Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/1996

Spalte:

50–52

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hoppe, Rudolf

Titel/Untertitel:

Der Triumph des Kreuzes. Studien zum Verhältnis des Kolosserbriefs zur paulinischen Kreuzestheologie.

Verlag:

Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1994. XII, 295 S. gr.8o = Stuttgarter Biblische Beiträge, 28. Kart. DM 49,­. ISBN 3-460-00281-6.

Rezensent:

Hans Weder

Die vorliegende Studie gilt dem Verhältnis des Kolosserbriefs zu den echten Paulinen. Neben den Indizien für eine enge Verwandtschaft sind die erheblichen theologischen Spannungen nicht zu übersehen. Der Vf. konzentriert sich in seiner Analyse des Verhältnisses auf die Kreuzestheologie, ein theologisches Grundmotiv des Paulus, das bisher eher spärlich herangezogen wurde zur Beantwortung der Frage nach dem paulinischen Charakter des Kolosserbriefes.

Die Abfassungsverhältnisse und die wichtigsten Konturen theologischer Anschauungen (Christologie, 12 ff.; Ekklesiologie, 19 ff.; Eschatologie, 26 ff.) lassen erkennen, daß "sich der Kol in Sprache und theologischer Themenstreuung grundsätzlich mit den gesichert authentischen Briefen des Paulus berührt" und daß es gleichwohl nicht möglich ist, "den Brief in die genuin paulinische Theologie zu integrieren" (34). Dies hat in der Forschung zur Annahme geführt, der Brief sei in der Paulus-Schule entstanden (oder gar von einem Mitarbeiter zu Lebzeiten des Paulus). In dieser Ausgangslage wendet sich der Vf. der Kreuzestheologie zu.

Zunächst wird die paulinische Kreuzestheologie erhoben (36 ff.), wobei sich der Vf. auf die (gewiß zentralen) Aussagen des 1Kor beschränkt. Hier wird weithin sachgemäß zusammengefaßt, was in anderen Arbeiten zur Kreuzestheologie erarbeitet worden ist. Den springenden Punkt von 1Kor 1,18 ff. sieht der Vf. in der "Ausgrenzung des Kreuzes" durch die korinthische Sophia-Theologie (51; die Position des Unterzeichneten wird übrigens sehr ungenau und manchmal sogar falsch wiedergegeben). Zu fragen wäre, ob es statt der Ausgrenzung nicht vielmehr um eine integrative Vereinnahmung des Kreuzes gegangen sei. Paulus bekämpft den "weisheitstheologische(n) Idealismus, der Gott durch systemimmanente Logik einzuholen versucht", indem er das paradoxe Handeln Gottes am Kreuz ins Zentrum stellt (63). Hier wäre eine Reflexion zur Kontradependenz des Paradoxen notwendig gewesen. Paulus geht es viel weniger um die "gebrochene Realität menschlicher Existenz" (ebd.) als um die konkrete Gestalt, die das Evangelium angesichts des Kreuzes gewonnen hat.

Paulus nimmt für die eigene Position seinerseits Weisheit in Anspruch (2Kor 2,6-16; S. 64 ff.) im Namen einer "Theologie ­ ... ­ der Unbegreiflichkeit Gottes" (91, im Anschluß an Lampe). Hier stellt sich erneut die Frage, ob Unbegreiflichkeit von der Welt aus gedacht sei (was die paulinische Theologie als kontradependent erscheinen ließe) oder ob ­ worauf es Paulus wohl ankommt ­ die Unbegreiflichkeit ihre eigene Gestalt habe. Durch die Kreuzigung haben die Archonten "den Heilsweg Gottes... eingeleitet, der in seiner ganzen Dimension erst noch offenbar wird, wenn jener Heilsplan Gottes... sich durchsetzen wird" (99). Dies ist gewiß im Sinne des Paulus; die Frage wäre höchstens, ob man angesichts des Kreuzes noch so ungebrochen von Macht und Durchsetzung sprechen dürfe, wie dies in diesem Abschnitt geschieht.

Weitere Überlegungsgänge bearbeiten die Kompositionsstruktur des Kol (100 ff.), die zeigt, daß Kreuzestheologie nur in den ersten beiden Teilen (1,12-27 und 2,8-3,4) eine namhafte Rolle spielt, und die kolossische Philosophie (125ff), die in mysterienhaften Kreisen mit einem kultischen Ritus lokalisiert werden. Die Position dieser "Konkurrenzgruppe" wird herangezogen, um die Aussagen des Kol besser zu konturieren.

Eine wichtige Aussage zur Kreuzestheologie steht in Kol 1,20 ("Frieden schaffend durch das Blut seines Kreuzes"). Die Einbettung dieser Aussage in den Kolosserhymnus erfordert eine genauere Analyse desselben (146 ff.). Nach dem Urteil des Vf.s steht im Hymnus der Dominanzgedanke des Christus im Zentrum: in der ersten Strophe ist er als Urbild und Erstgeborener (ein "Mittler- und Herrschaftsverhältnis", z.B. 172) der, welcher der ganzen Wirklichkeit das Gepräge gibt, in der zweiten Strophe ist er als Anfang und Erstgeborener von den Toten der, der in herrscherlicher Stellung das All versöhnt (z.B. 180). Wiederum ist die Frage, ob die Machtförmigkeit des Denkens dem Hymnus oder der Exegese zu verdanken sei (vgl. dazu 223: Vom Christus gilt, "daß er als der Auferstandene kraft der in ihm anwesenden göttlichen Fülle das All versöhnend beherrscht"; was muß das für eine Versöhnung sein, durch die einer das All beherrschen kann?).

Auf die Analyse des Hymnus folgt die Untersuchung der Redaktion und ihrer theologischen Konzeption (181 ff.). Aus dem Kontext (V. 12-14.21-23) ergibt sich eine Konzeption, die anders ist als die paulinische Kreuzestheologie: Der Autor scheint "dem Kreuz Jesu dessen Eigengewicht zu nehmen, das Kreuz Christi wird funktional im Sinne der Versetzung in den Heilsraum gedeutet" (204). Ist dies wirklich eine so große Differenz zu Paulus? Ist nicht auch bei Paulus das Kreuz soteriologisch gedeutet (und hat insofern auch eine funktionale Seite)? Daß der Kol ­ im Unterschied zu Paulus ­ einen "ontologischen Idealismus" (ebd) des "Oben" vertrete, kann nur zutreffen, wenn "Oben" und "Unten" tatsächlich die entscheidenden Kategorien der Kreuzestheologie sind. Dies ist indessen mehr als fraglich, zumal in 1Kor 1,25 das Törichte Gottes weiser und das Schwache Gottes stärker als die Menschen ist, womit die Machtpyramide nicht bloß umgekehrt, sondern im eigentlich kritischen Sinne durchbrochen worden ist. In der Redaktion des Hymnus zeigt sich eine Tendenz, die kosmischen Aussagen der Tradition zu "ekklesialisieren" und in der Christus unterstellten Kirche die schon gesicherte und errettete Welt zu erkennen (vgl. 224). Das Kreuz wird durch die Redaktion "als pazifizierende Stabilisierungsaussage" gedeutet (ebd), und an die Stelle des ontologischen Idealismus ist der "ekklesiale Idealismus" getreten (225). Sind diese Begriffe angemessen? Namentlich der Gebrauch des Wortes "Idealismus" müßte genauer bestimmt werden. Kommt man der paulinischen Kreuzestheologie wirklich auf die Spur, wenn man ihren systemzerstörenden Charakter hervorhebt, um dann den systemstabilisierenden Grundzug der kolossischen Version der Kreuzestheologie dagegen zu setzen? Ist es nicht ein wenig überzogen, die "Kreuzesinterpretation des KolR als Schlüssel der Diskontinuität des Kol zu Paulus" (225) zu deklarieren?

Schließlich wird unter der Überschrift "Der ’Triumph’ des Kreuzes" Kol 2,11-15 interpretiert, ein Abschnitt, der von der Forschung weit weniger beachtet wird als der Hymnus (226 ff.). Aufgrund der Nähe von Kol 2,12 und Röm 6,3f läßt sich die Annahme nicht ausschließen, "daß Kol 2,12 literarisch auf Röm 6,3f zurückgreift" (234). Auch hier muß gefragt werden, ob Paulus tatsächlich die "Tauftradition ethisch weiterführt" (237) und ob in diesem Punkt dann die präsentische Aussage im Kol davon abgesetzt werden soll. Im Unterschied zu Paulus verknüpft der Kol Tod und Auferstehung in der Taufe stärker (242). "Anders als bei Paulus legt nicht das Kreuz die Auferweckung aus, sondern die Auferweckung das Kreuz" (258). Damit wird das Kreuz der "Weisheit, die zum Instrumentarium der Ekklesia gehört", dienstbar gemacht (ebd). Und die "Deutung des Kreuzes als Triumph ist auch hier (sc wie in der Redaktion des Hymnus) maßgebliche Grundlage für den präsentischen ekklesialen Heilsgedanken" (260). Ist diese Alternative zwischen Kreuz und Auferweckung sinnvoll? Ist nicht die Auferstehung auch bei Paulus die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß das Kreuz überhaupt als Rettendes zur Sprache kommt? Gewiß besteht ein Unterschied im Zeitverständnis, insbesondere die präsentische Fassung der Auferstehungsaussage läßt auf Differenzen zu Paulus schließen.

Das Verdienst der vorliegenden Arbeit ist zweifellos, begründeten Einspruch zu erheben gegen eine vorschnelle Harmonisierung des Kol mit den paulinischen Briefen. Die Schwierigkeit von solchen Vergleichen besteht darin, beide Seiten zunächst sachgemäß zu bestimmen. Ist die Kreuzestheologie des Paulus richtig beschrieben, wenn sie auf Begriffe wie "Paradox", "von Oben nach Unten" oder "Kritik am System-Denken" gebracht wird? Ist es andererseits richtig, die kolossische Position mit dem Stichwort des "Weisheitsdenkens" zu belegen und sie so in die Nähe der Gegner in Korinth zu bringen?

Zur typographischen Gestaltung der Arbeit ist zu bemerken, daß bei den Worttrennungen recht viele Fehler verblieben sind.