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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

196–198

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Troftgruben, Troy M.

Titel/Untertitel:

A Conclusion Unhindered. A Study of the Ending of Acts within its Literary Environment.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. XIII, 232 S. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 280. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-150453-2.

Rezensent:

Knut Backhaus

Es gibt biblische Aussagen, die so einfach sind wie die Feststellung »Heut ist schön Wetter«. Schwer verständlich werden sie erst, wenn eine ganze Literatur entsteht, sie zu erklären. Dieses Aperçu Kierkegaards lässt sich passend auf das Ende der Apostelgeschichte be­ziehen. An sich bildet es eine natürliche literarische Schwelle. Zum Problem wird es erst durch die vielen exegetischen Versuche, dieses Ende zu deuten. Wer historisch eine Schlusszäsur wünscht (wo der Erzähler sie nicht sieht), biographisch Auskunft über das Geschick des Pau lus verlangt (das den Erzähler kaum interessiert) oder heilsgeschichtlich das Judentum verortet wissen will (was den Erzähler nicht tangiert), leidet unter dem »abrupten Ende«. Die einzige Möglichkeit, die exegetische Daueraporie zu lösen, besteht darin, die Lektüreerwartung zu verändern.
Der Kontext, der die Probleme aufkommen lässt, ist der des mo­dernen Fachtheologen, nicht der des antiken Lesers. Um dessen Lektürehorizont zurückzugewinnen, bedarf es der historischen wie literarischen Rekontextualisierung des Buchschlusses. Die zu be­sprechende Dissertation von Troy M. Toftgruben (Princeton The­o­logical Seminary, advisor: Beverly R. Gaventa) leistet diese, und zwar umsichtig, zügig, klar und mit beachtlichem Verstehensgewinn.
T. beginnt mit einem problemgeschichtlichen Aufriss (7–36), der von der Verlegenheit angesichts des abrupten Endes zum Interesse am gestalteten Schluss führt und die Fragestellung textgerecht verschiebt: Nicht nach den vermutbaren Absichten hinter dem Text ist zu fragen, sondern nach dem Text selbst: Was sagt er? Wie wirkt er auf den antiken Leser? T. verfällt nicht in den bei Qualifikationsschriften mitunter zu beobachtenden Fehler, dass er methodolo­gische Überbauten präsentiert, deren Geltung dann »anhand« des neutestamentlichen Textes nachgewiesen wird. Er bedient sich umgekehrt in souveräner Übersicht aktueller Erschließungsmethoden, um seinem Text kontrolliert »auf den Leib zu rücken«. Er fragt nach dem (unter antiken Voraussetzungen) implizierten, durch die Interaktion mit dem Text freilich auch selbst geformten Leser und seiner Erwartung. Damit eröffnet sich wie von selbst der Methodenverbund (37–60): Der Schluss ist im eigenen Lektüregefälle als solcher wahrzunehmen, narratologisch zu beschreiben und mit den gängigen Entwürfen literarischer Schlussgestaltung, modernen Theorien wie antiken Modellen, zu vergleichen. Eine Typologie des literarischen Schlusses ( closure) erleichtert die Übersicht. Grundsätzlich unterscheidet T. zwischen Auflösung (resolution), die Spannungsschienen voraussetzt und Fragen zur Antwort führt, und Vollendung (completion), die frühere Stränge des Plots in verschiedenen Spielarten (circularity, parallelism, fulfillment of ex­pectations, representative scene, summary of preceding events) aufgreift. Insofern jeder Text ein Ende, nicht aber notwendig einen Abschluss hat, sind auch die Varianten des offenen Endes (openness) zu berücksichtigen: Nicht-Auflösung von Spannungen, Nicht-Beantwortung von Fragen (irresolution), Schein-Abschluss, der Spannungen stehen, Fragen offen, geweckte Erwartungen unerfüllt lässt und auf die Setzung einer Endpassage verzichtet bzw. in andere Erzählwelten führt (incompletion). Bereits hier wird deutlich: Das offene Ende muss nicht auf konfusen Abbruch weisen, sondern kann auch Teil einer durchdachten Erzählstrategie sein.
So ausgerüstet wendet sich die Untersuchung der komparativen Lektüre zu (61–113). Sie wählt dazu repräsentative Beispiele aus vier Textsorten aus: Prosafiktion (bes. Chariton von Aphrodisias, Chaireas und Kallirhoe), Biographie (Plutarch, bes. Cato minor), Epos (Ilias, Odyssee, Aeneis) und Geschichtsschreibung (Herodot; Thukydides; Sallust, De bello Iugurthino; 2Kön; Josephus, Ant.). Prosafiktion tendiert zur klaren Auflösung der Spannungen, die oft in einer zirkulären home again-Episode zum Ausdruck kommt. Die Biographie kann am ehesten mit einem eindeutigen Abschluss­punkt (terminal marker), z. B. einer Beerdigungsszene, arbeiten. Vor allem das Epos weist offene Stränge in die Zukunft, also die Gegenwart des Lesers, auf, die sinnstiftende Anknüpfungen er­möglichen. Besonders vielfältig sind die Gestaltungsvarianten in der Ge­schichtsschreibung. Zwar muss sich jeder Historiograph begrenzen, so dass er relative Zäsuren anzubringen hat. Doch zielt letztlich jede Geschichtsdarstellung sachlich auf die historia continua und pragmatisch auf intentionale Gegenwart.
Im Rahmen dieser literarischen Kultur ist Apg zu lesen (114–143) und das Erzählende zu würdigen (144–178). Zunächst segmentiert T. den Endabschnitt in 28,16–31 und unterzieht dabei besonders das Schlusswort des Paulus 28,25b–28 einer eingehenden, auch rhetorikkritischen Analyse. Einerseits umfasst der literarische Schluss der Apg eine Reihe von Wiederaufnahmen im Sinne der completion; andererseits wirkt er aber auch als gezielter Nicht-Abschluss. In der erarbeiteten Perspektive des antiken Lesers wird man die letzte Rede des Paulus in ihrer appellativ-tragischen Farbe wahrnehmen, während die Schlussnotiz V. 30 f. ihre suggestive Kraft gerade daraus gewinnt, dass sie eben keinen stopping point besitzt, sondern einen solchen bis in das abschließende Adverb ακωλύτως hinein von sich weist. T. liest den Schluss der Apg im Licht von Lk 1–4. Damit gewinnt das lukanische Doppelwerk einen erzählerischen Gesamtrahmen und tritt als geschlossene literarische Einheit in den Blick, eine heute wieder angefochtene Sichtweise. Interessanter noch sind die offenen Stränge nach vorn: Das Geschick Israels bleibt ungeklärt, die Ansage 1,8 wird nicht eingelöst, die Hinweise auf den Zeugentod des Paulus gelangen nicht zum erzählerischen Vollzug.
So verlässt der Erzähler sein Werk – wie Dionysios von Halikarnass an Thukydides tadelt – ατελής (De Thucyd. 16; vgl. Ad Pomp. 3,771). Das Argument, gezieltes Schweigen setze Leserkräfte frei, die Er­zählung vollende sich gewissermaßen im Leser selbst, insofern dieser über alle nötigen Informationen verfügt, den Abschluss selbst zu setzen (D. Marguerat), lässt T. nicht gelten. Weder nimmt er solche Überlegungen in der antiken Lesepragmatik wahr, noch sieht er in Apg die Tendenz zur imitatio Pauli. Vielmehr versteht er das offene Ende als Brücke zu der die Apg umfassenden Geschichte des Gottesvolks. Daraus erklärt sich die Ähnlichkeit mit der gründungsmythisch hochbedeutsamen Epik, namentlich der Aeneis. Apg bietet keinen Abschluss, weil der Plot programmatisch auf Fortsetzung angelegt ist. Die »große Geschichte« ist die Gottes mit der Menschheit und den Zeugen, so dass vom Geschick Einzelner, auch des Paulus, abgesehen werden kann. Was Apg 1,1–11 an Erwartung weckt, löst die Erzählung der Apg nicht ein, weil die größere Geschichte, die Lk nicht mehr erzählt, es einlösen wird.
So führt T. das wohl meistüberschätzte Problem der Acta-Forschung einer insgesamt triftigen Lösung zu. Apg ist ein litera­rischer Teilabschluss: Dies erklärt die Schlussmarkierungen. Apg ordnet sich gezielt einer größeren Geschichte unter: Dies erklärt das offene Ende. Die funktionale Verwandtschaft mit der Epik weist in der Tat darauf, dass hier wie dort in die Gegenwart offene Herkunfts- und Stiftungsmemoria waltet. In zwei Richtungen lassen sich T.s Resultate modifizieren:
1. Vermutlich hätte eine tiefere Berücksichtigung des engeren generischen Umfelds, nämlich der zeitgenössischen Historiographie, weiterführende Resultate erbracht. Das offene Ende und/oder die Selbst- und Fremdeinordnung in eine »größere Erzählung« besitzt hier von Thukydides über Xenophon, Polybios und Cassius Dio bis Prokop eigene Gattungstradition. Die natürlichste Lösung für das offene Ende scheint mir, durchaus im Sinn T.s, darin zu liegen, dass auch Lk mit literarischer Fortsetzung rechnete. Das Außergewöhnliche an seinem Ende wäre dann vor allem darin zu sehen, dass er sie – auch aufgrund seiner (mythisch-epischen!) Selbstsakralisierung – nicht gefunden hat.
2. Mir scheint, dass das literarische Ende deutlicher vom konzeptionellen Abschluss der christlichen Erstepoche abzuheben ist. Michael Wolter (Das lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte, in: Ders., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, Tübingen 2009 [WUNT 236], 261–289) hat überzeugend dargetan, dass dieser in Apg 25 f. gesetzt wird, so dass die Überfahrt nach Rom als Dramatisierung der Epochenzäsur zu lesen ist. In dem von T. untersuchten Schluss befinden wir uns dann eigentlich an einem Anfang, nämlich dem der lukanischen Normalzeit. Dazu passen die offenen Erzählstränge. Dem entspricht auf der anderen Seite der literarische Beginn des Doppelwerks: Die Eingangskapitel Lk 1 f. dramatisieren einen (transitorischen) Abschluss (mit Lk 2,25–38 als terminal marker), bevor mit Lk3,1 ein (epochaler) Anfang gesetzt wird.
T.s Verdienst liegt nicht zuletzt darin, dass er die Erzählstrategie und das Geschichtsbild als jenen Rahmen ausweist, in dem das Ende der Apg seinen Problemcharakter verliert. So ist zu hoffen, dass die einschlägige Diskussion nicht endlos bleibt, sondern mit diesen wohlbegründeten Einsichten zu einem klaren Abschluss gefunden hat.