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Ausgabe:

März/2012

Spalte:

263–276

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Bernd Oberdorfer

Titel/Untertitel:

Perspektivische Wahrheit
Überlegungen zur konfessionellen Bestimmtheit der Dogmatik

1. Dogmatik und Konfession: Ein Problemaufriss


Die Frage, ob Dogmatik in sich selbst konfessionell bestimmt ist, d. h., ob sie den Rahmen einer bestimmten konfessionellen Tradition benötigt und in ihrer Aussagekraft auf diesen Rahmen beschränkt ist, scheint sich fast von selbst zu erledigen. Denn während in den exegetischen Fächern unter den Bedingungen historisch-kritischer Forschung die konfessionelle Herkunft des Forschers faktisch kaum mehr eine Rolle spielt und auch die Kirchengeschichte sich zunehmend als Christentumsgeschichte auslegt und sich konfessionelle Prägungen allenfalls noch in der Gewich tung der Forschungsschwerpunkte, kaum mehr in Perspektive, Methode und Ergebnissen abbilden, scheint die konfessionelle Selbstvergewisserung im ausdifferenzierten Fächerkanon ihren ge­nuinen Ort in der Systematischen Theologie und dort besonders in der Dogmatik behalten zu haben. Ist Dogmatik nicht spätestens seit Schleiermachers »Glaubenslehre« als zusammenhängende, d.h., den inneren Zusammenhang reflexiv entfaltende Darstellung der in einer konkreten Konfessionskirche »geltenden Lehre« definiert? Und hatte nicht auch dessen nachgeborener Antipode Karl Barth sogar seine »Christliche Dogmatik« abgebrochen, um sie als »Kirchliche Dogmatik« völlig neu zu beginnen und damit ihren dezidiert kirchlichen Charakter hervorzuheben? Umso mehr gilt Entsprechendes offenbar von der römisch-katholischen Dogmatik, der doch per definitionem die Aufgabe zugeschrieben ist, die vom römischen Lehramt vorgelegte und ihr insofern normativ vorgegebene Lehre auszulegen. Wenn Adolf von Harnack – der bekannten Anekdote zufolge – bei der Neuordnung der Gießener Fakultätsbibliothek vorschlug, die Dogmatik der »schönen Literatur« zuzuordnen,1 hatte er doch anscheinend – was immer man von der unüberhörbar ironisch-despektierlichen Wertung halten mag – jedenfalls insofern eine richtige Intuition, als er eine spezifische Differenz zwischen der Dogmatik und den anderen theologischen Disziplinen wahrnahm. Und es liegt nahe anzunehmen, dass diese Differenz mit einer besonderen kirchlichen Bindung der Dogmatik zusam­menhängen könnte. Ist es angesichts dessen nicht konsequent, wenn etwa in England die Dogmatik in kirchliche Semi­nare ausgelagert wird, die in der zweiten Ausbildungsphase der prak­-tischen Vorbereitung auf den Pfarrdienst in einer konkreten Konfessionskirche dienen, während an der Universität konfessions­indifferent die exegetischen und historischen Fächer samt einer fundamentaltheologisch verfassten Religionsphilosophie verbleiben?

Doch so einfach ist es nicht. Zum einen zeigt schon ein flüchtiger Blick in die Theologiegeschichte, dass Dogmatik sich nie in der Bereitstellung des für die kirchliche Praxis erforderlichen Wissens über die faktisch verbindliche Lehre der entsprechenden Kirche erschöpfte, sondern immer auch auf die Wahrheit der gesetzten Lehre reflektierte. Ein Dogmenpositivismus ist damit schon im Ansatz ausgeschlossen. Unter den Bedingungen der konfessionellen Ausdifferenzierung des Christentums weist Dogmatik zudem zwar durchaus einen konstitutiven Bezug auf die Lehre einer be­stimmten Konfessionskirche auf, versteht sich aber immer zu­gleich auch – wenn nicht gar primär – als in sich kohärente Entfaltung und argumentative Verantwortung der Inhalte des christlichen Glaubens an sich. Damit wird das Verhältnis zwischen der Rückbindung an eine bestimmte Partikulartradition und dem Allgemeinheitsanspruch klärungsbedürftig. Auch Extrempositionen – wie die unmittelbare Identifikation der eigenen Partikulartradition mit der allgemeinen Wahrheit auf der einen Seite, die (zumindest methodisch-heuristische) Distanzierung von allen Partiku­lartraditionen im Namen der Allgemeinheit der Wahrheit auf der anderen – müssen sich selbst explizit im Spannungsfeld zwischen empirisch-pluraler Partikularität und beanspruchter (oder jedenfalls als regulative Idee asymptotisch angestrebter) Universalität verorten: sei es durch scharfe Ausgrenzung, sprich: Häretisierung aller anderen faktisch existierenden Partikulartraditionen, sei es durch prinzipielle Relativierung der Wahrheitsansprüche aller Partikulartraditionen, auch der eigenen. Beide Extremformen gibt es zwar – man könnte sie grob als die fundamentalistische und die relativistische Option bezeichnen –; es fällt aber auf, dass sie als solche weder in der katholischen noch in der evangelischen deutschsprachigen Dogmatik der Gegenwart (um die es im Folgenden gehen soll) vertreten werden.

Dies hängt gewiss auch mit dem Selbstverständnis der Theologie als Wissenschaft und ihrer institutionellen Verankerung in der Universität zusammen – eine Konstellation, die sich in Zentraleuropa seit dem Hochmittelalter herausgebildet und ungeachtet vielfältigster Umformungen als erstaunlich stabil erwiesen hat: Die Theologie ist zwar bezogen auf normative kirchliche Traditionen und erfüllt in diesen und für sie eine Reflexionsfunktion, steht eben dabei aber der Kirche zugleich in relativer Unabhängigkeit gegenüber. Die universitäre Verankerung sichert diese Unabhängigkeit zum einen schlicht institutionell ab, zum anderen aber, indem die Theologie damit das Erfordernis methodischer Disziplin anerkennt, die ihr in der Dogmatik die vernünftig nachvollziehbare Rekonstruktion und Überprüfung kirchlicher Lehre ermöglicht. Damit steht die Theologie indes neben ihrer kirchlichen auch in einer wissenschaftlichen Verantwortung, die sich in der Moderne zunehmend auch darin artikuliert, dass die Theologie ihre Kompe tenz in den interdisziplinären wissenschaftlichen Diskurs einbringt – und zwar sowohl für die multiperspektivische Erforschung religionsspezifischer Fragen als auch für das Angebot spezifisch theologischer Deutungsperspektiven auf nicht primär religiöse Fragestellungen. Im Zusammenhang damit hat die Theologie zudem auch Anteil an der der Wissenschaft generell zugeschriebenen Verantwortung der Kommunikation geprüften Wissens in den Diskursen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Die Erwartung, die Erscheinungsformen und Inhalte des christlichen Glaubens in und gegenüber der Kirche, der Wissenschaft und der Gesellschaft diskursiv zu verantworten,2 trifft sicher die Theologie als Ganze, freilich die Dogmatik in besonderem Maße, sofern sie – wie weithin anerkannt – die Bedeutung der Inhalte des christlichen Glaubens im kulturellen Horizont der Gegenwart zu entfalten hat.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist zu beachten: Die Unterscheidung der Dogmatik von der kirchlichen Lehre als deren Reflexi­onsform sowie ihre Ansiedlung an der Universität haben der Dogmatik eine relative Unabhängigkeit von der Kirche geschenkt, zugleich aber natürlich die kirchliche Verbindlichkeit der vorgetragenen dogmatischen Positionen zum Problem gemacht. Im Protestantismus wird zwar immer wieder neu über den spezifischen Beitrag der wissenschaftlichen Theologie zur Bestimmung der kirchlichen Lehre nachgedacht. Es hat sich aber als ausgesprochen schwer erwiesen, in Einzelfragen einen hinreichend tragfähigen wissenschaftlichen Konsens herzustellen (schon der Weg dahin ist strittig), der dann den kirchenleitenden Instanzen gegenüber in Gestalt von Gutachten, Memoranden etc. geltend gemacht werden könnte. Im Umkehrschluss zeigt sich daran, dass das Subjekt der Dogmatik zunächst einmal nur der Dogmatiker, die Dogmatikerin selbst sind, die Autorität für ihre Aussagen allein aufgrund der Überzeugungskraft ihrer Argumente erhoffen dürfen. Letztgenanntes trifft auch für die katholische Dogmatik zu, die ohnehin keine direkte kirchliche Autorität beanspruchen kann. Man kann allerdings fragen, ob die Lage im Protestantismus der Neuzeit nicht noch einmal zugespitzt ist. Hans-Joachim Birkner hat darauf aufmerksam gemacht, dass auf dem Weg von Schleiermachers »Glaubenslehre« zu Troeltschs gleichnamigem Vorlesungsskript3 ein deutlicher Individualisierungsschub festzustellen sei: Wollte Schlei­ermacher noch dezidiert eine wissenschaftlich durchdrungene Darstellung der kirchlichen Lehre geben, so erhebt Troeltsch nur noch den Anspruch einer individuellen Reflexion des christlichen Glaubens im Horizont des allgemeinen kulturellen Be­wusstseins.4 Doch gegen die Annahme einer einlinigen Entwicklung spricht schon der programmatisch kirchliche Charakter von Barths später erschienener, wirkmächtiger Dogmatik. Zudem ist die Rechenschaft auf dem Forum der gegenwärtigen Kultur kein protestantisches Proprium: Das derzeit entstehende katholische Sammelwerk »Gegenwärtig Glauben Denken« etwa will ausdrücklich »gerade auch Menschen, die dem Christentum distanziert gegenüber stehen, mit dem christlichen Glaubensdenken vertraut machen«. 5

Gewiss hat die Selbständigkeit der Theologie immer wieder kirchliches Unbehagen erregt. Täuscht der Eindruck nicht, so hat sich im römischen Lehramt in den letzten Jahren das Misstrauen gegen die an staatlichen Universitäten verankerte katholische Theo­logie verstärkt, der es an kirchlichem Bewusstsein mangele, und es wird gefragt, ob die theologische Ausbildung zumindest der Priesteramtsanwärter nicht besser wieder ganz in die Hände kirchlicher Seminare gelegt werden sollte. Auch im Protestantismus wird die religiöse Verlässlichkeit der Universitätstheologie immer wieder angezweifelt, etwa in pietistischen oder evangelikalen Kreisen, und selbst Landeskirchen führen verpflichtende »Spiritualitäts«-Programme für ihre Theologiestudierenden ein, um deren geistliche Persönlichkeitsbildung und kirchliche Einbindung zu fördern, die sie offenkundig bei einem rein akademischen Studium gefährdet sehen. Dennoch ist nirgends zu erkennen, dass die Kirchen die genannte dreifache Verantwortung der Theologie grundsätzlich durch eine restriktiv konfessionskirchliche Orientierung ersetzen wollen. Selbst wenn längerfristig der derzeitige institutionelle Status der Theologie sich ändern sollte (etwa indem die Anwesenheit der Theologie an staatlichen Universitäten gesellschaftliche Plausibilität und politische Unterstützung verliert), 6 spricht vieles dafür, dass die Kirchen die Unabhängigkeit der Theologie auch in kircheneigenen Ausbildungsstätten respektieren würden, wie es ja auch jetzt schon an den kirchlichen Hochschulen gehalten wird, die sich denselben wissenschaftlichen Standards unterwerfen wie staatliche Fakultäten.

Diese Vorüberlegungen sollten die komplexen strukturellen Bedingungen umreißen, unter denen sich wissenschaftliche Theologie im Allgemeinen und Dogmatik im Besonderen heute vollzieht. Deutlich wurde, dass Dogmatik weit mehr ist als die bloße systematische Darstellung der in einer Konfessionskirche geltenden Lehre, indem sie diese Lehre immer auch kritisch überprüft nach Maßgabe eines normativen Verständnisses des christlichen Glaubens an sich. Dieses ist zwar auf die konfessionelle Lehre bezogen, geht aber nicht in ihr auf – schon deshalb nicht, weil diese Lehre (auch in römisch-katholischer Sicht!) keine dergestalt feststehende Größe ist, dass sie der Interpretation und Weiterbildung schlechterdings nicht bedürfte. Der Dogmatiker ist also in seiner kritischen Rekonstruktion der kirchlichen Lehre gleichsam immer auch über diese hinaus. Dies impliziert aber, dass er für dieses sein Verständnis des christlichen Glaubens zunächst einmal nur in eigener Person einsteht, ohne dafür die Formalautorität kirchlicher Lehre zu beanspruchen. Gemeint ist damit keine subjektive Unverbindlichkeit, die vielmehr dadurch gerade ausgeschlossen ist, dass der individuelle dogmatische Forscher eingebunden ist in die me­thodische Disziplin der Wissenschaft. Einer konfessionalis­tischen Engführung widerstreitet auch, dass eine gegenwärtige intellek tuelle Rechenschaft über die Inhalte des christlichen Glaubens nicht nur in und gegenüber der Kirche, sondern auch in und ge­genüber der Wissenschaft geschieht und zudem am allgemeingesellschaftlichen Diskurs partizipiert. Sehe ich recht, so entzieht sich kein dogmatischer Entwurf der Gegenwart dieser mehrperspektivischen Verantwortung.

Damit ist freilich nicht behauptet, dass für gegenwärtige Dogmatik die konfessionelle Prägung faktisch keine Rolle spiele, oder gar die Forderung aufgestellt, eine den Anforderungen der Gegenwart angemessene christliche Dogmatik müsse die konfessionelle Differenzierung überspringen und eine transkonfessionelle Position einnehmen. Denn zum einen fiele die konfessionelle Herkunft eines dogmatischen Entwurfs vermutlich selbst dann auf, wenn dieser sich prononciert auf einen überkonfessionell-allgemeinchristlichen Standpunkt stellte. Zum anderen gehört die kirchliche Selbstverständigung weiterhin zu den konstitutiven Aufgaben der Dogmatik. Drittens schließlich muss die von der Dogmatik zu fordernde Bestimmung des Verhältnisses von Partikularität der konfessionellen Prägung und beanspruchter Allgemeinheit auf dem Boden der je eigenen Partikularität erfolgen und darf diese nicht übergehen. Eine völlig frei schwebende Darstellung des christlichen Glaubens ist zwar nicht undenkbar und kann in einem be­stimmten Diskurskontext durchaus sinnvoll sein; auch sie müss­te indes in irgendeiner Form die faktische konfessionelle Differenzierung des Christentums mit erfassen, und Dogmatik könnte man sie schwerlich nennen.7

Im Folgenden sollen nun exemplarisch neuere Lehrbücher der Dogmatik daraufhin untersucht werden, wie sie die aufgeworfenen Fragen implizit widerspiegeln und explizit reflektieren. Statt eines breiten Literaturberichts beschränke ich mich auf wenige Werke aus dem vergangenen Jahrzehnt: Aus dem evangelischen Bereich werden die »Glaubenslehre« von Dietz Lange8, die »Dogmatik« von Hans-Martin Barth9 und die ersten Bände von Gunther Wenz’ (auf zehn Bände angelegter) umfassender Darstellung »Studium Systematische Theologie«10 herangezogen, aus dem katho­-lischen Bereich die »Katholische Dogmatik aus ökumenischer Er­fahrung« von Otto Hermann Pesch11 sowie der erste Band des von Karl-Heinz Ruhstorfer herausgegebenen elfbändigen Sammelwerks »Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theologie«12 diskutiert. Ein Blick über die deutsche Sprachgrenze hinaus muss ebenso un­terbleiben wie die Berücksichtigung der freikirchlichen Tradition sowie der orthodoxen Dogmatik.13

2. Dogmatik, Glaubenslehre, Systematische Theologie? Terminologie und Fachidentität


Obwohl der Begriff »Dogmatik« ursprünglich aus der protestantischen Theologie des 17. Jh.s stammt und von dort in die katholische eingewandert ist,14 wird er im Protestantismus nicht selten als ›typisch katholisch‹ wahrgenommen und problematisiert. Dietz Lange etwa hält ihn dezidiert für ungeeignet, da er auf das »Dogma« verweise und damit auf einem Verständnis von verbindlicher kirchlicher Lehrbildung gründe, von dem sich die Reformation grundsätzlich distanziert habe. Lange beschränkt den Begriff des Dogmas nämlich strikt auf den Aspekt formal-kirchenrechtlich autorisierter, unbedingt und überzeitlich gültiger Lehre. Dies wi­derspreche nicht nur der neuzeitlichen Einsicht in die Geschichtlichkeit des biblischen Kanons und der kirchlichen Lehre, sondern unterstelle auch zu Unrecht die Möglichkeit »objektiver« Aussagen über Gott und lege zudem ein unreformatorisches Glaubensverständnis zugrunde, da Glaube hier als willentliche Annahme vorgegebener Lehrsätze und damit als menschliches Werk erscheine statt als das Geschenk des rückhaltlosen Gottvertrauens. 15 Zwar anerkennt auch Lange die Aufgabe, »die christliche Identität der Kirche gegen Fehlinterpretationen zu schützen«, und räumt der­-artiger »Identitätsbestimmung« durchaus »ein gewisses Maß an Verbindlichkeit« ein.16 Sie dürfe aber eben nicht in Gestalt irreformabler Dogmen erfolgen, sondern nur durch komplexe Prozesse innerkirchlicher Konsensbildung. »Dogmen und Bekenntnisformulierungen aus Vergangenheit und Gegenwart sind als redliche Konsensbemühungen zu achten«17, d. h. als ernst zu nehmende Versuche, in einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Konfliktsituation das wesentlich Christliche in einer konsensfähigen Form zur Sprache zu bringen. Aber diese Dogmen und Bekenntnisformulierungen »sind weder sakrosankt noch entbinden sie von eigener Rechenschaft«18. Lange plädiert deshalb nachdrücklich da­für, den Begriff des Dogmas um »der begrifflichen Klarheit willen … der römischen und der orthodoxen Theologie … zu überlassen«.19 Dass er sein Lehrbuch »Glaubenslehre« nennt, verdankt sich also einer dezidiert protestantischen Programmatik.

Allerdings werden im Protestantismus der Gegenwart »Dogmatik« und »Glaubenslehre« nicht durchweg in dieser Schärfe als ausschließender Gegensatz wahrgenommen. Selbst »katholisierender« Neigungen unverdächtige Autoren wie Wilfried Härle20 oder Hans-Martin Barth nennen ihre Entwürfe »Dogmatik«.21 Gerhard Ebeling kombinierte in seiner »Dogmatik des christlichen Glaubens« gar beide Termini.22 Auch der Titel »Systematische Theologie« muss nicht unbedingt eine bewusst gewählte Alternative zum Ausdruck »Dogmatik« anzeigen.23

Dies deutet darauf hin, dass der Begriff »Dogma« aus evange­lischer Perspektive keineswegs notwendig so eng definiert werden muss, wie das bei Lange geschieht. Für Gunther Wenz gibt es daher »keinen prinzipiellen Grund, die Begriffe Dogma und Dogmatik evangelischerseits zu inkriminieren«, wenn klar bleibe, »dass die theologische Verbindlichkeit von Dogmen nach reformatorischem Verständnis nicht in ihrer juridischen Festlegung, sondern nur in ihrem Wahrheits- und Sachgehalt begründet liegen kann«. 24 Dem widerspreche nicht die Beobachtung, dass »im Zuge der Reformation statt von Dogmen lieber von Bekenntnissymbolen des Glaubens die Rede« sei; dies akzentuiere vielmehr »die differenzierte, aber gleichwohl unauflösliche Einheit von ›fides quae‹ und ›fides qua creditur‹«25, soll also den konstitutiven Glaubensbezug wahren und einem objektivistischen Missverständnis des »Dogmas« wehren.

Ähnlich argumentiert aus katholischer Perspektive Otto Hermann Pesch. Er führt fünf mögliche Bedeutungen von »Dogma« auf: kirchlich-lehramtliche Verkündigung; Bekenntnis; »kirchliche Leitlinie der Verkündigung«; Inbegriff der identitätsstiftenden Tradition einer Kirche; »summarische Chiffre für die Gesamtheit der überlieferten Gestalten der Auslegung der Botschaft in Lehre und Leben«.26 Mit dieser Auffächerung will er einerseits deutlich machen, dass auch das katholische Dogmenverständnis nicht auf die formal verbindliche Lehrverkündigung reduziert werden darf, und andererseits zeigen, dass es für den Dogmenbegriff auch eine sinnvolle protestantische Verwendung gibt; denn nur die erste Definition steht zur reformatorischen Fassung von Lehrverbindlichkeit in Spannung, die zweite ist sogar explizit am lutherischen Sprachgebrauch orientiert. Ziel ist der Aufweis, dass evangelische wie katholische Dogmatik strukturanalog verfasst und daher funktional vergleichbar sind. Während Lange eine qualitative Grunddifferenz zwischen Protestantismus und Katholizismus im Glaubensverständnis konstatiert, tendiert Pesch generell dazu, konfessionelle Differenzen durch funktionale Betrachtung gleichsam zu verflüssigen und als quantitative Unterschiede zu behandeln. Römisches Lehramt und lutherische Bekenntnisbindung sind dann nur graduell unterschiedene Formen der Verbindlichkeitspflege, und entsprechend korrespondiert nach Pesch der ka­tholischen Gefahr der Überregulierung auf derselben Skala spiegelbildlich die protestantische Gefahr der Identitätsdiffusion. Diese konsequente funktionale Relativierung der konfessionellen Lehrunterschiede hin auf einen identischen Sachbezug setzt einen umfassenden gemeinsamen Problemhorizont voraus, der ökumenische Verantwortung zu einem Wesensmerkmal konfessioneller Dogmatik macht.

Natürlich ist zu fragen, ob durch diese Methodenwahl kontradiktorische Differenzen nicht gewissermaßen a priori ausgeschlossen sind; jedenfalls impliziert das Verfahren die Kritik von ›exklusivistischen‹ Interpretationen der jeweiligen konfessionellen Tradition, selbst wenn diese auf katholischer Seite derzeit vom rö­mischen Lehramt vertreten werden. Methodisch kommt Wenz Peschs Ansatz indes durchaus nahe, wenn er es ablehnt, protestantische Identität durch den Gegensatz zur römisch-katholischen oder zur orthodoxen Kirche bestimmt sein zu lassen. Wenz weist allerdings deutlich darauf hin, dass damit nicht die Forderung einer Aufhebung der partikularkirchlichen Perspektive verbunden sei. Im Gegenteil akzentuiert er die lutherische Bekenntnistradition als »verpflichtendes Erbe«27 und plädiert gegen eine »transkonfessionelle Allgemeinheit« für eine ökumenische »Streitkultur«28, die die konfessionellen Positionen verständigungsoffen dem Diskurs aussetzt.

Was die Terminologie anbelangt, lehnt Pesch den Ausdruck »Sys­tematische Theologie« nicht ab, verwendet ihn aber als Oberbegriff für alle Teilbereiche der Theologie, die die »Aufgabe« erfüllen, »das überlieferte Glaubenswort … auf das Denken und Fragen der Gegenwart zu beziehen«29. Zu diesen systematischen Fächern zählt er in einem weiteren Sinn auch die »Theologische Ethik, … in bestimmter Hinsicht auch … die Praktische Theologie sowie … die Religions-, Missions- und Ökumenewissenschaften«.30 Kernfächer sind aber Dogmatik und Fundamentaltheologie, deren Verhältnis besonderer Klärung bedarf. Pesch sieht beide eng miteinander verzahnt, wobei er der Fundamentaltheologie stärker die Dimension des »pastoralen« Aufzeigens eines »Anknüpfungspunktes« für den christlichen Glauben im allgemeinen Denken der Gegenwart zu­schreibt, während der Dogmatik eher die »polemische« Darlegung der Unableitbarkeit des Glaubens und die »meditative« Re­flexion von dessen Inhalten zukommen. 31 In dieser engen Zuordnung zur Dogmatik wird der Begriff »Fundamentaltheologie« mittlerweile gelegentlich auch in der evangelischen Theologie verwendet,32 zu­mal dort unter verschiedenen Namen religionsphilosophische, anthropologische und hermeneutische Grundlagenreflexionen schon lange einen festen Platz in der Dogmatik haben.

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass der Ausdruck »Systematische Theologie« zur Verdeutlichung der inneren Verbindung von Dogmatik und Fundamentaltheologie in der deutschen katholischen Theologie zunehmend Verbreitung findet. Dies zeigt sich etwa in der Denomination einzelner Lehrstühle (vor allem in der Lehramtsausbildung außerhalb Theologischer Fakultäten). Dass das katholische Großprojekt »Gegenwärtig Glauben Denken« sich als »Systematische Theologie« bezeichnet, obwohl es die klas­-sischen dogmatischen Traktate behandelt, spiegelt das Interesse wider, die dogmatischen Inhalte im Fragehorizont der modernen Kultur zu entschlüsseln, statt sie nur für den internen Diskurs aufzubereiten. Obwohl schon aus hochschulpolitischen Gründen nicht zu erwarten steht, dass die unterschiedliche institutionelle Ausdifferenzierung der systematisch-theologischen Fachkultur sich grundsätzlich ändern wird, besteht hier also kein wesentlicher ökumenischer Dissens.

3. Konfessionelle Selbstverortung


Peschs ironische Bemerkung, dass evangelische Dogmatiken in der Regel »ziemlich umstandslos die Deckungsgleichheit zwischen biblischem und reformatorischem Zeugnis fest[stellten]«33, macht darauf aufmerksam, dass keine Dogmatik umhin kann, sich zu ihrer konfessionellen Perspektive in ein explizites Verhältnis zu setzen. Dass dieses Verhältnis kein rundheraus negatives sein kann, dürfte einleuchten; es muss, ja kann aber gleichwohl kein völlig unkritisches sein, sofern, wie bereits gezeigt, konfessionelle Identität keine ein für allemal feststehende Größe darstellt.

Am unkompliziertesten geht Barth mit der Frage um. Er betont zwar, dass Dogmatik heute in ökumenischer Verantwortung und, vor allem, konzentrisch ausgeweitet »im Kontext der Weltreligionen« entfaltet werden müsse, will aber in den dem Christentum gewidmeten Partien »christliche, näherhin evangelische Dogmatik«34 vortragen, so dass das Werk sich in diesen Abschnitten auch als »Repetitorium der evangelischen Dogmatik«35 eignen soll. Be­wusst verzichtet Barth auf umfangreiche Überlegungen zu Anordnung und systematischer Vernetzung der »einzelnen Themenbereiche«: »Eine interreligiös interessierte Dogmatik wird sich mit elementarer Architektur zufriedengeben und schlicht die für das Gespräch mit den Weltreligionen wichtigsten Fragestellungen an­einanderreihen.«36 Entsprechend wird ein spezifisch protestan­tisches Profil nicht ausführlich theoretisch reflektiert, sondern in der materialdogmatischen Entfaltung unthematisch vorausgesetzt, indem es Auswahl und Arrangement des behandelten Stoffes und der herangezogenen normativen Instanzen leitet. Es ergibt sich eine fast selbstverständliche, weitgehend unpolemische evangelische Ausrichtung, die unbefangen auch Anregungen aus dem römisch-katholischen Bereich aufgreifen kann, sich aber gleichwohl deutlich von diesem abhebt.

Sehr viel elaborierter ist das protestantische Profil bei Lange. Für ihn bedeutet die Reformation eine qualitative Zäsur, indem sie ein radikal fiduziales Glaubensverständnis entwickelt und von diesem her zum einen die individuelle Gewissenssubjektivität gegen kirchenamtlich autorisierte Lehre ins Recht gesetzt und zum anderen mit der elementaren theologischen Einsicht, dass Gott sich der begrifflichen Erfassung entzieht, ernst gemacht habe. Allerdings habe die Reformation dieses nicht-doktrinale und antispekulative Konzept noch nicht konsequent durchgehalten. Vor allem der grundsätzliche Charakter der Differenz zum römischen Typus des Christentums sei nicht durchwegs klar erkannt worden. Erst in der Neuzeit sei der Protestantismus in dieser Hinsicht sich selbst transparent geworden. Der im Wesen des Protestantismus angelegte Pluralismus bringe es allerdings mit sich, dass diese – be­sonders nachdrücklich im freien Protestantismus vertretene – Einsicht strittig geblieben sei und namentlich gegenüber starken ›klerikalistischen‹ und ekklesiozentrischen, die Notwendigkeit verbindlicher kirchlicher Lehre betonenden Strömungen immer wieder neu zur Geltung gebracht werden müsse.37

Im Unterschied dazu hält Wenz daran fest, dass auch nach reformatorischem Verständnis der Glaube sich wesentlich (und nicht erst sekundär) im Bekenntnis ausspreche; die Aussage- und Lehrförmigkeit ist als solche also noch kein grundsätzliches Unterscheidungsmerkmal zur römischen Kirche. Allerdings lehnt auch Wenz einen unhistorischen normativen Rekurs auf die Lutherischen Bekenntnisschriften ab.38 Gerade der geschichtliche Blick auf deren Genese und Wirkungsgeschichte mache ihre abstrakte »Verhimmelung« unmöglich. Die Geltung der Bekenntnisse müsse sich in einem »geschichtsoffenen Prüfungsprozess« im Diskurs »kirchlicher Öffentlichkeit« immer wieder neu erschließen.39 Auch für Wenz ist daher die Analyse der neuzeitlichen Transformationsgeschichte des abendländischen Christentums von grundlegender Bedeutung für das gegenwärtige Verständnis der Bekenntnistra­dition. Während Lange freilich den Aspekt der Dogmen-Kritik betont, legt Wenz den Akzent auf die Dogmen-Interpretation. In seinen Ausführungen zu Schleiermacher und Hegel40 als den zentralen Exponenten neuzeitlicher protestantischer Christentumstheorie liest er diese so, dass ihre Kritik am Dogma als Form von dessen zeitgemäßer Interpretation erkennbar wird. Mit Hegel bekräftigt er die Möglichkeit einer begrifflichen Fassung der christlichen Glaubensinhalte, mit Schleiermacher lehnt er aber eine völlige Aufhebung des Glaubens in den Begriff ab. Wenz spricht von einem sachlich gebotenen »fundamentaltheologischen Schwebezustand«41: Glauben und Denken sind in konstitutiver Unterschiedenheit aufeinander verwiesen. Als spezifisch neuzeit­liche Konstellation der Korrespondenz von Partikularität und Allgemeinheit macht Wenz die Verbindung eines strikt als unver­-fügbare Selbsterschließung gedachten Offenbarungsbegriffs mit dem Religionsbegriff namhaft, der als Chiffre für den allgemeinmenschlichen Bezugsrahmen des Glaubens den Begriff des Gesetzes ersetzt. Dass diese Konstellation die konfessionelle Differenzierung übergreift, wenngleich sie für die konfessionellen Traditionen durchaus in unterschiedlicher Weise eine Herausforderung darstellt, ist offenkundig.

Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass Pesch die Prolegomena seiner »Katholischen Theologie aus ökumenischer Erfahrung« vom Begriff des »Wortes Gottes« her entfaltet, wobei er diese Leitkate­gorie der »Offenbarungstheologie« bewusst auf die allgemeinmenschliche Erfahrungswirklichkeit bezieht. Eine katholische Perspektive wird etwa darin erkennbar, dass Pesch die theologische Tradition in großer Breite zum Sprechen bringen will. Ungewöhnlich für eine römisch-katholische Dogmatik ist gewiss, dass er die Reformation dabei fast selbstverständlich in den Strom der Kirchen- und Theologiegeschichte einbettet und als gewichtigen Impuls behandelt, der für die gegenwärtige katholische Theologie von Bedeutung ist, zumal die Reformation auch auf die römisch-katholische Lehrentwicklung direkt und indirekt Einfluss ausgeübt habe. Dass durch diese Einbettung die reformatorische Lehre ihrerseits relativiert wird und als Teilmoment einer universalen Geschichte erscheint, ist klar; indem Pesch durchgehend die mittelalterliche Vorgeschichte der Debatten der Reformationszeit darstellt, bestreitet er faktisch, dass diese einen grundlegenden Neuansatz und eine qualitative Differenz zur mittelalterlichen und zur späteren römisch-katholischen Kirche bilde. Pesch wendet sich gegen ein eng juridisch-formal gefasstes Traditionsverständnis, das er für unkatholisch erklärt. Dem Lehramt attestiert er eine begrenzte Ordnungs- und Lenkungsfunktion innerhalb des um­fassenden Traditionsflusses. Von einem zeitenthoben-statua­rischen Dogmenverständnis könne aber schon insofern nicht die Rede sein, als selbst »infallible« Dogmen der weiteren Interpretation bedürftig seien. Loyalität zur eigenen katholischen Tradition artikuliert sich für Pesch darin, dass es ebendiese ist, in deren – ökumenisch verständigungsoffener – Interpretation sich die dogmatische Orientierung vollzieht. Schwerpunkt der theologiegeschichtlichen Vergewisserung ist neben Mittelalter und Reformationszeit vor allem das 20. Jh. Interessanterweise spielt die Zäsur der Neuzeit, die in je unterschiedlicher Weise für Lange und Wenz den entscheidenden Horizont gegenwärtiger Selbstverständigung bildet, bei Pesch kaum eine Rolle. Sie kommt freilich indirekt zum Tragen, insofern Pesch einen erfahrungsorientierten Ansatz vertritt und seine Dogmatik dezidiert vom Glaubensverständnis her ent–wickelt. Obwohl schon aufgrund seiner umfangreichen Thomas-Studien frei von anti-metaphysischen Ressentiments, respektiert Pesch konsequent die Differenz von Dogmatik als Glaubens-Lehre und Metaphysik. Dazu passt auch, dass seine intellektuellen Ge­sprächspartner für das 20. Jh. kaum die Philosophen, sondern weithin die großen Dogmatiker sind.42

Das ist bei Ruhstorfer signifikant anders. Das Projekt »Gegenwärtig Glauben Denken« geht in mehrerer Hinsicht eigene Wege. Die Absicht, »den christlichen Glauben angesichts der Herausforderungen der Gegenwart vernünftig zu durchdringen und übersichtlich darzustellen«, wird so umgesetzt, »dass die biblischen Zeugnisse nicht wie üblich als Ausgangspunkt, sondern als Zielpunkt der Darstellungen in den Blick genommen werden«.43 Weil »die Anerkennung der biblischen Offenbarung sich in unseren Tagen nicht von selbst versteht und mithin nicht unmittelbar auftreten kann«, beginnen die Bände mit einer Erschließung der geistig-kulturellen Lage der Gegenwart und schreiten von dort theologie- und kulturgeschichtlich zurück »zur Wiege unserer Kultur«, die Ruhstorfer in der »Person Jesu« erblickt (9). Nicht zufällig ist der erste Band daher der Christologie gewidmet. In Anklang an Foucault und Derrida bezeichnet Ruhstorfer sein Verfahren als »Archäologie« im Sinne der Aufsuchung des »Logos des Anfangs« (14): »Die Archäologie nimmt die Spur auf und vielleicht mehr noch die Spur des Verlöschens der Spur und verfolgt sie bis zu ihrem Anfang, indem sie Schicht um Schicht abträgt und ein grundlegendes Verständnis der Geschichte Jesu freilegt, wie sie im Neuen Testament berichtet wird.« (15) Vorausgesetzt ist dabei, dass der »Gedanke der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus … die transzendentale Weisung« (16) ist, d. h., die Bedingung der Möglichkeit der im Sinne kulturprägender Denkformen verstandenen »kategorialen Verhältnisse« und damit der »Geschichte des Denkens« zumindest im Abendland (18).

Diese These ist sinnidentisch mit der Aussage: »Christus ist der Grund von Geschichte und Gegenwart.« (16; im Orig. kursiv) Gemeint ist also nicht weniger, als dass der Logos vom inkarnierten Gott die Tiefenstruktur und die Dynamik der abendländischen Geis­tesgeschichte bestimmt. Unter Aufgreifen semiotischer Be­grifflichkeit unterscheidet Ruhstorfer drei Epochen gemäß den sie prägenden Denkformen: Sei die Vormoderne orientiert am Signifikat, der Idee, und deshalb bis Hegel und Schelling bestimmt von der »spekulative(n) Denkform« einer »christlichen Metaphysik« (16), so habe die anti-spekulative Wende im 19. Jh. den Akzent auf den Referenten, die Sache, gelegt und deshalb »nicht mehr die übersinnliche Vernunft …, sondern die sinnliche Wirklichkeit« als das »Prinzip des Erkennens« gelten lassen; in der Theologie habe sich dieser anthropologische Fokus im emphatischen Rückbezug auf den historischen Jesus abgebildet (16 f.). Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich der Schwerpunkt schließlich auf den Signifikanten, das Zeichen, verlagert. »Auf den Primat von einsehbarer Idee und Erfahrungswirklichkeit folgt die Konzentration auf die Zeichen und Interpretationen«: »Am Anfang war der Text.« (17) Da in der Postmoderne die Bedeutung von Texten aber nicht durch Rekurs auf eine ›dahinter‹ stehende geistige oder sinnliche Wirklichkeit determiniert sei, sondern sich nur aus dem Kontext erschließe, der sich »durch seine Offenheit« und perspektivische Vielfalt auszeichnet, sei auch die »Frage nach dem Anfang … prekär« geworden, zumal auch »der wirkliche Mensch … seine prinzipielle Stellung« verloren habe (ebd.). Entsprechend habe in der Theologie die Frage nach dem »wirklichen Jesus« ›hinter‹ den Evangelien ihre legitimatorische Bedeutung eingebüßt; stattdessen werde »nach dem Jesus in den Texten des Neuen Testaments, wie er gegenwärtig plausibel gemacht werden kann« (ebd.), gefragt, was nur in nicht still zu stellender Vielfältigkeit geschehen kann. Wenn nun Christus in der Tat die Bedingung der Möglichkeit all dieser Ausformungen des abendländischen Denkens sein soll, dann müssen sie zum einen alle in ihm angelegt sein und zum anderen ihre entscheidende Dynamik durch ihn erfahren.

Diese äußerst ambitionierte These wird in drei Schritten entfaltet: Zunächst wird unter der Überschrift »Das Zeichen an der Grenze des Menschen« das postmoderne Denken (u. a. anhand von Vattimo, Derrida, Foucault) sowie dessen Aufnahme in der Theologie (»De-Limitation« des historischen Jesus; relativistische Religionstheorie; Theologie nach Auschwitz; Befreiungstheologie; kulturüberschreitende Theologie; feministische Theologie) behandelt. Das »moderne Denken« kommt sodann unter dem Titel »Die Wirklichkeit des neuen Menschen« zur Sprache. Für die Emphase der Endlichkeit, Weltlichkeit und Konkretheit der menschlichen Existenz stehen Denker wie Heidegger, Nietzsche und Marx; für den »Glaube[n] im Horizont der Moderne« werden neben Karl Rahner interessanterweise nicht nur Harnack, sondern auch Barth und Bultmann in Anspruch genommen, die man üblicherweise eher auf Seiten der Kritik an der Moderne verortet. Gemeinsam ist allen diesen sehr unterschiedlichen Positionen eine anti-spekulative, anti-metaphysische Grundhaltung, was durch die abschließende Darstellung Kierkegaards noch einmal unter­-strichen wird. Drittens schließlich wird unter der Überschrift »Die Idee des Gottmenschen« in großem geschichtlichem Bogen die weit in die Neuzeit hineinreichende spekulativ-metaphysische Denkform abgehandelt.

Bei der »Chris­tologie der Neuzeit« fallen ungewöhnliche Zuordnungen und Gewichtungen auf: Neben Hegel (dem ein besonders umfangreicher Abschnitt gewidmet ist) stehen Fichte und Kant, die beide nur in sehr spezifischem Sinn als Metaphysiker (oder gar spekulative Denker) bezeichnet werden können. Dass aus dem Reformationsjahrhundert neben Ignatius von Loyola auch Luther hier eingeordnet ist, überrascht zunächst – problematisieren evangelische Darstellungen doch einerseits dessen Zurechnung zur Neuzeit, sehen ihn andererseits und vor allem aber als entschiedenen Kritiker der scholastischen Spekulation, dessen ganze Emphase auf der kreatürlichen Gestalt des gekreuzigten Gottessohnes lag. Ruhstorfer greift jedoch, an Hegel ge­schult, Luthers Überlegungen zur Ubiquität der menschlichen Natur des erhöhten Christus auf, denen trotz ihres abendmahlstheologischen Hintergrunds ein spekulativer Charakter in der Tat kaum abgesprochen werden kann. Ob damit Leitimpuls, Ansatz und innere Balance von Luthers Theologie angemessen gewürdigt sind, wäre indes noch einmal zu fragen. Für die Chris­tologie der Scholastik und Patristik werden exemplarisch Thomas von Aquin und Augustinus (und knapp auch Origenes) herangezogen, ehe die Genese des christologischen Dogmas auf dem Weg von Nicäa nach Chalcedon skizziert wird.

Diese ausführliche »Archäologie« soll nun helfen, den »Logos des Anfangs«, sprich: die Bedeutung Jesu als »transzendentale Weisung« aus den Texten der Bibel zu erschließen. Da die Einsichten der semiotischen Wende nicht übersprungen werden dürfen, kann dies nicht durch Konstruktion eines – sei es ideenförmigen, sei es historisch-konkreten – Einheitsbildes der Gestalt Jesu erfolgen. Ruhstorfer beschränkt sich vielmehr auf die »weitgehend kommentarlos[e]« (224) Darstellung der christologischen Akzente in den einzelnen neutestamentlichen Büchern, denen knappe Überlegungen zum Alten Testament vorgeschaltet sind. Dabei sind, so Ruhstorfer, »die kategorialen Verhältnisse mitzuhören«, sind doch alle drei epochalen Denkformen der abendländischen Kultur im Neuen Testament bereits angelegt.

Man kann fragen, ob diese mit umfassendem Erklärungsanspruch auftretende Konzeption nicht faktisch von dem »metaphysischen« Einheitsdenken zehrt, dessen Ende sie in der Postmoderne doch gekommen sieht. Eine größere ›Großerzählung‹, als Ruhstorfer sie anbietet, ist jedenfalls kaum vorstellbar. Diskussionsbedürftig ist sicherlich auch das eigentümliche Oszillieren zwischen theologischer Großthese und geistes- bzw. kulturgeschichtlicher Rekonstruktion. Historisch ist die These von Christus als dem »Anfang« der abendländischen Kultur ohnehin nicht zu halten, sofern das Christentum zwar ein außerordentlich gewichtiger, aber keineswegs der einzige prägende Faktor der europäischen Kulturgeschichte ist; historisch in diesem Sinn ist sie jedoch wohl auch nicht gemeint.

Dies kann hier nicht weiter verfolgt werden. In unserem Zu­sam­menhang interessiert primär die Frage, ob und ggf. wie sich in diesem Ansatz die konfessionelle Herkunft des katholischen Verfassers artikuliert. Was die Auswahl der herangezogenen Autoren betrifft, ist vermutlich sogar ein leichter protestantischer Überhang zu konstatieren. Auch bilden die formalen Entscheidungen des römischen Lehramts keineswegs das normative Gerüst; sie erscheinen vielmehr kaum explizit. Man könnte erwägen, ob nicht der eigentümlichen Verschmelzung von Theologie und ge­schichtshermeneutischer Kulturphilosophie ungeachtet aller postmodernen Gebrochenheit ein ›typisch katholisches‹ Verständnis einer letzten Einheit von Glauben und Denken zugrunde liegt. Das ist sicher nicht falsch. Doch angesichts der Beobachtung, dass es bei der Verhältnisbestimmung von Glauben und Denken sowohl im Katholizismus als auch im Protestantismus ein breites Spektrum von der weitgehenden Diastase bis zur differenzierten Synthese gibt, wird man der konfessionstypologischen Zuordnung kaum mehr als eine ungefähre, approximative Bedeutung zu­schreiben können – was darauf hinausläuft, dass ein Werk wie das Ruhstorfers eher im katholischen als im evangelischen Bereich entstehen konnte.44

4. Kontextreflexive Dogmatik


Gewiss ließe sich die Vergleichsbasis durch eine genauere Untersuchung von Aufbau und inhaltlichen Schwerpunkten in den einzelnen Dogmatiken noch erheblich verbreitern. Dabei würde sich aber das differenzierte Bild, das die bisherigen Beobachtungen er­geben haben, im Wesentlichen bestätigen. So lassen sich zwar ge­wisse konfessionsspezifische Konventionen und Gewichtungen erkennen; diese werden jedoch durch unspezifische, ja gegenläu­fige Strukturmomente relativiert. Beispielsweise greift Pesch für seine Überlegungen zu Quellen und Normen der Dogmatik auf die klassischen nachtridentinischen »Loci theologici« von Melchior Cano zurück, wenngleich er dessen Unterscheidung von zehn theo­logischen Erkenntnisquellen nicht »mechanistisch«, sondern nur sinngemäß folgen will.45

Auch bildet die Ekklesiologie den quantitativen Schwerpunkt des Werkes, und in ihr werden wiederum die sieben katholischen Sakramente besonders ausführlich abgehandelt. Freilich geschieht ebendies unter deutlicher Konzentration auf Taufe und Eucha­-ristie. Zudem legt Pesch seiner »Katholischen Dogmatik« in vermeintlich ganz evangelischer Manier den Glaubensbegriff zu­-grunde. Umgekehrt nimmt auch beim Protestanten Lange die Ekklesiologie mit Abstand den größten Raum ein. Nicht einmal die neuprotestantische Depotenzierung der Trinitätslehre – genauer: ihre strikte »heilsökonomische« Verortung unter Kritik der »immanenten« Trinität – ist ein protestantisches Spezifikum: Behandelt sie Lange explizit nur in einem kurzen Schlussabschnitt der Chris­tologie46 und sieht ihre Intention implizit in der tria­dischen Strukturierung der göttlichen Weltbeziehung (Schöpfung, Erlösung, Vollendung) gewahrt,47 so plädiert auch Pesch nachdrück­lich für eine »›asketische‹ Trinitätslehre«48, die die spekulativen Subtilitäten der Tradition entschlossen hinter sich lässt.49 Und schließlich: Die vermeintlich urprotestantische Christozentrik begegnet bei Ruhstorfer in ihrer denkbar steilsten Form.

Diese Beobachtungen ließen sich mühelos vermehren. Das kann und muss nicht geschehen. Als Resümee lässt sich festhalten:

Keine der behandelten Dogmatiken will ihre konfessionelle Herkunft abstreifen. Sie erlangt aber doch in unterschiedlicher Gestalt und Intensität Bedeutung für Struktur und Inhalt der Dogmatik: Auf evangelischer Seite ist die konfessionelle Identität für Barth gleichsam selbstverständliche Voraussetzung, während sie bei Lange entschieden eingenommene Position ist, die in konsequenter Selbstunterscheidung von der katholischen Position profiliert wird; bei Wenz ist sie unpolemische Selbstbindung, die durch Vertiefung in die eigene Tradition Offenheit für das Gemeinchrist lich-Verbindende zu gewinnen sucht. In deutlicher Nähe dazu lässt sich auf katholischer Seite Peschs Haltung als verständigungsorientierte Herkunftstreue charakterisieren, während bei Ruhstorfer die konfessionelle Prägung eher im Sinne impliziter Loyalität erkennbar ist.

Es fällt auf, dass die konfessionelle Differenzierung bei Ruhstorfer und Barth am wenigsten ausdrücklich zum Thema wird. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass für beide eine gleichsam nach außen gerichtete Perspektive leitend ist, die die christliche Binnendifferenzierung in den Hintergrund treten lässt: für den einen der »Kontext der Weltreligionen«, für den anderen die abendländische Kultur. Allerdings zeigt sich genau hier eine fundamentale Gemeinsamkeit aller untersuchten Werke: Sie alle entfalten die Inhalte des christlichen Glaubens bewusst im Kontext der gegenwärtigen Welt und reflektieren diesen Kontext explizit. In unterschiedlicher Weise geschieht dies bei Lange, Wenz und Ruhstorfer im Horizont einer Deutung der neuzeitlichen Kultur, während bei Pesch die innerchristliche Ökumene im Vordergrund steht und bei Barth die Herausforderung durch die immer stärker auch den Alltag prägende Konvivenz der Weltreligionen. Offensichtlich ist es konfessionsübergreifender Konsens, dass Dogmatik unter den gegenwärtigen geisteskulturellen Bedingungen sich nicht einfach als binnentheologische Reproduktion der überkommenen Glaubensinhalte vollziehen kann, sondern eine kulturelle Selbstverortung einschließen muss, die dann auch Anordnung und Darbietung des dogmatischen »Stoffs« beeinflusst. Ist dies schon für die innerkirchliche Verständigung über den gegenwärtigen Sinn der Glaubensinhalte unverzichtbar, so gilt dies umso mehr für die argumentative Verantwortung des christlichen Glaubens in den Diskursen der scientific community und der gesellschaftlichen Öf­fentlichkeit, eine Verantwortung, die von evangelischer wie katholischer Theologie in gleichem Maße wahrgenommen wird. In diesem Sinn ist Pesch zuzustimmen, wenn er im Blick auf den faktischen Vollzug des dogmatischen Arbeitens konstatiert: »Bei Licht betrachtet ist das Verfahren fast gleich«50.

Ob die verbleibenden Unterschiede, etwa »die Beurteilung des kirchlichen Lehramtes«, dann wirklich nur »Formalia« sind, mag umstritten bleiben. Be­herzigenswert bleibt gleichwohl der Rat, sich durch sie nicht blockieren zu lassen, sondern »einfach weiter an der Sache« zu arbeiten.

Summary


Dogmatics lays open the »valid doctrine« of a denominational church and at the same time reflects the significance and truth of the Christian faith as such. It fulfills a function for the Church yet also has its responsibilities within the »scholarly community« and the public realm. This contribution compares five recent concep­-tual designs by German theologians – three by Protestants (H.-M. Barth, Lange, Wenz) and two by Catholics (Pesch, Ruhstorfer) – regarding their position in this field of tension. Among other issues the author examines the self-conception of the respective disci­-plines as well as the thematization of the denominational perspective and the cultural context. Every concept reflects explicitly the structural conditions of current dogmatic work, yielding fundamental similarities but also differences, which cannot be allocated to a specific denomination, however.

Fussnoten:

1) Vgl. Agnes von Zahn-Harnack: Adolf von Harnack, Berlin 21951, 83.
2) Die Unterscheidung dieser drei Resonanzräume der Theologie hat be­sonders nachdrücklich vertreten David Tracy: The Analogical Imagination, New York 1987. Vgl. dazu auch Otto-Hermann Pesch: Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung. Bd. 1/1, Ostfildern 2008, 289–291.
3) Ernst Troeltsch: Glaubenslehre. Nach Heidelberger Vorlesungen aus den Jahren 1911 und 1912. Mit einem Vorwort von Marta Troeltsch, München/Leipzig 1925.
4) Vgl. Hans-Joachim Birkner: Glaubenslehre und Modernitätserfahrung. Ernst Troeltsch als Dogmatiker, in: Ders.: Schleiermacher-Studien, Berlin/New York 1996, 63–78.
5) Karlheinz Ruhstorfer: Christologie (= ders. [Hrsg.]: Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theologie. Band 1), Paderborn 2008, 9 f.
6) Damit rechnet Dietz Lange: Glaubenslehre. Bd. 1, Tübingen 2001, 89. Dass die Entwicklung indes derzeit eher in die entgegengesetzte Richtung tendiert, zeigt der Vorschlag des Wissenschaftsrates, an deutschen Universitäten Institute für islamische Theologie einzurichten.
7) Schleiermachers »Reden« kommen diesem Genre ziemlich nahe.
8) Dietz Lange: Glaubenslehre. 2 Bände, Tübingen 2001.
9) Hans-Martin Barth: Dogmatik, Gütersloh 2001.
10) Gunther Wenz: Studium Systematische Theologie. Bisher erschienen: Bd. 1: Religion, Bd. 2: Offenbarung, Bd. 3: Kirche, Göttingen 2005; Bd. 4: Gott, Göttingen 2007; Bd. 5: Christus, Bd. 6: Geist, Göttingen 2011.
11) Otto-Hermann Pesch: Katholische Dogmatik aus ökumenischer Erfahrung. Bd. 1/1, Ostfildern 2008, Bd. 1/2, Ostfildern 2008, Bd. 2, Ostfildern 2010.
12) Karlheinz Ruhstorfer (Hrsg.): Gegenwärtig Glauben Denken. Systematische Theologie. Bisher erschienen: Bd. 1: Karlheinz Ruhstorfer: Christologie, Paderborn 2008; Bd. 2: Karlheinz Ruhstorfer: Gotteslehre, Paderborn 2010; Bd. 9: Johann Ev. Hafner: Angelologie. Die Engel im Christentum in Geschichte und Gegenwart, Paderborn 2010.
13) In der Orthodoxie ist das Genre des dogmatischen Lehrbuchs selbst strittig, gilt es doch häufig als problematischer ›westlicher Import‹, da es ein der Orthodoxie fremdes begrifflich-definitorisches Denken repräsentiere. Vgl. Barth, Dogmatik, 37.
14) Vgl. Pesch 1/1, 197, und genauer Wolfhart Pannenberg: Systematische Theologie. Bd. 1, Göttingen 1988, 27.
15) Vgl. Lange 1, 84 f.
16) Lange 1, 85.
17) Lange 1, 86.
18) Ebd.
19) Lange 1, 84.
20) Wilfried Härle: Dogmatik, Berlin/New York 1995 u. ö.
21) Dass Barth sich von den »Theologen früherer Generationen« absetzt, die »ihre Opera, ohne weiteren Erklärungsbedarf zu vermuten, schlicht ›Dogmatik‹« nannten (a. a. O., 7), hat seinen Grund nicht in einer Skepsis gegen den Terminus, sondern in der Einschätzung, dass dabei »meist nur unzureichend zum Ausdruck« gekommen sei, »dass christlicher Glaube immer in Frage gestellter, ›angefochtener‹ Glaube ist« (ebd.).
22) Gerhard Ebeling: Dogmatik des christlichen Glaubens. 3 Bände, Tübingen 1979.
23) Dies betont Pannenberg, Systematische Theologie 1, a. a. O., 7.
24) Wenz 1, 35.
25) Ebd.
26) Pesch 1/1, 197 f.
27) Wenz 1, 17.
28) Wenz 1, 16.
29) Pesch 1/1, 215.
30) Pesch 1/1, 198.
31) Vgl. Pesch 1/1, 215–221.
32) Vgl. Wenz 1, 22 und 33–35.
33) Vgl. Pesch 1/1, 201. In seinem lesenswerten Strukturvergleich evangelischer und katholischer Gegenwartsdogmatik (199–204) bemerkt Pesch auch trocken: »Was die theologische Tradition betrifft, so hat die mittelalterlich-thomistische Tradition [in der katholischen Dogmatik] heute einen wesentlich geringeren Stellenwert als die reformatorische Theologie in den evangelischen Dogmatiken.« (203).
34) Barth, 59.
35) Barth, 8; im Original kursiv.
36) Barth, 52.
37) Man merkt Langes »Glaubenslehre« im Übrigen an, dass sie in der Zeit der heftigen Debatten um die »Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre« entstanden ist. Lange zählt erkennbar zu deren kompromisslosen Gegnern. Die »Gemeinsame Erklärung« verkennt nach seinem Urteil den prinzipiellen Dissens zu Rom und indiziert ein ›katholisierendes‹ Selbstmissverständnis im Blick auf das Wesen des protestantischen Christentums. Auffällig ist der despektierliche Ton beim Reden über »Kirchenleute«, die in klerikaler Anmaßung diese Erklärung in den deutschen Kirchen durchgesetzt hätten.
38) Vgl. dazu auch meinen Beitrag: Geschichtlichkeit und Geltung. Zur theologischen Interpretation der lutherischen Bekenntnisschriften, in: KuD 55 (2009), 199–216, bes. 206–212.
39) Vgl. Gunther Wenz: Theologie der Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche. Bd. 1, Berlin/New York 1996, 43.
40) Vgl. Wenz 1, 30–33.
41) Wenz 1, 32.
42) Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass aus der protestantischen Dogmatik die stärker konfessionell gebundenen Autoren (Karl Barth; Althaus) größere Beachtung finden als etwa Tillich.
43) Ruhstorfer 1, 9. Die folgenden Belege im Text beziehen sich auf dieses Werk.
44) Es ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass die These von Christus als »transzendentaler Weisung« nicht für das gesamte Sammelwerk verbindlich ist, sondern nur von Ruhstorfer verantwortet wird. Der von Johann Ev. Hafner verfasste Band »Angelologie« folgt zwar in der Form der ›archäologischen‹ Anlage des Gesamtwerks, geht aber in der konzeptionellen Durchführung andere Wege.
45) Pesch 1/1, 223 f.
46) Vgl. Lange 2, 253–261.
47) Vgl. die Erläuterungen bei Lange 1, 136 f.
48) Pesch 1/2, 710.
49) Vgl. Pesch 1/2, 670–728. Dass er sich dabei zu einer erstaunlich oberflächlichen, ja nassforschen Beurteilung des Filioque-Problems verleiten lässt, sei nur am Rande bemerkt (vgl. a. a. O., 694–697). Der Orthodoxie gilt seine Liebe offenkundig nicht.
50) Hier wie im Folgenden: Pesch 1/1, 203.