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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

188–189

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Henderson, Timothy P.

Titel/Untertitel:

The Gospel of Peter and Early Chris­tian Apologetics. Rewriting the Story of Jesus’ Death, Burial, and Resurrection.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. X, 258 S. 23,2 x 15,5 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 301. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-150709-0.

Rezensent:

Thomas J. Kraus

Eine beachtliche Anzahl von Veröffentlichungen in den letzten Jahren verdeutlicht ein zunehmendes Interesse an christlicher nicht-kanonischer Literatur. Gerade das Petrusevangelium (fortan EvPet) scheint en vogue zu sein. Dafür sprechen auch einige laufende Promotionsvorhaben. In einer leicht überarbeiteten Fassung liegt nun die von Timothy B. Henderson an der Marquette University eingereichte Dissertation vor. Darin widmet er sich potentiellen apologetischen und polemischen Zügen des EvPet, die für ihn als Ausdruck nichtchristlicher Behauptungen und Kritikpunkte für die Komposition dieses apokryphen Evangeliums verantwortlich seien. Vorausgesetzt ist die Annahme, bei EvPet handele es sich um ein »um- bzw. neu geschriebenes Evangelium« (rewritten Gos­pel), das auf bereits vorhandenen basiere. H. legt damit eine sehr innovative und gleichzeitig spekulative Arbeit vor, die allerdings deshalb auch zu methodischen und inhaltlichen Rückfragen herausfordert.
Der Aufriss des Buches ist typisch für eine überarbeitete Dissertation: Einer kurzen Einleitung folgt ein Einführungskapitel, in dem H. die frühe Bezeugungslage, Fundumstände und Identifikation des von ihm herangezogenen Manuskripts sowie die Forschungsgeschichte knapp darstellt und seinen methodischen An­satz entwickelt. Die folgenden fünf Kapitel sind den vom Autor gesetzten Textabschnitten des EvPet gewidmet und analog zu-einander ge­staltet (Synopse der griechischen Texte von EvPet und der vier kanonischen Evangelien, inhaltliche Analyse, frühchristliche Pa­rallelen, Apologetisches und Polemisches und Schlussfolgerungen). Abschließend fasst H. seine Ergebnisse auf fünf Seiten zusammen, bietet eine umfangreiche Bibliographie und Stellen-, Autoren- und Sachindex für eine gute Orientierung im Band. Die wenigen Tipp- oder Satzfehler trüben den guten Gesamteindruck des handwerklich einwandfrei und logisch strukturierten Bandes nicht.
Gerade das erste Einführungskapitel motiviert zu Anmerkungen und Rückfragen. So beschränkt sich H. in seiner Arbeit auf den Text des sog. Akhmîm-Kodex (P.Cair. 10759). Dabei bezieht er aber die weiteren, als potentielle Textzeugen des EvPet diskutierten Fragmente nicht mit ein. Ebenso lässt er die weiteren von diesem Pergamentkodex erhaltenen Schriften außer Acht, deren Relation sehr wohl für eine Bewertung von Manuskript und Inhalt von Bedeutung sein kann. Immerhin bietet die Sammelhandschrift nach dem EvPet mit der Petrusapokalypse, Henoch und einem wohl in den Umschlag geklebten Einzelblatt mit Abschnitten des Martyriums des Julian Anazarbus weitere interessante griechische Texte. Zwar nennt H. diese auch, doch stellt er keine Überlegungen über das Zueinander dieser Texte in der von ihm immerhin als Hauptzeugen veranschlagten Handschrift an. Damit bleiben wichtige Aspekte der Text- und Wirkungsgeschichte des EvPet bereits zu Beginn der Arbeit unberücksichtigt.
Noch überraschender ist jedoch, dass die pseudo-petrinische Literatur grundsätzlich vernachlässigt bleibt. Zwar führt H. diese selbst an (so auf S. 14–15 und vor allem 214 [z. B. die zwei Petrusbriefe, EvPet, ApocPet, Acta Petri, Kerygma Petri]), doch bleibt die Diskussion um die Beziehungen untereinander unerwähnt. Für eine Arbeit, die sich mit apologetischen und polemischen Zügen des EvPet beschäftigt, wäre wohl ein genauerer Blick in diese Literatur gewinnbringend gewesen. So findet doch beispielsweise in 2Petr eine dezidierte und offene Auseinandersetzung mit konkret als »Pseudolehrer« und »Pseudopropheten« bezeichneten Geg­nern statt. Des Weiteren kann dieser 2Petr durchaus als Vergleichstext veranschlagt werden, in dem Apologetisches (und auch Polemik) möglicherweise deutlicher hervortritt als in EvPet.
Knackpunkt für eine eingehende Auseinandersetzung mit den Thesen H.s wird jedoch die Einschätzung des EvPet als rewritten Gospel sein, von der auch seine weiteren Folgerungen abhängen. Seine Ausführungen zu rewritten Gospel oder, wie es meist in der Literatur heißt, rewritten Bible sind zwar richtig, aber nicht komplett. Es ist zu fragen, ob die zugrunde gelegte Definition angemessen ist. H. leitet den Begriff korrekt von Geza Vermes ab, skizziert auch grundsätzlich richtig, um was es sich dabei handelt, vermischt aber Unterschiedliches vorschnell miteinander. Denn es wird in der einschlägigen Fachliteratur zum Thema einerseits durchaus kritisch diskutiert, ob denn überhaupt und, wenn ja, wie denn dann Texte wie das Jubiläenbuch oder Josephus, Antiquitates, miteinander als rewritten Bible behandelt werden können oder sollen.
Bei Erstem handelt es sich um eine ausführlichere Fassung der Geschichten, als sie die Vorlage bietet, bei Zweitem allerdings eher um die Einbettung von biblischen Passagen in einen neuen Kontext. Welchen Umfang kann und darf letztlich das neu verwertete biblische Material haben in Relation zum Gesamtumfang eines Textes? Wie darf das Vorlagenmaterial be- und umgearbeitet sein, damit sich die Bezeichnung rewritten Bible überhaupt noch halten lässt? Zudem wird in der Diskussion mitunter auch auf die kanonischen Evangelien als rewritten Bible rekurriert, beinhalten sie doch auch biblisches Material, das sehr unterschiedlich eingearbeitet wurde. In dieser Hinsicht wären ein größeres Problembewusstsein sowie eine schärfere Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Facetten und Dimensionen hinsichtlich Begriff und Kriteriologie von rewritten Bible wünschenswert, damit H.s Veranschlagung des EvPet als rewritten Gospel nicht von vorn­-herein methodischen Bedenken zum Opfer fällt. Denn wenn er gleich zu Beginn seiner Untersuchungen die These setzt, bei EvPet handele es sich um ein »um- bzw. neugeschriebenes Evangelium« (rewritten Gospel), was sowohl methodisch als auch arbeitshypothetisch durchaus in Ordnung geht, dann sollte die Grundlage genau dafür auch alle Probleme und Differenzierungen umfassen. Davon hängt auch ab, wie mit H.s Behauptung umzugehen sein wird, dass spezielle kritische Haltungen von außerhalb – H. identifiziert diese über die potentielle anti-jüdische Polemik in EvPet – die Gestalt des EvPet maßgeblich beeinflusst haben, was aber ebenso einer eingehenden Auseinandersetzung bedarf. Es bleibt zu hoffen, dass H. in einer gesonderten Studie ebendiese Aufgaben angehen und vorschneller Kritik an seinem Ansatz entgegenwirken wird.
Jedoch soll die Besprechung keineswegs unter dem Eindruck dieser methodischen und inhaltlichen Rückfragen enden. H.s Textanalysen sind präzise, konkret und stets mit aller Vorsicht ausgeführt, seine Ableitungen dann in sich kohärent. Und genau das trifft letztlich für mehr als vier Fünftel des gesamten Bandes zu.
H.s großes Verdienst besteht darin, dass er dazu beiträgt, diesem nicht-kanonischen Text die gebührende Aufmerksamkeit zu verschaffen, und durch seine mutigen Spekulationen zu weiteren Auseinandersetzungen mit seinem eigenen Ansatz herausfordert. Er motiviert so die Beschäftigung mit weiteren Facetten des EvPet. Hoffentlich wird sich H. weiterhin, nicht nur in der in dieser Besprechung als Wunsch geäußerten Weise, mit EvPet beschäf­-tigen.