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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

184–185

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Im Auftrag der Joseph Ratzinger Papst Benedikt XVI.-Stiftung hrsg. v. P. Kuhn.

Titel/Untertitel:

Gespräch über Jesus. Papst Benedikt XVI. im Dialog mit Martin Hengel, Peter Stuhlmacher und seinen Schülern in Castelgandolfo 2008.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2010. IX, 137 S. 18,0 x 11,2 cm. Kart. EUR 19,00. ISBN 978-3-16-150441-9.

Rezensent:

Christof Landmesser

Es ist ein besonderes Ereignis, wenn ein Papst zwei protestantische Neutestamentler, Martin Hengel und Peter Stuhlmacher, zu einem Gespräch einlädt. Der Begegnung ist eine fromme Ernsthaftigkeit abzuspüren, ein Ringen um ein angemessenes Verständnis der Person Jesus. Gleichzeitig dokumentiert das Ereignis eine tiefe Irritation über zuweilen bereits überwundene Entwicklungen in der Forschung. Dieser Text sollte nicht als eine Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Wissenschaft gelesen werden, er beschreibt die persönliche Positionierung von Gelehrten und Kirchenleuten vor dem Hintergrund ihres eigenen Forschens, ihres Glaubens und ihrer kirchlichen Verantwortung.
Der Band bietet Vorträge von Hengel und Stuhlmacher, denen jeweils ein von Benedikt XVI. eingeleitetes und abgeschlossenes Gespräch folgt. Dabei werden weniger die exegetischen Einzelheiten diskutiert als vielmehr grundsätzliche hermeneutische und materiale theologische Fragen aufgegriffen. Abschließend ist eine Predigt von Christoph Kardinal Schönborn abgedruckt.
Hengels Vortrag trägt den Titel Zur historischen Rückfrage nach Jesus von Nazareth. Überlegungen nach der Fertigstellung eines Jesusbuches (1–29). Er stellt fest, dass wir »in historischen Fragen ständig Plausibilitäts- und Wahrscheinlichkeitsurteile« fällen (2). Die historische Rückfrage nach Jesus vergleicht er mit »dem Versuch der Wiederherstellung eines weitgehend zerstörten Mosaiks« (5). Die Einzelteile wären vorhanden, sie müssten nur angemessen zu­sammengesetzt werden, eine Jesusdarstellung hätte die Aufgabe einer Rekonstruktion (vgl. auch 20). Die historisch-kritische Arbeit an den Evangelien könne den Glauben nicht begründen, sie stehe aber »in einem notwendigen theologischen Kontext« (8). Weiter thematisiert Hengel sein Verständnis von Heilsgeschichte, er skizziert Besonderheiten der Evangelien und bezweifelt die Existenz der einen Quelle Q.
Es folgt eine Kritik der formgeschichtlichen Forschung, welche die theologische und die literarische Kompetenz der synoptischen Evangelien unterschätze (15). Knapp und grundsätzlich werden Dibelius und Bultmann verabschiedet (15 f.). Wichtig ist für Hengel der messianische Anspruch Jesu (22). Das Messiasgeheimnis sei keine Erfindung der Gemeinde, die Christologie gehe vielmehr auf Jesus selbst zurück (23). Mit Blick auf das Ostergeschehen müssten die Erfahrungen der Jünger einbezogen werden (28), die später sehr durchdacht rekonstruiert worden seien (29). Wohl gelte es, die »Grenzen unseres historischen Wissens« wahrzunehmen (ebd.), die Evangelien böten aber zur Rekonstruktion des Geschehens eine gute Grundlage. – In der Diskussion wird von Benedikt XVI. das Verhältnis von Glaubens- und historischer Gewissheit thematisiert (31 f.). Es wird im Gespräch nach einer realeren Welt hinter der irdischen gefragt (35), die Wirksamkeit der Engel (37) und der Geisterwelt werden behauptet (40) sowie der Glaube an Wunder an Beispielen aus der Geschichte aufgezeigt. Bultmann und Schleiermacher werden als Negativfolie aufgerufen (16.44 f.). Benedikt XVI. fordert abschließend, die Wunderfrage »auf die Gottesfrage zurück­zuführen« (61).
Die Frage nach der Ge­schichte wird positivistisch behandelt, wenn etwa Hengel von den bruta facta redet, die der Glaube erst in ihrer Heilsbedeutung erschließen könne (53). Der interpretative Charakter jeder Beschreibung der Geschichte kommt nicht in den Blick.
Stuhlmachers Vortrag trägt den Titel Jesu Opfergang (63–85). Er fasst seine Deutung des Todes Jesu als Sühnetod zusammen. Diese sei begründet in der Tradition der Evangelien, die »sich aus der von Jesus selbst geübten Jüngerinstruktion und aus den Berichten von Augen- und Ohrenzeugen« speise (64). Wieder stehen Bultmann und Schleiermacher als Gegenpositionen im Hintergrund, ohne wirklich diskutiert zu werden. Das Alte Testament sei für die Deutung des Todes Jesu wesentlich (65). Es sei Jesu eigenes Todesverständnis, das in den Evangelien zur Geltung komme. Der Tod Jesu müsse vor dem Hintergrund seines Selbstverständnisses sühnetheologisch und zugleich im Anschluss an die Gottesknechtstradition verstanden werden. Als Autorität seiner Sicht gilt also Jesus selbst.
Nach Benedikt XVI. wäre die Tradition der Opferworte in der Eucharistie hinfällig, entspräche die Sühne nicht dem Selbstverständnis Jesu. In der Diskussion wird das Verhältnis von Sühne und Satisfaktion erörtert. – Stuhlmacher spricht vom »Ursprungssinn der Schrift« (98). Er vermag ebenso wenig aufzuzeigen, dass dieser nicht durch seine eigene Interpretation bestimmt ist, wie dies bei einer Behauptung von bruta facta der Fall ist.
Dem Gespräch insgesamt fehlt die Einsicht in den interpretativen Charakter eines jeden Zugangs zur Welt und zu Texten. Eine Zusammenstellung von Motiven aus den Evangelien zur Person Jesus und dort zu findender Interpretamente seines Todes ersetzt nicht eine profilierte Darstellung der voneinander zu unterscheidenden neutestamentlichen Jesusbilder und die selbst zu verantwortende Interpretation derselben. Der apologetische Charakter dieses Gesprächs irritiert.