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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

239–241

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kießling, Klaus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geistliche Begleitung. Beiträge aus Pastoralpsychologie und Spiritualität.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. 294 S. 20,5 x 12,3 cm = Edition Wege zum Menschen. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-525-67013-2.

Rezensent:

Dorothea Greiner

Herausgeber Kießling ist Professor an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt und leitet dort das Institut für Pastoralpsychologie und Spiritualität. Diese Veröffentlichung ist die erste Edition zur Zeitschrift »Wege zum Menschen«, deren Mitherausgeber Kießling ebenfalls ist. Ein vorausgehender Impuls für diese erste Edition war ein Heft des 60. Jahrgangs der Zeitschrift mit kontroverser Diskussion zum Thema Geistliche Begleitung. Kießling zeigt in der Einführung zum Buch und in seinem ersten Beitrag einen theologisch durchdachten Weg des Verständnisses von Geistlicher Begleitung jenseits undifferenzierter Alternativen.
Die Kapitelüberschrift »Konzeptionen« über den ersten drei Beiträgen ist etwas hoch gegriffen. Sie geben Anregungen zu einem fundierten Verständnis von Geistlicher Begleitung. Kießling zu­folge bedarf es zwischen »Geistlicher und anderer Begleitung« der »kooperativen Unterscheidung« (20). Geistliche Begleitung kann als »Seelsorge« verstanden werden, wenn man den Wortsinn be­denkt, doch sie hat ihre eigene Tradition. Zur gelingenden Ausübung bedarf sie der Ausbildung, auch wenn Gnade und Gnadengaben Priorität haben. Christoph Hentschel skizziert Benedikt von Nursia als Menschen, der sich seit seiner Eremitenzeit begleiten ließ. Entsprechend der von Benedikt verfassten Regel zielen die Geistliche Begleitung und die Geistliche Führung des Abtes insbesondere auf die »Heilung« der Mönche. Norbert Jaroslav Žuška OCarm zeichnet Teresa von Avilas Leben in ihrer Christusbeziehung und ihrem Stehen im inneren Gebet nach. Er gewinnt daraus inspirierende Gedanken für eine Geistliche Begleitung, die zur »Menschwerdung in der Gottfindung« führt.
Mitte des Buches bilden unter der Überschrift »Empirische Forschung« zwei empirische Untersuchungen. In der ersten qualitativ-empirischen Studie werten Hermann-Josef Wagener und Klaus Kießling Interviews von 25 Geistlichen Begleiterinnen und Begleitern aus. In 13 Thesen fassen die Autoren zusammen, was die Befragten über Geistliche Begleitung und insbesondere über Selbstkonzept, Gottesbild und Beziehungsgeschehen in ihrer Praxis denken. Wagener/Kießling betonen im kurzen Resümee der Thesen den »großen Bedarf an pastoralpsychologischer Kompetenz« für die Praxis Geistlicher Begleitung. Diese selbst gewählte Zuspitzung wirkt wie ein empirisch fundiertes Plädoyer, die Pastoralpsychologie möge die Geistliche Begleitung schätzen und umgekehrt.
In der zweiten Studie, »Quantitativ-empirischer Zugang zur Geistlichen Begleitung«, werden 159 Geistlich begleitete Personen aus 16 katholischen Bistümern und drei evangelischen Landeskirchen befragt. Die Fragen beziehen sich auf neun Erfahrungsbereiche Geistlicher Begleitung (z. B. Prozesserleben, Gottesbilder, Rollen der Geistlich Begleitenden, Abgrenzung Geistlicher Begleitung gegenüber anderen Angeboten). Ausgewertet werden vor allem der Zustimmungsgrad aber auch die Unterschiede in der Beantwortung differenziert nach Status (Geistliche, hauptamtlich Mitarbeite, ehrenamtliche Gemeindeglieder) und Geschlecht der Befragten.
Die durchweg hohe Wertschätzung der Begleitung durch Be­gleitete könnte manche Kritiker, die ohne eigenes Erleben über sie reden, erstaunen. Auch zum Aufdecken von Vorurteilen sind em­-pirische Studien offensichtlich wertvoll. Der Anhang zur Studie dokumentiert die wissenschaftliche Seriosität der Erarbeitung.
Unter der Rubrik »Ausbildung« werden drei unterschiedliche, je in sich stimmige Ausbildungsansätze dargestellt. Innovativ wirkt die von Christiane Bundschuh-Schramm beschriebene, in der Diözese Stuttgart seit 2005 praktizierte Ausbildung, die eine Einführung in personzentrierter Seelsorge nach Rogers und die Ausbildung in Geistlicher Begleitung in einem Kurs zusammenbindet. Pastoralpsychologische und geistliche Kompetenz sollen integriert werden. So gewinnt Seelsorge ihr vernachlässigtes christlich-spirituelles Profil wieder, ohne den in den vergangenen Jahrzehnten erlangten Zugewinn an pastoralpsychologischer Fachkompetenz aufzugeben. Bei aller Zustimmung ist doch anzufragen, ob die Spannung beider Ausbildungs- und Beratungswege in dieser Ausbildung durch die Autorin noch ausreichend gesehen wird.
Die Anleitung und Beschreibung des Lebens in der Gottsuche für Ordensleute von Agnes Lanfermann, Generaloberin der Missionsärztlichen Schwestern, kann m. E. durchaus auf die Ausbildung in Geistlicher Begleitung von Menschen, die nicht nach den evangelischen Räten leben, übertragen werden, insofern die völlige Lebenshingabe an Christus Ziel der Heiligung aller Geistlich Be­gleitenden sein kann.
Peter Hundertmark beschreibt die Ausbildung im Bistum Speyer. Die Ausübung Geistlicher Begleitung ist für ihn weder Technik noch Beruf, sondern Gnade. Doch die klare Orientierung an einem systematisierten Erfahrungsschatz, in diesem Fall dem ignatianischen, bilden ein Referenzwissen, das für den Fachdienst der Geistlichen Begleitung zur Professionalisierung führt. Der Ausbildungsweg wird nachvollziehbar dargestellt. Anders als Bundschuh-Schramm grenzt er Geistliche Begleitung von sonstiger Seelsorge und anderen Beratungsformen eindeutig ab.
Der im Kapitel »Nicht nur katholische Traditionen« abgedruck­te Beitrag von Rolf-Heinz Geissler »Mit einem Anam Cara auf dem Weg zu den Quellen« trägt im Untertitel den Hinweis eine »evangelische Perspektive«, doch spielt die Konfession im Gehalt so gut wie keine Rolle. Proprium des Beitrags ist das Einbringen des Arbeitens mit Symbolen in der Geistlichen Begleitung in persönlich gehaltener Schilderung eines intuitiven Weges.
Der Text von Barbara Huber-Rudolf passt allenfalls insofern ins Buch, als er durch narratio sensibilisiert für die Notwendigkeit der Seelsorge an religionsverschiedenen Paaren.
Unter »Zeitgenössische Perspektiven« platziert Kießling drei Aufsätze, die die praktische Weite Geistlicher Begleitung vor Augen treten lassen. »Exerzitien Online« bietet Ansgar Wiedenhaus SJ an. Die missionarische Relevanz der von ihm dargestellten zukunftsweisenden Praxis wird im Beitrag augenscheinlich. Thomas Leyener lässt zwar kaum erkennen, dass er die Massivität des Drucks zur Selbstbehauptung kirchlich-sozialer Einrichtungen auf dem Markt ausreichend wahrnimmt, doch können seine am Reich Gottes und Wirken des Heiligen Geistes orientierten Impulse Leitende und Begleitende kirchlicher Einrichtungen anregen, das Profil der Einrichtung mit den dargestellten spirituellen Merkmalen zu überprüfen. Sie taugen zur Organisationsentwicklung. Kießling möchte, dass in Geistlicher Begleitung eine Spiritualität wirksam wird, die durch ihre in inkarnatorischer Christologie gegründete Solidarität die Welt verwandelt.
Eine »Bücherschau«, bzw. eine kurze informative Rezension dreier Bücher zur Geistlichen Begleitung durch Julia Koll fügt die Edition in die gegenwärtige Diskussion ein.
Kießlings Zusammenstellung der insgesamt 15 Beiträge ist Zeichen seines Ansatzes von Geistlicher Begleitung, der wissenschaftliche Reflexion, spirituelle Tiefe, pastoralpsychologische Kompetenz und geistlich geprägte Seelsorge beieinander halten will. Das ist seine Stärke, darin kann er auch wegweisend sein sowohl für die Praktische Theologie als auch für die reflektierte Praxis Geistlicher Begleitung und Seelsorge im katholischen wie im evangelischen Kontext. Die Aufsatzsammlung hat hohen Fortbildungswert für alle, die Geistliche Begleitung ausüben; sie ist zu empfehlen für alle, die ihre Seelsorgepraxis geistlich vertiefen wollen.