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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

283–285

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Hoof, Matthias

Titel/Untertitel:

Freiwilligenarbeit und Religiosität. Der Zu­sam­menhang von religiösen Einstellungen und ehrenamtlichem Engagement.

Verlag:

Berlin/Münster: LIT 2010. 371 S. m. Tab. 23,5 x 16,2 cm = Forum Theologie und Psychologie, 12. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-643-10552-3.

Rezensent:

Karl Foitzik

Freiwilligenarbeit steht hoch im Kurs. Sie ist für den Sozialstaat, die Gesellschaft und die Wohlfahrtsverbände unverzichtbar. Ohne freiwilliges Engagement bekäme das soziale Netz innerhalb kür­-zester Zeit erhebliche Lücken. Obwohl die Privatisierung aller Lebensbereiche unaufhaltsam fortschreitet, betätigen sich immer mehr Menschen ehrenamtlich. Nicht nur, weil sie sich dem Ge­meinwohl verpflichtet sehen. Sie wollen auch selbst davon profitieren. Mehr als ein Drittel der Bundesdeutschen üben nach den Freiwilligensurveys des Bundesfamilienministeriums von 1999 und 2004 eine freiwillige Tätigkeit aus, ein weiteres Drittel wäre bei entsprechenden Rahmenbedingungen dazu bereit. Dem widerspricht die immer wieder zu hörende Klage, es werde schwieriger, Freiwillige für die klassischen Ehrenämter zu finden. Worauf ist dieser Widerspruch zurückzuführen? Welche Motive veranlassen die einen, sich vermehrt zu engagieren? Welche Rahmenbedingungen entsprechen ihren Beweggründen? Was bedeutet der erkennbare Wandel des Ehrenamts für die christlichen Kirchen und Wohlfahrtsverbände?
Religiosität schließt grundsätzlich die Fürsorge für bedürftige Menschen ein. Die christliche Ethik gründet im Doppelgebot der Liebe. Religiöse Menschen allgemein und Christinnen und Chris­ten insbesondere sollten sich also mehr ehrenamtlich engagieren als nichtreligiöse. Ist dem so? Die vorliegende Untersuchung, die an der Psychologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum bei H.-W. Bierhoff als Dissertation angenommen wurde, will zur Klärung beitragen, ob und wie religiöse Einstellungen für die Freiwilligenarbeit relevant sind (24). Freiwilligenarbeit und Religiosität sind komplexe und vieldeutige Begriffe. Der erste Teil der Studie bietet deshalb eine Bestandsaufnahme der aktuellen psycholo­gischen Forschungslage im Blick auf beide Themenfelder (17 ff.).
Matthias Hoof favorisiert den Begriff Freiwilligenarbeit. Er ist überzeugt, dass die synonymen Begriffe Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement nicht in die Zeit passen. Mit dem Teilbegriff freiwillig werde Wesentliches bezeichnet und mit Arbeit darauf verwiesen, dass es in der Studie nicht um spontane Hilfe, sondern um die auf Kontinuität angelegte Mitarbeit in Institutionen, Verbänden, Vereinen etc. geht, und zwar um Mitarbeit im sozialen Bereich. Konsequent widmet sich H. deshalb den sozialpsychologischen Theoriebildungen des prosozialen Verhaltens, bevor er ausführlich die Motivforschung zum freiwilligen Engagement referiert.
Im Abschnitt Religion und Religiosität (79 ff.) werden zunächst psychologische und soziologische Grundlagen geklärt, bevor mit dem substanziellen, dem persönlichkeitsbezogenen, dem phänomenologischen und dem funktionalen Ansatz vier aktuelle Deutungs- und Forschungsansätze der Religionspsychologie vorgestellt werden. H. favorisiert neben dem persönlichkeitsbezogenen Ansatz (vgl. G. W. Allports Unterscheidung von extrinsischer und intrinsischer Religiosität; verbunden mit der fragenden und zweifelnden »Quest-Religion« nach C. D. Batson) vor allem den funktionalen Ansatz. Er geht deshalb ausführlich auf Sinnvermittlung, Transzendenzerfahrung und Kontingenzbewältigung als Grundfunktionen von Religion ein.
Ein Forschungsüberblick zur Frage der Zuordnung von Freiwilligenarbeit und Religiosität (142 ff.) verdeutlicht, dass die bisher vorliegenden Studien (die meisten aus den Vereinigten Staaten) in der Regel substanzielle Religion, nicht aber implizite Religiosität im Blick haben. M. will mit seiner Studie die Zusammenhänge von Motiven und Umfang von freiwilligem Engagement mit expliziter wie impliziter Religiosität aufdecken.
Das Untersuchungsdesign (173 ff.): Freiwillig in verschiedenen sozialen Arbeitsfeldern Engagierte und eine Kontrollgruppe von nicht Engagierten werden mittels eines umfangreichen Erhebungsbogens befragt. Dieser setzt sich aus Blöcken ausgewählter Vorläuferuntersuchungen verschiedener Forscher zusammen, die H. dort, wo es sein spezielles Interesse nahelegt, abändert und durch eigene Items ergänzt. Leider werden nur Letztere, nicht aber der gesamte Fragebogen im Buch dokumentiert.
Offen schildert H. die Probleme, die nötigen Versuchspersonen für die Studie zu finden. Doch er kann die vier gewünschten Gruppen bilden: freiwillig Engagierte in Kirchen (55 Teilnehmende), in der Hospizarbeit (57 Teilnehmende) und bei säkularen Trägern (59 Teilnehmende) und eine Kontrollgruppe Nichtengagierter (53 Teilnehmende). Die Bearbeitung der Fragebögen führt angesichts der vielen Items und unterschiedlicher Auswertungsmodi zu vielfältigen Ergebnissen (197 ff.), die hier nur tendenziell zusammengefasst werden können.
In Blick auf Motive, Umfang und Bewertung der Freiwilligenarbeit (197 ff.) überrascht nicht, dass grundsätzlich zwischen altruis­tischen und selbstdienlichen Motivsystemen unterschieden werden kann, wohl aber, dass sowohl in der Gesamtheit als auch in den Teilgruppen altruistische Motive generell höhere Zustimmung finden. Den höchsten Wert erreicht bei den Engagierten allerdings »Selbsterfahrung« und bei den Nichtengagierten überraschend »soziale Verantwortung«.
Im Blick auf Ausprägungen, Funktionen und Dimensionen der Religiosität (214 ff.) hat sich die Hypothese, dass freiwillig Tätige ihr Leben in stärkerem Ausmaß als sinnerfüllt wahrnehmen als Nichtengagierte, nicht bestätigt. Am meisten Sinnerfüllung finden die in der Hospizarbeit Engagierten. Auch die Vermutung, freiwillig Mitarbeitende hätten ein höheres Maß an expliziter Religiosität als Nichtengagierte, bestätigte sich nicht. Kirchliche Ehrenamtliche und in der Hospizarbeit Engagierte unterscheiden sich zwar deutlich von säkular Engagierten und Nichtengagierten durch ein höheres Maß an vertikaler Selbsttranszendenz. Im Blick auf horizontale Selbsttranszendenz ist aber kein Unterschied festzustellen. Auch »Selbstverwirklichung« und die entsprechenden Lebensbedeutungen haben für Engagierte und Nichtengagierte fast die gleiche Bedeutung. Die Hypothese, dass Menschen, die zu religiösen Fragen und Zweifeln im Sinne einer »Quest«-Orientierung neigen, sich besonders intensiv mit Kontingenzerfahrungen beschäftigen, bestätigte sich nur für die Gruppe der säkular Engagierten.
Zusammenhänge zwischen Freiwilligenarbeit und Religiosität (264 ff.) gibt es im Blick auf Einzelbeobachtungen und auf die Teilgruppen sehr wohl, doch die zentrale Hypothese der Studie konnte nicht bestätigt werden. Sie lautete: »Religiosität hängt positiv mit prosozialem Verhalten zusammen. Je höher die Bedeutung der eigenen Religiosität eingeschätzt wird, desto mehr engagieren sich Ehrenamtliche und desto zufriedener sind sie mit ihrer Tätigkeit.« (170) Das stimmt weder hinsichtlich des Umfangs noch im Blick auf die Zufriedenheit. »Weder die allgemeine Bedeutung der Religion noch die explizite Religiosität hängen durchgängig mit altruistischen Motiven zusammen.« (299)
Dieses Ergebnis überrascht. Angesichts des Zustandekommens und der Zusammensetzung der Gruppen stellt sich jedoch die Frage nach der Repräsentativität der Studie. Als problematisch erweist sich auch, dass nicht nach den konkreten Tätigkeiten der Engagierten in den Arbeitsfeldern gefragt wurde. Eine Unterscheidung von traditionellem und neuem Ehrenamt ist deshalb nicht möglich.