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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

203–205

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Möckel, Andreas

Titel/Untertitel:

Umkämpfte Volkskirche. Leben und Wirken des evangelisch-sächsischen Pfarrers Konrad Möckel (1892–1965).

Verlag:

Köln/Weimar/Wien: Böhlau 2011. XIV, 393 S. m. Abb. 23,0 x 16,0 cm = Studia Transylvanica, 42. Geb. EUR 49,90. ISBN 978-3-412-20662-8.

Rezensent:

Hermann Pitters

Für den Kirchenhistoriker, der sich um die Erforschung der Wege der Kirche im 20. Jh. bemüht, und speziell um die Erhellung der ers­ten beiden Drittel der Geschichte der Evangelischen Kirche A. B. in Siebenbürgen, ist die Biographie des ehemaligen Stadtpfarrers von Kronstadt Dr. Konrad Möckel eine überaus wertvolle Fundgrube. Darin spiegelt sich die gesamte Breite und Tiefe des geistigen und kirchlichen Lebens sowie der politischen Ereignisse seiner Zeit. Die beiden bewegten Jahrzehnte zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, die Jahre der Nazi-Diktatur und erst recht jene der an­schließenden kommunistischen Gewaltherrschaft sind bisher im Blick auf Siebenbürgen relativ wenig erforscht. Auch die bereits 1989 erschienene Möckel-Biographie (L. Binder, Zwischen Irrtum und Wahrheit. Konrad Möckel und die Siebenbürger Sachsen. München o. J.) war angesichts der damaligen Quellenlage äußerst er­-gänzungsbedürftig. Die Erschließung eines reichen kirchlichen, staatlichen und privaten Archivmaterials ermöglicht ein umfassenderes Bild und eine andere, vertiefte Optik im Blick auf die Persönlichkeit und auf die Zeitverhältnisse des Lebens von Konrad Möckel.
Die einzelnen Abschnitte dieses Lebens mit seinen Höhen und Tiefen werden in diesem Buch von Möckels jüngstem Sohn Andreas Möckel, Professor em. der Universität Würzburg, in minutiöser Weise aus erhaltenen Briefen und Dokumenten sowie aus den 104 Veröffentlichungen des Vaters (davon 12 größere Schriften, viele Aufsätze und veröffentlichte Vorträge in Zeitschriften und 18 Predigten) dargestellt, wodurch sich anhand zahlreicher direkter Zitate ein faszinierendes und authentisches Bild ergibt. Dazu kommt außer den fünf bereits vorhandenen Veröffentlichungen über Konrad Möckel noch eine 165 Titel umfassende Sekundärliteratur, die über ihn, sein Wirken und seine Zeit Aufschluss gibt. Auf alle diese Quellen wird im Buch genau verwiesen. Ein Anhang mit 30 Abbildungen hilft zur Veranschaulichung des im Text Dargestellten und auch das angefügte Personenregister hilft zum Nachschlagen. Wie bereits gesagt, ist das Buch als Lebensbeschreibung eines wichtigen evangelisch-sächsischen Pfarrers in Siebenbürgen aufgebaut. Es zeichnet sein Aufwachsen als Einzelkind einer früh verwitweten Pfarrfrau, seine Ausbildung im gutbürgerlichen, durch national-liberalen Geist geprägten Hermannstadt, seine Universitätsstudien (theol. et phil.) in Leipzig, Berlin und Klausenburg mit an­schließender naturwissenschaftlicher Promotion im Fach Geologie, den anschließenden Schuldienst (1920–1925) und den Wechsel ins Pfarramt der kirchlich wohlgeordneten Gemeinde Großpold (1925–1932) bis hin zur Berufung in das hochangesehene Stadtpfarramt von Kronstadt (1933–1958) in den Jahren großer politischer Bewegungen und Umbrüche. Auf die Jahre seiner politischen Haft im kommunistischen Unrechtsstaat (1958–1963) und auf die von außen schließlich erzwungene Freilassung folgt die letzte Le­bensstation in der Begegnungsstätte der Evangelischen Michaelsbruderschaft im Kloster Kirchberg in Westdeutschland (1963–1965).
Die eigentliche Mitte des Buches ist in seinem Titel »Umkämpfte Volkskirche« angezeigt. In der Tat bildet das Verständnis der Kirche das eigentliche Lebensthema von Konrad Möckel. In den Jahren seines Wirkens ging es – nicht nur in Siebenbürgen – um ein neues, vertieftes Erfassen des Wesens der Kirche und ihres Verhältnisses zum Volk als Ethnie und zum Staat bzw. zur politischen Ordnung. Schillernd wurde besonders der Begriff »Volkskirche«, wenn es zu einer Gleichsetzung von »Kirche« und »Volk« kam, wie das in Siebenbürgen nach den politischen Entwicklungen von 1868 herwärts der Fall war, als die evangelische Kirche zur einzigen intakten Organisationsform der Siebenbürger Sachsen geworden war. In den 30er Jahren kam es bei der Verhältnisbestimmung von »Kirche« und »Volk« zu Auseinandersetzungen, die zur Klärung drängten. Es galt, die Kirche »im« Volk zu orten und ihr eigentliches Geheimnis als »congregatio sanctorum« neu zu entdecken. Diese Gemeinde von innen neu zu bauen, sah Konrad Möckel im Kampf der Geister als seine Lebensaufgabe an, der er sich in der Jugendbewegung der 20er und 30er Jahre (im »Wandervogel«), später beim Aufbau eines losen theologischen Arbeitskreises (dem sog. »Frecker Kreis«) und schließlich in der Gründung des Siebenbürgischen Konventes der Evangelischen Michaelsbruderschaft widmete. Nach dessen zwangsweiser Auflösung im kommunistisch regierten Rumänien bemühte er sich in der Arbeit um den völligen Neubau der Kirche nach den Wirren des Kriegsendes mit der gänzlichen Enteignung aller Deutschstämmigen und der Verschleppung der Jüngeren zur Zwangsarbeit erst recht um die intensive geistliche Betreuung der Entmutigten und um die Stärkung eines Gemeindekernes als wahre Kirche.
Über das ekklesiologische Hauptanliegen dieses Buches hinaus sind es besonders drei Problemkreise, bei denen hier innerhalb der zeitgeschichtlichen Kirchenhistoriographie ein völliges Neuland betreten wird. Es geht zunächst um eine erste detaillierte Darstellung des Verhältnisses der evangelischen Kirche in Siebenbürgen zu der völkischen »Erneuerungsbewegung« der 30er Jahre in ihren verschiedenen Facetten mit äußerst wertvoller Dokumentation, sodann um die ebenfalls detaillierte, gut dokumentierte Schilderung eines spezifisch siebenbürgischen, in drei Phasen verlaufenden Kirchenkampfes in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur, die bereits 1937 angelegentlich der umstrittenen Teilnahme Möckels an der Weltkirchenkonferenz in Oxford ihre Schatten vor auswirft und in den Jahren 1940–1944 ihren Höhepunkt erreicht. Schließlich wird die Zeit der kommunistischen Unrechtsherrschaft, besonders in der stalinistischen Ära und den daran an­-schließenden Schreckensjahren, gipfelnd im sog. »Schwarze-Kirche-Prozeß« aufgrund der Securitate-Akten ebenfalls im Detail dokumentiert. Ge­rade in der Dokumentation und in der objektiven Darstellung der genannten drei Themengruppen liegt wohl der außerordentliche Wert dieser Publikation.
Dass hier ein Sohn über den Vater schreibt – die Mutter als Ärztin und als den Weg ihres Mannes verständnisvoll begleitende, ihre eigenen Entfaltungsmöglichkeiten zurückstellende Gefährtin tritt in zum Teil tragischen, bewegenden Schilderungen ebenfalls in den Blick wie, wenigstens am Rande, auch das familiäre Leben –, das verleiht dem Buch etwas von Wärme und innerer Anteilnahme, besonders auch wenn es um das Verstehen bestimmter zeitbedingter Einschätzungen und Äußerungen geht. Diese Nähe, die von persönlicher Dankbarkeit und Wertschätzung geprägt ist, durchzieht die ganze, breit angelegte, ausgewogene Studie, tut indessen einer sachlichen, objektiven Darstellung keinen Abbruch, sondern nimmt den Leser vielmehr mit und lässt ihn in tiefere, sonst kaum zugängliche Sachverhalte Einblick nehmen. Dabei geht es nicht nur um das Kennenlernen sonst verborgener, verdeckter Tiefen und Beweggründe einer hervorragenden Persönlichkeit, sondern auch um Einblicke in ein letztlich nur vom Glauben her deutbares Zeitgeschehen, in das das Leben der Kirche als Gemeinde Gottes hineingestellt ist. Für diesen doppelten Dienst der Erhellung muss dem Vf. Dank ausgesprochen werden.