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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

230–232

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Coenen, Christopher, Gammel, Stefan, Heil, Reinhard, u. Andreas Woyke [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Debatte über »Human Enhancement«. Historische, philosophische und ethische Aspekte der technologischen Verbesserung des Menschen.

Verlag:

Bielefeld: transcript 2010. 331 S. 22,5 x 13,5 cm = Science Studies. Kart. EUR 31,80. ISBN 978-3-8376-1290-5.

Rezensent:

Elisabeth Gräb-Schmidt

In einer Zeit, die geprägt ist von unglaublichen und unglaubwürdigen Zukunftsvisionen, wie sie seit gut zehn Jahren von amerikanischen Technologen medial äußerst publikumswirksam inszeniert werden – zu denken ist hier etwa an Ray Kurzweil, Chopra und Kacku, die die Maschinisierung des Menschen als Ewigkeitsversprechen lancieren –, ist es höchste Zeit, die Diskussion um Human Enhancement, d. h. die Versuche der technischen Verbesserung des Menschen zu entideologisieren und auf ihre sachliche und ethische Bedeutung hin zu durchleuchten. Das Lobenswerte des vorliegenden Bandes ist es, dass er einen solchen Versuch der Entideologisierung vornimmt, aber nicht ohne jene Ebenen der Sciencefiction, die die Versuche des Human Enhancement von Anfang an begleitet haben, mit zu durchleuchten und zu präsentieren. Er versucht dies durch Analyse der Debatten über diese wissenschaftlichen Forschungen auf verschiedenem Gebiet wie auch über den ethischen Diskurs darüber. Dies ist vor allem interessant im Hinblick auf die geschichtlichen Parallelen der Wahrnehmung und der literarischen Verarbeitung solcher Visionen. Dadurch können trennscharf Fiktionen, Utopien und technische Realität einer konkreteren Beurteilungsbasis zugeführt werden.
In der Aufsatzsammlung, die auf einen Workshop von 2009 an der Technischen Universität Darmstadt zurückgeht, wird der weite Umfang gegenwärtiger Forschung, wie er in den Debatten zu Tage tritt, auf diesem Gebiet abgeschritten; dabei werden drei Tendenzen der Debatte über Human Enhancement im 21. Jh. festgestellt:
Ein 1. Debattenkreis hat sich ausgeweitet auf die bio- und medizinethischen Kontexte hinaus, zu den neuen ›Schlüsseltechnologien‹ (Nanotechnologie und die daraus erwachsenden Converging technologies).
Ein 2. Debattenkreis wendet sich der Verschmelzung von Mensch und Maschine mit der Vision eines Transhumanismus zu, der in seinen Extremformen die Überlistung des Todes propagiert.
Einen 3. Debattenkreis bildet die Ethisierung dieser Entwick­lungen. Hier werden kritisch pauschale Vorstellungen, die der Vielfalt der Phänomene der neuen Technologien nicht gerecht werden, unter die Lupe genommen und auch bereits die historische Vielfalt möglicher Vorstellungen vom ›neuen‹ Menschen differenzierter betrachtet.
Alle drei Tendenzen werden als thematische Verengung mit einer bedenklichen ideologischen Schlagseite gekennzeichnet. Die Beiträge versuchen, diese Einseitigkeiten zu korrigieren und auch die bisher ausgeblendeten literarischen und historischen Kontexte mit einzubeziehen, um so vor allem der Enthistorisierung der Thematik entgegenzuwirken. Die Absicht des Bandes ist es, die historischen Bezüge und literarischen Kontexte als für die gegenwärtige Debatte relevant aufzuzeigen. Denn, indem Visionen und Utopien nicht selbst das Neue ausmachen, sondern nur unter Umständen deren technische Verwirklichungsmöglichkeiten, kann differen zierter zwischen Menschheitsträumen und Visionen der Um­- setzung unterschieden werden, deren Differenz gerade für die ethische Beurteilung der Technik nicht zu vernachlässigen ist. – Unterstützt wird die Orientierung für die ethische Urteilsbildung ebenfalls durch die vorgenommene Einordnung der ethischen Debatten in liberale und konservative, skeptische und transhumanistische Positionen im ersten Beitrag (24).
Überzeugend ist das Programm des Bandes darin, die Debatte gegenwärtiger Wunsch- und Horrorszenarien im Blick auf die mögliche Verbesserung des Menschen in die wissenschaftlichen, insbesondere biologischen und evolutionsbiologischen, aber auch in die historischen und literarischen Traditionen einzu­binden. So wird nach einer Einführung (A. Woyke) in vier großen Abschnitten (1. Gründerfiguren und Gründungsdiskurse [41–116]; 2. Historische Zusammenhänge und Hintergründe [117–198]; 3. Litera­rische Kontexte [199–262] und 4. Kritische Perspektiven und aktu­-elle Bezüge [263–328|]) das Programm aufgespannt. Es seien einige Schneisen aufgenommen und reflektiert.
Es ist interessant zu sehen – so zeigt R. Heil in seinem Beitrag über die Motivsuche des Human Enhancement (41–62) –, dass be­reits viele der Visionen, Wunschvorstellungen und technischen Prognosen der Gegenwart Bestandteil der neuzeitlichen Tradition waren. Sie waren sämtlich bereits bei Francis Bacon (magnalia naturae) anzutreffen (61). In dieser Konstatierung liegen nun tatsächlich schon die mit der wichtigen Aufbereitung der De­-batte anvisierten Probleme der gegenwärtigen Stellungnahme zu Human Enhancement. Diese liegen eben punktgenau darin, dass es sich nicht mehr nur um Visionen, Utopien vom ›Neuen Menschen‹ handelt, sondern dass diese Visionen jetzt in den Horizont der Machbarkeit treten. Dieser Paradigmenwechsel zeigt sich drastisch in der literarischen Verarbeitung bei Houellebecq, wie A. Woyke (235 ff.) ausführt. Erhellend ist die kritische Diskussion (C. Coenen, 63–89) des gegenwärtig häufig anzutreffenden Begriffs Transhumanismus, wie auch der Frage der ideologischen oder religiösen Qualität der Debatte. Die Verschränkung beider Dimensionen kommt gerade im Wechsel der Semantik des Begriffs Transhumanismus zum Tragen. So wird der Begriff als durch die humanistische Tradition der Renaissance legitimiert nun auf die neuen Technologien angewendet. Dabei verschwindet aber gerade deren eigentliche Bedeutung, nämlich den Überschritt zum Göttlichen zu markieren. Nicht von ungefähr tendiert der Transhumanismus dazu, den Menschen selbst mittels Technik zum Gott mutieren zu lassen, etwa in den Vorstellungen eines globalen Gehirns und den Entkörperlichungsphantasien (84). Solchen Ausgriffen stellt sich eine fortschrittspessimistische mythopoetische Tradition entgegen (Tolkien; Lewis), die ihre Vorläufer in der Zwischenkriegszeit (Huxley, Haldane) hatte, wobei es immer auch zu Verschränkung von »romantizistischer Weltflucht« und »technizistischer Machbarkeitsethik« in der Moderne kommt (85). Bemerkenswert ist für diesen Zusammenhang der Entkörperlichungsphantasien aus jüdischer Sicht ( Hava Tirosh-Samuelson, 307–328) die Erinnerung an das hebräische Leibverständnis, das in der transhumanistischen Vision radikaler Lebensverlängerung und kybernetischer Unsterblichkeit wegrationalisiert wird.
Alles in allem handelt es sich um ein anregendes Buch mit innovativen Beiträgen, die die Debatte in bisher nicht gesehene Kontexte stellen und dadurch eine vertiefte und differenzierte Wahrnehmung für das visionierte und gewünschte Bild vom Menschen schaffen. Es trägt dazu bei, der gegenwärtig lautstarken medialen Präsentation der Technisierung des Menschen mit der nötigen Zurückhaltung zu begegnen, auch auf deren Gefahren hinzuweisen, die die Rede von Human Enhancement mit sich führen. Denn klar wird durch die Aufbereitung der wissenschaftlichen und literarischen Tradition, sowie insbesondere der aktuellen Diskussion vor allem: Vorsicht ist geboten im Blick auf die Beteuerung, es handle sich bei Human Enhancement nur um eine Steigerung der Heilungsmöglichkeiten des Menschen. Die Tradition und Gegenwart zeigt, dass der Ausgriff höher reicht und mit Visionen und Utopien eines anderen, neuen gottähnlichen Menschen spielt. Die technischen Entwicklungsmöglichkeiten werden dabei durchaus befürwortet, ohne jedoch in unkontrollierten Machbarkeitswahn zu verfallen. Zu Recht wird in Erinnerung an die Bedeutung der Leiblichkeit des Menschen ein Panorama zur Reflexion des Menschseins im 21. Jh. aufgespannt. Dieses kann dazu dienen, die transhumanistische Vorstellung des neuen Maschinen-Menschen durch die Erinnerung an dessen Mitsein und Mitfühlen mit anderen und nicht zuletzt seine Geburtlichkeit zugunsten eines Humanismus des freien Menschen zu erden.