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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

249–251

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Kasper, Walter

Titel/Untertitel:

Die Kirche und ihre Ämter. Schriften zur Ekklesiologie II.

Verlag:

Freiburg/Basel/Wien: Herder 2009. 678 S. 21,4 x 13,9 cm = Gesammelte Schriften, 12. Lw. EUR 35,00. ISBN 978-3-451-32183-2.

Rezensent:

Friederike Nüssel

Die Frage nach dem Wesen der Kirche und dem Verständnis des kirchlichen Amtes gehört zum einen zu den zentralen ökumenischen Themen. Zum anderen geht es bei dieser Thematik in elementarer Weise um die Gestaltung kirchlichen Lebens im Lichte moderner Herausforderungen durch Säkularisierung und Individualisierung. Beiden Aufgaben hat sich Walter Kardinal Kasper als Professor für Dogmatik, als Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart und schließlich als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und der religiösen Beziehungen zum Judentum intensiv und anhaltend gewidmet. Davon zeugen die Beiträge aus 40 Jahren, die nun im 12. Band seiner Gesammelten Schriften vorliegen. Schon im Eingangsaufsatz zu den kollegialen Strukturen, der den ersten Teil zu »Gemeinde und Amt« anführt, wird das Thema aufgegriffen, das sich wie ein roter Faden durch die weiteren Beiträge zieht: die Demokratisierung der Kirche. »Kirchliche Strukturen zu schaffen, in denen die gemeinsame Verantwortung aller Christen institutionell Ausdruck findet und praktisch wirksam wird« (20) – darin sieht K. bereits 1969 eine der »wesentlichsten Aufgaben der Kirche« und zugleich eines der »hoffnungsvollsten Motive des Vaticanum II« (ebd.). Anzugehen sei diese Aufgabe nur auf der Basis solider ekklesiologischer Reflexion. Den Ausgangspunkt bildet die Bestimmung der Kirche als »das von Gott berufene Volk« (21), die es nur gebe »in der Antwort des Glaubens auf das berufende Wort Gottes« (ebd.). Kirche sei mithin »nach der glücklichen Definition Luthers ›creatura verbi‹, Geschöpf des Wortes« (ebd.), ihre Grundstruktur sei »charismatischer Art« (23). Unter diesem Vorzeichen stehen die weiteren Beiträge, in denen nicht nur die schädlichen Nebenwirkungen des Priestermangels, sondern auch »heiße Eisen« (84) wie der Zölibat, die Pastoralassistenten und der Diakonat der Frau angesprochen werden.
Die Beiträge des zweiten, umfangreichsten Teils sind dem Pries­teramt gewidmet. Auch hier wird der Zölibat als Lebensform angesprochen. Doch der Schwerpunkt liegt darauf, neue Akzente im dogmatischen Verständnis des priesterlichen Dienstes zu erschließen (vgl. 181 ff.) und für »Sein und Sendung des Priesters in unserer Zeit« (276 ff.) fruchtbar zu machen. Die vielen Facetten des Priesterdienstes kommen dabei in der umfassenden Charakterisierung des Priesters als »Diener der Freude« (325 ff.; ein Beitrag aus dem Jahr 2007) zur Geltung. Mit der besonderen Rolle der Priester ist auch bereits die Linie für den Umgang mit dem Nachwuchs problem klar markiert: »Priestermangel kann man nur durch Pries­ter beheben. Alle Konstruktionen, die dies im Wesen der Sache liegenden Zusammenhänge umgehen, helfen auf die Dauer nicht weiter: Sie vergrößern die Krise, statt sie zu beheben« (249).
Im dritten Teil des Bandes folgen sodann vier Beiträge zum Thema »Bischofsamt«, ebenfalls mit starken Bezügen zur Frage nach der Demokratisierung der Kirche. Hier plädierte K. schon 1969 für den »Verzicht auf alle noch bestehenden staatlichen Privilegien«, für »Möglichkeiten der Wahl und der Abwahl der Amtsträger«, für die »Schaffung von gewählten und entscheidungsberechtigten Gremien, die die ganze Kirche in der Einheit und Vielheit ihrer Charismen repräsentieren«, für die »stärkere Unterscheidung zwischen legislativer und exekutiver Gewalt, Einrichtung von Schiedsstellen, Anerkennung des Rechtes einer ›loyalen Opposition Ihrer Majestät‹« und für die »Wahrung einer angemessenen Öffentlichkeit aller Entscheidungsvorgänge sowie … einen Kommunikationsfluss, der nicht nur von oben nach unten, sondern auch von unten nach oben geht« (436). Der Bischof solle »die Kirche < /span>nur durch Wort und Tat geistlich inspirieren« (ebd.; Hervorhebung F. N.) und »die verschiedenen Richtungen, Kräfte und Instanzen seiner Diözese integrieren und auf das Wohl des Ganzen ausrichten« (437). Damit müsse sich aber »ein Veto- beziehungsweise Bestätigungsrecht« in allen Fragen des Glaubens und der kirchlichen Einheit verbinden und nicht zuletzt auch »die letzte Entscheidungskompetenz« in innerkirchlichen Notstandssituationen.
Im vierten Teil des Bandes werden schließlich vier Beiträge zum Thema des Petrusamtes geboten, wobei es sich bei der fast 100 Seiten starken Studie zu »Petrusdienst und Papstamt – Biblische Grundlagen – Geschichtliche Entwicklung – Ökumenische Perspektiven« (569 ff.) um die einzige Erstveröffentlichung handelt (vgl. 15). In der exegetischen Reflexion stellt K. hier zunächst heraus, dass Petrus in seiner »Felsenfunktion« (577) zwar nicht als erster Papst zu bezeichnen sei (580) und dass »es im strikten Sinne kein biblisches argumentum für das geschichtlich gewachsene Papsttum« (580) gebe. Doch lasse sich aufweisen, »dass das, was sich unter dem Beistand des der Kirche verheißenen Geistes Gottes im Primat des Bischofs von Rom geschichtlich verwirklicht hat, dem Sinnziel der dem Petrus gegebene [sic] Verheißung entspricht und diese in den jeweiligen geschichtlichen Situationen der in der Geschichte pilgernden Kirche Wirklichkeit werden lässt« (ebd.). Das Zeugnis der Kirche des 1. Jt.s zum Petrusamt rekonstruiert K. sodann als »spannungsvolle Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit zwischen Ost und West« (602), um es »unter veränderten geschichtlichen Umständen im dritten Jahrtausend zur Grundlage und zum Modell zu machen für die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft von Ost und West« (ebd.). Bei den ökume nisch so prekären Dogmen des ersten Vatikanischen Konzils bringt K. differenzierte Sichtweisen zur Intention und Einordnung vor und wertet als Indiz für die Offenheit des Vaticanum I für eine Wei­terentwicklung das Faktum des Vaticanum II mit seinem ekklesiologischen Perspektivenwechsel.
Die ökumenische Möglichkeit für den Dialog mit den Kirchen des Ostens sieht K. darin, »die östliche Patriarchatsauffassung« (639) anzuerkennen und »zwischen der administrativen Autonomie der Patriarchate und der apostolisch begründeten universalkirchlichen geistlichen Autorität Roms« (ebd.) zu unterscheiden. Die Gesprächslage mit den reformatorischen Kirchen beurteilt er erwartungsgemäß als schwieriger (640). Hier bestünden einerseits Differenzen im Verständnis des Amtes und dem Status kirchlicher Ordnung, zum anderen gehe es um die grundsätzliche Frage, ob eine Einheit mit oder unter dem Papst angestrebt werde. Für diese Frage scheine aber die Zeit »im Augenblick nicht reif zu sein« (643). Den wichtigsten ökumenischen Beitrag zur Anerkennung des Primats, der von katholischer Seite zu leisten sei, sieht K. in einer »Verstärkung der Synodalität« (647) im Sinne der Communio-Ekklesiologie.
Insgesamt gibt der Band einen umfassenden Einblick in das amtstheologische Denken K.s in innerkatholischer und ökume­nischer Perspektive und zeigt in stets griffiger Sprache, wo Poten­-tiale der Erneuerung liegen und wo die Grenzen einer Demokratisierung der Kirche zu ziehen sind. Bibliographische Nachweise sowie ein Namen und Sachen umfassendes Gesamtregister für diesen und den vorangehenden Band 11 (ebenfalls mit Schriften zur Ek­klesiologie) sind eine willkommene Hilfe.