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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

182–183

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Bergmeier, Roland

Titel/Untertitel:

Gerechtigkeit, Gesetz und Glaube bei Paulus. Der judenchristliche Heidenapostel im Streit um das Gesetz und seine Werke.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2010. X, 186 S. 20,5 x 12,5 cm = Biblisch-Theologische Studien, 115. Kart. EUR 26,90. ISBN 978-3-7887-2461-0.

Rezensent:

Walter Klaiber

Die neutestamentliche Forschung ist von einem Konsens in der Auslegung der paulinischen Rechtfertigungslehre weit entfernt. Jeder Versuch, hier Klarheit zu schaffen, ist daher willkommen. Roland Bergmeier unternimmt es, noch einmal einige der umstrittensten Fragen der Debatte unter die exegetische Lupe zu nehmen: Was meint ἔργα νόμου, welche Bedeutung hat das Gesetz in diesem Zusammenhang und was versteht Paulus unter Glaube?
Die Arbeit besteht aus fünf Untersuchungen, zwei davon sind Überarbeitungen schon veröffentlichter Aufsätze. B. argumentiert außerordentlich dicht und differenziert, so dass es unmöglich ist, die Subtilität seiner Beweisführung im Rahmen einer Rezension nachzuzeichnen. Es muss genügen, die Inhalte zu benennen:
I. Οὐκ ἐξ ἔργων νόμου (5–53) untersucht noch einmal (vor allem in Auseinandersetzung mit Hofius) die Bedeutung dieses Terminus. Nach B. bezeichnet er nicht Werke, die vorzuweisen wären, sondern Vorschriften, deren Einhaltung die Reinheit des Judentums bewahrt. In II. Im Sklavenstand unter den Stoicheia (55–71) geht es um den Nachweis, dass in Gal 4,1–11 Gesetz und στοιχεῖα τοῦ κόσμου nicht gleichzusetzen sind. III. Wie »Täter des Gesetzes« gerechtfertigt werden »ohne des Gesetzes Werke« (73–94) interpretiert die schwierig zu deutende Stelle Röm 2,14–16 als Parallele zu 2,25–29: Paulus spricht in beiden Fällen von Heidenchristen. In IV. Gesetz und Werke im Römerbrief (95–134) führt B. die unterschiedliche Akzentuierung der Thematik auf unterschiedliche Adressaten (Juden- oder Heidenchristen) zurück, die Paulus anredet. B. zeichnet die Entwicklung der Thematik innerhalb des Briefes nach. Er hält daran fest, dass τέλος in 10,4 mit Ziel zu übersetzen ist und νόμος im Röm immer (auch 7,23; 8,2) die Tora meint. In V. Gerechtigkeit, Gesetz und Glaube nach Phil 3,9 (135–147) plädiert B. für eine frühe Datierung des Phil, da Paulus hier nicht die Linie von Gal und Röm fortsetze.
Wohltuend ist, wie offen B. die Schwierigkeiten, bestimmte paulinische Stellen zu verstehen, anspricht und Verständnis für die Möglichkeit einer anderen Sicht signalisiert (129 f.155.157). Und so bietet auch Kapitel VI. Zusammenfassung (149–160) nicht Thesen zur Ergebnissicherung, sondern eine nochmalige Reflexion des Erreichten. Ich versuche, das knapp zu referieren:
1. Nichtjuden sind für Paulus nie unter dem Gesetz gewesen (149). Entsprechende Aussagen gelten nur den Judenchristen.
2. Die ἔργα νόμου bezeichnen »nicht jegliches in der Tora gebotene Tun, sondern die das jüdische Leben bestimmende Handlungsanweisungen zur alltäglichen Torapraxis« (150).
3. Die grundsätzlichen Aussagen zur Rechtfertigung in Gal 2,16 beruhen auf einer judenchristlichen »Grund-Satz-Entscheidung«, »wonach die Reinheit des Volkes Gottes nicht durch Regeln ritueller Praxis gewährleistet war, sondern erst durch den Glauben an Christus gestiftet wurde« (150 f.).
4. Daraus hat Paulus gefolgert: »Von der Tora geforderte Praktiken entschieden nicht über die Teilhabe am Heil, weil die Tora als solche für das Heil, die Stiftung von Gerechtigkeit und Leben, nicht zuständig war.« (151)
5. Täter des Gesetzes nach Röm 2,14–16 sind Heidenchristen, für die »die äußerlichen Kennzeichen jüdischen Lebens … zu inneren Merkmalen des Judeseins geworden sind« (vgl. 2,26–29; 152 f.).
6. In seinem Plädoyer für die Rechtfertigung allein aus Glauben verdeutlicht Paulus den Heidenchristen in Galatien, dass »Gerechtigkeit durch das Gesetz« ausgeschlossen ist, »weil das Gesetz nicht zum Heil des ewigen Lebens erwecken kann (3,21)«. Den Judenchristen in Rom legt er dar, »dass das Gesetz selbst denen, die unter dem Gesetz sind …, ihre Schuldverfallenheit bezeugt« (3,19 f.; 153).
7. Es ist zu unterscheiden »zwischen dem in Bekenntnis und Verkündigung vorgegebenen (transsubjektiven) Glauben (an Christus) und dem von Gott gewirkten (individuellen) Glauben …, mittels dessen Menschen Anteil haben an dem, was Christus für sie getan hat« (158). Πίστις Χριστοῦ meint nicht die »Treue des Ge­salbten« oder den »Glauben Christi«, sondern den »rechtfertigenden Glauben« an Christus (159).
Es ist hier nicht möglich, diese Ergebnisse kritisch zu überprüfen. Nur knapp einige Bemerkungen zu ἔργα νόμου. Unbestritten ist, dass es in der Kontroverse um sie zunächst nicht darum ging, sich durch geleistete Werke Gerechtigkeit zu verdienen. Dennoch scheint mir die Interpretation als Vorschriften schon für die jüdische Vorgeschichte zu schwach. Gerade in 4QMMT C27 und Jub 22,16 geht es um das Tun des Gebotenen, was auch B. sieht (33 f.122). Er übersetzt deshalb in Gal 2,16 auch nie, dass »kein Mensch auf Grund von Vorschriften des Gesetzes« gerecht werde, sondern »dass kein Mensch auf der Grundlage von Torapraktiken ein Gerechter wird« (38). Weil es aber auch bei den Praktiken ums Tun geht, kann Paulus spätestens in Röm 4, vielleicht aber doch schon in Gal 3,10–12 eine Interpretation der Rechtfertigungslehre entwickeln, in der die Werke des Menschen problematisiert werden (vgl. 8.154).
Aber diese Bemerkungen sollen nicht den Dank für eine Arbeit mindern, die durch die Schärfe ihrer Beobachtungen zur weiteren Auseinandersetzung herausfordert.