin immer wieder Gegenstand kritischer Reflexionen gewesen. Erst seit den 1960er Jahren hat sich daraus ein Dialog zwischen Juden und Christen entwickelt, der diesen Namen auch verdient. Dass jedoch auch der Koran in großem Umfang auf jüdische und christliche Überlieferungen Bezug nimmt, ist im allgemeinen Bewusstsein sehr viel weniger präsent. Vergleichsweise zögerlich sind deshalb bislang all jene Versuche ausgefallen, den Dialog zwischen Juden und Christen zu einem Trialog der drei abrahamischen Religionen auszuweiten.
An diesem Punkt öffnet das Buch von Bertram Schmitz einen neuen Horizont. Sein Anliegen zielt weniger auf die Frage konkreter Begegnungen als auf deren theoretische Fundierung. Denn S. stellt Judentum, Christentum und Islam als Teilbereiche eines religionsgeschichtlichen Gesamtsystems dar, das auf der gemeinsamen Basis der »mosaischen Religion des alten Israel« aufgebaut ist. Alle Spezifika, an denen sich die jeweils eigenständige Realisierung dieses gemeinsamen Erbes ablesen lässt, werden in ihren wechselseitigen Verflechtungen wie auch in ihren gegenseitigen Abgrenzungen sorgfältig reflektiert und nachvollziehbar dargestellt.
Seiner Anlage nach präsentiert sich das Buch als eine Art Einführung, die grundlegende Informationen vermittelt, große Linien nachzeichnet und Zusammenhänge sichtbar macht. Ausgewählte Beispiele verdeutlichen die Darstellung, die insgesamt in ihrer klaren und gut lesbaren Sprache auf ein breiteres Lesepublikum abzielt. Grundlegende Quellentexte werden durch Zitate oder längere Paraphrasen vorgestellt; von der umfangreichen Fachdiskussion bleibt der Text weithin entlastet. Auch die Literatur, die im Anhang zur weiteren Lektüre anregt, erscheint mit gerade einmal zweieinhalb Seiten angesichts des uferlosen Themas als eine be­wusst subjektive Auswahl. Anstatt sich in Einzelheiten zu verlieren, wird in diesem Buch »zu den Kernpunkten durchgestoßen, an denen sich die Religionen konstituiert, gefestigt und wieder ge­spalten haben« (15). Das gelingt weitgehend auf thetische Weise, die jedoch eine solide und umfangreiche Kenntnis der gesamten Forschungslage in allen drei Religionen durchgängig zu nutzen versteht. Maßgebliche Vorarbeiten sind dabei S.s Studien »Vom Tempelritual zur Eucharistiefeier« (2006) und »Der Koran: Sure 2 ›Die Kuh‹. Ein religionshistorischer Kommentar« (2009), deren Perspektive hier noch einmal aufgenommen und gleichsam zu einer Trilogie (23) abgerundet wird.
Der Aufbau des Buches ist chronologisch orientiert. Er nimmt seinen Ausgangspunkt bei der »mosaischen Religion Israels«, fährt fort mit einer Betrachtung von »Christentum« und »Judentum«, um schließlich mit dem »Islam« und einer zeitlichen Grenze im 8. Jh. zu enden. Judentum und Christentum sind dabei als zeitgleich entstehende Größen zu betrachten, die sich beide als legitime Erben der Religion Israels verstehen; allein der größere Schritt über dieses Erbe hinaus rechtfertigt es, das Christentum zuerst in den Blick zu nehmen. Grundsätzlich ist sich S. wohl bewusst, dass es einen Zugang zur Religion Israels nur in Gestalt eines Konstruktes gibt. Deshalb richtet sich sein Interesse auch nicht auf die vorausliegenden religionsgeschichtlichen Entwicklungen, sondern allein auf deren in den Schriften kodifiziertes Erscheinungsbild, wie es der Rezeption durch die folgenden abrahamischen Religionen zugänglich war. Die Transformationsprozesse, die dabei in Gang gesetzt werden, stehen im Fokus jener zwölf Kapitel, in denen das gemeinsame Religionssystem nun in seinen vielfältigen wechselseitigen Verflechtungen zur Entfaltung kommt. Dies geschieht entlang von großen elementaren und charakteristischen Linien, die alle drei Religionen durchziehen: der Prophetie, dem Kult (bzw. dem Ritualzentrum) und der Lehre. Je nach Gewichtung werden sie in unterschiedlicher Abfolge behandelt.
In der grundlegenden Darstellung der Religion Israels steht mit der Tora die Lehre voran, gefolgt von dem Tempelkult als Ausdruck des Rituals und der Prophetie als kritischem Element. Der Ab­schnitt über das Christentum beginnt mit der Prophetie, indem das Auftreten Jesu als dem prophetischen Sohn Gottes dargestellt wird, woraus sich die Eucharistiefeier als Zentralritual ableitet und worauf die Christologie als elaborierte Lehre aufbaut. In der Be­handlung des Judentums schlägt sich erneut die Struktur des Kapitels über die Religion Israels nieder: Nun aber steht der Talmud als Ausdruck mündlicher Lehre am Anfang, gefolgt von dem Ritual im Kontext der Speisevorschriften, der Sabbatheiligung und des Synagogengottesdienstes sowie von der Prophetie, die hier mit der Institution des Rabbinats verbunden wird. Der Islamteil schließlich setzt wieder bei der Prophetie an, die sich maßgeblich in Muhammed verkörpert, worauf die Kaaba als Zentrum des Rituals und der Koran als Ausdruck der Lehre folgen. Seinem Umfang nach ist der Islamteil am kürzesten, wenngleich gerade in seiner Einbeziehung eines der Hauptanliegen des Buches besteht. Das liegt jedoch daran, dass die einzelnen Abschnitte weniger in sauberer Trennung als in ständiger Vernetzung und mit zahlreichen Querverweisen aufgebaut sind, so dass der Islam als letzte Transformationsstufe bereits von Anfang an auch in den anderen Teilen präsent ist. Trotz gelegentlich unvermeidbarer Wiederholungen entsteht auf diese Weise ein Text, der sich flüssig liest und in dem ein Kapitel auf dem anderen aufbaut.
Von den Schwerpunkten, die S. setzt, können hier nur wenige exemplarisch genannt werden. Das Neue am Christentum besteht darin, dass Jesus als der Christus erkannt und damit zum neuen Mittelpunkt wird; das wirkt sich in kultischer Hinsicht in der Abendmahlsfeier aus und schlägt sich in der lehrhaft-dogmatischen Reflexion über das Christusereignis nieder. Das Judentum lebt hingegen aus der Kontinuität der Tora, die jedoch durch die Tempelzerstörung des Jahres 70 einen neuen Stellenwert erhält; als Gründungslegende wäre mit aller gebotenen Vorsicht die Neuordnung des Rabbinats in Jabne zu betrachten. Entscheidend wird schließlich der Offenbarungsanspruch, mit dem der allmählich entstehende Talmud die eigene Identität formt und gleichzeitig einer Abgrenzung von Christen und Muslimen Vorschub leistet. Der Islam wiederum versteht sich als Rückgriff auf die wahre Re­-ligion Abrahams in jener unverfälschten Gestalt, wie er sie noch vor der Trennung von Christentum und Judentum zu erkennen meint. Er erscheint damit als eine dritte Größe, die sich zu den beiden anderen Religionen in einem Dreiecksverhältnis positioniert. Als gemeinsame Grundlage bleibt bestehen: Es gibt nur einen Gott; dieser Gott hat die Welt erschaffen und Israel aus der Sklaverei befreit; er hat Mose am Sinai das Gesetz gegeben; Israel steht zu Gott in einem besonderen Verhältnis; am Ende der Zeit wird Gott Welt und Menschheit richten. Zugleich aber weisen alle drei Religionen Elemente der Abgrenzung auf, die vor allem mit ihrem je eigenen Zentrum (Eucharistie, Tora, Kaaba) verbunden sind und keine Relativierung gestatten: »Die gegenseitige Anerkennung im Glauben ist daher ausgeschlossen. … Während die je vorangehende Religion die je nachfolgende(n) quasi ignoriert, geht die letztere davon aus, die vorangehende zu inkludieren und zu verbessern, was nach dem Selbstverständnis der anderen bereits vollkommen ist« (234).
Es ist das Verdienst dieses Buches, die drei abrahamische Religionen in ihrem großen religionsgenetischen Zusammenhang dargestellt und so ihre wechselseitigen Beziehungen herausgearbeitet zu haben. Daraus erwächst eine neue Sensibilität für Eigenes und Fremdes, Gemeinsames und Trennendes, die sich zugleich aus einer Fülle von Beispielen speist. Dem Buch ist ein breites Lesepublikum zu wünschen, das sich davon zu Selbstreflexion wie zum Gespräch anregen und ermutigen lässt.