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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

172–174

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Bonnet, Corinne, u. Herbert Niehr

Titel/Untertitel:

Religionen in der Umwelt des Alten Testaments II: Phönizier, Punier, Aramäer.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer 2010. 339 S. m. Abb. 23,2 x 15,5 cm = Kohlhammer Studienbücher Theologie, 4/2. Kart. EUR 39,80. ISBN 978-3-17-013046-3.

Rezensent:

Ernst Axel Knauf

In diesem Studienbuch behandelt Corinne Bonnet die phönizisch-punische(n) Religion(en) und Herbert Niehr die aramäische(n). Nach dem »geographischen Rahmen« (17–25) kommt Bonnet zu den »schriftlichen und ikonographischen Grundlagen« (26–47), der »poliadischen Struktur der Panthea« (48–62), den »Kompetenzen und Wirkweisen der Gottheiten« (63–99), unter der Überschrift »Der Mensch, die Welt, die Götter« zum phönizisch-punischen »religiösen Universum« (100–128), danach zu »Kultorten, Kulthandlungen und Kultakteuren« (128–173) und abschließend zur »phönizischen Religion in ihrer historischen Dimension« (174–185). Das ist eine ansprechende Gliederung des sehr komplexen Stoffes, und die uralte Frage der punischen ›Kinderopfer‹ wird angemessen differenziert behandelt (158–166). Daneben stehen in den Einzelheiten bedauernswerte Schnitzer.
Die regionenübergreifende Selbstbezeichnung der Phönizier-Punier war ›kanaanäisch‹ (Interrogati rustici nostres quid sint, punice respondentes chanani: St. Augustin, Ep. ad Romanos inchoata exposition 13; gegen 16), und einen »Seevölkersturm« (23) hat es so wenig gegeben wie einen »hebräischen Monotheismus«, der sich auf die Entwicklung phönizischer Panthea hätte auswirken können (74, auch 83). Auch ist 1Kön 18 (passim) keine Quelle für religiöse Praktiken des 9. Jh.s, sondern ein theologisches Konstrukt der Perserzeit. 332 v. Chr. ist nach Bonnet »zwei Jahrhunderte später« als 154/153 v. Chr. (70; S. 143 besucht Herodot Tyrus nach Alexander d. Gr.). Auch mit der Sprache ist Bonnet offensichtlich wenig vertraut: ndr ›geloben‹ übersetzt sie auf S. 111 mit »geben, anbieten« und auf S. 165 mit »opfern«. Die Verwendung des Begriffs ›Eschatologie‹ für alles, was ein »Leben nach dem Tod« betrifft (117 u. ö.) berührt in einer Reihe theologischer Studienbücher unangenehm. Dass Immanenz der Götter typisch sei für »die Polytheismen« (134), ist für die kanaanäische Religion spätestens seit der 2. Hälfte des 2. Jt.s v. Chr. schlicht falsch. Mehr Quellentexte in Übersetzung wären ebenso zu wünschen gewesen wie mehr und bessere Abbildungen, und die Literaturangaben sind so frankophonlastig, dass sie für den akademischen Unterricht außerhalb des Hexagons nicht zu gebrauchen sind.
Mit dem Titel »Religion in den Königreichen der Aramäer Syriens« (187) macht Herbert Niehr klar, dass man von (nur) einer Religion der Aramäer so wenig reden kann wie im Fall der Phönizier. Beide setzen die kanaanäische(n) Religion(en) des 2. Jt.s v. Chr. auf lokal je unterschiedliche Weise fort. Niehr bespricht einführungsweise die Daten-Basis und die Methode seines Beitrags (191–199), sodann die Staatenbildung der Aramäer in Syrien (200–209), die »Götter und Kulte« in diesen Königreichen (210–316) und endet mit einem »Ausblick« (317–324), der »Weiterleben und Untergang« aramäischer Religionen bis zur Reichskrise im 3. Jh. n. Chr. erfasst (wobei im Fall von Emesa und Palmyra das arabische Adstrat unberücksichtigt bleibt) sowie die Beziehungen aramäischer und israelitisch-judäischer Religionen. Hier konzentrieren sich meine Einwände: Dan III (das Stratum zur Tel-Dan-Inschrift) wurde von Hasaël nicht er­obert, sondern gegründet (322, vgl. jetzt I. Finkelstein, Stages in the Territorial Expansion of the Northern Kingdom: VT 61 [2011], 227–242), und die »nordsyrische« Herleitung von Bet’el und ‘Anat-Bet’el (323) ist mir nicht nachvollziehbar. Im Falle des Gottes A šīmā würde ich die Frage lieber offen halten, ob er von Samaria nach Tema oder nicht eher von Tema nach Samaria gelangt ist, und da im 5. Jh. v. Chr. Plene-Schreibung noch auf einen Langvokal deutet, kommt die Ableitung von ˇsem ›Name‹ wohl nicht in Betracht (ebd.). Im Gegensatz zu 2Kön 17.30 – einer überaus problematischen ›Quelle‹ – erwähnt Sargon II. keine Deportation von Hamat nach Samaria, sondern von Nordwestarabern. Die Herleitung der judäischen Kolonie von Elephantine in der Perserzeit aus der Gefolgschaft Manasses bei den Ägyptenfeldzügen Asarhaddons 671 und 669 (ebd.) ist unwahrscheinlich, da sich die assyrische Herrschaft nicht bis zu den Katarakten erstreckte, und JHWH hieß in Elephantine nicht ›Jahu‹, sondern ›Jaho‹ (aufgrund der Schreibungen yhw und yhh). – Die Fehlvokalisierung ›Jahu‹ wie die Manasse-Datierung finden sich bereits bei E. Meyer, Der Papyrusfund von Elephantine (Leipzig 1912), hingegen schon im gleichen Jahr das Richtige bei H. Anneler, Zur Geschichte der Juden von Elephantine (Bern 1912). – Das sind aber Kleinigkeiten. Die religionsgeschichtlich interessierte Leserschaft hat allen Grund, Niehr für seinen Beitrag dankbar zu sein.
Das Buch kann Lesern empfohlen werden, die nach einem abgeschlossenen Studium und womöglich Jahren von Berufserfahrung sich mit dem Forschungsstand auf diesem Gebiet vertraut machen wollen. Als »Studienbuch« ist es eher unbrauchbar, jedenfalls unterhalb der Stufe des Doktorats. ›Geschichte Israels‹ und ›Biblische Umwelt‹ haben nun einmal im Bachelor-Studium ihren Platz, dessen didaktische Anforderungen zumindest der Beitrag von Bonnet nicht erfüllt. Ein weiteres Desiderat richtet sich an die Herausgeber der Reihe: nachdem in Band 4,1 »Babylonier, [As]Syrer, Perser« behandelt wurden und für 4,3 »Ägypten« versprochen ist, lässt sich absehen, dass die Religionen der unmittelbarsten Nachbarn der Israeliten und Judäer, der Ammoniter, Moabiter, Edomiter und Araber, unter den »Religionen in der Umwelt des Alten Testaments« keine Berücksichtigung finden. Bedenkt man, dass die archäologisch, epigraphisch und ikonographisch erfassbaren Religionen der Königreiche Israel und Juda ebenfalls zur Vorgeschichte der Hebräischen Bibel und damit in ihre »Umwelt« fallen, ergibt sich die Notwendigkeit eines Bandes 4,4.