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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

223–224

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Kummer, Christian

Titel/Untertitel:

Der Fall Darwin. Evolutionstheorie contra Schöpfungsglaube.

Verlag:

München: Pattloch 2009 (St. Ottilien: EOS Verlag 2011). 303 S. m. Abb. 19,0 x 13,0 cm. Geb. EUR 19,95. ISBN 978-3-629-02216-5 (Pattloch); 978-3-8306-7502-0 (EOS verlag).

Rezensent:

Lars Klinnert

Nur wenige deutschsprachige Autoren bemühen sich auf so glei­-chermaßen kompetente wie verständliche Weise um eine theologische Interpretation biologischer Erkenntnisse wie der Münchener Jesuit Christian Kummer. Sein populärwissenschaftliches Buch zum 200. Geburtstag Charles Darwins setzt allerdings trotz des lo­ckeren (wenn auch leider nicht immer klaren) Schreibstils ein gewisses Vorinteresse am Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie voraus. Dabei ist es vermutlich eher geeignet, den religiösen Leser in das evolutionsbiologische Denken und dessen theologische Implikationen einzuführen als umgekehrt den skeptischen Naturalisten von einem erkenntnistheoretischen Mehrwert des christlichen Gottesbegriffs zu überzeugen.
K. besteht darauf, dass sich ein modernes Weltverständnis hinsichtlich des Schöpfungsglaubens nicht mit narrativer oder exis­tenzieller Theologie zufrieden geben könne, sondern auf metaphysische Antworten dränge, die zumindest ansatzweise imstande seien, naturwissenschaftliche Fakten und theologische Deutungen auf einer höheren Ebene zusammenführen, um so ein kohärentes Weltbild zu konstruieren. Anderenfalls laufe der christliche Glaube Gefahr, nur noch »eine subjektive Angelegenheit ohne objek­-tiven Realitätsanspruch« (237) darzustellen. Die im christlichen Glauben bekannte Wirklichkeit Gottes erfordere einen nachvollziehbaren Bezug zur übrigen Wirklichkeit, wie sie von der Naturwissenschaft beschrieben werde: »Wenn ich Gott als Gegenüber … anspreche, dann muss dieses Gegenüber, auch wenn es transzendent ist, real sein.« (263)
Als Ausgangspunkt eines solchen Vermittlungsversuches dient K. »die leidige Frage nach dem Zweck in der Natur« (63): Warum ist für den Menschen teleologisches Denken nicht nur möglich, sondern geradezu unvermeidbar, wenn es doch aus naturalistischer Sicht so etwas wie Zielursachen gar nicht gibt? Ganz offensichtlich lasse sich im Laufe der milliardenjahrelangen Naturgeschichte ein »evolutive[r] Seinszuwachs« (187) feststellen, komme zumal dem lebendigen Sein die erstaunliche Fähigkeit zu, »das bestehende Organisationsniveau zu ›transzendieren‹« (184). Wenn aber durch die Evolution immer wieder Neues in die Welt komme, sei hierfür eine ermöglichende Ursache erforderlich. Nach K. lässt Gott seine Geschöpfe »teilhaben … an seiner Seinsfülle« (187), so dass sie nicht nur mehr werden können, als sie aus sich selbst heraus sind, sondern vielmehr überhaupt erst werden können: »Er ist die ermöglichende ›Erstursache‹ für die geschöpflichen ›Zweitursachen‹, zu denen dann auch das ganze Instrumentarium gehören kann, das Darwins Evolutionstheorie vorsieht.« (ebd.) Geschöpfliche Eigengesetzlichkeit und Schöpferwillen Gottes, Selektion und Teleologie seien somit im Anschluss an Pierre Teilhard de Chardin als Außen- und Innenseite derselben Entwicklung zu interpretieren: »Das ist … was Gott in einer evolutiven Welt … ›macht‹: nicht Dinge, sondern den Dingen zu ermöglichen, dass sie sich selbst machen.« (ebd.)
Gegenüber einem mechanistischen Naturalismus auf der einen Seite postuliert K. eine »Kreativität der Geschöpfe« (284), die auf der anderen Seite keinesfalls im Sinne eines Intelligent Designs missverstanden werden darf. Wenn Gott nämlich »ständig ganz verschenkt« (189) ist, braucht es keine planenden Eingriffe seinerseits, um den von ihm ermöglichten Schöpfungsprozess zu gestalten: »Diese Fähigkeit hat er in … seine Geschöpfe … gelegt, und zu deren Natur gehört es nun, die eigenen Möglichkeiten auszutesten und – unter vielen Irrungen und Wirrungen gewiss – nach und nach eine Schöpfung aufzubauen, die nicht von ihrem Schöpfer vorgeplant ist, aber in seiner Absicht liegt …« (188). (Hier finden sich gewisse Parallelen zum kenotischen Gottesbegriff von Hans Jonas, der er­staunlicherweise an keiner Stelle erwähnt wird.)
K. plädiert für eine aufgeschlossene Theologie, die bereit ist, »ihr Glaubensgebäude auf dem Fundament der natürlichen Welt und ihrer Gesetze zu errichten« (276). Dazu ist es für ihn notwendig, »unsere theologischen … Denkschemata aus der engen Vorstellungswelt ihrer antiken Herkunft [zu] befreien und in kosmische Dimensionen [zu] übertragen« (272). Der personale Gott droht bei einer solchen Fokussierung auf »das natürliche wie theologische Ziel des Universums« (273) freilich auf der Strecke zu bleiben – oder kann eben nur jenseits aller natürlichen Theologie im Rahmen eines adäquaten Offenbarungsbegriffs gedacht werden, was protestantischer Theologie ja durchaus sympathisch sein darf.