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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

224–226

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Brock, Brian

Titel/Untertitel:

Christian Ethics in a Technological Age.

Verlag:

Grand Rapids/Cambridge: Eerdmans 2010. X, 408 S. gr.8°. Kart. US$ 34,00. ISBN 978-0-8028-6517-5.

Rezensent:

Linus Hauser

Brian Brock will sich zum einen in seinem Buch mit dem Phänomen der neuen Technologie und der Frage nach der Bewältigung der damit auftauchenden neuen moralischen Probleme beschäftigen. Zum anderen will er die moralische Frage unter dem Maßstab einer christlichen Ethik abhandeln. Zunächst einmal stellt er fest, dass Technologie in der Moderne die grundlegende Basis des Lebens sei. »Technologie ist in allen ihren Erscheinungsweisen schlicht die Umgebung, in der sich unsere Lebens- und Verstehensweisen entwickeln« (10, Zitate im Folgenden von mir übersetzt). Dabei müssten Forschung und Entwicklung – B. greift hier in Erkenntnis erschließender Weise auch auf angelsächsische Li­-teratur über Entscheidungshilfen für Manager zurück – nicht einfach als sachhafte Entfaltungen eines notwendigen inneren Prozesses, sondern als Resultat von politischen beziehungsweise ge­sellschaftlichen Entscheidungen betrachtet werden. In diesem Zu­sammenhang kann dann von B. die Problemstellung formuliert werden: »Die theologische Frage besteht darin, wie die gesellschaftliche Diskussion das wirklich Gute und das Ziel ihres Handelns entdecken kann.« (11)
Nach dieser Problemstellung erörtert B. die Frage nach dem Wesen der Technologie (etwas zu breit; 31–163!) anhand der Theorien von Martin Heidegger, des in Europa eher unbekannten George Grant und von Michel Foucault. Bei allen drei Autoren stellt B. fest, dass Technologie ein grundlegender und unhintergehbarer Verstehensrahmen unserer modernen Welt ist.
Kritisch soll dabei angemerkt werden, dass die Heidegger-Lektüre zu wenig die Radikalität dieses fundamentalontologischen Ansatzes berücksichtigt – auch im Hinblick auf Heideggers Theorie des »Gestells«. Sein Fazit zu Heidegger macht dieses Problem deutlich: »Unser Zeitalter verfehlt diese Aufgabe (sich der Wirklichkeit in ihrer Wahrheit zu öffnen und die Kultur zu erneuern, L. H.), indem es die vorgegebene Welt nur als Ressource betrachtet, der keine moralisch relevante Dimensioniertheit eignet.« (59) Heideggers Theorie des »Gestells« reflektiert hingegen die geschichtliche Transzendentalität der modernen technischen Welt als einen Seinshorizont, dem auch jeder ›mora­-lische Standpunkt‹ aus sich heraus unhintergehbar ausgeliefert ist. Im Hinblick auf die bemerkenswerte pneumatologische Auseinandersetzung mit der modernen Technologie vergibt B. hier Chancen einer tiefergehenden Interpretation dessen, was Geisterfahrung – und damit das extra nos des Wortes Gottes– in der modernen technologischen Welt bedeuten könnte.
Am Ende dieses Durchganges stellt B. anschaulich und überzeugend anhand eines Beispiels aus dem Bereich der Biotechnologie die unthematischen Prämissen der heutigen Fortpflanzungstechnologie als Beispiel für einen als selbstverständlich gelebten technizistischen Verstehenshorizont dar (156–158). Zunächst einmal wird »Kinderlosigkeit« zu »Unfruchtbarkeit« und damit zu einem medizinischen Befund. In den nächsten beiden Schritten wird dieses medizinische Thema als eine Bewältigungsaufgabe betrachtet, die weiterhin die Abkoppelung der drei Faktoren Fruchtbarkeit, Geschlechtsverkehr und Heirat impliziert. Damit ist viertens über die Unterscheidung von genetischer Mutter und Leihmutter eine Abkoppelung von Elternschaft und Fortpflanzung eingeleitet. Die moderne Lebenswelt ermöglicht fünftens dann noch eine radikalere Abkoppelung von Elternschaft und dem Aufziehen der Kinder.
Das nächste Hauptkapitel widmet sich nach dieser ausführlichen Problemstellung der Frage nach einer pneumatologischen Grundlegung moralischer Beurteilungen im technologischen Zeitalter. Genauer geht es um die Frage, wie »Gottes Anwesendsein bei den Menschen in das Chaos unserer Interessen und unseres Handelns, die unser Leben determinieren, einbricht und diese so erneuert, dass wir wieder als neue, freie Schöpfung erstehen« (169). In Auseinandersetzung mit Luther, Bonhoeffer und Barth erarbeitet B. im Folgenden seinen grundlegenden Vorschlag. Gott offenbart nicht etwas, sondern sich selbst und zwar – heilsökonomisch betrachtet – in seinem Sohn. Den Sohn und damit Gott finden wir im Nächsten. Moraltheologisch die Auseinandersetzung mit der modernen Technologie zu führen, heißt für B., diese Auseinandersetzung pneumatologisch und heilsökonomisch reflektierend an­zulegen. B. geht von der Voraussetzung aus, dass diese theologische Auseinandersetzung nicht in der Frage nach den ewig gültigen Wahrheiten über menschliches Leben überhaupt auf das »Immer schon« zurückgreifen dürfe, sondern dass eine pneumatologische Moraltheologie eine Theologie des suchenden, ahnenden und spürenden Christseins impliziere. »Dogmatische Theologie fragt nach dem Handeln Gottes zu allen Zeiten und an allen Orten, während Moraltheologie damit beschäftigt ist, sich auf das Einzelne und Konkrete beziehende Handeln desselben Gottes auszurichten.« (175) Dabei wird das Handeln Gottes nicht als das Handeln eines abstrakten Oberhauptes begriffen, sondern nach dem Maßstab von Luthers Verständnis des göttlichen Tuns als Weise des Hochzeithaltens. Es würde – in einer ökumenischen Perspektive – zu dieser Art des Ansatzes passen, an dieser Stelle nicht nur auf die protestantischen Gewährsleute zurückzugreifen, sondern auch auf die Dogmengeschichte und auf den geschichtstheologischen Ansatz Peter Hünermanns.
Auf dem 3. Konzil von Konstantinopel (680/81) wird die Perichoresis, die Durch­waltung von Menschlichem und Göttlichem zum begrifflichen Thema. Zwar ist die Offenbarungsbewegung das ermöglichende Element in dem Sinne, dass sie die ganze Unionsbewegung fundiert, trotzdem aber kann diese Bewegung nicht zu ihrem Ziel kommen, wenn sich die menschliche Freiheit in Jesus nicht diesem Ziel von sich her nähert. So wird die hypostatische Union hier fassbar als Verbindung zweier Liebender. Hünermann spricht in diesem Zusammenhang von einer »Wesensgeschichte des offenbaren Gottes«. Dieses Denkmuster ließe sich gut mit der Theologie von B. vermitteln, wenn er beispielsweise deutlich auf die Bedeutung des geistgeleiteten, intuitiven Erkennens Bezug nimmt. »Weil Gottes Handeln sich nicht auf der Oberfläche der Dinge bewegt, muss Gott in uns die Fähigkeit mehr wahrzunehmen ermöglichen. … Von elementarer Wichtigkeit ist das Schaffen einer neuen Sensitivität für die Welt, die uns umgibt, um auf Gott hören zu lernen und ihm zu entsprechen.« (177)
Konkretionen zu moraltheologischen Themen beschließen dann ein Buch, das einerseits inspirierend wirkt und andererseits von der Argumentation her etwas dichter formuliert sein könnte. Die etwas holzschnittartige Unterscheidung von Dogmatik und Moraltheologie, die das Muster »überzeitlich – zeitlich« aufgreift, dürfte auch nicht alle Leser überzeugen.