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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

212–213

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Muñoz Fonnegra, Sergio

Titel/Untertitel:

Das gelingende Gutsein. Über Liebe und Anerkennung bei Kierkegaard.

Verlag:

Berlin/New York: de Gruyter 2010. IX, 197 S. 23,0 x 15,5 cm = Kierkegaard Studies. Monograph Series, 23. Geb. EUR 84,95. ISBN 978-3-11-022686-7.

Rezensent:

Claudia Welz

In seiner von Axel Honneth und Hermann Deuser betreuten Doktorarbeit versucht Sergio Muñoz Fonnegra, den in Kierkegaards Entweder/Oder und Die Taten der Liebe implizierten Anerkennungsbegriff aus den Begriffen der Selbstwahl und der Selbstliebe zu rekonstruieren. Dabei versteht er die Fähigkeit zur Selbstwahl und Selbstliebe als elementare Formen der Anerkennung und Voraussetzung reziproker Anerkennung. M. F. geht in drei Schritten vor:
Kapitel I befasst sich im Kontext von Kierkegaards kritischer Zeitdiagnose mit negativen Phänomenen wie z. B. Angst, Schwermut und Verzweiflung, die M. F. als Formen falscher Anerkennung interpretiert. In Kierkegaards Theorie der indirekten Mitteilung sieht M. F. eine Art Therapie. Er vertritt die These, dass die ethische Selbstwahl in der Überwindung der durch »A« repräsentierten ästhetischen Lebensanschauung ein positives Selbstverhältnis wie auch die Aufrechterhaltung der sozialen Praxis ermöglicht. In ihrer konkreten Form ist die Selbstwahl »die permanente Aneignung des gewonnenen Selbst«, während die Verzweiflung als »Zustand des ständigen Scheiterns des Selbstseins« gilt (39 f.). M. F. zufolge konstituiert sich das Selbst durch Selbstwahl und Sozialisierung (51). Der Begriff der Wahl wird durch Aristoteles’ prohairesis-Begriff erhellt (56–62) und die Kriterien der Wahl durch Habermas’ Dis­tinktion eines pragmatischen, ethischen und moralischen Ge­brauchs der praktischen Vernunft (62–67). Gelingendes Gutsein sieht M. F. im Ethischen, näherhin in der Versöhnung mit dem Leben (71) und einem durchsichtigen Verhältnis zu sich selbst und zum anderen – in einem »Zustand«, den er Anerkennung nennt (72). In Kontrast zu Kant und auf einer Linie mit Webers Verantwortungsethik wird akzentuiert, dass das Gesinnungsmoment immer auf die konkrete Situation des Handelns in Beruf, Ehe und Freundschaft zu verweisen hat (78). Zwar liegt es nicht in der eigenen Macht, dass das Getane von anderen anerkannt wird, doch kann man von sich selbst verlangen, den anderen anzuerkennen (92).
Kapitel II stellt die Forderung der Liebe ohne Erwartung von Gegenliebe als normatives Programm dar, Anerkennungsbeziehungen zu bewahren. In christlicher Selbstverleugnung arbeite man uneigennützig für das Gute, egal ob die eigenen Taten gesehen und anerkannt werden oder nicht (133). Darin liege eine Einseitigkeit der Anerkennung, in der es nicht mehr um den von Hegel beschriebenen Kampf um Anerkennung gehe. Eine solche einseitige Anerkennung kann laut M. F. nicht scheitern, weil das Anerkennen der Ansprüche und Interessen des anderen dem eigenen Interesse entspricht (152). In Diskussion mit Adorno und Løgstrup stellt M. F. heraus, dass die einseitige Forderung an den Einzelnen, in allen Menschen den Nächsten anzuerkennen, Gegenseitigkeit nicht ausschließt (155–165). »Jemanden anzuerkennen bedeutet, ihn in seiner Verschiedenheit und in seiner wesentlichen Gleichheit mit den anderen Menschen zu sehen.« (121) Als Weg zum Nächsten und zum gelingenden Gutsein gilt hier der »Weg zur Selbstliebe« (112).
In Kapitel III untersucht M. F. Kierkegaards Anerkennungsbegriff im Lichte aktueller Anerkennungstheorien. Zunächst vergleicht er das Verhältnis von Erkennen und Anerkennen bei Cavell und Honneth mit Kierkegaards Auffassung, dass es im Akt der Anerkennung nicht um eine Zuschreibung, sondern eine Förderung des Wertes der anderen Person gehe (167–177). Das bloße Erkennen von Personen genüge nicht, um Zugang zu ihnen zu gewinnen. M. F. findet auch bei Kierkegaard Züge der politischen Debatte um Anerkennung zwischen Liberalen, Kommunitaristen und Habermas, doch gehe es Kierkegaard um die Bestimmung gelingenden Gutseins unabhängig von der Bestimmung des Bereichs des Rechts (181). Die Selbstliebe sei »die unumgängliche Voraussetzung eines positiven Verhältnisses zu sich selbst und zum anderen« und stehe »immer am Anfang des moralischen Handelns« (188). Sie erinnere ständig an die Aufgabe, das asymmetrische Verhältnis zum anderen auf Gegenseitigkeit hin zu überwinden.
Diese These, mit der das Buch endet, ist nicht selbstverständlich. Wie sie sich mit Kierkegaards Betonung der Selbstverleugnung verträgt, wird nicht näher ausgeführt. Stattdessen wird konstatiert, die Stärke eines solchen Begriffs der Selbstliebe liege »in der Entschlossenheit des uneigennützigen Daseinwollens für den anderen, das sich in dem Handelnden selbst positiv widerspiegelt« (187). Damit scheint die Möglichkeit jenes Konflikts ausgeschlossen, mit dem Kierkegaard gerade in den Taten der Liebe immer wieder gerungen hat: der Konflikt zwischen Selbst- und Nächstenliebe. Dass die Fähigkeit zur Selbstliebe auch für Kierkegaard per se »eine elementare Form der Anerkennung« ist, »die erst den Zugang zum anderen ermöglicht« (175), müsste deutlicher belegt werden. Obwohl an dieser und anderen Stellen Klärungsbedarf bleibt, ist die Arbeit als bedenkenswerter Versuch zu würdigen, Kierkegaards Anerkennungsbegriff systematisch zu rekonstruieren und im Kontext aktueller Theorien zu diskutieren.