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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

186–187

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Harrison, James R.

Titel/Untertitel:

Paul and the Imperial Authorities at Thessalonica and Rome. A Study in the Conflict of Ideology.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2011. XV, 428 S. 23,5 x 15,8 cm = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 273. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-149880-0.

Rezensent:

Torsten Jantsch

James R. Harrison ist Head of Theology am Wesley Institute in Sydney (Australien). Seine Publikationsliste weist bisher eine Reihe von Veröffentlichungen zu dem Thema aus, das H. auch hier verfolgt: das Evangelium des Paulus im Rahmen des politischen Diskurses der frühen Kaiserzeit zu deuten.
In Kapitel 1 entwickelt H. aus der Diskussion der Forschungslage zur Auseinandersetzung des Paulus und der ersten Christen mit dem Herrscherkult seine These: Paulus richtet sein Evangelium, das er in seinen Briefen nach Thessalonike und Rom darstellt, kritisch gegen die »imperiale Propaganda« in der frühen Kaiserzeit. Zwar habe Paulus sein Evangelium nicht in erster Linie gegen den Herrscherkult und die Herrscherideologie gerichtet (2); aber er wende sich gegen die Verehrung des Herrschers als eines »prominenten Falles von griechisch-römischer Götzenverehrung« (2).
In Kapitel 2 (erstmals erschienen in JSNT [2002], 71–96) geht H. auf Texte aus dem 1. Thessalonicherbrief ein. Der zentrale Text seiner Untersuchung ist 1Thess 4,14–5,11. H. weist nach, dass eine Reihe von hier verwendeten Begriffen zur Terminologie des poli­-tischen Diskurses der frühen Kaiserzeit gehört (z. B. παρουσία in 4,15; der Slogan εἰρήνη καὶ ἀσφάλεια in 5,3 u. a.), womit er Be­kanntes rekapituliert. Die große Bedeutung der Eschatologie in 1Thess erklärt H. damit, dass Paulus sein Evangelium vom gestorbenen und auferweckten Jesus, dem Sohn Gottes, der wiederkommen wird (1,10), gegen die mit endzeitlichen Erwartungen aufgeladenen Darstellungen der Herrschaft des Augustus stellt.
In Kapitel 3 wendet sich H. dem 2. Thessalonicherbrief zu, den er für einen echten Paulusbrief hält. Den in den Versen 2,3 f. genannten »Menschen der Gesetzlosigkeit« identifiziert H. mit Caligula, der im Jahr 40 im Jerusalemer Tempel seine Statue aufstellen wollte. Dies codiere Paulus mit der Bezeichnung ἄνθρωπος τῆς ἀνομίας, die in der jüdischen Literatur mehrfach einen Herrscher be­zeichnet, der den Jerusalemer Tempel verunreinigt hat.
In Kapitel 4 zieht H. Linien seiner von Edwin Judge an der Macquarie University (Sydney) betreuten Dissertation über den Begriff »Gnade« (χάρις) bei Paulus (Paul’s Language of Grace in its Graeco-Roman Context [WUNT II/172], Tübingen, rezensiert von U. Schnelle: ThLZ 131 [2006], 1154–56) weiter aus. Paulus stelle im Römerbrief Christus gegen die »eschatologischen« Erwartungen, die an Augustus und Nero geknüpft sind, indem er Vorstellungen wie die gött­-liche Erwählung und die endzeitliche Hoffnung, die im Herrscherkult im Rahmen der Rhetorik des Goldenen Zeitalters auf Augustus bezogen wurden (vgl. hierzu jüngst ausführlich S. Schreiber, Weih­- nachtspolitik. Lukas 1–2 und das Goldene Zeitalter [NTOA 82]), Göttingen 2009, der auch die betreffenden Quellentexte bietet), an Chris­tus als den wahren endzeitlichen Herrscher statt an den Kaiser bindet.
In Kapitel 5 zieht H. diese Linie weiter, indem Christus in Röm 5,1–11 von Paulus gerade als Gegenbild zu Augustus und Nero gezeichnet werde: Mit diesen sind Themen wie Frieden (vgl. die pax Augusta), Gnade, Hoffnung verbunden – die Begriffe, die eben auch in Röm 5,1–11 begegnen. Anders als der Prinzeps ist Christus aber ein »dishonoured benefactor«, dessen Tod nach 5,6–8 nicht etwa für einen Gerechten oder Guten, sondern für Gottlose und Sünder dem System von Gabe und Gegengabe im Patron-Klienten-Verhältnis zuwiderläuft. Nach H. ist 5,10 f. so zu verstehen, dass die Loyalität der Gläubigen nun nicht mehr dem Caesar und seinem Haus ge­hört, sondern dem Christus aus dem Haus Davids.
In Kapitel 6 (erstmals erschienen in U. Schnelle [Hrsg.], The Letter to the Romans, Leuven 2009, 323–363) stellt H. zunächst dar, welche Rolle die Ehre (honor) und der Glanz (gloria) für den republikanischen Adel in Rom hatte und wie Augustus dann zum Inbegriff von gloria und virtus wurde. Die δόξα-Terminologie des Römerbriefes interpretiert H. vor diesem Hintergrund, und die Botschaft des Paulus sei im Römerbrief: Δόξα gebührt Gott und seinem Christus, nicht dem römischen Kaiser.
In Kapitel 7 untersucht H. Röm 13,1–7 vor dem Hintergrund antiker Staatslehre. Während der Herrscher nach der einen Vorstellung Diener der Götter und ihr Stellvertreter ist, setzt sich in hellenistischer Zeit im Osten eine Vorstellung durch, die den Herrscher als Retter (σωτήρ) und Wohltäter (εὐεργέτης) sieht. Vor dem Hin­tergrund alttestamentlich-frühjüdischer theozentrischer Theologie sei es Ziel des Paulus in Röm 13,1–7, die Rolle des Kaisers radikal auf die eines Dieners Gottes zu beschränken. Im Gegenzug übertrage Paulus Funktionen des Kaisers auf die christliche Gemeinde: diese soll als Ganze Wohltäter sein (benefactor als politischer Be­griff), soll wie der Herrscher clementia üben und erhält die pries­terliche Funktion (Röm 12,1), die dem Kaiser als dem Pontifex Maximus zustand.
In Kapitel 8 fasst H. seine Ergebnisse zusammen (325–337). Mehrere Register im Anhang helfen, das Buch zu erschließen.
Nicht alles in dieser Untersuchung ist ein Novum; H. stellt aber verschiedentlich vertretene Thesen in einen Gesamtzusammenhang. Beeindruckend ist die Kenntnis der Quellen und die große Kompetenz H.s hinsichtlich des politischen Diskurses in der frühen Kaiserzeit. Hier liegt der große Gewinn der Arbeit: Wer sich in Zu­kunft darüber informieren will, findet bei H. die Quellen – litera­rische ebenso wie archäologische – ausführlich dargestellt. Dabei bringt H. ganz verschiedene Phänomene in den paulinischen Briefen ins Gespräch mit der imperialen Rhetorik und erreicht damit eine eindrucksvolle Geschlossenheit. Die Beschränkung der Untersuchung auf die Korrespondenz des Paulus nach Thessalonike und Rom ist dabei nicht nur wegen der Stofffülle durchaus naheliegend: Damit blickt H. auf Schreiben, die in den Osten und in den Westen des Imperiums gerichtet sind. Auf diese Weise trägt H. dem Um­stand Rechnung, dass die Ausprägungen des »Herrscherkultes« sich im Osten und im Westen des Reiches unterschieden (vgl. hierzu 14–19).
H. weist viele Ähnlichkeiten zwischen Paulus und dem politischen Diskurs seiner Zeit (sowohl der imperialen Ideologie, als auch der anti-imperialen Rhetorik) auf. Dabei gelingt ihm öfter der Nachweis nicht, dass die von Paulus verwendete Terminologie über ein Spiel mit Motiven und Anspielungen hinaus wirklich als (verdeckte) anti-imperiale Polemik zu verstehen ist. Oft erscheinen die Bezüge, die H. herstellt, als arbiträr. Dies scheint H. selbst bewusst zu sein, weshalb sich Formulierungen häufen wie »the auditors would have noticed/understood/registered«. Dies ist auf die Hermeneutik H.s zurückzuführen, der vermutet, dass allein einige Anspielungen im Text reichen, damit die Rezipienten die Tiefenschicht des Textes als »hidden transcript« entschlüsseln können. Zudem konzentriert sich H. zu stark auf einzelne Begriffe bzw. einzelne Syntagmata. So bleibt er in seiner Analyse auf der Wort- und Satzebene, statt die gesamte Argumentation eines Ab­schnitts oder gar eines ganzen Schreibens einzubeziehen. Damit ist H.s Studie ein interessanter Versuch, Paulus im Rahmen des politischen Diskurses der frühen Kaiserzeit zu verstehen. Mancher Ausdruck des Paulus wird dadurch erhellt, eine weitere Sinndimension wird den Texten hinzugefügt, aber viele Fragen bleiben offen.