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Ausgabe:

Februar/2012

Spalte:

164–166

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Edwards, Richard M.

Titel/Untertitel:

Scriptural Perspicuity in the Early English Reformation in Historical Theology.

Verlag:

New York u. a.: Lang 2009. XIII, 326 S. 23,0 x 16,0 cm = Studies in Biblical Literature, 65. Kart. EUR 33,80. ISBN 978-0-8204-7057-3.

Rezensent:

Malte van Spankeren

Richard M. Edwards untersucht die Ausformung des Konzepts einer Scriptural perspicuity in der frühen englischen Reformationsgeschichte und beleuchtet dabei ausführlich dessen theologiehis­torische Wurzeln, insbesondere bei John Wyclif. In einer sehr ausführlichen Einführung (»General introduction and overview«) stellt E. die erkenntnisleitenden Fragestellungen seiner Studie vor (1–34). Die Originalität seines Forschungsbeitrags erkennt er u. a. darin, dass »no other study has attempted to detail and analyse the doctrine of Scriptural perspicuity in the indigenous stream of theology of the EER« (23). Eine Grundintention von E. ist es, die Autonomie des englischen Konzepts der Scriptural perspicuity aufzuweisen: »In fact, this study is original in that it establishes this indigenous stream of theological thought in opposition to the supposed Lutheran influence.« (23) Diese These wird allerdings im Fortgang der Arbeit nicht zureichend belegt.
E. definiert zunächst verschiedene Denominationen des Terminus perspicuity (1) und erläutert diejenigen Gründe, die für eine Fokussierung auf John Wyclif, William Tyndale und Thomas Cranmer ursächlich waren (20). Im zweiten Kapitel, »An overview of the doctrine of the perspicuity of scripture and its place in historical theology from the first century through the middle ages«, beleuchtet er die historischen Wurzeln der Scriptural perspicuity (35–70). Hierbei komme vor allem Johannes Chrysostomos eine entscheidende Rolle zu (36). Insbesondere dessen Ideen habe dann u. a. Thomas Cranmer für die englische Reformation revitalisiert. E. glaubt zeigen zu können: »My research demonstrates that there is a consistent indigenous English doctrine of Scriptural perspicuity in the Early English Reformation forming a stream of thought in John Wyclif, the Lollards, William Tyndale and Thomas Cranmer.« (38) Kurz zeichnet E. die Überlegungen Tertullians und Origines’ bezüglich einer sachgerechten Schrifterkenntnis nach und geht abschließend auf Augustin ein. Hier stört weniger das falsche Sterbedatum (nicht 450!) als vielmehr die lediglich einige Forschungsbeiträge zusammenfassende Verkürzung (44–47). Der anschließende Überblick über die mittelalterlichen Positionen, insbesondere bei Abelard und Thomas von Aquin (47–55), ist trotz aller Kürze aussagekräftiger.
Das dritte Kapitel, »Scriptural perspicuity in the continental re­formation« (71–124), untersucht verschiedene theologiehistorische Referenzgrößen bezüglich einer Scriptural perspicuity. Allerdings lesen sich insbesondere die Ausführungen zu Luther zum Teil nur wie eine Blütenlese überwiegend englischsprachiger Forschungsbeiträge (82–85). Im Wesentlichen begnügt sich E. hier mit einigen bekannten Zusammenfassungen à la »For Luther, Scriptural clarity does not mean that the Protestant interpreters know the meaning of everything in Holy Scripture« (75). Über die Zusam­menfassung zumeist älterer Literatur gelangt die Studie in diesem Kapitel kaum hinaus (92–95). Nicht verständlich ist außerdem, dass auf Melan­-chthon überhaupt nicht eingegangen wird.
Das nächste Kapitel, »The historiography of the Early English Reformation and a review of pertinent literature« (125–157), hat einen propädeutischen Charakter. E. listet hier einige Forschungsbeiträge zur englischen Reformationsgeschichte und zu den in den folgenden drei Kapiteln untersuchten Theologen auf. Allerdings wird auch hier in einigen Passagen zu ausführlich die Sekundärliteratur zitiert (125–130); stattdessen hätte man pointierter zusam­menfassen sollen. E. stellt in diesem Kontext heraus, der Ursprung einer »indigenous and consistent English doctrine of the per­-spicu­ity of Scripture« sei bereits bei Wyclif zu suchen (135). Diesen Ursprung untersucht E. im kurzen fünften Kapitel »Scriptural perspicuity in the theology of John Wyclif and lollardy« (159–176). Dabei zeigt er die für Wyclif bewegenden Motive auf, eine allgemeine Verständlichkeit der Bibel zu postulieren, und konzentriert sich dafür auf Wyclifs De veritate sacrae scripturae. Wyclifs christozentrischem Bibelverständnis entsprechend seien ihm Jesu Worte der ursprüngliche »interpretive key to understanding Scripture« (162). Eine Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte bezüglich Wyclifs Verständnis der Scriptural perspicuity und der Entwurf eines hierfür entwickelten vierfachen Grundgerüstes runden dieses aussagekräftige Kapitel ab (169).
Inwiefern diese Grundgedanken Wyclifs William Tyndale, dessen Bibelübersetzung die weiteste Verbreitung in England erfahren sollte, beeinflusst haben und von Tyndale weiterentwickelt worden sind, zeigt Kapitel 6 (»The doctrine of perspicuity in the theology of William Tyndale« [177–211]). E. weist, unter steter Be­rück­sichtigung der Ausführungen Wyclifs, auf die bei Tyndale ge­genüber Wyclif wichtigere Rolle hin, die dem Heiligen Geist als Autor der Bibel zukomme (178). Außerdem verweist er auf die für Tyndales Überlegungen charakteristische Überzeugung, dass zwar weder alle einzelnen Worte oder grammatischen Konstruktionen, sehr wohl aber die grundsätzliche Bedeutung und deren Anwendung auf das alltägliche Leben jedem Leser verständlich sein müss­ten (180). Damit überbieten die aus einer sachgerechten Exegese ge­wonnenen Erkenntnisse jedwede Lehre einer kirchlichen Institution: »For Tyndale, Scripture is the revelation of who God is to humanity, and thereby humanity does not need the mediation of the Church to understand God.« (182) Die für Tyndales Bibelin terpretation charakteristischen Elemente, die zum Teil deutlich über Wyclifs Überlegungen hinausführen, stellt E. in einer ausführlichen Auflistung zusammen (183–199). E. zeigt dabei, inwiefern Tyndale zentrale Gedanken Wyclifs in eine ausführlichere Theorie der Bibelinterpretation, die sich spezifischen hermeneu­tischen Prinzipien und exegetischen Arbeitsweisen verpflichtet wusste, überführt hat.
Inwiefern auch Thomas Cranmer, der seit der zweiten Hälfte der 1530er Jahre bis zu seiner Verhaftung 1553 zum wichtigsten englischen Kirchenmann avancierte, diese Gedanken aufgegriffen hat, veranschaulicht E. in dem mit dem Titel »The doctrine of perspicuity in the theology of Thomas Cranmer« überschriebenen siebten Kapitel (213–248). Verschiedene Schriften wie Cranmers »Book of Homilies« und einige seiner Vorreden wurden dafür ausgewertet. Mit Wyclif und Tyndale stimmte Cranmer u. a. bezüglich der un­verzichtbaren Rolle des Heiligen Geistes für ein sachgerechtes Verständnis des intendierten Bibelsinnes sowie bezüglich einer chris­tozentrischen Bibelauslegung überein (221). In einer abschließenden »Conclusion« (249–280) fasst E. seine Ergebnisse ausführlich zusammen.
Insgesamt kann man sich mithilfe dieser Studie zwar einen verlässlichen Überblick über die Ausformung des Konzepts einer Scriptural perspicuity bei Tyndale und Cranmer verschaffen. Kritisch ist allerdings anzumerken, dass die von E. vertretene These von der spezifisch englischen Entwicklung einer Scriptural perspicuity nicht überzeugend belegt wird. Um eine indigene englische Entwicklung der Scriptural perspicuity nachzuweisen, genügt es nicht, nur die Prägekraft der Ideen Wyclifs aufzuzeigen, sondern man hätte die entscheidenden Unterschiede, insbesondere zu den exegetischen Überlegungen der Wittenberger Reformatoren, erarbeiten müssen.